Interview: Borknagar - Øystein G. Brun

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Eine dreimonatige Welttournee mit BORKNAGAR wäre ein logistischer Albtraum.

Die norwegischen Stilverweigerer BORKNAGAR sind mit "Urd" wieder mal dick da. Gitarrist und Gründungsmitglied Øystein G. Brun spricht bereitwillig über das neue Werk, die Rückkehr von ICS Vortex und den Vergleich mit den legendären BEATLES.

Veröffentlicht am 26.07.2012

Hallo Øystein, "Urd" ist das mittlerweile neunte Album in der BORKNAGAR-Historie und ihr habt das Teil in sechs intensiven Monaten zusammengezimmert. Wie war denn der Songwritingprozess? Habt ihr auch auf altes Material zurückgegriffen oder tatsächlich sämtliche Songs neu verfasst?

Prinzipiell wurde das Gerüst von "Urd" eigentlich schon vor den Songs unseres 2010er Albums "Universal" gebaut. Wenn wir an einem Album arbeiten, arbeite ich gleichzeitig schon am darauffolgenden, um die kreativen Gefühle und Denkweisen voll auszunutzen. Für "Urd" habe ich aber meine ganze Zeit und Kraft auf das Album gelegt, weil wir uns dieses Mal auch in allen anderen Bereichen selbst gekümmert haben. Wir haben auch das meiste der Produktion, des Engineerings und des Bearbeitens selbst übernommen. Es war in der Tat ein intensiver Arbeitsprozess - ich habe ein halbes Jahr lang quasi 24/7 daran gearbeitet.

Ich finde ja, dass "Urd" im Vergleich zu "Universal" etwas bodenständiger klingt. Ihr habt nicht nur verstärkt Black Metal-Elemente eingebaut, sondern auch die Atmosphäre steigern können. War das ein bewusster Schritt?

Ja, definitiv! Für dieses Album wollten wir unsere Köpfe wieder basisch zur Erde zurückstecken und buchstäblich in den Wurzeln der Menschheit graben. Also ist "Urd" eben ein weitaus bodenständigeres Album als "Universal", das eher eine generelle und kosmische Perspektivität aufgewiesen hat.

Viele Leute sehen euch ja immer im Fahrwasser der legendären PINK FLOYD, aber ich denke ihr klingt mehr nach einer 70s-Prog-Band mit Metal-Ingredienzen. Wie würdest du den Entwicklungsprozess von BORKNAGAR beschreiben und was war entscheidend dafür, dass ihr den Songwritingprozess von BORKNAGAR stets erweitert habt?

Well, einige Menschen vergleichen uns ja sogar mit den BEATLES, haha. Aber hey - das ist ja das coole daran, wenn man als Musiker Musik macht. All diese verschiedenen Feedbacks zu bekommen. Ich sehe es als ein Zeichen, dass wir Musik erschaffen können, die ein großes Spektrum verschiedener Gefühle im Hörer hervorrufen kann. Da ist auch genau die Art von Musik, die wir immer machen wollten. Ich habe meinen Fokus immer darauf gelegt, dass sich die Band und ich selbst in steter Weiterentwicklung befinden, was schlussendlich ja zu einem Markenzeichen von uns geworden ist. Ich denke dass unsere Mentalität der wahre Grund dafür ist, warum wir heute so sind, wie wir sind.

Einen wichtigen Part auf "Urd" nehmen die Keyboard-Spuren ein. Hast du dir jemals Sorgen gemacht, dass die Songs dadurch etwas zu cheesy werden könnten?

Ja, wir schauen schon immer genau darauf, die Dinge nicht zu eingängig zu machen. Es ist aber auch eine Frage, ob man die Musik geschmackvoll oder nicht fertigen möchte. Ich denke unser Keyboarder Lars hat auf diesem Album wirklich perfekte Arbeit abgeliefert. Obwohl auf "Urd" viele Schichten mit Synths kombiniert sind, ist das Endergebnis einfach brillant geworden. Das ist auch der größte Unterschied zwischen einem talentierten und einem untalentierten Musiker. Lars befindet sich hier auf jeden Fall in der Major-League.

"Universal" hast du damals als eine Art Comeback-Album bezeichnet. Welchen Platz nimmt "Urd" ein?

Haha, der Ausdruck "Comeback-Album" war mehr so eine Labelsache. Für uns war "Universal" mehr so etwas wie der erste Schritt in eine neue musikalische Reise, so wie unser Akustikalbum "Origin" das Heimkommen dargestellt hat. Wenn man eine neue Reise startet ist man immer ein bisschen aufgeregt, aber auch unsicher. Die neuen Schuhe sind noch etwas unkomfortabel, der Körper etwas taub. So in etwa ist es mir beim Verfassen von "Universal" gegangen, aber mit "Urd" haben wir schon wieder in die Spur gefunden. Die Schuhe passen perfekt und wir sind sehr optimistisch was die Zukunft betrifft.

Auf "Urd" habt ihr erstmals mit drei verschiedenen Vocals gearbeitet. Außerdem habt ihr ICS Vortex reaktiviert, der wohl die besten Clean-Vocals der gesamten Szene hat. Welche Gründe sprachen dafür?

Das Mr. Vortex wieder zu BORKNAGAR zurückgefunden hat, war einfach ein natürlicher Prozess, der sich über die Jahre ergeben hat. Als er uns im Jahr 2000 verlassen hatte, gab es niemals böses Blut. Er hat immer im Schatten der Vergangenheit gelauert. Er hat die Vocals im Song "My Domain" übernommen und von da an hat sich das heutige Line-Up einfach wieder entwickelt. Natürlich fühlt es sich gut an, dass er wieder da ist. Er ist ein guter Freund und ein fantastischer Musiker. Wir haben dieses Mal deswegen mit drei Sängern gearbeitet, weil wir einfach das größtmögliche Potential aus der Band herausholen möchten. Wenn wir drei Sänger in der Band haben und das nicht nützen würden, wäre es ja geradezu eine Schande.

"Urd" ist ein Begriff aus der nordischen Mythologie. Wirst du nach wie vor von der Edda und ähnlichen historischen Werken inspiriert? Worauf berufen sich die Lyrics auf dem neuen Album?

Die nordische Mythologie war immer schon eine Art "Backdrop" für unsere Expression. Ich kann aber nicht behaupten, dass sie meine Hauptinspiration für dieses Album darstellt. "Urd" stammt schon aus der nordischen Mythologie, aber es ist nur ein Puzzleteil des gesamten Albums. Da steckt so viel mehr in der Musik und den Texten. Eine der größten Inspirationen für "Urd" war der norwegische Philosoph Arne Naess und seine Gedanken über "Deep Ecology". Wie eben vorher schon erwähnt, ist "Urd" wirklich sehr bodenständig.

Auf der Digipak-Version gibt es den METALLICA-Klassiker "My Friend Of Misery" zu bestaunen. Warum genau dieser Titel und was sagst du eigentlich zur vielkritisierten Kollaboration zwischen METALLICA und LOU REED?

Um das 20-jährige Jubiläum des "Black"-Albums von METALLICA zu zelebrieren, wollte der deutsche Metal Hammer, dass das gesamte Album von verschiedenen Bands gecovert wird. Sie haben auch uns gefragt und als wir gerade im Studio waren, haben wir gemerkt, dass sich dieser eine zusätzliche Song durchaus noch gut ausgehen würde. Was ich weiß wurde diese CD in enger Kooperation mit dem METALLICA-Management beschlossen und was prinzipiell vorgesehen, welche Band welchen Song covern sollte. Zum Glück haben wir "My Friend Of Misery" bekommen, der für mich ohnehin einer der allerstärksten Songs auf dem Album ist. Ich denke unsere Version ist wirklich ganz nett und auch würdig ausgefallen.
Über die Zusammenarbeit mit LOU REED kann ich eigentlich gar nicht viel sagen, da ich das Werk bislang nicht wirklich gehört habe. Natürlich habe auch ich die massive Kritik in den Medien mitbekommen, aber ich würde sie immer für den Mut verteidigen, eine solche Kooperation zu starten. Wenn man bereits so lange im Geschäft ist, muss man zwischendurch auch die Piste verlassen um frische Luft zu atmen.

Deutlich zu hören ist auch, dass eure instrumentalen Fähigkeiten erneut verbessert sind. Bleibt euch viel Zeit um zu Proben und könnt ihr als BORKNAGAR-Musiker davon leben?

Nein, wir proben eigentlich immer gleich. Wir haben uns dieses Mal aber sehr stark auf die Produktion konzentriert und viel Zeit damit verbracht, das Produkt möglichst perfekt klingen zu lassen. Beispielsweise habe ich dieses Mal alle Gitarrenspuren in meinem eigenen Studio aufgenommen. So hatte ich alle Zeit der Welt, um ohne Druck arbeiten zu können.
Wäre es unser Ziel von unserer Musik zu leben könnten wir das vielleicht wirklich hinkriegen, aber wenn dich nicht Millionen Alben verkaufst und ständig auf Tour bist, ist es fast unmöglich in Norwegen davon zu leben. So haben die meisten von uns einen Nebenjob um ein angemessenes Leben genießen zu können.

Jeder von euch ist neben BORKNAGAR in anderen Projekten involviert. Wie geht sich das mit dem Zeitmanagement aus?

Wir versuchen die Zeit so einzuteilen, dass wir unsere Möglichkeiten am besten ausschöpfen können. Es ist nicht so problematisch, da keine unserer Bands ständig auf Tour ist. Aber natürlich - eine dreimonatige Welttournee mit BORKNAGAR wäre ein logistischer Albtraum.

Nach nur einem Album seid ihr von Indie Recordings zurück zu Century Media gegangen. Hatte das einen besonderen Grund?

Um eine lange Geschichte zu verkürzen - die Kooperation hat nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben. Die Intentionen waren auf beiden Seiten okay, aber die Umsetzung hat nicht so ganz gepasst. Also haben wir für weitere drei Alben bei Century Media unterschrieben und sind sehr froh, dass das im Endeffekt geklappt hat.

Woher beziehst du eigentlich all die Kraft und die Inspirationen, um ein so umfangreiches Werk wie "Urd" zu fertigen?

Das Leben - das ist auch schon alles. Ich kann keinesfalls einen bestimmten Punkt bestimmen. Als ich anfing Musik zu machen, war die Musik an sich meine größte Inspirationsquelle - heute interessiert mich das aber nur mehr beiläufig. Ich finde sie woanders...

Schön gesagt - gibt's noch Schlussworte für eure Stormbringer-Fans?

Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, dieses Interview durchzulesen. Checkt unser neues Album "Urd" - ich bin mir ziemlich sicher, dass es einige von euch verdammt interessant finden werden. Cheers Folks!


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