Interview: Doro - Doro Pesch

Artikel-Bild

Die Fans haben mir schon gesagt, dass sie mich auch noch im Rollstuhl auf die Bühne hochkarren werden.

DORO ist wahrlich ein Phänomen: Seit unglaublichen 30 Jahren ist die Grande Dame des Metals nun bereits auf den Bühnen dieser Welt unterwegs und versprüht dabei nach wie vor einen Jungmädchen-Charme, als ob sie die Karriere gerade erste gestern begonnen hätte. Im Interview wagt DORO einen höchst unterhaltsamen Blick zurück auf drei Dekaden Vollgas im Musikbusiness: Lebensgefährliche Gigs, die treusten Fans der Welt, Einsamkeit in New York und Metal ohne Drogen? Aber lest selbst…

Text: symX
Veröffentlicht am 30.04.2014

DORO steht wieder mal unter Dauerstrom als ich sie zum Interview an der Strippe habe. Und dennoch: Trotz Stress und eines nicht enden wollenden Pressemarathons ist Deutschlands Metal-Queen beim Gespräch wie immer mit vollem Herz bei der Sache.

„Ja Du, bei mir geht alles was mit der Musik zusammenhängt bis zum heutigen Tag wie von selbst. Die Liebe und die Freude der Fans motivieren mich jeden Tag aufs Neue. Da verspüre ich keinerlei Bedürfnis, das Ganze etwas ruhiger angehen zu lassen. Ich bin gerade aus Südamerika zurückgekommen. Wir waren da unter anderem in Ecuador und Peru. In Südamerika ist so viel Leidenschaft und Energie vorhanden – das macht immer unheimlich Spaß und gibt mir so viel! Ich habe zwar kaum ein Wort verstanden, aber sobald das Konzert losging, war das sowieso egal, haha. Ich bin jetzt nur ganz kurz in Deutschland, nächste Woche geht’s schon wieder weiter mit der Tour. Natürlich ist das strapaziös, aber mir ist es so am liebsten. In den letzten 20 Jahren kann ich mich nicht daran erinnern, mal richtig Ferien gemacht oder eine Auszeit genommen zu haben. Viele Kollegen machen häufig mal eine Pause von ein paar Jahren. Aber ich finde das wahnsinnig schwierig, danach wieder in den Rhythmus zu kommen. Deswegen bin ich immer dran geblieben. Ich glaube, wenn man so im Fluss ist, dann ist es vielleicht auch besser so. Denn wenn eine Sache wie beispielsweise eine Tour jeweils zu Ende ist, dann falle ich häufig in ein Loch, werde total krank und bin fast schon im Koma, haha. Ich habe jetzt übrigens mit Wing Tsjun angefangen. Das ist eine Kampfsportart in der Art von Kung Fu, die ich insbesondere den weiblichen Fans sehr empfehlen kann, da diese Kampfform speziell für körperlich Unterlegene geeignet ist. Als es letztes Jahr aufs 30-jährige Bühnenjubiläum mit dem großen Wacken-Gig zuging, habe ich mir gedacht, dass ich mich auch körperlich besonders darauf vorbereiten möchte. Ich kam damals gerade von einer langen Amerika-Tour zurück, wo wir praktisch außer Eis und Schnee nichts gesehen hatten. In der Folge war ich andauernd krank und erkältet. Deshalb hab ich gedacht, dass ich etwas machen muss, was mich ein bisschen abhärtet. Und seitdem ich das mache, habe ich wirklich ein anderes Körperbewusstsein und halte mehr aus. Wenn ich beim Gig mal fast zusammenklappe, dann denke ich an das harte Wing-Tsjun-Training, welches mir gezeigt hat, dass es immer noch ein bisschen weiter geht und man viel leistungsfähiger ist, als man gemeinhin denkt.“

Zum dreißigjährigen Bühnenjubiläum veröffentlicht DORO ihr letztes Studioalbum „Raise Your Fist“ noch einmal neu – und als Bonus gibt’s eine Scheibe, die sie teilweise in Musikgenres abseits des Metals zeigt. Dennoch müssen die Fans nicht befürchten, dass DORO dem geliebten Metal plötzlich abschwören könnte, wie sie versichert:

„Ne Du, Metal gibt mir bereits jede Freiheit, die ich mir wünsche. Ich mache eigentlich immer das, was in meinem Herzen ist. Ich habe ja schon öfters Experimente gewagt auf meinen Platten, wo ich auch mal andere Seiten von mir zeigen konnte. Wenn’s aus der Seele und dem tiefstem Herzen kommt, dann kann’s nicht verkehrt sein. Als wir damals mit unserer Musik begannen, waren wir uns ja gar nicht bewusst, dass es Metal war. Für mich ging es immer um die Musik. Ich liebe Blues, ich liebe auch James Brown. Ich mache alles gerne, wenn es das Herz berührt. Der NYC-Blues, der auf der Bonus-Scheibe von der Neuauflage von „Raise Your Fist“ zu finden ist, ist ja auch so ne eher ungewohnte Nummer für mich. Als ich den geschrieben habe, war ich total alleine und down. Und da kam mir der Text zum dem Song in den Sinn. Gerade in New York ist das Gefühl der Einsamkeit noch einmal stärker, obwohl ich die Stadt sehr liebe. Als Musiker ist man ja sowieso eher ein Nachtmensch, da kann einem so um 4 Uhr morgens so alleine zuhause schon mal die Decke auf den Kopf fallen. Aber ich bin mir das schon auch gewohnt, ich bin ja als Einzelkind aufgewachsen. Und viele schöne Melodien oder Ideen kommen aus eben so einer tiefen Einsamkeit oder Traurigkeit. Zum Beispiel der Song für Ronny James Dio („Hero“), der auf „Raise Your Fist“ drauf ist, kam auch so aus einer tiefen Trauer heraus. Ich war gerade am Einschlafen, da kamen die Melodie und der Text wie aus dem Nichts. Eigentlich war alles schon da. Aber meistens bin ich ja eh auf Tournee und dort ist es dann jeweils alles andere als einsam. Ich fühle mich auch an keine bestimmte Stadt gebunden. Ich bin eher ein Weltbürger und fühle mich überall wohl. Ich muss aber auch sagen, dass in den 80ern, als ich das erste Mal nach Amerika kam, die Atmosphäre noch anders und irgendwie einmaliger war. Heutzutage hat sich das alles vermischt und ist nicht mehr so speziell – und leider auch nicht mehr so freiheitlich wie’s früher war.“

Eine andere Nummer, die heraussticht und ebenfalls auf der Bonus-Scheibe von „Raise Your Fist“ enthalten ist, ist die LED ZEPPELIN-Nummer „Babe I’m Gonna Leave You“. Darauf klingt DORO erstaunlich bluesig und erinnert dabei zeitweise an eine weibliche Version von Robert Plant:
„Danke für das Kompliment! Ja, das war immer eine meiner Lieblingsnummern. Ich denke, LED ZEPPELIN waren eine meiner ersten Begegnungen mit Rock überhaupt. Ich hab den Song wohl so zum ersten Mal mit 10 Jahren gehört. Das hat mich schon damals völlig umgehauen. LED ZEPPELIN war so die erste Band, die ich richtig geliebt habe – und natürlich besonders Robert Plant. Ich hatte den Song mal für ne andere Plattenfirma aufgenommen, die’s mittlerweile nicht mehr gibt. Und ich dachte, das ist jetzt die ideale Gelegenheit diese tolle Version einer größeren Hörerschaft zugänglich zu machen.

„Ein weiterer Song der mir am Herzen liegt, ist „Only You“ von Kiss. Mit Gene Simmons habe ich ja einmal zusammengearbeitet. Den Song habe ich damals für die KISS-Cancer-Foundation aufgenommen. Das Stück gab’s von mir bislang nur auf einem solchen Sampler. Dann ist der Track „Warfare“ drauf. Der ist vom Filmsoundtrack zu „Anouk III – die dunkle Flut“. Ich habe da mitgespielt. Das ist ein Film vom Schweizer Luke Gasser. Das ist ein verrückter, kreativer Filmemacher und ebenfalls ein Musiker! Wir hatten schon zusammen an „Anouk I“ gearbeitet. Jetzt haben wir zwei neue Filmchen gedreht die super geworden sind. Den dritten Teil habe ich schon gesehen, das wird geil! Und den zweiten sind sie gerade am Schneiden. Erst haben wir den Dritten gemacht und dann gemerkt, dass eigentlich noch ein zweiter Teil fehlt, haha.“

Ein ebenfalls eher atypischer Track auf der Scheibe ist ein Klassiker von TINA TURNER:
„Ja die TINA TURNER liebe ich seit der Grundschule. Die Aufnahme zu „Nutbush City Limits“ ist eigentlich auch eher durch Zufall entstanden. Ich war bei der RTL Charts Show eingeladen. Und da hatten sie das Thema „Rock Anthems“ und eben dieser Song war auch in den Top Ten. Die haben dann gefragt, ob ich den Track singen möchte. Da habe ich’s versucht, obwohl TINA TURNER eine der weltbesten Sängerinnen ist und ich entsprechend Ehrfurcht davor hatte. Den Song habe ich dann auch in der Show performt, was bei den Fans sehr gut ankam, weshalb das Stück jetzt auch auf der Bonus-CD drauf ist. Mir ist es bei Cover-Versionen immer sehr wichtig, nicht auf Teufel komm raus eine harte Metal-Version daraus zu machen. Mir geht es jeweils darum zu erfühlen, wo der Song hingehört und was sinnvoll ist. Ich kann da auf meinen Instinkt vertrauen, glaube ich.“

Wenn man DORO so anschaut erscheint es schlicht unglaublich, dass sie bereits seit mehr als 30 Jahren auf den Brettern steht. Während gleichaltrige Musikerkollegen häufig total abgewrackt daherkommen, scheinen an DORO die 30 Jahre in der nicht nur gesunden Musikszene aber fast spurlos vorübergegangen zu sein:

„Danke für das Kompliment, haha. Aber das lässt sich relativ einfach erklären: Damals als wir angefangen haben, war ich immer die, die ein Auto hatte und alle rumgefahren hat. Die anderen konnten immer Tag und Nacht Party machen. Ich war dagegen dafür da zu schauen, dass alle gut nachhause kamen und so. Irgendwann war klar: DORO trinkt sowieso nichts, die fährt uns nachhause. So bin ich gar nie dazu gekommen, bei Sauforgien mitzumachen. Deswegen habe ich früher häufig auf die Aftershow-Partys verzichtet. Zudem habe ich damals noch anderswo gearbeitet und musste um 6 Uhr wieder aus dem Haus. Und irgendwie ist das so geblieben, dass ich bei den Alkohol- und Drogenexzessen nicht mitgemacht habe und immer für alles geschaut habe. Ich habe gerne Zigaretten geraucht, aber auch das hab ich irgendwann aufgegeben, weil ich gemerkt habe, dass es mir gesundheitlich nicht gut tut. Und schließlich war es mir halt immer wichtig, mich voll auf die Musik konzentrieren zu können!“

„Seit ich mich so mit 22 Jahren dafür entschieden habe, nur noch Musik zu machen, war es klar, dass ich für den Metal und meine Fans alles stehen und liegen lasse“, erzählt DORO weiter. „Dass ich gerne mal Musik machen würde, hat sich aber schon in jungen Jahren immer wie mehr rauskristallisiert. Mit 15 Jahren hatte ich dann meine erste Band. Da habe ich gemerkt, das ist es! Da hatte ich das Gefühl, dass ich damit in meiner inneren Mitte bin. Es gibt mir so viel, zu sehen und zu spüren, was ich mit meiner Musik meinen Fans geben kann. Das ist wohl das Geheimnis, weshalb mein Leben so ausgefüllt ist und ich diesen Schritt nie bereut habe. So kann man auch alles aushalten, egal wie schwierig es gerade ist und egal ob Metal überhaupt angesagt ist. Es geht immer nach oben und nach unten, aber die Fans bleiben. Da ist es mir auch ganz egal, ob ich auf einem großen Festival oder in einem kleinen intimen Club spiele. So lange da Leute sind, die sich daran erfreuen, ist es einfach eine große Ehre für mich, überhaupt spielen zu dürfen. Irgendwie war da zwischen mir und dem Publikum von Anfang an eine Einheit. Da war alles klar und eine tiefe freundschaftliche Verbundenheit vorhanden. Es war immer egal welchen Geschlechts ich war oder woher ich kam. Man hat einfach zusammen Musik gemacht und geheadbangt. Ich denke, ich wurde als Frau in der Szene recht schnell akzeptiert, da die Fans gemerkt haben, dass ich’s ehrlich meine mit meiner Musik. Ich habe das immer total ernst genommen und alles gegeben. Das hat dann anfangs häufig dazu geführt, dass mich der Manager nach einer Stunde fast von der Bühne tragen musste – mit rotem Kopf und kurz vor dem Kollaps, da ich noch nicht gecheckt hatte, wie ich meine Kräfte einteilen konnte, haha. Ich bin bis heute der Meinung, dass man sich nicht genügend angestrengt hat, wenn man am Ende eines Gigs nicht total schweißnass ist. Das muss einfach so sein!"

„Aber ich muss zugeben, der Anfang war alles andere als einfach“ erinnert sich DORO. „Meine erste Band hieß SNAKEBITE. Damals gab’s noch kaum eine Fanszene. Das war 1980. Ich kann mich noch gut an unseren ersten Gig erinnern. Da waren als Zuschauer 30 Metalfans und 120 Punks vor Ort. Zu dieser Zeit haben sich die Punks und die Metaller gegenseitig richtig bekämpft. Nach ein paar Songs kamen die Punks dann auf die Bühne, haben uns erstmal die Instrumente weggenommen, selbst darauf rumgeschrubbelt und die Marshall-Türme zerstört. Da standen wir da und versteckten uns teilweise hinter den Türmen. Irgendwann konnten wir dann weiterspielen so gut es ging. Aber da war einer der Punks, der war total betrunken. Der hat sich auf die Bühne gesetzt und die ganze Zeit mit einer Pistole auf mich gezielt. Das hat mich völlig wahnsinnig gemacht. Nach ein paar weiteren Bierchen ist er dann bewusstlos geworden. Dann haben die Fans ihm die Pistole weggenommen und mir feierlich übergegeben. Da haben wir festgestellt, dass die Knarre die ganze Zeit geladen war! Da ging mir das Herz aber richtig in die Hose. Das war unser erstes Konzert und ich dachte, ey ist das hart und lebensgefährlich ein Konzert zu machen, haha. Die ersten Gehversuche waren also alles andere als einfach, so dass einen alles andere danach gar nicht mehr groß schocken konnte!“

„Heute könnte ich mir unmöglich vorstellen, noch etwas anderes nebenbei zu machen“, sinniert DORO über ihre Karriere weiter. „Wenn sich ein professioneller Musiker neben dem Tourleben für Familie und Kinder entscheidet, dann muss man sich schon sehr gut organisieren. Ich glaube, das ist fast unmöglich, vor allem wenn man wie ich weltweit tourt. Ich hab’s eigentlich schon immer gewusst, dass ich das machen will und hatte auch nie den Drang mit einer Familie sesshaft zu werden. Ich glaube, das war mir von klein auf im Blut. Ich bin damals ja quasi im LKW mit meinem Dad aufgewachsen und immer unterwegs - also immer auf Tour als kleiner Zigeuner, haha. Jeden Tag woanders, das hat mir ganz gut gepasst. Deswegen kommt dann auch der „NYC Blues“, wenn man nämlich zu lange zuhause rumhockt, haha. Ich hatte auch nie Motivationsprobleme – die Fans gaben mir immer genug Energie, um mich durchzukämpfen. Gerade in den 90er-Jahren, als Metal vom Grunge fast erdrückt wurde, waren immer noch genug Fans da, die die Fahne hochgehalten und mich ermutigt haben. Gegenseitig haben wir uns immer beflügelt und getragen. Diese Entwicklung sieht man gerade auch am Wackenfestival. Anfangs der 90er Jahre, als Metal gerade gar nicht mehr angesagt war, da haben zwei Metal-Fans dieses Festival aus dem Boden gestampft. Das war damals ganz klein, irgendwo auf einem Acker. Und jedes Jahr wurde es größer. Und das hat einen damals auch motiviert weiterzumachen, da dort viele Gleichgesinnte und Fans waren, die man dort treffen konnte.“

Da verwundert es natürlich kaum, dass DORO ihren geliebten Metal mindestens noch so lange machen will, wie sie noch alleine auf die Bühne gehen kann:
„Ja genau! Die Fans haben mir sogar gesagt, dass sie mich auch im Rollstuhl da hochkarren werden, haha. Ich würde das gerne solange machen, bis es nicht mehr geht und solange ich Spaß habe! Vielleicht noch einmal 30 Jahre! Die Musik ist für mich das Nonplusultra. Und dann halt die Fans – das kann einem wohl kein anderer Beruf geben – soviel Liebe und positive Power. Das ist das Wertvollste, was es gibt!“


ANZEIGE
ANZEIGE