Interview: GRAVEYARD - Joakim Nilsson
Ich wäre gerne Glasbläser. Oder Rauchfangkehrer. Das fände ich ziemlich cool.
"Innocence & Decadence" - so der Albumtitel der vierten, überaus starken Scheibe von GRAVEYARD. Und weil der Titel auch durchaus treffend auf die "Torpedo-Twins" Fröwein und Baumgartner umzulegen ist, haben wir die beiden Herren in die Wiener Arena zum Gespräch mit Joakim geordert.
Robert Fröwein: GRAVEYARD ist eine der jenigen Bands, die sich vor Promo-Arbeit nicht scheuen, laufend bereitwillig Interviews geben. Gehen dir bei den abertausenden Fragen auch welche ab?
Es sind schon immer wieder die gleichen oder ähnlichen Fragen, die gestellt werden, aber ich glaube, die decken das, was unsere Fans interessiert, schließlich auch ganz gut ab.
RF: In Interviews schiebt ihr der Schubladisierung, eine "Classic Rock Band" zu sein, einen Riegel vor ...
Nicht ganz, es ist schon offensichtlich, dass wir klassisch orientierten Rock spielen, es ist nicht abzustreiten, dass wir nach den 70ern klingen, aber wir gehen nicht von vornherein an die Sache heran, dass wir "altbacken" klingen müssen.
Stefan Baumgartner: Wo würdest du dich denn selbst verorten?
Ganz einfach: in der Rock Musik. Nuclear Blast geben uns auch die Freiheit, so zu klingen, wie wir gerade klingen wollen.
SB: Um euren Schlagzeuger Axel zu zitieren: Er würde sich unwohl fühlen, wenn GRAVEYARD nur als Band gesehen werden würde, die alte Klänge hervorkramt und neu aufnimmt. Er möchte Neues erschaffen. Ist es wirklich nötig, das Rad neu zu erfinden?
Nein, das nicht, aber als Musiker ist es durchaus auch ein Anliegen, deine eigene Note, einen anderen Charakter als zuvor in die Musikgeschichte einzubringen. Es ist nicht befriedigend, sich selbst oder andere Bands stets zu wiederholen. GRAVEYARD will keine Cover-Band sein, wenn du verstehst, was ich meine.
SB: Durchaus. Und gerade in diesem Genre ist es für manche Musiker unabdingbar, sich mittels bewusstseinserweiternden Stimulanzen in einen gewissen kreativen Zustand zu befördern ...
Es ist nicht einfach, in eine gewisse Grundstimmung zu verfallen, um dementsprechendes Material zu schreiben. Deswegen dauert es bei uns auch immer etwa ein Jahr, bis genügend neue Stücke vorliegen. Wir schreiben alle zusammen, es gibt keinen Haupt-Songwriter, bei uns sind es weniger externe Faktoren, als das gemeinsame Miteinander, das die Stücke langsam wachsen, entstehen und gedeihen lässt. Mittlerweile ist die Musik ja unsere einzige Verdienstquelle, demnach können wir auch die dafür notwenige Zeit dafür aufbringen. Es ist gewissermaßen unser Beruf, wenn du so möchtest. Wir gehen zwar nicht zur Arbeit, wie es andere tun, aber dennoch: Wir arbeiten zumeist acht Stunden am Tag an unserer Musik.
RF: Einer euer berühmtesten Fans ist Kirk Hammett von METALLICA. Macht dich das stolz?
Selbstverständlich. Immerhin höre ich METALLICA auch gerne, von daher ist es schon eine Ehre, von ihm geschätzt zu werden. Aber es ist nicht nur er, es gibt viele, die GRAVEYARD lobend erwähnen. Das ist schon eine Ehre.
RF: Bei welchen anderen Granden würdest du gerne Eindruck schinden?
Es würde mich nicht stören, wenn uns BLACK SABBATH gerne hören (lacht).
RF: Während der letzten Jahre habt ihr die Bühne mit Bands wie IRON MAIDEN, SOUNDGARDEN, MOTÖRHEAD und CKY geteilt. Was waren da die besten Erfahrungen?
Es ist immer wieder interessant, in die Welt dieser großen Bands einzutauchen. Es ist ein unglaublicher Automatismus, was da im Hintergrund abläuft. Es läuft wie ein fein geschmiertes Uhrwerk, alles ist genau durchgedacht und durchgeplant. Da hat alles seine Ordnung, läuft sehr professionell ab. Für uns ist es interessant, ab und an Teil einer derartig gut funktionierenden Maschine zu sein.
RF: Dabei funktioniert GRAVEYARD durchaus in unterschiedlichen Konstellationen, egal ob im klassischen Heavy Metal, im Grunge oder im Hard Rock ...
Ja, unsere Musik ist ziemlich offen dahingehend ...
Links, die stormbringerische "Innocence". Rechts, die stormbringerische "Decadence". In der Mitte: GRAVEYARD-Mastermind Joakim.
SB: Vor GRAVEYARD spieltest du mit Magnus von WITCHCRAFT in einer Band mit dem Namen NORRSKEN. Wodurch unterschied sich die Band von deiner jetzigen?
Wir waren damals noch Kinder, wussten nicht wirklich, was wir taten und amten einfach unsere alten Helden nach. Es klang schon, auch wie GRAVEYARD jetzt, nach den 70ern, aber noch einfach sehr ungeübt - sowohl was das Beherrschen der Instrumente, als auch das Songwriting betrifft. Es machte schon Spaß, aber es war eine andere Zeit, eine andere Welt. Wir nahmen das damals noch nicht ernst, soffen eigentlich die meiste Zeit nur. Ich glaube, ich kann mich an keinen einzigen nüchternen Auftritt erinnern (lacht).
SB: Folgst du Magnus mit WITCHCRAFT?
Ja, wir treffen uns ab und an. Wir leben nicht mehr in der gleichen Stadt, von daher ist die Freundschaft nicht mehr so eng wie früher, ein Aufeinandertreffen passiert seltener. Aber ja, ich höre mir ihre neuen Alben auch immer wieder an, ich bin schon gespannt auf "Nucleus". Bisher hatte ich noch keine Möglichkeit, reinzuhören.
SB: Wie sieht es mit den anderen Bands aus dem Hause Nuclear Blast aus? Seid ihr da, in eurer Sparte, wie eine "Familie" inmitten der Power-, Symphonic-, oder auch Death- und Black-Metal-Bands?
Nein, nicht wirklich. Wir haben mit KADAVAR einmal in den Staaten gespielt, BLUES PILLS treffen wir auch hie und da, aber es ist nicht so, dass wir uns laufend an einem Tisch zusammensetzen.
SB: Wir führten kürzlich ein Interview mit dem Organisator des Eindhoven Metal Meeting, der die Situation für Bands in Schweden lobend erwähnte: Schweden, so sagte er, sei ein Land, das seine Künstler wertschätzt und unterstützt.
Ja, wenn du jung bist, kannst du an einem staatlichen Förderprogramm teilnehmen, das dir unter die Arme greift. Da bekommst du dann auch etwas Geld für Proberäume und kannst dir Instrumente ausborgen. Das hilft einem zu den Anfängen enorm weiter. Natürlich sind GRAVEYARD diesem Stadium schon entwachsen (lacht).
SB: Siehst du das auch als Hauptgrund an, warum aus Schweden so viele talentierte Musiker kommen?
Es ist zumindest einer der Gründe, ja. Es ist auch irgendwie Teil unserer Tradition und Geschichte, Musik zu machen. Ein großer Einfluss ist natürlich auch die westliche Kultur, die uns im Fernsehen präsentiert wird.
SB: Warum konzentriert sich die Szene genau auf Göteborg?
Es ist eine Arbeiterstadt, ähnlich wie Birmingham. Ich glaube, hier hat man einfach das Bedürfnis, seine Geschichte zu erzählen. Und natürlich ist heute der Faktor nicht außer Acht zu lassen, dass Musik vielleicht auch wie ein Domino-Effekt wirkt: Wenn du siehst, wie viele Bands von hier kommen, ist die Verlockung größer, es auch selbst zu probieren.
SB: Du bist sicher einer der Letzten, die abstreiten, dass Kunst auch Geld kostet. Zumindest hier in Österreich haben wir jährlich die Diskussion, wie viel Fördergelder einzelne Einrichtungen "verdienen". Kann man Kunst mit einem Preis beziffern?
Nein, das natürlich nicht. Aber nachdem die Verkäufe zumindest im Musikbusiness zurückgehen, braucht es eine Unterstützung - einfach, dass die Kultur bestehen bleibt. Ich mag nur nicht von Organisationen vereinnamt werden, da ist es mir lieber, die Gelder kommen aus der breiten Öffentlichkeit. Die Kunst darf sich nicht von Einzelpersonen oder der Privatwirtschaft lenken lassen, das würde eine Gefahr bergen.
RF: Nach dem Erfolg von "Hisingen Blues" habt ihr euren Brotberuf an den Nagel gehängt. Was habt ihr eigentlich gearbeitet?
Ich war der einzige mit Job, wenn ich mich recht erinnere (lacht). Ich war Elektriker, habe elektrische Geräte gelötet und wieder zum Funktionieren gebracht.
RF: Und die anderen waren Studenten?
Nein, die haben nur mal hier, mal da gejobbt. Nichts Durchgängiges.
Joakim: ABBA und Rauchfänge statt Hexen und Drachen.
RF: Welchen Job würdest du gern einmal ergreifen, wenn du einmal nicht mehr mit GRAVEYARD dein Geld verdienst?
Darüber habe ich mir tatsächlich schon öfter Gedanken gemacht, was ich nach GRAVEYARD gerne machen würde. Ich wäre gerne Glasbläser. Oder Rauchfangkehrer. Das fände ich ziemlich cool (lacht).
SB: Warst du nervös, als du das Sicherheitsnetz eines fixen Einkommens abmontiert, zusammengerollt und im Kasten verstaut hast?
Am Anfang ja, aber ich war mir sicher, wenn es mit GRAVEYARD nichts wird, dann bekomme ich schon wieder einen anderen Job. Außerdem ist Schweden schon Sicherheit genug - wenn du einmal gearbeitet hast, verhungerst du nicht, nur weil du irgendwann einmal plötzlich kein Einkommen mehr hast.
RF: War da der Grammy für "Hisingen Blues" ausschlaggebender Grund, zu versuchen, "es" mit der Musik zu schaffen?
Es war definitiv hilfreich, ja. Ich weiß nicht, wie viel Wert das international gesehen hat, aber für die eigenen Landesgrenzen ist so eine Ehrung schon etwas, das die Türen öffnet. Weil normalerweise gewinnen den Grammy nur Bands, die auf den Major Labels ihre Heimat gefunden haben. Da waren wir, mit Nuclear Blast, die natürlich auch ein riesiges Label sind, schon etwas die Ausreißer.
RF: Ist die Erwartungshaltung nun höher als zuvor?
Nein, wir machen nach wie vor einfach die Musik, die uns gefällt - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir ruhen uns nicht auf den Lorbeeren aus. Ich könnte jetzt nicht dezidiert auf etwas hinschreiben, Musik für eine bestimmte Zielgruppe machen. In allererster Linie muss das, was wir aufnehmen, uns selbst gefallen.
SB: Jede eurer Platten hatte eine Spieldauer von beinahe exakt 40 Minuten. Glaubst du, gibt es für Musik eine bestimmte Aufmerksamkeitsspanne?
(lacht) Du bist glaube ich der erste, dem das auffällt. Wir haben in der Band so eine kleine Regel: Das Album muss auf eine Kassettenseite passen. Das erinnert mich an meine Kindheit, als ich noch Tapes überspielte und da auf jede Seite genau ein Album passte. Wir hatten auch immer neun Stücke drauf, wenn ich mich recht erinnere - außer jetzt bei "Innocence & Decadence". Aber das war nie wirklich geplant, das passierte wohl eher zufällig (lacht). Ich glaube, wenn du etwas zwanghaft in die Länge streckst, merkt man schließlich dann auch, dass man Lückenfüller mit dabei hat und das brauchen wir nicht.
SB: Euer Bassist Rikard hat euch vor den Aufnahmen zu "Innocence & Decadence" verlassen. Inwiefern hat das die Banddynamik verändert?
Bei einer klassischen Rockband-Besetzung hört man es natürlich, wenn ein Mitglied ausgetauscht wird. GRAVEYARD klingen nun sicher anders, als Rikard noch in der Band war - daraus machen wir keinen Hehl. Aber ich glaube, es war auch eine gute Erfahrung für uns, wieder einen frischen Wind in die Band zu bekommen, jemanden, der neue Ideen miteinbringt. Insbesondere, weil Truls zu den Anfängen von GRAVEYARD schon Teil der Band war, damals halt noch an der Gitarre. Natürlich war es ein Einschnitt, als uns Rikard verließ, aber ich glaube, wir haben das Beste draus gemacht.
SB: Euer aktuelles Album wurde von Johan Lindström im Atlantis Grammafon in Stockholm produziert. Johan ist bekannt für seine Arbeit mit ABBA. ABBA ist eine derjenigen Bands, die weltweit bekannt sind, ganz gleich, welcher Musikrichtung man sonst zugetan ist. Was macht die Stücke von ABBA so einprägsam?
(lacht) Eine schwere Frage! Ich glaube, die vier hatten einfach ein unglaubliches Gespür für gute Melodien. Einige Menschen haben dieses Geschick, Töne so zusammen zu reihen, dass sie sofort ins Ohr gehen und sich dort festsetzen. ABBAs Musik ist sehr direkt, GRAVEYARD hingegen muss man sich glaube ich öfter zu Gemüte führen, bis einem die Musik packt.
SB: Johan spielt auch in der experimentellen Psych-Jazz-Band TONBRUKET. Hatte seine Herangehensweise an Musik einen Einfluss auf den Klang euer neuen Stücke?
Nicht wirklich, nein. Er hatte auch weniger Anteil beim Songwriting als zum Beispiel unser Produzent davor, Don Alsterberg. Don war manchmal so etwas wie ein fünftes Bandmitglied. Diesmal schrieben wir nur zu viert, Johan hat vielleicht am Schluss hie und da noch einen Input gegeben, seine eigene Note draufgesetzt, aber eher bei der Aufnahme und nicht bei den Stücken selbst. Johan war einfach "nur" unser Produzent - hat für den richtigen Klang gesorgt und uns dazu angehalten, live aufzunehmen.
SB: Am Anfang des Gespräches hast du hervorgehoben, dass ihr euch nicht ständig wiederholen wollt. Habt ihr da einen Fünf-Jahres-Plan, wohin ihr euch entwickeln wollt, oder passiert das intuitiv?
Wir schreiben nicht Album für Album, sondern Song für Song. Von daher ist es schwer, wirklich zu planen, wie ein Album am Ende klingt. Natürlich schiebst du am Ende dann die Songs hin und her, wie sie am besten zusammenpassen - aber du weißt vorher nicht, welche Grundstimmung das ganze Album haben wird. Demnach können wir auch nicht in die Zukunft blicken und uns gewisse Ziele in kreativer Sicht stecken.
SB: Etwas, was bei jedoch bei GRAVEYARD stringent ist: Deine Texte drehen sich nicht um irgendwelche Drachentöter- und Hexenverbrennungsgeschichten. Wie wichtig ist dir eine Aussage in der Musik?
Ich glaube, wenn dir die Aufmerksamkeit einer gewissen Masse zugelenkt wird, dann ist es auch sinnvoll, wenn du über etwas Gehaltvolles singst oder sprichst. Wenn wir privat untereinander reden, dann besprechen wir auch gewisse tagesaktuelle oder generelle Dinge, die einen Einfluss auf unsere Gesellschaft haben - also warum auch nicht darüber singen? Es ist jetzt nicht so, dass wir eine politische Position mit der Band einnehmen wollen, sondern wir legen einfach nur unsere Interpretation der Welt aufs Tablett und servieren es.
RF: Gibt es Themen, denen du dich nicht widmen wollen würdest?
Nein, eigentlich nicht - so lange es gehaltvoll ist. Drachen oder Hexen, wie du vorhin so schön zusammengefasst hast, sind halt nicht unser Ding (lacht).