Interview: Goatwhore - L. Ben Falgoust II

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Im 21. Jahrhundert passiert der gleiche Scheiß wie die Jahrhunderte davor und es wurmt mich, dass nach wie vor die Religion einen derart großen Einfluss ausübt.

GOATWHORE, mit ihrer einzigartigen Mischung aus Black- und Death Metal, Rock'n'Roll-Elementen und einer gehörigen Punk-Attitüde, sind schon längst kein Geheimtipp mehr. Grund genug, Sänger Ben vor das gemeinsame Mikro von Stefan Baumgartner und Robert Fröwein zu zerren, um ihn über den Underground, die NOLA-Szene, religiöse Wirren und die historischen Gerätschaften von Erik Rutan auszuquetschen...

Veröffentlicht am 05.05.2015

Robert Fröwein (RF): Eure aktuelle Tour dauert etwa vier Wochen an ...

Ja, und davor waren wir noch in Australien unterwegs. Wir verließen New Orleans am 9. März und starteten unsere Tour in Down Under am 12., spielten dort für etwa zweieinhalb Wochen mit PSYCROPTIC und einigen anderen lokalen Bands und flogen dann weiter nach Oslo zum Inferno Festival.

RF: Was sind bei einer derartigen Tourdauer die größten Herausforderungen?

Das Essen (lacht). Ich denke, wenn man diese Scheiße lang genug macht, weißt du, was dich erwartet und du kannst dich dementsprechend darauf vorbereiten. Ich bin bei sowas aber auch relativ anspruchslos, ich brauche nur meine Musik am iPod und ausreichend Socken und Unterwäsche im Gepäck (lacht).

RF: Tourt es sich in Europa anders als in den Staaten?

Oh ja, in Amerika gibt es durchaus Regionen, in denen du dir allein das Wort "Catering" schon an die Wand malen kannst. Da musst du dich schon glücklich schätzen, wenn du zwölf Flaschen Wasser hingestellt bekommst. In zahlreichen Locations hast du nicht einmal einen Backstage-Bereich! Aber auch in Europa gibt es natürlich Unterschiede.

Es kommt auch immer darauf an, wie du unterwegs bist - im Nightliner oder im Van, so wie wir diesmal, allein das sind schon unterschiedliche Formen des "Luxus". Mir ist aber der bodenständige Van lieber, weil mit dem Nightliner fährst du ob der Größe des Gefährts immer nur von A nach B, also von Location zu Location, während du mit dem Van auch zwischendurch einmal anhalten oder einen kleinen Abstecher machen kannst, um dir unterwegs irgendetwas anzuschauen. In Schottland haben wir uns zum Beispiel ein Schloss angeschaut, wo mir der Name gerade entfallen ist, und in Rom waren wir beim Colosseum.

RF: Aber viel Zeit für Sightseeing dürfte bei einem derart straffen Zeitplan nicht drinnen sein?

Nein, Urlaub ist es natürlich keiner (lacht) - aber mit so einem Van hast du zumindest die theoretische Möglichkeit für ein paar Eindrücke unterwegs und etwas abseits davon.

Stefan Baumgartner (SB): Einer euer ersten europäischen Auftritte dieses Jahr war am Roadburn-Festival. Dort hast du mit Sammy auf der Bühne gewitzelt, du könntest zwar singen wie Rob Halford, aber er nicht wie du. Hast du jemals daran gedacht, tatsächlich in die NWoBHM-Schiene zu gehen?

Habe ich das wirklich gesagt (lacht)? Da war ich wohl ziemlich betrunken - ich glaube nicht, dass ich Halford auch nur annähernd das Wasser reichen könnte, eher schon er mir! Zugegeben, wir haben viele NWoBHM-Elemente bei GOATWHORE verbraten, während bei einer Band wie uns - wenn es um "Tradition" und "Einflüsse" geht - primär an EMPEROR oder IMMORTAL gedacht wird. Natürlich haben die uns auch bis zu einem gewissen Grad beeinflusst, davor standen aber noch Bands wie CELTIC FROST, VENOM oder BATHORY und unsere Einflüsse gehen auch zurück auf klassisches Zeug, Thrash- und Death Metal. Du kannst dir das wie Bauklötze vorstellen, aus denen sich dann das Songmaterial von GOATWHORE ziemlich bunt zusammensetzt.

SB: Glaubst du, ist dies eine Altersfrage? Immerhin bist du in einer Zeit aufgewachsen, als der klassische Metal noch dominierte, die "härteren" Genres noch nicht einmal in ihren Kinderschuhen steckten - während nachfolgende Generationen von dem Old-School-Vibe zumindest direkt keinen Wind bekamen?

Definitiv. Oder viel mehr noch: Die Bereitschaft zum Wissenserwerb. Auch in jüngeren Generationen gibt es Interessierte, die sich bis zu den Anfängen zurückarbeiten, wenngleich sie selbige selbst niemals am eigenen Körper erlebt haben, aber natürlich auch die, die halt in einer gewissen Epoche stehen bleiben. Aber es fällt schon auf, dass dieses Forschen nach den Einflüssen tendenziell später in der eigenen Entwicklung passiert, ja.

Allerdings muss man auch offen eingestehen: Die "Szene" gibt es ja nun doch schon seit einigen Jahrzehnten und demnach ist es ein unheimlicher Zeitaufwand, sich durch den ganzen Wulst einmal durchzugraben. Da ist es umso erfreulicher für mich, wenn Leute herkommen und sagen, dass GOATWHORE der Auslöser war, sich nicht nur mit Death- und Black Metal zu beschäftigen, sondern zum Beispiel auch mit Rock'n'Roll.

Andererseits muss auch nicht alles kategorisiert, in Genres gepresst werden. Gerade das Internet hat hier die Grenzen gesprengt, da ist es nicht mehr nötig, GOATWHORE mit wenigen Worten auf Black Metal zu reduzieren, sondern du kannst dir mit wenigen Klicks ganz einfach selbst ein Bild davon machen. Selbst ein so "junges" Genre wie Black Metal ist - wie auch Death- oder Thrash Metal - heute so divers, dass du vielleicht mit dem einen Ende etwas anfangen kannst, mit dem anderen aber nicht. Also ist es immer vernünftiger, sich selbst ein Bild von der Musik zu machen und nicht auf irgendwelche Labels zu verlassen, die dir irgendwer auf's Auge drücken möchte - gut gemeint oder auch nicht.

Als ich noch jung war hatte ich natürlich auch diese Scheuklappen drauf, aber das waren bekanntlich andere Zeiten (lacht): Da gab es kein YouTube und Spotify, da gab es vornehmlich Tapetrading, da kauftest du oft schlichtweg die Katze im Sack. Ich sparte mir immer mein Essensgeld von der Schule zusammen und ging dann einmal in der Woche - halb verhungert (lacht) - in den Plattenladen und kaufte mir eine neue Scheibe, die dann entweder grandios oder total beschissen oder irgendwo dazwischen war. Da gab es noch keine Teaser-Videos im Internet, wo du dir vorher schon ein Bild davon machen konntest. Aber das war auch irgendwie der Reiz an der Sache, insbesondere mit dem Hintergedanken: "Wenn Mama das wüsste ...!"

SB: Erinnerst du dich noch an deine ersten Scheiben?

Ich habe zwei ältere Schwestern, die damals mit Musikern zusammen waren. Deren Partien tendierten in die Schiene von frühen DEF LEPPARD und MÖTLEY CRÜE, ergo waren das auch meine ersten Gehversuche. Ich rutschte dann aber relativ rasch in die Tapetrading-Szene rein und kam in Kontakt mit METALLICAs "Ride The Lightning" und "Master Of Puppets", oder auch mit EXODUS und IRON MAIDEN, CELTIC FROST und VENOM. Da wurde mir rasch bewusst, dass man immer noch ein Schäufelchen an Aggression nachlegen kann (lacht).

Der Underground ist dem Populären damals schon immer einige Schritte voraus gewesen und ist es bis heute noch. Wenn du heute eine Band hörst und der Meinung bist, dass das nicht mehr zu toppen ist, so brauchst du nur ein bisschen im Underground stöbern und du kannst dir sicher sein, dass irgendwo irgendeine Band da noch etwas draufsetzen kann. Als ich jung war, hätte ich mir niemals träumen können, dass derart extreme Musik wie wir sie zum Beispiel spielen überhaupt möglich ist. Aber die Jugendlichen heutzutage wachsen genau mit diesem Level auf - also kann man gespannt sein, wo das noch hinführt (lacht).

SB: Was hältst du davon, wenn alte Heroen - wie zum Beispiel EXODUS mit "Bonded By Blood" - ihre alten Alben neu aufnehmen und so natürlich auch den ursprünglichen Charme verfälschen?

Ich glaube, man sollte die Klassiker so belassen, wie sie waren - obwohl wir auch gerade planen, Songs von unseren ersten beiden Alben neu aufzunehmen (lacht). Wir waren damals noch auf einem kleinen Label und demnach sind die ersten beiden Scheiben etwas untergegangen. Wir werden je fünf Stücke neu aufnehmen um unseren Fans, die uns nicht seit den Anfängen begleiten, die auch näher zu bringen. Aber: Wir sind auch nicht EXODUS (lacht), und gerade, wenn ein wichtiger Bestandteil der Band - wie zum Beispiel der markante Gesang - ersetzt wird, geht irgendwie die Stimmung flöten... Da ruiniert man gewissermaßen ein Artefakt, das man besser nicht angreifen sollte, das ist dann irgendwie doch eine Perversion.

RF: Weil du vorhin das "Underground-Thema" angesprochen hast - könntest du dich selbst in einer Position wie Fenriz von DARKTHRONE sehen, der über Podcast neue, unbekannte Bands vorstellt?

Das wäre wohl eher ein Fall für Andy, den aktuellen Sänger von SKELETONWITCH, der ist da ähnlich gepolt: Auch er steht auf sehr obskuren Metal, auf Zeug, das wirklich gut ist, es aber nie aus dem Underground hinaus schaffte. Fenriz ist ein sehr einzigartiger Individualist, hat seinen Job in der Post, tourt nicht, geht in ein kleines Studio und nimmt sein Zeug mit DARKTHRONE auf und gräbt sich parallel dazu sukzessive tiefer in die Materie ein und holt die Goldklumpen aus dem Erdreich ans Tageslicht - und das wirkt sich glaube ich auch auf DARKTHRONE aus, klingt jedes Album doch immens anders. Diesen verschrobenen Charakter finde ich toll und spannend, aber das wäre nichts für mich; Ich mag das Touren, wir brauchen es auch finanziell und könnten uns so einen "geheimnisvollen Hype" nicht leisten. DARKTHRONE haben mit "A Blaze in the Northern Sky" etwas Weltbewegendes geschaffen, obwohl MAYHEM vor ihnen da waren - sowas passiert aber nur ganz, ganz selten.

SB: Wenngleich nach der doch moderateren "Soulside Journey" das Label etwas perplex war ...

Nicht nur die, jeder, der sich damit auseinandersetzte, saß vor dem Plattenspieler und konnte wohl nicht viel mehr als "Holy fuck ...!" von sich geben (lacht). Das war der Anbeginn einer komplett neuen Szene. Ich ziehe definitiv meinen Hut vor Fenriz, denn so etwas Einflussreiches zustande zu bringen, gelingt nur den Wenigsten, heute noch viel seltener als damals. Das ist meiner Meinung nach auch die große Wertigkeit des Undergrounds: Die soziale Komponente zu fördern, Brücken zu bauen mit etwas Neuem, die Idee an sich voran zu treiben. Da geht es nicht einmal ums Geld, sondern um den ideellen Wert.

RF: Nichts desto trotz ist das Business auch im Underground verhaftet und dort vielleicht sogar schwerer zu bewältigen, als anderswo. Hast du jemals mit dem Gedanken gespielt, dein Musikerdasein an den Nagel zu hängen?

Ich hatte meine Unfälle - brach mir mein Bein und so ein Zeug, das waren schon harte Zeiten, aber die schob ich nicht der Musik per se in die Schuhe. Das waren eben situationsgebundene Hoppalas, die man natürlich auch überwinden muss. Aber die Musik hat mich immer vorangetrieben, ich war damals auch im Rollstuhl auf der Bühne, weil mir diese Präsenz sonst abgegangen wäre. Die Musik hat mich aus jedem Tief wieder herausgeholt. Natürlich hat man mit harten Zeiten zu kämpfen, auch finanziell, nicht nur körperlich - aber wie überall im Leben muss man da darüber stehen und vorwärts blicken. Und gerade im Underground gibt es so viele Menschen, die dich laufend inspirieren und vorantreiben, dass es da ein Leichtes ist, nicht den Hut drauf zu schmeißen. Gerade auf Tour kannst du extrem viel von den anderen Bands lernen und auch neue Energien schöpfen, so eine Tour ist immer ein gewaltiger Arschtritt für mich als Mensch und für uns als Band (lacht). Da wirst du wieder geerdet, konzentrierst dich auf das Positive und nicht auf das Negative des Business - und um des Business' Willens machen wir es ja auch nicht, das darf man nie vergessen. Immerhin haben wir alle noch normale Jobs, die uns über Wasser halten. Manchmal muss man da schon sein eigener Psychodoktor sein (lacht).

SB: Der "NOLA"-Sound ist mittlerweile zu einer ähnlich respektablen Größe wie norwegischer Black Metal, schwedischer Death Metal oder Death Metal aus Florida herangewachsen, vorrangig natürlich wegen DOWN, EYEHATEGOD oder auch CROWBAR. Welche Schmankerln hat die Szene dort sonst noch so zu bieten?

Allen voran stehen da noch ABYSMAL LORD, die klingen sehr stark nach unseren ursprünglichen Einflüssen wie VENOM. GASMIASMA kann ich auch wärmstens empfehlen, das ist eine Punkband, bei denen unter anderem der Bassist von DOWN spielt. Deren Sänger ist gemeinsam mit Sammy (GOATWHORE-Gitarrist, Anm.) in einer Band namens RITUAL KILLER - und hat auch das Artwork für unsere zwei letzten Alben gemacht. Dann fallen mir spontan noch FAT STUPID UGLY PEOPLE ein, die machen ziemlich dreckigen Hardcore/Grindcore.

SB: Was macht die Szene rund um New Orleans generell so einzigartig?

Ich glaube, es ist hier wie bei jeder anderen "Szene" auch - sie wird irgendwann wegen irgendwem bekannt. Bei uns ist das definitiv Phil Anselmo zuschulden, vorrangig natürlich wegen DOWN. Dort spielten schon so viele verschiedene Musiker aus New Orleans und Umgebung, von CROWBAR über EYEHATEGOD bis hin zu vielen anderen Partien. Und gerade diese Interaktion, dieser Austausch brachte dann das Rad ins Rollen. Die Szene dort ist nicht groß, genauso wie New Orleans selbst nicht groß ist - aber die Szene ist sehr, sehr stark miteinander verknüpft. Sammy war in ACID BATH und CROWBAR und natürlich RITUAL KILLER. Jimmy spielt in DOWN und EYEHATEGOD und war auch einmal in CROWBAR. Es ist wie eine große Familie.

Was aber den Sound noch so einzigartig macht: Obwohl es eine Familie ist, klingt jede Formation anders. Jede dieser Bands hat ihre eigene, einzigartige Stimmung, während in anderen Szenen irgendwann einmal alles gleich klingt - so wie beim schwedischen Death Metal oder beim Death Metal aus der Tampa-Gegend.

RF: Fühlt sich da GOATWHORE manchmal wie eine Allstar-Band an, wenn man diese Querverweise im Hinterkopf hat?

Für mich selbst nicht wirklich, nein - auch wenn sich SOILENT GREEN mittlerweile auch einen obskuren Namen erarbeitet haben (lacht). Ich glaube, viele wissen nicht einmal, dass Sammy in ACID BATH war. Und wir haben von Anfang an gesagt: Promotet uns nicht als Band mit dem Mitglied von dieser anderen Band, GOATWHORE ist etwas Eigenständiges. Natürlich hast du in der Presse immer wieder diese Verweise und das ist auch okay so, aber ich glaube, bei uns geht das noch nicht so weit, dass wir da mit Starallüren aufmarschieren könnten (lacht).

RF: Von wegen eigenständig: Wir hatten das Thema mit den "Bauklötzen" schon anfänglich, aber woher kommt diese dreckige Punk- und Rock'n'Roll-Attitüde?

Hauptsächlich von MOTÖRHEAD, DISCHARGE, den RAMONES und den SEX PISTOLS. All das, was du auch im alten Grindcore, bei NAPALM DEATH zum Beispiel, raushörst. Viele versuchen, GOATWHORE als Black Metal abzustempeln, aber wir ziehen unsere Einflüsse eben nicht nur von dort. Das führt dann ab und an zu verwunderten Gesichtern, wenn man uns das erste mal live sieht und dann eben nicht ein Abklatsch der Norweger auf der Bühne steht (lacht) ...

SB: Oftmals ist es eine Geldfrage: Die Band mit CD-Käufen zu unterstützen, oder doch lieber live supporten. Was ist dir lieber?

Natürlich ist mir beides recht (lacht). Aber es ist logisch und klar, dass bei diesen Unmengen an Veröffentlichungen heutzutage nicht alles gekauft werden kann. Das Wichtigste ist, dass deine Musik Anklang findet - und wenn es nur über Spotify ist, oder irgendwo anders runtergeladen oder gestreamt wird. Weil dann kommt der Hörer vielleicht zumindest auf den Geschmack, schaut auf deine Live-Konzerte und kauft sich vielleicht dort dann eine CD oder ein Shirt, wenn nach dem Ticket und den Bieren noch Geld übrig bleibt (lacht). Viele Bands beschweren sich klarerweise, wenn ihre Musik "gestohlen" wird, ...

SB: ... was aber im Grunde das "Tapetrading" von früher ist.

Genau. Und damals exisitierten bei Weitem noch nicht so viele Bands wie heute. Heute hast du zumindest zehn Veröffentlichungen per Woche, die interessant sein könnten, das macht 40 Alben per Monat. Wer kann es sich leisten, all das zu kaufen? Kein Jugendlicher, ja nicht einmal ich als Erwachsener, hat 400 Euro per Monat über, um sie für CDs auszugeben! Unterm Strich bleibt: Solange jemand GOATWHORE hört, sei es legal oder illegal, auf CD oder live, bin ich zufrieden. Wir sitzen alle im selben Boot und sind aufeinander angewiesen. Geimeinsam kann man eine gute Zeit haben und dem Alltagstrott für ein paar Stunden entfliehen und das passiert vornehmlich nun mal auf Konzerten.

RF: Wie fügt sich eigentlich eine Band wie GOATWHORE in ein Festival wie zum Beispiel dem Roadburn ein, wo üblicherweise Stoner and Doom gespielt werden?

Als wir für das Roadburn gebucht wurden, fand ich das schon etwas gewagt, aber andererseits ist gerade das Roadburn doch sehr offen für viele Stile, auch wenn der Schwerpunkt auf dem schwerfälligen, langsamen, schleppenden Zeug, oder auch dem alten Rock liegt. Aber der Green Room war bei unserem Auftritt echt brechend voll, es hat gedampft in der Halle und das Feedback war hervorragend!

SB: Tatsächlich standen die Leute bis raus zur Bar, nur um euch zu sehen ...

Eigentlich hätten wir ja im Cul de Sac spielen sollen, die kleine Bar ums Eck. Aber Walter Hoeijmakers, der künstlerische Leiter des Festivals, musste uns dann umbuchen, weil er aufgrund der Rückmeldungen, die er von unseren Fans bekam, Angst hatte, dass das Cul de Sac zerlegt werden würde (lacht). Ihm tat es im Anschluss an unseren Auftritt richtiggehend leid, dass er uns keinen größeren Raum zur Verfügung stellen konnte. Ich kann nur sagen: Das Roadburn und alle involvierten Menschen waren echt großartig und die Stimmung fantastisch.

SB: Auf euer aktuellen Scheibe "Constricting Rage Of The Merciless" habt ihr ein Stück, das mit "Schadenfreude" betitelt ist. Hast du einen Bezug zur deutschen Sprache?

Ich habe mütterlichseits Wurzeln nach Deutschland, ja. Aber der eigentliche Grund war, dass es in der englischen Sprache kein derart treffendes Wort dafür gibt, Genuss aus dem Leid anderer zu ziehen. Unser Produzent Erik Rutan hat den Begriff vorhin noch nicht gekannt gehabt, aber es lustigerweise justament zu diesem Zeitpunkt auch in einem Artikel gelesen, wo es um die Wall-Street-Konkurrenzkämpfe ging. Uns schien in diesem Fall einfach das deutsche Wort tiefgründiger und dunkler als jede denkbare englische Übersetzung.

SB: Siehst du die deutsche Sprache, sofern du das aufgrund deiner Wurzeln beurteilen kannst, generell als tiefgreifender und dunkler an, als das Englische?

Ich glaube, jede Sprache auf dieser Welt hat in gewissen Teilbereichen eine größere Tiefe als andere Sprachen zu verbuchen, und manchmal stolperst du glücklicherweise über solche Ausdrücke oder Formulierungen. Aber generalisieren würde ich das jetzt nicht, nein.

SB: Wie wichtig ist eigentlich der "historische" Erik Rutan für das Endprodukt GOATWHORE?

Er ist in vielerlei Hinsicht extrem wichtig für uns, das war nun das vierte Album, das wir mit ihm gemeinsam gemacht haben. Wir haben ein gutes Verhältnis mit ihm, es macht Spaß, mit ihm zu arbeiten, auf der anderen Seite ist er aber auch ein Mensch, der mit dem Nudelholz hinter dir steht und dich unbarmherzig vorantreibt (lacht). Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich einmal einen Song eingesungen habe und der Meinung war, dass ich den Nagel auf den Kopf getroffen habe. Aber er meinte zu mir: "Das kannst du besser, nochmals." Wenn Erik das Gefühl hat, dass du eine auch nur ein bisschen bessere Leistung bringen kannst, dann fordert er sie auch von dir ein.

Er und Sammy sind ja beide Gitarristen und arbeiten auch hervorragend zusammen, verfügen über das "perfekte Gehör". Nichtsdestotrotz - oder genau deswegen - ist Erik immens offen für alles. Ich wollte letztes Mal ein anderes Mikrofon als von ihm vorgeschlagen ausprobieren, und er hat mich dann wirklich zehn verschiedene durchtesten lassen, aber schlussendlich war das von ihm eingangs vorgeschlagene tatsächlich das beste. Aber dennoch: Er hat sich nicht darauf versteift, sondern war offen, auszuprobieren. Genau so bei den Aufnahmen für Gitarre oder Schlagzeug, da wird immer viel herumprobiert, bis alle zufrieden sind.

Mittlerweile kennen wir uns ja doch schon ein paar Jahre und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir viel von ihm gelernt haben, aber auch er von uns. Er hat eigentlich von früher noch einen sehr tight-präzisen Ansatz mitgenommen, während wir mit einem organischeren Anspruch an die Sache herangehen, das ist dann unsere Punk-Attitüde (lacht). Und mit der Zeit hat Erik diese Herangehensweise auch verstanden, hat sich dann auch bei DARKTHRONE zum Beispiel eingehört und ist dann immer wieder geschwankt zwischen "Oh, klingt das scheiße!" und "Oh, klingt das geil!". So hat Erik gelernt, dass das Natürliche, das Fehlerhafte auch seinen Reiz haben kann, während wir natürlich auch aus seinen Arbeiten von RIPPING CORPSE über MORBID ANGEL bis hin zu HATE ETERNAL schöpften.

Außerdem haben wir letztes Mal eine analoge Tape-Maschine verwendet, die er vom Morrisound abgekauft hatte. Auf der wurden damals die ganzen legendären Alben eingespielt, von SUFFOCATION die "Effigy Of The Forgotten", diverse Scheiben von OBITUARY, MORBID ANGEL und all die anderen Klassiker. Eigentlich sollte Erik davon ein kleines Video drehen und die Geschichte hinter diesem Aufnahmegerät erklären, viele wissen ja heutzutage nicht einmal mehr, wie man analog aufnimmt - du kannst dir vorstellen, wie schwer es für uns war, Tapes dafür zu bekommen, und das Risiko bei so einer Aufnahme ist natürlich auch unendlich höher. Aber schlussendlich war es doch etwas besonderes, über eine derart geschichtsträchtige Maschine aufzunehmen.

SB: Das klingt danach, als würde die Zusammenarbeit mit Erik fortgesetzt werden...

Das ist unser Plan, ja. Vor unserem Abflug nach Australien verbrachte Zack zwei Monate bei uns - üblicherweise ist er oben in Phoenix, AZ - um zu proben. Aber irgendwann wurde uns das Proben der alten Stücke zu blöd, und so haben wir bereits etwa zweieinhalb neue Stücke zusammen.

RF: Wenn wir auf eure Texte zu sprechen kommen, was ist da der essenzielle Kern?

Manchmal schreibt Sammy, manchmal ich - und wir beide haben da unterschiedliche Ansätze. Es kommt immer auf das Riffing an, welches textliche Thema dazu passt. Wir schmeißen ja nichts weg, manchmal nehmen wir auch alte Ideen her und schreiben dann einen neuen Text dazu. Es kann durchaus vorkommen, dass wir für die nächste Scheibe Ideen aus der Zeit unseres ersten Albums hervorkramen. Genauso bei den Texten: Es existieren alte Textpassagen, die noch keine Verwendung fanden und vielleicht irgendwann einmal zum Einsatz kommen oder mich zumindest für neue Texte inspirieren.

Mich interessierten immer schon die dünkleren Aspekten des Lebens, ich bin zwar kein Satanist, aber natürlich stoße ich auch in diese Gedankenwelten vor. Manchmal sind meine Texte durchaus ernst zu nehmen, sind gut recherchierte Tatsachenberichte wie eben "Schadenfreude", aber manchmal auch mit einem Augenzwinkern zu lesen, so wie "Fucked By Satan". Wir sind alle Individualisten und nehmen nicht alles bierernst, sondern haben auch unseren Spaß an der Sache. Wir sind definitiv keine Comedy-Band, aber wir setzen uns einfach mit Elementen des Lebens, wie zum Beispiel der Religion, auseinander, und ich setze das, was ich mir denke oder gelesen habe, dann textlich um.

RF: Denkt man da eingedenk der religiösen Wirren ab und an darüber nach, ob man mit dem Glaubensthema nicht etwas "vorsichtiger" umgehen sollte?

Nein, weil ich keine Scherze mache, niemanden verarsche. Die Geschichte der Menschheit halte ich mir stets vor Augen und ich denke mir, die Menschheit sieht ihre eigenen Fehler in der Vergangenheit nicht oder nicht mehr. Im 21. Jahrhundert passiert der gleiche Scheiß wie die Jahrhunderte davor und das wurmt mich, dass nach wie vor die Religion einen derart großen Einfluss ausübt. Jeder sollte das glauben können, was er möchte und niemand sollte sich davon auf den Schlips getreten fühlen. Für mich ist es immens kindisch, wenn man sich wegen Glaubensfragen die Schädel einhaut. So ging man schon im finsteren Mittelalter miteinander um - wieso nach wie vor? Lernen wir nicht von unseren eigenen Verfehlungen? Es ist lächerlich, Leute zu töten, nur weil sie deiner Vorstellung nicht folgen. Wie Marx so schön sagte: "Die Geschichte wiederholt sich immer wieder."

Ich habe ja vorhin erzählt, dass wir ab und an auch Sightseeing betreiben - und wir waren gerade eben erst in Dachau. Da ist es für mich unvorstellbar, wie du immer und immer wieder den gleichen Scheiß bauen kannst, sich die Perspektive nur minimal verschiebt, selbst wenn du tatsächlich greifbare Mahnmale vor Augen stehen hast. Die Geschichte wiederholt sich immer und immer wieder, nur mit anderen Ideologien und selbst die kehren immer wieder. Als Individualist solltest du aber andere Individualisten akzeptieren. Was geht dich an, an was ein anderer glaubt? Man sollte endlich aufhören zu glauben, dass Religion das höchste Gut der Menschheit ist. Also wenn sich einer von meinen Ansichten auf die Füße getreten fühlt - ich weiß nicht einmal, was ich ihm entgegnen soll ...

SB: "Go fuck yourself."

Vermutlich ist genau das die einzig wahre Antwort, ja (lacht).


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