Interview: Morbid Angel - David Vincent
Ich bin halber Österreicher - meine Eltern stammen aus Kärnten.
Exzentrisch, kontrovers, amerikanisch - Vorhang auf für eine lebende Legende. MORBID ANGEL-Frontmann David Vincent gewährt uns im Zuge seines Auftritts in der Wiener Szene eine kurze Audienz und zeigte sich dabei nicht nur unerwartet locker und sympathisch, sondern hatte schon zu Beginn ein paar knackige Infos auf Lager, die wohl selbst so manchem Die-Hard-Fan noch ein Staunen entlocken können.
David, vor eurem Auftritt hier in der Wiener Szene hattet ihr einen freien Tag – wart ihr da schon in Wien?
Ja, aber durch die Stadt bin ich schon früher oft gegangen. In diesem Fall musste ich früh aufstehen und mich ans Internet klemmen, um ein paar Business-Entscheidungen zu treffen. Ich bin dann hauptsächlich im Hotel gelegen und habe geschlafen, denn wir waren davor in Osteuropa unterwegs und manche dieser Straßen schütteln dich wirklich komplett durch (lacht). Da gilt es dann einiges an Schlaf nachzuholen. Aber Mann, ich sag dir was anderes – meine Eltern stammen eigentlich aus Österreich. Irgendwo aus dem Süden.
Aus der Steiermark?
Nein, ich glaube das heißt Kärnten oder? Mein Vater ist zu 100 Prozent Österreicher und meine Mutter teilweise. Beide flohen unabhängig voneinander zur Kriegszeit in die USA und lernten sich dort kennen. Ich habe meinen Vater schon früher gefragt, warum er so ein wunderschönes Land mit all den Bergen und Seen verlassen hat. Es lag natürlich am Krieg. Manchmal kann die Geschichte schon grausam sein.
Die derzeitige Tour steht unter dem Banner des 20-Jahre-Jubiläums eures dritten Albums „Covenant“. Das Teil war damals ziemlich prägend, nicht nur weil es kommerziell und künstlerisch erfolgreich war, sondern auch, weil es das allererste Death-Metal-Album auf einem Major-Label (Giant Records) war. Wie kam es dazu?
Mann, wir hatten damals einfach einen verdammt guten Manager und sehr viel Begeisterung. Die großen Firmen merken natürlich, wenn du gut unterwegs bist und viele Alben verkaufst und unser Manager hatte damals irgendwie einen richtig guten Deal ausgehandelt. Es war sehr hilfreich für uns, denn mit dem Geld und dem erhöhten Budget konnten wir auch aufwendigere Videos drehen.
Hattet ihr nach dem Unterzeichnen des Major-Deals Probleme mit der sogenannten „Szene-Polizei“, die euch danach verteufelt hat?
Es gab schon einige Leute, die dachten oder fürchteten, wir würden zu diesem Zeitpunkt kommerzieller werden oder uns ausverkaufen. Das interessierte mich schon damals nicht. Ich weiß schon, auf was du hier ansprichst, aber was ist die sogenannte Szene? Ich sah mich auch nie in einer Szene. Wir waren einfach fünf bis sechs Stunden pro Tag im Proberaum und haben Musik erschaffen, die wir mochten. Wir wollten niemals nicht diesem oder jenem klingen, sondern einfach nur nach MORBID ANGEL.
Woran erinnerst du dich, wenn du an die Aufnahmen zu „Covenant“ zurückdenkst?
Wir haben erstmals mit Fleming Rasmussen gearbeitet und ich kann mich gut daran erinnern, dass er zu uns nach Florida kam und sich einige Proben anhörte. Wir hatten schon eine fixe Idee vom Album und er war vor allem bei den Drums unglaublich genau und perfektionistisch. Die Stimme und die Gitarren waren immer okay, aber bei den Drums war er unfassbar penibel. Er hat sich wirklich viel Zeit dafür genommen. Es war aber nicht so, dass er unsere Songs umarbeiten wollte, es ging ihm nur um den Sound – der musste einfach sitzen. Später sind wir dann nach Kopenhagen geflogen, um das Album in seinem Studio zu mixen. Eine unvergessliche Zeit.
Was ist dein persönlicher Lieblingssong von dem Album?
Oh Mann, nachdem wir derzeit erstmals überhaupt das komplette Album live spielen, kann ich das nicht sagen. Wir haben früher verschiedene Songs zu verschiedenen Zeiten und Touren gespielt, es ist schwer, etwas herauszupicken. Ich mag alle Nummern – auch noch heute.
Meine Lieblingsnummer ist „Lion’s Den“, die einzige, die ihr vor dieser Tour niemals live gespielt habt. Warum eigentlich?
Keine Ahnung. Es gibt auf jedem Album Songs, die wir noch nie live gespielt haben.
Seid ihr beim Proben für diese Tour auch mal angestanden, weil es schwierig war, die alten Leistungen zu reproduzieren?
Nein, wir sind doch eine gute Band (lacht). Wir haben uns sofort wieder an alles erinnert und konnten problemlos starten. Das ging wirklich ganz locker vor sich.
Auf „Covenant“ hast du deine vielleicht satanischsten Lyrics überhaupt geschrieben. Könntest du so ein Album heute überhaupt noch machen?
Es kommt, wie es kommt. Manchmal wache ich mitten in der Nacht auf und kann einen kompletten Song schreiben. Manchmal muss ich auch ewig lange überlegen und darüber grübeln, bis mir was Gutes einfällt. Ich bin diszipliniert, wenn es um das Arbeiten im Studio geht, aber nicht bei der Kreativität. Wenn manche Ideen bei mir in eine Sackgasse laufen, dann werfe ich sie weg. Ich will nichts erzwingen, was sich nicht gleich gut anfühlt. Ich könnte aber nicht zweimal dasselbe schreiben, das ist unmöglich.
Bist du als Person immer noch der gleiche Typ wie vor 20 Jahren?
Ich bin, wer ich bin, aber 20 Jahre sind natürlich eine lange Zeit. Natürlich habe ich viel an Lebenserfahrung gewonnen und habe mich in gewissen Bereichen verändert. Je mehr Zeit du auf diesem Planeten verbringst, umso offener und weiser wirst du. Hoffentlich (lacht). Aber das gilt doch ohnehin für alle. Das Leben ist ein immerwährender Prozess.
1993, als das Album tatsächlich erschien, war doch eine ziemlich konkurrenzfähige Zeit. Da war der Death Metal noch in seiner Hochphase.
Ich sehe die Musik nicht als Wettbewerb. Mit wem soll ich konkurrieren? Wir alle machen die Musik, die aus uns herausströmt – wo ist da also der Sinn eines Wettbewerbs? Es hört doch niemand von uns nur eine Art von Musik oder eine bestimmte Band.
Wenn ich an CANNIBAL CORPSE, DEICIDE oder euch denke, könnte der Wettbewerb ja auch daraus bestanden haben, wer die größere Badass-Attitüde an den Tag legt.
Darum habe ich mich doch nie gekümmert. Die anderen wir mir immer egal, wichtig war, was mit MORBID ANGEL passiert. Ich weiß schon, dass die Leute immer diese Gedankengänge in die Szene projizieren, aber die Realität ist weit davon entfernt. Ich sehe die Musik immer wie Gemälde – du siehst dir mehrere an und erkennst verschiedene Stilarten. Du kannst ein Bild vielleicht lieber haben, aber rein objektiv ist es unmöglich eine Wertung zu treffen, welches besser und welches weniger gut aussieht.
Gerade Florida war doch ein magischer Ort, denn dort grassierte der Death Metal über alle Maßen.
Meiner Meinung nach lag das einfach nur daran, dass dort zufällig die Morrisound Studios waren. Wir haben dort auch hauptsächlich deshalb aufgenommen, weil das Studio unserem Zuhause am nächsten war. Danach haben viele Bands von der Szene dort gehört und sind nach Florida gezogen. Ich denke nicht, dass es daran liegt wo du lebst, sondern wie kreativ du bist. Du kannst auch in der Antarktis leben und wirst mit Talent bemerkt werden.
Aber die gegenseitige Inspiration in einem geografisch begrenzten Gebiet wie Florida fördert die Kreativität doch zusätzlich.
Das mit Sicherheit, aber es gab schon damals viele Bands, die nur stumpf kopierten. Aber zählen wir einmal die originalen Florida-Bands auf – da gab es Chuck Schuldiner und DEATH, es gab MORBID ANGEL, OBITUARY und ATHEIST. DEICIDE kamen schon später. Aber wenn du jetzt nur von diesen vier Ursprungsbands ausgehst, klingen wir allesamt total unterschiedlich. CANNIBAL CORPSE sind dann von New York nach Florida gezogen, aber da hatten wir schon unsere ersten Alben veröffentlicht. Damals hatte jeder einen eigenständigen Sound und du konntest uns alle sofort unterscheiden, heute klingt doch alles gleich. Jeder hört sich etwas an und wenn es ihm gefällt, will er wie seine Lieblingsband klingen. Damit ruinierst du deine innere kreative Stimme.
Aber Mitte/Ende der 80er-Jahre war es doch wesentlich leichter etwas Neues zu kreieren, da war doch die ganze Szene noch frisch. Heute etwas Frisches zu erschaffen, ist doch unheimlich schwierig.
Wir konnten damals auch schlecht kopieren, denn es hat ja keine Band die Art von Musik gemacht, die wir praktizierten. Wir haben uns Sachen wie BLACK SABBATH oder JUDAS PRIEST angehört, aber so wollten wir nicht klingen. Es ist doch toll, wenn du von vielen Arten von Musik inspiriert bist, aber ich will keinesfalls wie jemand anders klingen. Das kann nicht mein Ziel sein. Ich mag auch die BEATLES und klinge nicht danach. Es gibt aber unzählige Bands, die eine andere Attitüde als ich haben.
Wäre es für dich dann nicht interessant, ein paar Side-Projects zu starten, wo du andere musikalische Vorlieben von dir umsetzen könntest? Bei den GENITORTURERS etwa hast du das ja auch schon gemacht.
Ach, ich spiele schon seit Jahren verschiedenste Arten von Musik mit verschiedenen Menschen. Solange die Musik ehrlich ist, mag ich sie. Ich betrachte mich nicht als engstirnigen Death Metaller.
Können wir von diesen Projekten auch mal was hören? Wirst du etwas veröffentlichen?
Auf jeden Fall. Ihr müsst nur Geduld haben.
Es gibt übrigens unzählige Jubiläen im Zuge von MORBID ANGEL. 20 Jahre „Covenant“ (wenn man den Tourstart 2013 heranzieht), 30 Jahre MORBID ANGEL an sich und 10 Jahre, seit du nach deinem Abgang wieder zurückgekehrt bist.
Lass mich mal kurz nachdenken. 1983… 1984…. nein, wir haben 1984 begonnen, du liegst goldrichtig. Und übrigens das 25-Jahre-Jubiläum von „Altars Of Madness“.
Exakt – wie würdest du eigentlich deine zwei verschiedenen Karrierephasen innerhalb von MORBID ANGEL vergleichen?
Hmm... gute Frage. Ich habe wesentlich mehr Selbstkontrolle und bin in vielen Bereichen reifer und erwachsener geworden. Das beschreibt den Unterschied wohl am besten.
Welchen Rat würdest du dem jungen David Vincent aus der ersten MORBID ANGEL-Phase geben?
Ich würde jedenfalls nichts ändern, denn du musst einfach all die Erfahrungen machen. Ich bin heute sehr glücklich und wenn ich damals diverse Entscheidungen anders getroffen hätte, wäre ich das vielleicht nicht. Es ist so einfach, sich darüber Gedanken zu machen, aber wenn wir Menschen das wirklich könnten, würde das eine große und gefährliche Tür öffnen. Man sollte immer vorsichtig mit seinen Wünschen sein. Ich will Träume haben und Resultate erschaffen – so lebe ich mein Leben.
In den letzten Jahren habt ihr mit Gitarrist Thor und Drummer Tim Yeung neue Leute in die Band integriert – war das ein wichtiger und erfrischender Schritt für MORBID ANGEL?
Das war notwendig. MORBID ANGEL war außerdem eine Zwei-Gitarren-Band und Thor ist ein verdammt guter Gitarrist und zudem eine ziemlich einzigartige Person. Er ist einfach sehr Norwegisch – diese kulturellen Unterschiede sind enorm lustig.
Norwegisch in welchem Sinn?
Er ist so steif. Die Norweger sind ziemlich schroffe Gesellen. Die Schweden sind so warmherzig und reden gerne, die Norweger sind eher streng, steif und kommen fast schon militärisch rüber (lacht und äfft mit tiefem Organ den offensichtlich recht einsilbigen Thor nach). Manchmal beobachten wir ihn einfach nur, wenn er Sachen macht und sagen dann: „Dude, du bist so offensichtlich Norweger“, und er schaut dann immer blöd aus der Wäsche. Er ist einfach ein kompletter Wikinger.
2011 habt ihr euer bislang letztes Studioalbum „Illud Divinum Insanus“ veröffentlicht und ob des enorm hohen Electro-Anteils gab es ein kräftiges Rumoren unter eurer Fanschar. Wie siehst du das Ganze mit ein paar Jahren Abstand?
Die Leute haben ihre Meinung geändert.
Tatsächlich? Worauf fußt diese Aussage?
Die Leute erzählen mir das. Sie haben sich das Album öfter angehört und verstehen jetzt, worum es geht. Alle anderen können meinen Arsch küssen, auch das ist für mich vollkommen okay. Es ist doch wirklich lustig. Als wir unser Debüt „Altars Of Madness“ veröffentlichten, waren alle hellauf begeistert. Dann kam „Blessed Are The Sick“ und die ersten beschwerten sich über die Veränderungen im Sound. Was soll das? Es ist doch ein anderes Album. Dann sagten einige, das Album wäre so langsam. Stimmt aber nicht, denn die schnellen Songs waren noch um Ecken schneller als auf „Altars…“. Ein Jahr später wollte plötzliche jede Band so klingen wie wir auf „Blessed…“. Es ist doch immer derselbe Kreislauf.
Aber von der „Heretic“ zur „Illud Divinum Insanus“ hattet ihr wohl den größten stilistischen Sprung vollzogen.
Ja, aber da lagen auch acht Jahre dazwischen. Wir machen einfach was wir wollen. Das war immer schon so und wird immer so sein.
Gibt es alte Songs, die du gar nicht mehr spielen willst?
Nein, aber wir versuchen bei unseren Touren immer einen guten Mix zu finden. Deshalb ist diese Tour einfacher – jeder weiß, dass er das volle „Covenant“-Album samt den besten Songs von jedem anderen MORBID ANGEL-Album bekommt. Es wird ansonsten immer schwieriger, eine Setlist zu machen. Wir haben mittlerweile neun Alben und können nicht alle Songs spielen – woher sollten wir die Zeit nehmen? Ich bin zu alt, um mich sieben Stunden auf die Bühne zu stellen. Die Hits kannst du sowieso nie außen vor lassen und ansonsten versuchen wir auch auf die Fans zu hören. Wir mögen es gerne, bestimmte Songs wiederzubeleben. Es gibt aber keine bestimmte Regel – vor jeder Tour wird alles noch diskutiert. Die Fans können sich aber bei jeder Tour sicher sein, dass sie ihr Geld gut investiert haben.
Nächstes Jahr feierst du deinen 50. Geburtstag. Fürchtest du dich davor?
Nein, warum sollte ich?
Keine Ahnung, ich werde 30 und das gefällt mir auch nicht sonderlich gut.
Mann, den 30er habe ich auch gehasst.
Danke vielmals.
(lacht) Der 30er war schon etwas ärgerlich.
Wann wird es neues MORBID ANGEL-Material geben?
Wir schreiben die ganze Zeit, sind immer kreativ. Du wirst schon sehen. Ihr müsst warten, wir haben noch nie über ungelegte Eier gesprochen.