Interview: MOONSPELL - Fernando Ribeiro

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Vielleicht schaffe ich es einmal, eine professionelle Karriere als Schriftsteller einzuschlagen.

Die portugiesischen Dark-Metaller MOONSPELL kreuzten unlängst mit einer opulenten 90-Minuten-Show durch österreichische Gefilde. Ehrensache, dass wir uns neben der kompakten Liveberichterstattung auch noch Sänger Fernando Ribeiro zum Talk herausgepickt haben.

Text: Robert Fröwein | Fotos: Lady Cat
Veröffentlicht am 04.11.2015

Mit "Extinct" haben sich MOONSPELL diesen Frühling einmal mehr mit einem wuchtigen, wendungsreichen und vor allem kurzweiligen Dark-Metal-Werk zurückgemeldet. Wie immer, sind die Touraktivitäten der portugiesischen Metal-Aushängeschilder massiv, sodass Wien erst diesen Herbst, also im zweiten Tour-Teil, am Programm stand. Von Abnützung konnte glücklicherweise keine Rede sein, denn die Südeuropäer rund um den charismatischen Sänger Fernando Ribeiro sind vor allem absolute Vollprofis, die ihr variantenreiches Programm aus dem Effeff beherrschen. Der Bandchef selbst ist bekanntermaßen belesen und das genaue Gegenteil des Extreme-Metal-Klischees: Schriftsteller, liebender Vater, grenzenloser Musik-Romantiker und auch Gentleman, denn schon beim Erstkontakt streckt er dem Redakteur schmunzelnd ein Ottakringer entgegen. Da man mit Fernando eben nicht nur über Musik, sondern auch wunderbar über Literatur und kosmopolitischen Ansichten plaudern kann, wurden die anfangs vom Tourmanager streng aufgestellten 15 Minuten Interviewzeit am Nationalfeiertag gleich auf 30 verdoppelt. Hier also noch mal die Zusammenfassung, weshalb Ribeiro eine Schriftstellerkarriere anstrebt, warum Touren mit MARDUK für ihn seltsam ist, weshalb DEICIDE nur mehr von ihrem Ruf leben und wieso Auftritte mit Corpsepaint nicht völlig ausgeschlossen werden können...

Fernando, mit dem neuen Album „Extinct“ hab ihr weltweit gutes Feedback bekommen und meiner Ansicht nach hervorragend orchestrale Elemente mit Black-Metal-Referenzen vermischt. Würdest du das Werk als euer bislang komplettestes bezeichnen?

Wir sind dieses Mal ganz anders an die Sache rangegangen, denn normalerweise schauen wir nach Alben, dass wir einmal intensiv und gerne auch mehrere Jahre touren, doch dieses Mal war es fast so, als hätte mich das Album gerufen. Vor allem ich sprudelte vor Ideen über, was auch die anderen überraschte, weil der Vorgänger „Alpha Noir“ nicht so lange her war. Im Laufe einer Karriere verlernt man oft, dass es in der Musik auf ein gutes Album ankommt. Man ist so stark mit Touren, Interviews und dergleichen beschäftigt, dass man die wahre Essenz oft vergisst und „Extinct“ fühlte sich so an, wie eines unserer ganz alten Werke. Wir sind dann sehr gut reingewachsen und touren im Prinzip seit dem Release neun Monate am Stück. Wir waren zudem noch 35 Tage bei Jens Bogren in Schweden, um das Album aufzunehmen. Diese Hingabe kann auch nur geschehen, wenn man sich voll damit identifizieren kann. Wir alle sind auf „Extinct“ aus unserer Komfortzone ausgebrochen und das haben auch die  Hörer und die Presse registriert. Früher konnten wir nur die religiösen Menschen provozieren, heute haben wir aber nichts mehr zu verlieren, und können allen ans Bein pissen. (lacht)

Das ist auch eine schöne Ausgangsposition, die MOONSPELL immer hatten. Wiederholungen fanden bei euch nie statt und die Fans mussten sich bei jedem Album auf etwas völlig Neues einstellen. Ihr sorgt auch dafür, dass die Flamme des Dark Metal am Lodern bleibt, denn TYPE O NEGATIVE, TIAMAT oder SISTERS OF MERCY sind aus verschiedenen Gründen nicht mehr da oder eher im Abseits gelandet.

Hoffentlich haben wir diese Position! Aufgewachsen sind wir in einer Zeit, wo das Genre extrem populär und alle noch aktiv waren. Wir sind auch mit den meisten getourt und Gothic Metal war einst sehr stark. Heute hörst du von solchen Bands nur mehr, wenn eine Frau darin singt – sie haben das Genre im Prinzip komplett übernommen und dadurch die Vorstellung davon im Vergleich zu früher komplett verkehrt. Für uns ist es gar nicht mehr so einfach, in eine Tour gebucht zu werden, weil diese Szene quasi nicht mehr existiert. Es gibt natürlich sehr gute junge Bands, die in diesen Feldern experimentieren, aber denen fehlt es oft noch an Eigenständigkeit und Durchschlagskraft. Nach dem Tod von Peter Steele war die gesamte Dark-Metal-Landschaft in einer Art von Schwebezustand und geriet sukzessive in Vergessenheit – das Genre ist extrem nostalgisch, auch wenn es noch genug Fans und Befürworter gibt. Mit „Extinct“ konnten wir uns viele alte Fans zurückholen, die uns aus den Augen verloren haben, sich aber wieder angesprochen fühlen – warum auch immer. Das bemerke ich bei allen Live-Shows.

Mit dem israelischen Gitarrist Yossi Sassi oder der in Vancouver lebenden, iranischen Erzählerin Mahafsoun hast du auch interessante Gäste auf dem Album, die weltpolitisch nicht unterschiedlicher wiegen könnten. Siehst du MOONSPELL als Band mit Botschaft? Willst du kosmopolitisch sein?

Wir befinden uns derzeit tatsächlich in kriegsähnlichen Zuständen. Wir ackern seit nunmehr zwei Dekaden durch Europa, aber so streng wie derzeit waren die Grenzkontrollen seit unserem Karrierebeginn noch nie. Das Geheimnis des gegenseitigen Verstehens liegt in der Kultur von Musik. Es war super, dass wir die beiden – mit den unterschiedlichsten kulturellen Backgrounds – und noch ein türkisches Orchester auf „Extinct“ versammeln und damit ein Zeichen setzen konnten. Unsere Gäste haben sich möglichst offensichtlich aus politischen Stimmungen rausgehalten, aber am Ende sind die Vorurteile von Politikern oft schlimmer als die Menschen es untereinander erleben. Wir spielten schon in der Türkei vor Iranern und Irakern und es gab niemals Diskussionen oder Probleme. Wir kennen keine Grenzen und wählen die Gäste nicht nach kulturellem Background, sondern nach ihren Fähigkeiten. Auf dem Song „Medusalem“, wo alle vertreten sind, ging es einfach nur darum, den Song möglichst perfekt zu machen – egal woher derjenige kommt, der dafür sorgt. Als wir den Song „Scorpion Flower“ auf der „Night Eternal“ gemacht haben, wollten auch viele Sängerinnen mitmachen, aber wir haben bewusst Anneke von Giersbergen gewählt, weil sie die originale und beste von allen ist. Am Ende geht es immer um das Produkt.

Es ist aber auch gut, dass ihr eben nicht nur Gäste des Name-Droppings wegen einlädt, wie man auf „Extinct“ deutlich erkennen kann.

Ich hasse Name-Dropping, darum ging es uns nie. Wir haben viele Musiker gehabt, die kein Mensch kannte, aber das sagt nichts über seine Fähigkeiten aus. Außerdem finde ich es falsch, wenn man sich selbst durch einen berühmten Namen promotet – dann wird mein Album in erster Linie doch wieder nicht wegen mir gekauft. Wo ist da der Sinn? Ich bekomme auch viele Einladungen, aber sage auch sehr viel ab. Mir geht es nicht um das Geld, aber ich will selbst nur nicht aus schnöden Name-Dropping-Gründen woanders an Bord sein. Das jeweilige Projekt muss mir schon sehr gut gefallen, damit ich zusage. Auch diese All-Star-Bands, wo an einem Abend sieben verschiedene Sänger auftreten, die alle bekannt sind, interessieren mich nicht. Vielleicht habe ich das nötig, wenn ich älter bin, jetzt aber sicher noch nicht. (lacht)

MOONSPELL-Frontmann Fernando Ribeiro - einer der letzten Verfechter unverfälschten Dark Metals

Du hast mehrmals betont, dass die Texte auf „Extinct“ viel persönlicher sind als die früheren, eher fiktionalen. Was war der Grund dafür, dass du ausgerechnet jetzt dein Herz geöffnet hast?

Mit jedem Album fühlst du dich mehr dazu bereit, über dich und deine Erfahrungen zu schreiben und zu erzählen. Ich liebe Poesie und Gedichte, aber mag nicht die direkten. Durch Metaphern und gewisse Hakenschläge kann man Persönliches aber gut umschreiben. Vor drei Jahren wurde ich Vater meines ersten Sohnes und das hat mein Leben zusätzlich auf den Kopf gestellt. Ich habe viel reflektiert, musste mehr Verantwortung übernehmen und habe vieles hinterfragt – auch mich selbst. Andererseits sind in den letzten Jahren Helden wie Pete Steele oder Dio gestorben – der Titel „Extinct“ („aussterben“) entstand also aus diesem Wechselspiel zwischen erblühendem Leben und fatalem Dahinscheiden. Das hat mich extrem inspiriert und ich war mit Herz und Kopf vollständig bei der Sache. Die andere Seite ist eben, dass wir jetzt mehr als 20 Jahre als Band unterwegs sind. Manchmal werde ich nostalgisch, ich merke, dass viele Bands und Musiker nicht mehr da sind, und wir uns selbst immer wieder neu adaptieren müssen.

Ein heißes Thema als Überbau für das Album war auch das biotische Aussterben, das heute ein extrem heißes Thema ist. Ich fand irgendwann Parallelen zwischen der biotischen und der persönlichen Ausrottung. Ein Akademiker erklärt dir das wissenschaftlicher, jemand von der portugiesischen „Iberian Wolf Group“, mit denen wir oft geredet haben und die das Aussterben von Wölfen beobachten, erklärt das emotionaler und humaner. Leute in meinem Alter, Anfang 40, leiden auch fast durchweg unter der Midlife-Crisis und wissen nicht, wie sie weitermachen sollen. Für viele dreht sich die moderne Welt zu schnell und sie fühlen sich veraltet und unnötig. Mir geht es genauso – heute verkaufen wir viel über das Internet, damals haben die Leute „Wolfheart“ oder „Irreligious“ noch in den Shops oder auf Konzerten abgegriffen. Die Ausrottung betrifft ja die Musikwelt genauso. Zwischen den 70er- und 90er-Jahren gab es nur marginale Unterschiede, aber in den letzten zehn, 15 Jahren hat sich alles dramatisch verändert. Nur die Shows blieben gleich, sie sind im Prinzip der Anker von langsamen Leuten wie mir, die dem natürlichen Evolutionsprozess nicht mehr vollständig gewachsen sind. (lacht)

Für einen Vater eines Dreijährigen bist du doch extrem viel unterwegs, was auch dem Erfolg mit dem MOONSPELL geschuldet ist. Kann etwas Positives, wie viele Touren und gut besuchte Häuser, dadurch zu etwas Negativem werden?

Das erlebe auch ich durch verschiedenste Perspektiven. An schlechten Tagen kann ich schon dramatisch werden, möchte am liebsten alles sofort hinschmeißen und sofort nach Hause zu meinem Kleinen, aber andererseits bin ich wenn ich daheim bin, wirklich intensiv bei ihm, weil ich ja außer an Songideen zu basteln, nicht viel mache. Ein normaler Büro-Job kann dir wahrscheinlich mehr Qualitätszeit mit deinen Kindern nehmen. Ich brauche nach einer langen Tour ein paar Tage zum Runterkommen, aber dann bin ich für ein paar Monate voll bei ihm. Mein Leben ist einfach neu eingeteilt und ausgewogen, aber Touren ist mein Job, ich mache das seit 20 Jahren und das gehört zu meinem Leben und zu dem meiner Familie. Es ist nun einmal ein Doppelleben und das kann manchmal schon schwierig sein.

Als du „Wolfheart“ (1995) und „Irreligious“ (1996), immer noch die beiden großen Referenz-Alben der Band, aufgenommen hast, warst du dem Teenager-Alter gerade knapp entwachsen. Fühlst du dich bei Shows mit Sound und Inhalten dieser Alben überhaupt noch wohl?

Für mich ist diese Vermischung live fast perfekt. Wir haben bei der Zusammenstellung einer Setlist den Vorteil, dass wir sehr viele verschiedene Atmosphären entfachen können. Wir versuchen einfach dynamisch zu bleiben und die Gothic-Momente mit den Old-School-Elementen und Black Metal zu verknüpfen. Kurioserweise funktioniert das dann oft besser als es bei der Planung klingt und die Fans sind meist sehr begeistert. Nummern von einem Album wie der „Irreligious“ haben nicht nur den Test of time bei den Fans, sondern auch bei uns selbst bestanden. Für mich ist das immer noch mein Lieblingsalbum, weil ich mich noch genau daran erinnere, dass ich ein richtiges Gothic-Album schreiben wollte. Dunkel, sinister und episch. Das war für uns das erste Mal, dass wir einen originellen, einzigartigen Sound gefunden haben, auch wenn „Wolfheart“ das schon andeutete. Dieses war aber wesentlich spezieller, es war sehr hart es zu bewerben und als Portugiesen waren wir in der Szene kaum existent. Aber das Werk hatte so eine naive, rohe Magie. Im Sommer haben wir in Transilvanien das ganze Album am Stück gespielt und wir waren genauso in Trance wie die Fans. (lacht) Es war so, als ob du den Vollmond zu dir herunterziehen würdest. Für mich ist eine Liveshow nicht das Spielen von Songs, sondern eine reine Zelebration. Natürlich würden wir niemals auf Songs wie „Alma Mater“ verzichten, auch wenn wir manchmal möchten, aber auch neue Songs von der „Extinct“ kommen gut an. Das ist wohl das Wichtigste für eine Band, das auch neue Sachen gut angenommen werden.

Du bist nicht nur Sänger und Musiker, sondern vor allem ein großer Liebhaber des geschriebenen Wortes, hast mittlerweile drei Gedichtbände, einen Band mit Kurzgeschichten und die Bandbiografie von MOONSPELL auf Portugiesisch verfasst und publiziert. Was gibt dir die Literatur, das Musik dir nicht zu geben vermag?

Ich denke, jeder Mensch hat einen gewissen Sinn für Kunst. Ob das jetzt Malerei, Literatur oder Musik ist, ist egal – Hauptsache man spürt es. Musik ist für mich immer sehr suggestiv, du hast viel schneller Vergleiche parat und verschiedene Klänge leiten dich zu unterschiedlichen Emotionen. In der Literatur musst du dir das aber erst erarbeiten. Wörter und Bücher nehmen dich auf eine Reise mit, aber oft nicht so direkt wie Musik. Ich habe niemals Lyrics geschrieben, die einfach nur auf die Songs platziert wurden. Meine Texte bei MOONSPELL könnten auch eigenständig leben, ohne den Sound als Hintergrund. Manchmal sehe ich mich eher als Bücherwurm, denn als Musikfan. Heute kaufe ich mehr Bücher als Alben. (lacht) Literatur ist für mich immer noch mehr ein Hobby als alles andere, weil mich das entspannt und ich das extrem gemütlich finde. Ich spiele nicht PlayStation oder hänge vor YouTube-Videos. Wenn du so viel und oft unterwegs bist wie wir, dann lernst du dich selbst sehr gut kennen. Du hast keine übliche Routine wie zuhause zum Beispiel, ich lebe die meiste Zeit aus dem Koffer und deswegen muss jeder auf Tour seinen Freiraum finden, um möglichst viel Wohlbefinden zu erfahren. Ich verschlinge eben Bücher, meine Kollegen knallen sich einen Film nach dem anderen rein. Wichtig ist nur, dass jeder seine Wohlfühlzone findet.

Du erinnerst mich da durchaus an Morgan von MARDUK, der ja auch die ganze Zeit über Bücher verschlingt – wenn auch inhaltlich anderer Natur als du.

Mit den Jungs waren wir auch schon auf Tour, die sind was ganz Besonderes. Wir sind mit vielen Black-Metal-Bands getourt, aber die meisten kommen von der Bühne und verhalten sich Backstage oder im Tourbus kindisch und dämlich – einfach witzig. (lacht) MARDUK hingegen transportieren das Black-Metal-Feeling überall dorthin, wohin sie gerade gehen. Sie haben einen unheimlich schwarzen Humor, bei dem es dir auch anders werden kann, weil du oft nicht mehr genau weißt, ob das ernst gemeint ist oder ironisch. Zudem spielen sie im Bus auf ihren Instrumenten oft Jazz-Spuren und trinken Tee – das ist sehr verstörend, wenn du mit typischen Genre-Klischeegedanken unterwegs bist. (lacht) Mit MARDUK und INQUISITION unterwegs zu sein, war anfangs etwas sonderbar, aber wir sind gut davongekommen. Die lesen ohnehin nur Zeug über den Zweiten Weltkrieg und referieren dann darüber.

Das "Extinct"-Coverartwork diente der Liveshows MOONSPELLs als visuelle Verstärkung

Würde es dich interessieren, in der Zukunft einmal ein MOONSPELL-Album zu erschaffen, das rein auf deinen Gedichten oder Kurzgeschichten basiert?

Wenn es rein um Bücher geht, dann hätte ich sofort eine Shortlist parat, wie ich die musikalisch umsetzen möchte. (lacht) Wir haben aber nie ernsthaft darüber nachgedacht, weil wir ohnehin immer sehr literarisch an die Alben herangegangen sind. Die Grundidee für „Extinct“ hat mich zu passenden Büchern gebracht, in denen ich recherchiert habe. Wichtig ist immer die Idee, das Konzept muss zünden, der Rest ist dann Vorbereitung und Recherche. Ich schreibe gerne auch über Nostradamus, Crowley oder Lovecraft – da gibt es immer etwas zu sagen. Metal geht leider sehr oft den leichten Weg. Konzepte über King Arthur oder Wikinger langweilen mich mittlerweile extrem und viele Bands käuen einfach wieder, es fehlt ihnen an Innovationen. IRON MAIDEN hat da die Richtung vorgegeben, sie haben dutzende historische Events besungen und immer auf gute Lyrics geachtet.

Andererseits gibt es Leute wie DEICIDEs Glen Benton, der seit fast drei Dekaden Satan besingt. Aber mir ringt auch das großen Respekt ab, schließlich musst du auch dort immer eine Nische in deinem festgesetzten Genre finden, die du noch nicht aktiv beackert hast.

(lacht) Das stimmt aber. Gerade bei den Extreme-Metalbands wundere ich mich auch oft, wie ihnen dann erst immer wieder etwas einfällt, obwohl man oft glaubt, extremer und ärger geht es nicht mehr. Ich war früher ein extremer Okkultist, aber als ich begann Philosophie zu studieren lernte ich auch, dass sehr viele okkulte Themen ihren Ursprung in alten Büchern und magischen Schriften haben. Ich habe mich dann mehr für die Quelle als für die Manifestation interessiert. Daraus entwuchs dann das Interesse für die Menschheit, den Mond, die Wölfe und all die Querverbindungen dazu. Ich könnte mir nicht vorstellen, 25 Jahre lang nur über Satan zu singen, weil sich doch wieder alles wiederholt. Ich glaube ja, dass die Menschen heute viel leichter mit einem Image als mit der Musik zu ködern sind. Wenn DEICIDE also ein schlechteres Album haben, kauft das trotzdem jeder, weil sie einerseits kultig und andererseits unheimlich böse sind. Das finden dann alle cool.

Kannst du dir vorstellen, einmal ein professioneller Schriftsteller zu werden und die Musik hintanzustellen?

Ich hoffe es und denke tatsächlich viel darüber nach. Wenn ich gut genug bin und natürlich auch die richtigen Verbindungen in diesem Business habe, dann könnte ich vielleicht eine professionelle Zukunft daraus zu gestalten. Da es mit dem Musikbusiness stark bergab geht, wäre das natürlich umso erstrebenswerter. Es ist ein charmanter Gedanke, auch wenn ich im fortgeschrittenen Alter vielleicht ruhiger touren will als Schriftsteller. (lacht) Natürlich ist das aber auch harte Arbeit, richtig gut geht es eh nur den ganz Großen, das ist in jedem Bereich dasselbe. Als wir in Brasilien tourten war ich begeistert, wie viele Fans die von mir auf Portugiesisch verfasste Bandbiografie gekauft haben. Ich hoffe, das Buch wird nicht nur auf Englisch, sondern auch auf Deutsch, Spanisch, Französisch etc. übersetzt. Wenn es dein Buch mal in Englisch gibt, dann steht dir die Welt offen.

Das wäre doch ein interessantes Konzept – ein MOONSPELL-Konzert mit einer Lesung eurer Biografie zu vermischen. Eine Metal-Lesung quasi.

Man muss in diesen Tagen ohnehin neue Territorien erforschen. Viele Bands touren heute schon mit Orchestern, Streichern etc. – es sucht ohnehin jeder etwas, das ihn vom Rest abhebt. Wir machten so etwas unlängst für zwölf Shows in portugiesischen Theatern, das war eine magische Erfahrung. Die Orchester-Show haben wir 2012 auch nach Wacken gekarrt – vielleicht wäre das auch mal ein Thema für eine ganze Tour – warum nicht?

Vor MOONSPELL gab es die Vorgängerband MORBID GOD, wo ihr mit Corpsepaint aufgetreten seid. Könntest du dir eine spezielle Show vorstellen, wo ihr so mit den alten Songs auftretet?

(lacht) Holy Shit! Vor einigen Jahren hätte ich das vehement verneint, aber mittlerweile kommt der Wolf manchmal wieder zum Vorschein und im richtigen Moment könnte man mich dazu wohl überreden. Als wir 2007 „Under Satanae“ eingespielt haben, haben wir im Lissaboner Kolosseum eine einzige Show gespielt, die nur aus Demos und alten Songs der MORBID GOD-Ära bestand. Das war der Wahnsinn. Old-School-Fans, die uns schon seit Jahren hassen und trotzdem dort waren, waren völlig aus dem Häuschen. Wenn der richtige Zeitpunkt kommt, könnte ich mir das schon vorstellen. Nicht wegen der Kohle, sondern weil es verdammt exotisch wäre und sicher für Partystimmung garantieren würde.

Im Gegensatz zu Griechenland zum Beispiel ist Portugal noch immer ein ziemlich unwichtiger Fleck auf der Metal-Landkarte. Warum gibt es da außer euch und einer Handvoll B-Liga-Bands niemanden, der Erfolg und einen gewissen Bekanntheitsgrad hat?

Diese Frage habe ich mir selbst schon oft gestellt, aber die Sache ist die, dass es den meisten an Eigenständigkeit fehlt. Das ist einfach Fakt. Erstens haben sie es natürlich schwerer, weil sie keinen Markt wie in England, Deutschland oder Schweden haben, andererseits gibt es hier halt oft die zweiten PANTERA oder die zweiten SEPULTURA – aber wer braucht das, wenn es das viel bessere Original gibt? Auch die Label waren früher schüchterner, mittlerweile nutzen sie das Exotenpotenzial und signen oft aus geografischen Gründen Bands – besser als nichts, so ehrlich muss man sein. Aber die Bands selbst kommen nur ungern aus ihrer Komfortzone, touren vielleicht ein oder zwei Mal und geben dann auf. Man braucht eben Beharrlichkeit, um aus einer isolierten Gegend, wenn man es vom Metal-Standpunkt aus betrachtet, Erfolg zu haben. Außerdem gab es dann auch Bands, die haben mit uns nicht mehr gesprochen, weil wir bei Century Media unterschrieben hatten. Was zur Hölle? Dass es diesen kindischen Underground-Gedanken überhaupt noch gibt… unfassbar eigentlich. (lacht) Eigenständigkeit ist aber das A&O. „Alma Mater“ ist definitiv MOONSPELL. Es ist Portugal, und nichts anderes. Anderen Bands fehlt das total, schade für sie.

Und du selbst – bist du heute schon mehr Mensch als Wolf?

Das wohl schon, aber wenn der Wolf man an die Oberfläche kommt, dann Gnade dir Gott. (lacht) Die Vergangenheit war aber auch freundlicher zu herumstreifenden Wölfen als die Gegenwart – die Menschlichkeit habe ich mir also auch durch die veränderten Zeiten angewöhnt. (lacht)

Wie danach das Konzert in der Wiener Szene lief, das können auch die geschätzten Kollegen Lady Cat und Rosenberger HIER sagen - enjoy!


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