Interview: GRAVE - Ola Lindgren

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Wir hatten kein spezifisches Ziel for Augen, aber ich nehme an, da wir älter, griesgrämiger und pessimistischer werden, wirkt sich das natürlich auf die Musik auch aus.

Nach zahlreichen Referenzwerken in den Neunzigern und einem Besuch bei Herbert West im neuen Jahrtausend folgt nun nach einer Vielzahl an tonnenschwerem Todesgeschwader der Tribut an die Verflossenen: "Out Of Respect For The Dead".

Veröffentlicht am 09.10.2015

Normalerweise ist es mir ein Graus, Alben- oder Songtitel zu interpretieren, aber bei "Out Of Respect For The Dead" liegt es einfach nah, seid ihr immerhin eine der wenigen Überbleibsel der ehrwürdigen, schwedischen Szene. Ist das neue Album als Tributzollung gedacht?

Der Gedanke kam mir tatsächlich erst jetzt, als du das erwähntest. "Out Of The Respect For The Dead" war definitiv nicht als "Tribut" an etwas oder jemanden gedacht, aber der Gedanke gefällt mir durchaus - immerhin sind über die Jahre doch einige Menschen, Künstler von uns gegangen, die mich geprägt haben, mich inspiriert haben, Gitarre zu spielen. Also verpasse ich vielleicht nachträglich unserem neuen Album noch den Stempel der "Hommage" (lacht).

 

Wenn wir schon bei der Szene sind: Was macht, in aller Prägnanz, den besonderen, morbiden Vibe des schwedischen Death Metals aus? Sind es die Punk-Einflüsse? Die Verzerrung? Das sägende c#?

Eine allgemeingültige Antwort lässt sich darauf wohl nur schwer finden. Für mich ist es die Geradlinigkeit, die unverblümte Schlichtheit, das komplette Fehlen von technischem Wirrwar - so, wie Musik in meinen Ohren eben klingen sollte.

 

Wie auch schon "Morbid Ascent" ist der Titel eures mittlerweile elfen Albums von einem Film inspiriert, von seinen Credits, um genau zu sein. Vielmehr noch: Im Pressetext werden die neuen Stücke als eine gelungene Mischung aus "Texas Chainsaw Massacre" und "The Fog" verglichen, was besonders im Übergang vom Intro zu "Mass Grave Mass" auffällt. Ist der Film generell eine wichtige Inspirationsquelle für dich?

Nicht wirklich eine Inspiration, aber ab und an werden bei mir Assoziationsketten angestoßen und ich komme auf Titel oder Textstücke. Die meisten der Texte sind frei erfundene Geschichten ohne tieferem Sinn, mit einziger Aufgabe, zur Musik zu passen, inhaltlich und klanglich.

 

Mir scheint, dass die Horrorfilm-Szene parallel zur Death-Metal-Szene stellenweise an Qualität eingebüßt hat, heute wird kein neuer Freddy Krueger oder Bruce Campbell mehr erschaffen, kaum auch ein zweites "Into The Grave" geschrieben.

(lacht) Da gehe ich durchaus d'accord mit dir, heute wird selten so viel Herzblut in eine Sache gesteckt, wie früher - egal ob im Film oder der Musik, da mangelt es oft an... Seele. Die "Hellraiser"-Reihe zählt nach wie vor zu meinen unangetasteten Favoriten, nicht umsonst haben wir daraus einige Sachen für unsere Alben gesampelt (lacht).

 

Seit 2008 seid ihr eurem Cover-Künstler Costin Chioreanu treu ergeben. Ich finde, sein Stil erinnert etwas an den großen Kittelsen - auch bei ihm finde ich diese scharuige Kälte, diese bösartige Morbidität.

Costin ist ein fantastischer Künstler und hat durchaus Anleihen an Kittelsen, finde ich cool, dass du das ähnlich wie ich siehst! Die Zusammenarbeit ist auch fantastisch: Er bekommt von uns meist nur den Albumtitel und vielleicht ein, zwei Ideen was Farbwahl oder ähnliches anbelangt, und schon liefert er ein Bild ab, das unsere durchaus hochgesteckten Erwartungen sogar noch übertrifft. Ich glaube, wir hatten noch nie nennenswerte Korrekturläufe nötig (lacht).

 

Mir fiel auf, dass wie bei "Perimortem" von eurem letzten Album auf diesem hier mit "Defiled" ein Stück vertreten ist, während dessen du mehr oder weniger unmotiviert "Thrash!" brüllst. Ist das jetzt ein neuer Running-Gag im Hause GRAVE?

Dieses "Thrash!" habe ich, das muss ich zugeben, von Tom G. Warrior gestohlen. Ich fand das ganz passend, immerhin ist Thrash Metal unsere eigentliche Basis, das war unsere prägende Phase. Da ist es umso notwendiger, dies auch ab und an einmal lautstark kundzutun, mit einem geilen thrashigen Song und eben dem Ausruf (lacht).

 

Was, würdest du sagen, sind die drei meist verwendesten Wörter bei GRAVE?

Ganz klar: "Death", "Soul" und "Hate".

 

Es ist durchaus üblich bei Bands, dass die einzelnen Stücke Arbeitstitel tragen, bevor sie ihren endgültigen verpasst bekommen. Ich weiß, dass ihr oft stilistische Bezüge herstellt - und dann kommt zum Beispiel ein "CELTIC FROST Song" dabei raus. Kannst du dich noch an die Ur-Titel von "Out Of Respect For The Dead" erinnern?

Nicht an alle, aber dein Favorit, "Mass Grave Mass", hieß einfach "Olas Song", das war mein "Baby" (lacht). "Flesh Before My Eyes" hieß "The DEF LEPPARD-Riff-Song", "Plain Pine Box" war "The Craft Song", das Titelstück hieß einfach auch "The Title Track", "Redeemed Through Hate" nannten wir "The Ronnie-Song" und "Grotesque Glory" war "The long and/or the last one" (lacht).

 

 

Ihr habt in der Vergangenheit schon einigen Bands Tribut gezollt, darunter SATYRICON, SAINT VITUS, ASPHYX und sogar ALICE IN CHAINS. Was ist dein Anspruch an ein Cover?

Cover sind meiner Meinung nach dann am besten, wenn sie nicht allzu naheliegend sind - so wie bei ALICE IN CHAINS beispielsweise - und du dann deinen eigenen Stempel aufdrückst.

 

Klappt das bei den zahlreichen GRAVE-Covers, die auf YouTube herumschwirren?

Bei manchen mehr, bei manchen weniger (lacht).

 

Für eine Vielzahl sind eure beiden ersten Alben erhabene Meisterwerke, die nicht einmal ihr selbst je übertrumpfen werdet können. Ist dies ein Gedanke, der bei dir stets einem Damokles-Schwert gleich mitschwingt, wenn ihr am Schreiben neuer Stücke seid - ein Gedanke, der dich vielleicht sogar ärgert?

Ich habe unsere ersten beiden Alben nicht explizit im Hinterkopf, nein, aber durchaus die spezifische Idee, wie ein GRAVE-Song zu klingen hat - und das hat sich seit damals nicht verändert. GRAVE ist einfach GRAVE. Aber es ist durchaus verständlich, dass für viele "Into The Grave" und "You'll Never See" einen derartigen Status einnehmen - es ist ja bei mir und meinen Lieblingsbands ja auch oft so, dass da eine bestimmte Phase, und meistens das Frühwerk besonders hervorsticht ...

 

Du bist mittlerweile der einzige im Line-Up, der in sämtlichen Phasen - angefangen von RISING POWER, DESTROYER, ANGUISH und CORPSE - mit von der Partie war. Gehe ich richtig in der Annahme, dass GRAVE explizit deine Vision ist - zumindest mittlerweile?

Möglicherweise, in gewisser Art, ja. Wobei all die von dir genannten Vorstufen tatsächlich Bands mit unterschiedlichsten Individuen waren, die schließlich meine Art, Musik zu schreiben, respektive eben den Sound von GRAVE geprägt haben.

 

Auffallend ist, dass bei euch am öftesten die Position des Bassisten getauscht wurde. Witzig eigentlich, wird doch der Viersaiter als "unwichtigstes Element" einer Band gern durch den Kakao gezogen ...

Das machen wohl nur diejenigen, die noch nie einen amtlichen Bassisten spielen gesehen haben (lacht).

 

Euer Bassist Tobias brachte meiner Meinung nach nicht nur einen ziemlich coolen Rock'n'Roll-Vibe mit in die Band, sondern ist - ich kann es nicht wirklich besser beschreiben - für mich der erste, der den Bass tatsächlich als unheilbringende Rhythmusmaschine einsetzt.

Ja, auch hier gehe ich vollkommen d'accord mit dir: Tobias ist unser erster Bassist, der Bass spielt - und nicht dritte Gitarre (lacht). Ein guter Bass ist einfach unverzichtbar, gerade bei unserer Musik.

 

 

Euer letztes Album, "Endless Procession Of Souls", war schon ein großer Schritt zurück zu euren Hochzeiten, mit einem immensen "Soulless"-Vibe. "Out Of The Respect For The Dead" klingt noch ein Eck angepisster, räudiger. War dies, im Zeitalter des degenierten, klinischen Scheißdrecks, eine bewusste Kehrtwende?

Wir hatten kein spezifisches Ziel vor Augen, aber ich nehme an, da wir älter, griesgrämiger und pessimistischer werden, wirkt sich das natürlich auch auf die Musik aus (lacht). Die ersten paar Songs, die wir fürs Album schrieben, waren ziemliche Hassbatzen, und diese Schiene sind wir dann einfach konsequent weitergefahren.

 

Ihr nahmt erneut in Eigenregie im eigenen "Soulless"-Studio auf. Fehlt da nicht irgendwie auch ein externes, kritisches Ohr - und ich spreche jetzt nicht gleich von einem Phil Towle für GRAVE, aber du weißt schon, was ich meine ...

Phil Towle musste ich jetzt glatt googeln (lacht). Was für ein komischer Kauz, und was für bescheuerte Loser sind METALLICA eigentlich, dass die Unsummen für so einen belämmerten Therapeuten rauswerfen? Aber gut, jedem das seine! Zu deiner Frage: Unter Eigenregie im eigenen Studio zu arbeiten hat natürlich seine Vor- und Nachteile, allen voran steht die Geldfrage: Es ist überaus entspannend, wenn man nicht die Gelduhr mit jedem Ton, den man spielt, ticken hört (lacht). Andererseits tust du dir so auch schwer, die Sache irgendwann einmal abzuschließen - da glaubst du immer, "nur noch ein bisschen" feilen zu müssen. Ich würde ja gerne einmal mit Bob Rock oder Rick Rubin arbeiten, allein, um ihnen das Leben schwer zu machen (lacht).

 

Ihr nehmt digital auf. Wäre eine analoge Aufnahme, wie bei den zahlreichen Stoner-Bands oder GOATWHORE beispielsweise, gerade bei eurem Sound nicht naheliegend, weil "natürlicher"?

Darüber nachgedacht haben wir tatsächlich schon oft, allerdings hatten wir bisher noch nicht die Kohle für ein komplett analoges Studio. Allerdings ist der "natürlichere Klang" ein Mythos - wenn du nicht blöd herumpfuscht, klingt eine gute digitale Aufnahme heute genau so "natürlich" wie eine analoge, da gibt es zahlreiche Alben, die das beweisen.

 

Ihr seid eine der wenigen alteingesessenen Bands, die konsequent gute bis überdurchschnittliche Alben abgeliefert haben und keine wirklichen Hänger zu verantworten hattet. Wie hältst du für dich das Rad derart spielerisch am Laufen?

Keine Ahnung, echt nicht - es ist zumindest kein Rezept, das ich anderen Bands verkaufen könnte (lacht). Ich tue einfach das, was ich schon immer tun wollte und auch nach wie vor möchte. Ich glaube, im Kopf bin ich noch immer 18 - und führe mich halt teilweise auch so auf (lacht). Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen zynisch und unreif, aber tatsächlich wollte ich nie wirklich erwachsen werden und ein "svensson liv" führen, also: anständiger Job, heiraten, Haus bauen, Kinder kriegen und der ganze Scheiß.

 

Es dauerte ziemlich lang, bis Labels Spotify, iTunes und das ganze Zeug nicht mehr gänzlich ablehnten. Sind diese Streaming-Portale nicht eigentlich das moderne Equivalent zum Tape-Trading, das du sicher auch betrieben hast?

Ja, man könnte sie so sehen, allerdings glaube ich nicht, dass die Intention der Endverbraucher gleich ist wie früher: Tapes waren Anreiz, neue Musik zu entdecken, diese Portale sind primär eine günstigere Variante, sich Musik zu besorgen. Früher wurden die Kassetten untereinander ausgetauscht, um Freunden die eine oder andere Band näher zu bringen - im Prinzip das, was heute das Internet macht, wenn dir ein Algorithmus "ähnliche Seiten" vorschlägt, oder YouTube nach einem Video weiterhüpft. Und du kannst den Arsch drauf verwetten, dass man sich das Demo oder die Platte dann gekauft hat, wenn sie gefiel!

 

Zur selben Zeit als ihr und die anderen großen Schweden aufkamen, gab es auch die Gegenbewegung des Black Metal, die sich bewusst gegen den Mainstream des Death Metal zu stellen versuchte. War dieser Gap zwischen den Szenen tatsächlich so immens, oder wird das rückblickend nur gerne aufgepauscht und verklärt dargestellt?

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe die Black-Metal-Szene nicht wirklich wahrgenommen, bis ihre frühen Glanzjahre schon wieder vorüber waren. Das zeigt, wie uninteressiert dieses kindische Gehabe für mich war (lacht). Aber ja, es gibt durchaus ein paar großartige Black-Metal-Bands, die diesen ganzen Bullshit überlebt haben, weil ihnen schließlich die Musik wichtiger war als... na, der ganze Dreck drumherum eben (lacht).

 

Gibt es irgendwas zu deinen Projekten GREY HEAVENS und RED SCREAM zu vermelden?

Nein, nicht wirklich, leider. GREY HEAVENS sind leider inaktiv, schlichtweg, weil ich bisher keine Zeit fand, mir Platz für die Aufnahme einer LP freizuschaufeln, und immerhin muss Norman (von TRIPTYKON, Anm.) da ja auch Zeit haben, er spielt ja das Schlagzeug ein. Aber: Es steht auf meiner To-Do-Liste ganz oben, aufgrund deiner Frage jetzt noch ein Stückchen mehr (lacht). RED SCREAM sind noch toter als GREY HEAVENS, aber da liegen noch einige gute Ideen brach und wer weiß - vielleicht passiert ja in naher Zukunft etwas überaus Unerwartetes...

 

Wenn der Tag einmal kommt, an dem du selbst "into the grave" gelassen wirst - so wie es auch das aktuelle Cover zeigt: Was soll auf deinem Grabstein stehen?

"Into the darkness - into the grave".

 

Unsere Rezension zu "Out Of Respect For The Dead" lest ihr an dieser Stelle.


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