Interview: MELISSA ETHERIDGE - Melissa Etheridge

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Es gibt eben Platz für Klangtüftler am Computer und es gibt Platz für Musiker, die nur mit einer Gitarre in der Hand ihre Seele von der Bühne lassen.

Die amerikanische Rockröhre MELISSA ETHERIDGE beehrt morgen das Wiener Gasometer und sprach aus diesem Anlass mit uns über ihr neues Album, ihren Oscar-Gewinn und warum die Politik in den USA versagt.

Veröffentlicht am 03.03.2012

Melissa, morgen gastierst du mit deiner “Fearless Love”-Tour im Wiener Gasometer. Die Tour ist nach deinem letzten Album aus 2010 benannt. Was verstehst du unter „Fearless Love“?

Was ich bislang vom Leben gelernt habe ist, dass man zwei Auswahlmöglichkeiten hat. Die eine ist eben Liebe, die andere Angst. Spätestens als bei mir vor vielen Jahren Brustkrebs diagnostiziert wurde, habe ich mich für Liebe entschieden und musste diesen Weg so gut wie möglich angstfrei beschreiten, um damit glücklich zu werden. Ich gebe mich diesem Weg auch völlig hin.

Du bist Mutter von vier Kindern. Wie beeinflussen diese Kinder deinen Beruf oder sogar dein Songwriting?

Ein Elternteil zu sein, ändert alles. Dein Leben, deine Träume, deine Hoffnungen und deine Pläne. Natürlich beeinflussen sie mich dadurch auch musikalisch. Es schlägt sich auf jeden Fall in den Songs nieder.

Schlagen deine Kinder auch den Weg zur Musik ein?

Natürlich sind sie permanent von Musik umgeben und kriegen viel davon mit, weil es nun einmal ein erheblicher Teil unseres Lebens ist. Ich weiß aber nicht, ob sie in meine Fußstapfen treten werden. Sie sollen einfach etwas angehen, was sie glücklich macht. Das kann von mir aus auch gerne die Musik sein.

Hast du die Kinder immer mit auf Tour genommen?

Sie tourten praktisch die ganze Zeit. Jetzt, wo sie in die Schule gehen ist das um einiges schwieriger, aber in den Frühlings- oder Herbstferien sind sie immer mit dabei.

Zurück zum Album „Fearless Love“. Die Presse hat das Album als „Rückkehr zum Rock“ gesehen. Wie siehst du das Album mit etwas zeitlichem Abstand?

Ich bin immer noch sehr zufrieden mit dem Werk und auch damit, wie die Songs live funktionieren. Ich habe in meiner Karriere schon viel miterlebt, gesehen, wie die Alben in den Charts nach oben und unten springen. Was die Leute aber wirklich sehen wollen, sind die Liveshows ihrer Lieblingskünstler. Die Songs dieses Albums sind perfekt für Liveshows. Es geht um Rock’n’Roll, um Spaß und darum, das Publikum zu unterhalten.

Wie siehst du als bodenständige Musikerin diese Megashows, wie man sie etwa von LADY GAGA kennt?

Jeder Künstler hat seine eigene Auffassung von Entertainment, wie er seine Gefühle und seine Kunst dem Publikum mitteilen möchte. Im Endeffekt ist LADY GAGA eben LADY GAGA und ich bin ich. Ich versuche nur wiederzugeben, was Rock’n’Roll-Musik für mich bedeutet.

Letztes Jahr hast du deinen 50. Geburtstag gefeiert. Dich würden wohl alle viel jünger schätzen.

Wie nett, vielen Dank. Ich bin gesünder als je zuvor. Nachdem ich meinen Brustkrebs besiegt hatte, lernte ich sehr viel über Balance im Körper, über die richtige Ernährung mit Gemüse und Obst und vor allem über den richtigen Umgang mit Stress – nämlich den Stresslevel möglichst niedrig zu halten.

Wie viele Ideen und wie viel Kreativität stecken noch in dir?

Meine Kreativität kommt aus dem täglichen Leben und aus dem Wunsch, mein Leben bestmöglich zu bestehen um möglichst einzigartig zu sein. Dieser Prozess ist quasi endlos, ich sehe jedenfalls keinen Schlusspunkt.

Also können wir in Kürze mit einem neuen Album rechnen?

Ich schreibe bereits daran, ja. Ich schreibe zuhause und auch auf Tour. Ein Haufen Songs werden sogar schon im April eingespielt werden.

Kannst du uns da Näheres verraten?

Ich konzentriere mich darauf, das zu machen, was ich am besten kann und wo ich mich am liebsten ausdrücke, also bleibe ich in jedem Fall auf der Rock’n’Roll-Schiene. Ich bin zurzeit sehr inspiriert von den vielen aufkommenden jungen Künstlern, die sich auf die alten Hasen beziehen. Es herrscht eine sehr aktuelle, populäre Atmosphäre bei den neuen Songs und ich hab viel Spaß daran, an diesem Album zu arbeiten.

Die meisten Rock-Fans halten immer die älteren Jahrzehnte für die besten und sehen quasi jährlich den Untergang der Musik. Was hältst du davon?

Ach, das ist doch ein ewiger Kreislauf. Wir sind doch in einem ewigen Lernprozess, etwa bei elektronischer Musik. Wir wissen ja noch nicht mal, was im digitalen Bereich alles möglich ist und wie wir damit umgehen werden. Es gibt eben Platz für Klangtüftler am Computer und es gibt Platz für Musiker, die nur mit einer Gitarre in der Hand ihre Seele von der Bühne lassen.

Könntest du dir vorstellen, elektronische Musik mit deiner zu verknüpfen?

Irgendwann vielleicht schon. Ich würde nicht sagen, dass ich jetzt den Drang verspüre, so einen Mischung zu kreieren, aber es ist eine nette Idee und sicherlich gut für den Kreativitätsprozess.

Du bist bekanntermaßen auch politisch sehr engagiert und überzeugte Anhängerin der Demokraten. Was sagst du denn zu Barack Obamas bisheriger Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten?

Ich sage dir jetzt, wie meine Erfahrung mit Politik und Politikern aussieht. In den letzten 20 Jahren habe ich mich stark damit befasst. In den USA ist es so, dass die Demokraten und die Republikaner zwar unterschiedlich agieren, im Endeffekt aber knien beide vor denselben Firmen, vor denselben Wirtschaftsbossen. Ich finde das verdammt traurig. Ich hoffe nur, dass wir unsere Regierung aufwecken können, damit sie wieder völlig unabhängig agiert.

Was würdest du denn als US-Präsidentin verändern?

Ich würde in erster Linie diese ganzen Kooperationen mit internationalen Wirtschaftsunternehmen beenden und das Zepter zurückholen. Es wäre dann zumindest nicht mehr möglich, dass die Menschen mit viel Geld die großen Meinungsmacher sind.

Im Vergleich zu vielen europäischen Staaten ist in den USA auch das Thema Homosexualität sehr pikant. Vor 20 Jahren hast du dich als lesbisch geoutet und es hat deiner Karriere zu keiner Zeit geschadet. Warum haben aber trotzdem so viele Menschen ein Problem mit diesem Thema?

Ich denke unser Land ist das Sinnbild für Prüderie, Pilger, Fundamentalisten und religiöse Fanatiker. Somit haben wir immer diesen falschen Ansatz, dass unsere Regierung aus der Religion entstanden wäre, was nicht stimmt. Die Ansicht der Religion zur Sexualität ist beängstigend. Das macht es wohl sehr schwer, die Leute darauf objektiv aufmerksam zu machen, zu zeigen, dass Sex eine stinknormale menschliche Erfahrung und Freude für alle sein sollte.

Hast du da über die Jahre Veränderungen bemerkt?

Langsam aber doch. Zumindest gehen wir keine Schritte mehr zurück. In Washington werden gleichgeschlechtliche Hochzeiten in Kürze erlaubt werden, auch Kalifornien steht kurz davor. Es bewegt sich etwas, das merkt man. Es ist nicht einfach, geht aber in die richtige Richtung.

Weil wir von Religion sprachen. Bist du religiös?

Ich bin eine spirituelle Person. Ich glaube nicht an irgendwelche Dogmen oder religiöse Ideale. Ich glaube an eine höhere Macht, an einen Erschaffer aber keinesfalls an religiöse Normen und Dogmen.

Du hast neben einem Oscar und zwei Grammys noch unzählige andere Auszeichnungen abgeräumt. Was würdest du denn als größten Erfolg deiner Karriere sehen?

Das ist wirklich schwer zu sagen, weil es so viele tolle und unvergessliche Erfolge gab, dass ich mir nicht leicht tue, hier etwas herauszupicken. Natürlich der Gewinn des Oscars, der war ein einziger Traum und ich war damals noch so etwas wie ein Kind. Allein der Moment, wo du auf die Bühne schreitest und der Academy dankst ist so surreal. Ich war sehr dankbar für diesen Preis.

Wie hat denn der prompte große Erfolg in den späten 1980er Jahren dein Leben verändert?

Mein ganzes Leben hat sich verändert. Der Erfolg wurde zur Verantwortung. Die Leute schauen genau darauf, was du tust und das zwingt dich dazu, verdammt ehrlich zu sein. Wenn du erfolgreich bist und dich die Leute kennen, musst du ja jede Entscheidung die du triffst, jede Wahl die du fällst begründen können.

Zu BRUCE SPRINGSTEEN hattest du immer eine besondere Beziehung. Du hast einige Songs gecovert, bist offizieller Fan und mit ihm auch schon Unplugged aufgetreten. Hast du eigentlich Kontakt zu ihm?

Ich würde wahrscheinlich alles machen, was er für eine Kooperation vorschlagen würde, aber er macht auf jeden Fall sein Zeug. Ich sehe ihn ab und an, aber er ist mit seiner Arbeit und seiner Familie sehr beschäftigt. Ich bewundere ihn als Künstler und Mensch.

Gibt es spezielle Musiker, die du gerne mal auf einem deiner Alben hören würdest?

Ich nehme es, wie es kommt. Ich würde niemals hinaus gehen und jemanden auffordern, mit mir zu arbeiten. Das ist ein organischer Prozess, der sich meist von selbst ergibt.

Du bist in Kansas geboren. Wie viel Heimat steckt noch in Kopf und Seele?

Der Platz an dem du aufgewachsen bist, wird immer in deinem Kopf sein und dir Ideen bringen. Ich komme aus einer Kleinstadt im Mittelwesten, wo du hart arbeitest und nett zu Menschen bist und das hat mich mein ganzes Leben lang begleitet.

Also besteht keine Gefahr, dass du zu einer Diva à la Axl Rose mutierst?

Nein, ich denke diese Möglichkeit habe ich schon überschritten.

Hast du noch viel Kontakt zu deiner Familie, deiner Heimat?

Von meiner Familie lebt niemand mehr in dieser Stadt, aber natürlich komme ich immer wieder zurück nach Hause. Heimat bleibt immer Heimat.

So mancher nennt dich aufgrund deiner Fähigkeiten auf deiner Gitarre den weiblichen Eddie Van Halen.

Haha, das ist ja toll. Ich würde kaum sagen, dass ich so schnell Gitarre spielen kann wie Eddie Van Halen. Persönlich finde ich es aber interessant, dass ich mit den Jahren doch immer besser werde. Es kommt der Zeitpunkt, wo du dir denkst, es geht nicht mehr besser, du bist am Zenit, aber im Endeffekt hast du erst wieder einiges dazugelernt. Ich werde auch beim Konzert in Wien sehr viel mit der Gitarre arbeiten.

Und womit können wir bei deinem Auftritt rechnen?

Ich war schon eine Zeit lang nicht mehr in Europa unterwegs, also will ich vorwiegend eine Show bringen, wo jeder seine Lieblingssongs drin finden kann. Ich werde auch Material spielen, dass hauptsächlich die richtigen Hardcore-Fans kennen werden und ich will mit meiner Show einfach gut unterhalten. Es wird eine gute Mischung.

Was hättest du denn gemacht, wärst du keine Musikerin geworden?

Haha, keine Ahnung, ich kann ja sonst nichts. Möglicherweise würde ich Lehrerin sein, vor den Leuten stehen und ihnen etwas beibringen.

Und wie würde das Unterrichtsprogramm aussehen?

Höchstwahrscheinlich Musik, hahaha.

Außer der Aufnahme des neuen Albums – hast du weitere Pläne für die nähere Zukunft?

Ich werde dann natürlich wieder touren und auch im nächsten Jahr auf jeden Fall wieder nach Europa jetten. Ich werde auch noch die nächsten 10 oder 20 Jahre unterwegs sein.


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