Interview: Gotthard - Marc Lynn

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Steve hätte auch gewollt, dass die Band weiterlebt

Die Schweizer Hard-Rock-Heroen GOTTHARD sind unkapputbar. Mit "Bang!" liefern sie ein weiters kräftiges Ausrufezeichen und beweisen, dass noch lange nicht Schicht im Schacht ist. Wir haben uns mit Bassist Marc Lynn über das endgültige Ankommen von Sänger Nic Maeder, den Unterschied zu Bon Jovi und die Schweizer Society-Presse unterhalten.

Veröffentlicht am 02.04.2014

Hallo Marc, erst einmal Gratulation – am 7. April feierst du deinen 50. Geburtstag.

(lacht) Sagen wir so, ich bin so alt geworden und das ist ja schön.

Wie fühlt sich das an, als Hardrock-Legende den 50er zu feiern?

Ich spüre das Alter nicht und die Leute sagen mir auch, dass ich immer sehr jugendlich bin. In gewissen Bereichen bin ich sehr erwachsen, in anderen ein totaler Kindskopf. Ich bin wohl die Verkörperung des Mannes – manchmal so hart, wie es sein muss und manchmal einfach nur ein kleiner Bub. Meine Lebensfreude hält mich sehr jung und die Leute glauben auch nicht, dass ich 50 werde wenn sie mich sehen – das ist sehr positiv.

Kommen wir zu eurem neuen Album „Bang!“. Beim Albumtitel könnte man euch einerseits Einfallslosigkeit ankreiden, andererseits könnte dieses Wort auch die zurückgekehrte Energie von GOTTHARD wiederspiegeln. Was hat es damit auf sich?

Da geht es einfach darum, wie man sich fühlt. Nachdem unser langjähriger Sänger Steve Lee vor vier Jahren den tödlichen Verkehrsunfall hatte und wir mit Nic Maeder als neuen Sänger quasi einen Neustart wagten, merkten wir, dass man im Leben auch Mut zum Risiko haben muss. Das hat sich auch ausgezahlt, weil uns der Neustart gut gelungen ist. Die meisten Fans haben das positiv aufgenommen, weil auch die Qualität gepasst hat. Im Sinne von „wer wagt, gewinnt“ haben wir uns einfach für „Bang!“ als Albumtitel entschieden. Es ist so, wie wenn du es auf den Tisch knallst und sagst: „Bang, hier ist es. Nehmt und richtet darüber.“ Aber es geht auch um die von dir angesprochene Energie. Das Leben ist schön und wir gehen gerne auf die Bühne. Und nicht zuletzt soll der Albumtitel auch suggerieren, dass Nic Maeder jetzt in der Band angekommen ist.

Auf dem Artwork sieht man einen protzigen Ami-Schlitten, Einschusslöcher und eine augenklappentragende Frau mit Waffe – wirkt wie von einem Quentin-Tarantino-Film inspiriert.

Genau, so ist es auch. Wir wollten einfach machen, was uns gefällt – auch wenn es etwas riskant war. Wir wollten einfach den Rock’n’Roll in unserem Leben in die Musik und das Cover-Artwork einfließen lassen. Zudem war es schwer, das Artwork unseres Vorgängeralbums „Firebird“ zu toppen. Der Phönix aus der Asche, diese Feuergeburt – das war damals sehr tiefgründig und mit dem Erlebten verbunden. Somit haben wir uns entschieden, mit dem Comic-Style einen neuen Weg zu gehen. Wie in der Vergangenheit war uns aber wichtig, dass das Cover plakativ ist.

Der große Druck des „Firebird“-Albums ist weggefallen, da euer Sänger Nic mittlerweile etabliert ist. Wie viel Angst hattet ihr damals, ob diese Konstellation auch funktionieren würde?

Das ist schwer zu sagen, denn der Mut überlagert manchmal die Angst. Wir haben sehr lange überlegt und wir wussten, dass die Entscheidung fruchten wird, weil Nic die richtige Entscheidung war. Die erste Single mit Nic gab es als Dankeschön für unsere Fans damals zum Gratis-Download und ich hatte da schon eine schlaflose Nacht und bin schon frühmorgens vor dem PC gesessen, um zu sehen, wie sie ankommt. Als das fertige Album dann in der Schweiz von Null auf Eins geschossen ist und auch in Deutschland Top-10 ging, konnte ich endlich durchschnaufen. Logischerweise haben wir Fans verloren, weil sie Steve Lee als GOTTHARD angesehen haben. Das war wie nach dem Tod von Bon Scott bei AC/DC – für sie gab es einfach keinen Ersatz. Das ist auch legitim. Wir haben aber auch sehr viele Fans gewonnen, die Nics Stimme ehrlicher fand und vor allem sein gutes und akzentfreies Englisch geschätzt haben. Es harmoniert mittlerweile. Wir haben uns auch lange überlegt, nach Lees Tod den Namen zu ändern, aber schlussendlich steht immer ex-Gotthard in Klammer und das bringt nichts. Gotthard sind auch alle anderen in der Band und genauso unser Lebenswerk. Steve hätte auch gewollt, dass die Band weiterlebt. Die Weiterführung war also auch in seinem Sinne.

Gab es nach Lees Tod bei euch kurz die Überlegung, die Band aufzulösen?

Natürlich, am Anfang standen wir vor dem Ende. Jeder hatte Existenzgedanken. Für mich war dann entscheidend, dass wir uns zusammensetzen und über das Passierte als auch die aktuelle Situation zu sprechen. Jeder hat jeden getroffen, um einfach mal seine 20 Jahre in der Band aufzuräumen. Am Ende des Tages bemerkten wir, dass wir das gleiche wollen und die speziellen Zutaten einer Pizza, die gut schmeckt, fördern wollen. Das sieht man vor allem live, weil wir eine eigene, spezielle Band sind, die eine besondere Chemie auf der Bühne hat und die Leute zu begeistern weiß.

Ihr wart schon immer eine Hard-Rock-Band, die stark auf Melodienreichtum bedacht war. Seit Nic am Mikro ist, seid ihr aber wieder etwas härter geworden. Siehst du das auch so?

Ja und nein, dieses Album ist sehr schwierig einzuschätzen, weil es sehr lange braucht, bis man in die Songs reinkommt. Bei den einfachen Songs denkt man anfangs vielleicht an Standard, merkt dann aber, dass die Melodien hängenbleiben. Wir bieten – wie auch schon früher immer – eine breite Palette an. Von Balladen über Rock bis hin zum Heavy Metal. Wir versuchen immer unsere Gefühle auszudrücken, haben auf dem Album auch ein paar spezielle Songs wie etwa „C’est La Vie“, wo wir versucht haben, einen französisch angehauchten Song zu schreiben. Der Titelsong „Bang!“ hat etwa einen Boogie-Teil in einer Geschwindigkeit, die wir nie zuvor hatten. Bei „Spread Your Wings“ haben wir erstmals einen Song geschrieben, der bei Blues anfängt und über Hard Rock und Heavy Metal wieder dorthin zurück geht. Besonders war für uns auch das elfminütige „Thank You“, eine Ballade, die von der akustischen Gitarre getragen wird. Wir wollten etwas wie „November Rain“ von GUNS N' ROSES machen und plötzlich wurden aus dreieinhalb Minuten elf Minuten. Besonders ist auch das Duett auf „Maybe“. Dort haben wir nach anderen Stimmfarben gesucht und über einen Freund wurde uns eine amerikanische Chorsängerin vermittelt, die in Lugano lebt und eine außergewöhnliche Stimme hat.

Das war purer Zufall. Wir haben sie einfach mal falsch reingesetzt, aber in Kombination mit Nics Stimme klang das plötzlich so gut, dass wir den Song einfach so als Duett aufnehmen mussten. Die meisten machen Songs mit Stars, wir sind den umgekehrten Weg gegangen. Sozusagen „Gotthard Star Search“ (lacht). So kam ein Album heraus, das verschiedene Stilrichtungen hat und auch vom Sound nicht mehr so trocken ist wie „Firebird“. Für uns war es in erster Linie wichtig, dass Nic sich wohlfühlt. Wir kennen ihn mittlerweile besser und wissen, wo er stark singen und das er auch tief singen kann. Wir haben versucht, die GOTTHARD-Musik weiterzubringen und auch rockiger zu machen. Das lag auch an Produzent Charlie Bauerfeind. Wir haben weniger melodiös gespielt, sondern mehr rhythmisch, damit wir einen solideren Boden für die Songs haben.

Wie du schon gesagt hast, ist das Album im ersten Moment nicht der Superkracher, sondern braucht etwas Zeit zur Entwicklung. War dieser Mut zur Vielseitigkeit der gewonnenen Sicherheit geschuldet? Weil „Firebird“ eben so gut angekommen ist?

Sicherheit und Mut zum Risiko. Durch das Entdecken von Nics Stärken sind wir das Songwriting anders angegangen, als früher. Wir haben die Songs in anderen Tonhöhen und Tonlagen geschrieben und das bot uns ganz neue Möglichkeiten. So haben wir auf „Bang!“ Zwischenteile, die fast schon an Deep Purple erinnern, was ganz neu für uns ist. Wir haben ein musikalisch hochstehendes Album mit guten Songs gemacht, ohne auf Vielfalt zu verzichten. Ein Beispiel dafür ist etwa „I Won’t Look Down“, das anfangs stark an Led Zeppelin erinnert. Wir hatten immer davon geträumt, so einen Song zu schreiben und nun ist es passiert.

Ist „Thank You“ eine Hommage an die verstorbene Mutter eures Gitarristen Leo Leoni?

Das stimmt. Leos Mutter hatte einen langen Leidensweg und durfte dann endlich von der Welt gehen. Leo hat die Chance genutzt, sich von ihr in dieser Zeit richtig zu verabschieden. In erster Linie wollte er den Song seiner Mutter widmen, aber im Prinzip auch allen Müttern auf dieser Welt, da viel zu wenige Leute daran denken, ihrer Mama „Dankeschön“ zu sagen für alles, was sie getan haben, für die Fürsorge, die Unterstützung und das Leben an sich.

Ich finde es beeindruckend, dass ihr euch von all den Schicksalsschlägen nicht unterkriegen lässt.

Irgendwann kommst du in ein Alter, wo Leute um dich herum einfach gehen müssen und irgendwann wird es auch dich selbst treffen. Vielleicht ist es gerade Musik, die einem die Kraft gibt, andere an seinem Schmerz und seiner Trauer teilhaben zu lassen, um das noch besser verarbeiten zu können.
In der Schweiz habt ihr so ziemlich alles erreicht, was möglich war. Eure Landsleute von KROKUS hingegen hatten international stets größere Erfolge.

Liefert ihr euch einen bewussten oder unbewussten Wettkampf?

Nein, überhaupt nicht. Erstens kennen wir uns gut und zweitens ist unsere Meinung, dass bei zwei guten Schweizer Bands eine ausländische Band weniger gut besucht oder verkauft wird. Wir waren um einiges erfolgreicher als sie, die Meinung ist aber meist eine andere, weil KROKUS begonnen haben, als es noch nicht viele Bands gab. Sie haben international Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre ihre Highlights gehabt und sind dann jahrzehntelang nur herumgedümpelt. Mit dem Neustart haben sie wieder gewisse Erfolge, die aber niemals an die alten anknüpfen können. Das sind aber auch zwei Paar Schuhe, denn damals gab es 50 Bands und heute 50.000.

In der Schweiz wurde deine Scheidung und die neue Beziehung in den Society-Medien ausgeschlachtet. Das wundert mich insofern, als das diese Themen bei Musikern der Hard-Rock-Szene nur selten der Fall ist.

Das stimmt schon. Ich habe da aber ein bisschen mitgeholfen, diese Story in die Wahrnehmung der Leute zu bringen. Die Trennung wird immer groß geschrieben und die Beziehung nicht. Ich wollte mich einfach wieder wohlfühlen und mit den Leuten weggehen können, mit denen ich die Lust dazu verspüre. Ohne mich rechtfertigen zu müssen, wer an meiner Seite ist. Ich habe das Thema bewusst lanciert, damit es einmal gebracht wird und dann ein für allemal gegessen ist. Für mich war das natürlich nicht die Hammerstory, aber wir haben eine gute Medienkooperation mit der „Blick“, dass ich das so steuern konnte, dass es für mich erträglich war. Natürlich klopfen die Medien nun von links und rechts an, aber für mich ist das Thema mit der einen Geschichte erledigt.

Gibt es bei dir Gedanken, wo du Schritte aus der Vergangenheit bereust? Du dir denkst, Gotthard hätten unter anderen Umständen international noch viel größer sein können?

Ich weiß nicht ob es gut ist, zurückgehen zu können und alles zu wenden – da würden einfach neue Probleme entstehen. Man muss die falschen und die richtigen Entscheidungen akzeptieren. Ich bin einfach froh, noch zu leben, bereits solange im Musikgeschäft tätig sein zu können, gute Plattenverträge zu bekommen und immer noch tolle Konzerthallen füllen zu können. Ich kann Leuten Freude bereiten und das mit meinen Freunden. Das ist nicht selbstverständlich und in erster Linie wichtiger als ein Mega-Weltstar zu werden. Diese Band war nie prädestiniert eine Megaband zu werden, weil wir uns nie verbogen haben. Da müsstest du wirklich Herz und Seele verkaufen und Marketingpläne bis ins Detail schmieden, damit deine Marke von Anfang an genau in die richtige Richtung geht. Nach 20 Jahren kannst du und musst du das auch nicht richten. Wir sind glücklich mit dem, was wir machen und sollte es irgendwann einmal ein Ende geben, dann können wir dankbar auf eine tolle Zeit zurückblicken. Natürlich - wir durften in der Schweiz ein paar Mal Riesen-Open-Airs füllen, aber der weltweite Erfolg von AC/DC oder BON JOVI ist verwehrt geblieben. Auch weil wir ein paar Ecken und Kanten haben, die wir nie ausbügeln wollten. Wir wollten uns nie prostituieren lassen und machten auch nie zeitgemäße Musik. Das war uns immer voll bewusst. Aber wir mögen, was wir tun, begeistern damit Leute und können davon leben – das ist schon ein tolles Highlight.

Ab Anfang April seid ihr quasi das ganze Jahr auf Tour – das Feuer brennt also immer noch. Wird es mit fortschreitendem Alter schwieriger, so oft unterwegs zu sein?

Überhaupt nicht, wir sind ziemlich fit für unser Alter. Mein ganzes Leben lang hat mich nur eines interessiert – auf der Bühne zu spielen. Deswegen tust du dir gerne den ganzen Aufwand an. Außerdem haben wir tiefe Zeiten durchgemacht, sind gute Freunde und geben uns gegenseitig Kraft – da hat man jeden Abend Freude rauszugehen und dafür zu kämpfen. Das ist wie eine Sucht. Man will die Leute holen und alles geben, egal ob in einem Club oder einem großen Stadion. Das ist das magische Automatische, das bei uns passiert. Es gab natürlich auch schon Abende, wo jemand von uns, bevor wir auf die Bühne gingen, gar keinen Bock auf den Auftritt hatte. Der ging dann vielleicht ohne Erwartung hin und wollte das schnell hinter sich bringen, war dann im Endeffekt aber völlig überrascht von den eigenen Gefühlen. Wir haben die Tour sogar verlängert. Wir haben letztes Jahr von Südamerika über Asien und Russland alles betourt. Heuer machen wir im Sommer an die acht Open-Airs, darunter das Under The Bridge im österreichischen Steinach am Brenner Ende Mai. Und im November sind war dann im Wiener Gasometer. Nächstes Jahr wollen wir dann wieder die anderen Kontinente erobern.

Zudem werdet ihr nächstes Jahr wohl wieder an einer neuen Platte arbeiten?

Das eigentlich nicht, deshalb haben wir auch die Tourpläne in die Länge gezogen. Wir würden auch gerne wieder ein Unplugged-Album machen, da wir einige Songs geschrieben haben. Das letzte datiert ja aus dem Jahr 1997. Das ist eine Idee, die im Raum steht, aber mehr wissen wir noch nicht. Es wäre aber einmal ein musikalischer Input. Jedenfalls ist noch kein Ende in Sicht.


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