Interview: NAPALM DEATH - Mark "Barney" Greenway

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Ich informiere die Leute und warte mit Ideen auf - das ist meine Funktion in der Band.

Ein Talk mit NAPALM-DEATH-Mastermind Barney Greenway ist immer bereichernd, nur wenige Musiker haben ein derart breites Wissen und Interessensfeld wie der Arbeiterjunge aus Birmingham, der sich zudem als freundlicher Gentleman präsentierte.

Veröffentlicht am 01.12.2015

Die "Torpedo-Twins" waren beim Metal-Paket des Jahres wieder im Großeinsatz - unter anderem war auch ein Talk mit NAPALM DEATH-Fronter Mark "Barney" Greenway anberaumt, der sich nicht nur sportlich erschlankt, sondern trotz tighter Tourstrapazen überraschend wach und fit zeigt. Kollege Baumgartner hatte Barney sogar Jahre später noch bestens in Erinnerung, schließlich interviewte dieser den Briten schon 2012 im schmucken Hawaiihemd irgendwo zwischen Miami und Nassau auf Hoher See, was dem sympathischen Barney scheinbar bis heute nicht aus dem Kopf ging. Aber gut, unser Zottelbärtchen ist ja als gemischgeschlechtlicher Köpfchenverdreher bekannt - im Speiseraum der Simm City im Wiener Stadtteil Simmering ging natürlich trotzdem alles hochprofessionell über die Bühne. Barney referierte bereitwillig und frei von der Leber über T-Shirt-Sünden, den Israel/Palästina-Konflikt, warum eine Tourabsage nie ein Thema wäre, weshalb er keine Platten mehr sammelt und warum man als Grindcore-Ikone denselben Fußballklub wie Prinz William mögen darf.

Stefan Baumgartner: Ihr tourt derzeit ohne euren Gitarristen Mitch Harris – wie geht es ihm?

Soweit ich weiß gut, aber ich habe schon länger nicht mehr persönlich mit ihm gesprochen. Das aber nicht aus irgendwelchem Groll, sondern einfach nur deshalb, weil wir beide ziemlich beschäftigt sind und ich selbst keine Social-Media-Kanäle wie Facebook oder Twitter verwende.

Robert Fröwein: NAPALM DEATH ist ein Koloss, der mittlerweile fast 35 Jahre rennt, dabei den Tod von Jesse Pintado genauso überstanden hat, wie zahlreiche Line-Up-Wechsel, wie auch Zeiten, in denen sich kaum jemand für Grindcore interessierte. Gibt es überhaupt noch etwas, das euch aus der Bahn werfen könnte?

Natürlich, nichts ist außerhalb des Bereichs des Möglichen. Es kommt immer darauf an, wie du mit der jeweiligen Situation umgehst. Viel hängt auch von den Charakteren ab, persönliche Befindlichkeiten sollten eine Band nicht ruinieren. Wir hatten von Anfang an immer den Wunsch, das Begehren, uns durchzusetzen. Heute sind wir noch immer hier, die Band gibt es schon einige Zeit und derzeit läuft alles gut. Dass es dabei Aufs und Abs gibt, ist ja ganz normal.

RF: Ist die Band größer als die einzelnen Mitglieder, da es schon lange kein Gründungsmitglied mehr bei NAPALM DEATH gibt?

Die anderen sehen das vielleicht anders, aber ich stimme dir total zu. Als ich 1989 zur Band stieß, waren noch Jesse Pintado und Bill Steer da und alles fußte schon damals auf einem ausgeglichenen Prinzip. Es gab jedenfalls niemanden, der sich wie ein Herrscher oder Gott gebärdete. Sollte das jemals passieren, gibt es genug andere Leute, die ihn wieder runterholen können. Möglich ist alles, es kommt immer darauf an, welche Personen sich in der Band befinden, aber die Gleichheit untereinander und in der Arbeitsweise war uns immer wichtig.

RF: Das derzeitige Line-Up steht seit etwa 1991 ziemlich stabil – was ist das Geheimnis dahinter?

Wir haben nie zugelassen, dass uns gewisse Dinge runtergezogen haben. Wir haben oft den richtigen Moment erwischt, aber auch immer die nötige Dosis Leidenschaft für die Band besessen. NAPALM DEATH ist eine sehr positive Band, auch die Lyrics zielen darauf ab, dass sie am Ende immer eine gute Richtung einschlagen. Mit so einer Einstellung lassen sich auch bandinterne Probleme viel leichter lösen und regeln.

RF: Würdest du NAPALM DEATH immer noch als eine DIY-Band bezeichnen?

Ich denke schon. Die Art und Weise, wie wir arbeiten und welche Zugänge wir zu dieser Band haben, ist mit Sicherheit DIY-Mentalität. Wir sind auf jeden Fall sehr bestimmend zu entscheiden, was wir machen oder auch nicht. Da sind sicher auch Sachen dabei, wo andere Bands einknicken würden. Alleine deshalb lebt dieser DIY-Geist mit Sicherheit noch in uns.

SB: Bands wie METALLICA oder MEGADETH waren anfangs sehr rebellisch, mit dem Erfolg hat sich das aber geändert. Ich finde es sehr erfrischend, dass das bei euch nicht der Fall ist.

Unsere Aufsässigkeit ist nichts auf dem Reißbrett Entworfenes, nichts Kalkuliertes, sondern ist ein naturgegebenes Gefühl. Die Rebellion kommt von dir als Person – dort wird entschieden, wie du tickst und auf bestimmte Sachen reagierst. Du kannst sowas nicht planen, du bist es oder bist es nicht – und in unserem Fall ist es gleich ein ganzes Kollektiv, das ähnlich denkt. Andere Bands verkaufen heute sicher mehr Alben wie wir, aber ihre Perspektiven haben sich über die Jahre auch geändert. Jeder, wie er will.

SB: Wie wichtig ist dir die Botschaft der Texte neben der Musik?

Das Wort „Botschaft“ geht mir zu wenig weit, es ist einfach die Art und Weise, wie wir unser Leben leben. Es geht um die Menschheit an sich, das geht weit über eine Botschaft hinaus. Eine Botschaft klingt oft so, als ob sie nur den Sound verstärken soll und austauschbar ist, aber das ist in unserem Fall nicht richtig.

SB: Es gibt aber auch Leute, die sich darüber beklagen, dass ihre eure Inhalte von der Bühne predigen würdet.

Wie kannst du das vermeiden? Das ist die Sichtweise dieser Leute, dagegen können wir auch nichts machen. Sie haben ihr gutes Recht dazu, aber sie könnten sich auch genauer mit unseren Texten auseinandersetzen, darüber nachdenken. Als Sänger bist du in der Situation, dass du entweder etwas zu sagen hast oder eben nicht. Wie entscheidest du dich? Alles, was ich in meiner Funktion in dieser Band je gemacht habe, war, die Leute zu informieren und mit Ideen aufzuwarten – das war’s auch schon. Die Leute werden heute schon so erzogen, dass sie über gewisse Themenkomplexe nicht mehr nachdenken und sprechen sollen. Das könnte ja ein Nachteil sein – aber warum? Du bist ein verdammter Mensch und diese Welt ist nur das Spiegelbild davon, wie alles läuft. Willst du dein Leben wirklich mit einem Tunnelblick verbringen? Ich glaube nicht. Lass uns lieber wachsam sein.

SB: Wenn wir zum Kapitalismus kommen – euer neues Album „Apex Predator – Easy Meat“ gibt es auch in den verschiedensten Verpackungen und Editionen, was auch die Sammler anlockt. Wie stehst du dazu?

Es ist unmöglich, sich dem Kapitalismus komplett zu entsagen. Sollen wir keine Alben mehr veröffentlichen? Die Leute kaufen unsere Sachen gerne und wir haben auch viele Sammler unter den Fans. Wir bescheißen die Leute aber nicht, indem wir eine Platte in x verschiedenen Vinylfarben veröffentlichen. Hier und da gibt es vielleicht spezielle Sammlerboxen, aber wir haben nie eine Tradition daraus gemacht. Damit habe ich auch kein Problem. Wenn wir in einer Welt leben würde, in der absolut kein Geld mehr existieren würde, dann kannst du darüber reden. Aber dem ist nicht so. Natürlich tritt der Kapitalismus die Menschen in den Rinnsteinen, aber Geld existiert nun einmal. Das wäre dann auch ein ganz eigenes Thema.

SB: Bist du selbst ein Sammler?

Ich war früher einmal einer, aber ich habe auch keinen Platz dafür. Derzeit lebe ich in einer verdammt kleinen Ein-Zimmer-Wohnung – wohin damit also? Ich habe schon noch eine Plattensammlung, aber ich erweiterte sie nicht mehr. Selbst wenn ich versuche, noch Platten in die freien Lücken zu quetschen, habe ich Probleme, weil ich damit die Sleeves ruinieren würde. So toll Vinyl auch ist – es nimmt dir einfach so viel Platz weg. Ich habe über die Jahre gut zwei Boxen voller sentimental und persönlich wertvoller Platten bei Umzügen verloren – das hat mich fertiggemacht. Das ist auch ein Grund, warum ich nichts mehr sammle, ich will nichts mehr verlieren. Wahrscheinlich ist das Zeug schon in den Untiefen von ebay verschwunden.

SB: Hast du noch alle Exemplare von NAPALM DEATH?

Ja, ich habe alles. Auch die ganzen alten Sachen, die Demos von früher und so weiter. NAPALM DEATH war immer meine Lieblingsband – schon lange, bevor ich selbst einstieg. Ich habe alle Flexi-Discs, die 7‘‘-Inches und alles andere. Da fehlt nichts.

RF: Zurück zum Kapitalismus – was denkst du über die schwedischen Hardcore-Legenden REFUSED, die eine Reunion vehement ausgeschlossen haben und jetzt nach 17 Jahren diesen Frühling mit einer brandneuen Platte aufgetaucht sind?

Ich will mich dazu gar nicht äußern, schließlich müssen sie selbst wissen, was das Richtige für sie ist. Es ist ganz normal, dass die Menschen immer versuchen, mich zu einer Kritik anderen Musikern gegenüber zu bewegen, aber dazu habe ich keine Meinung. Es muss jeder das machen, was ihm als wichtig erscheint. Natürlich mag ich manches, und manches nicht, aber ich habe oft einfach gar keine Meinung zu etwas. Ich kenne sie nicht als Personen, und auch nicht ihre interne Bandsituation – es steht mir nicht zu, darüber Urteil abzugeben. Zudem sind sie eine Band, die ihre Meinung vertritt, die stets aufstand und rebellierte – ich finde es also gut, dass sie damit wieder da sind. Manchmal ist es verdammt einfach, auf einem schmalen Vorsprung zu sitzen und auf jemanden zu zeigen. Wenn du etwas kritisieren willst, dann mach es bei den Dingen und Institutionen, die es wert sind, die eine Veränderung hervorrufen können – nicht bei Bands.

Kräftig erschlankt und mit der gewohnten Dosis Gesellschaftskritik ausgestattet - NAPALM-DEATH-Sänger Barney

RF: In aller Munde ist zurzeit auch die US-Death-Metal-Band CATTLE DECAPITATION, die sich sehr stark auf sozialkritische, ökologische und politische Themen besinnt. Ist es wichtig, dass Extreme-Metal-Bands wichtige Themen und einen Inhalt haben?

Es ist weder wichtig, noch unwichtig. Jeder hat seine eigenen Beweggründe, warum er sich in diese oder jene Richtung bewegt und mir steht es nicht zu, zu urteilen, ob etwas wichtiger ist als das andere. Das wäre dämlich.

RF: Anders gesagt – hörst du dir lieber Texte von CATTLE DECAPITATION an, oder solche wie die von CANNIBAL CORPSE, die vor brutalen Metal-Klischees nur so triefen?

Gute Frage. Auch das sind zwei ganz verschiedene Dinge. CANNIBAL CORPSE zu hören ist so, als ob du einen Horrorfilm siehst. Es mag manchmal grauslich und ekelhaft sein, aber du weißt, es ist nicht echt. Andererseits ist es natürlich großartig, wenn CATTLE DECAPITATION sich um relevante, realistische Themen kümmern. Ich tue mir aber schwer damit, die beiden Bands in einen Topf zu werfen, dafür ist mir das alles zu unterschiedlich. Jede Band hat seine Vor- und Nachteile. CATTLE DECAPITATION machen sich wahrscheinlich mehr Gedanken über die Lyrics, aber vergleichen kannst du die Bands trotzdem nicht.

SB: Könntest du dir vorstellen, dir eine rechtsgerichtete Band anzuhören, wenn dir die Musik gefällt?

Ich persönlich nicht, aber da muss jeder für sich selbst eine Linie ziehen, wie weit er da beim Hören geht. Ich selbst möchte so etwas nicht in meiner Sammlung haben und auch niemanden mit meinem Geld unterstützen. Wenn CANNIBAL CORPSE wie ein Horrorfilm sind, dann sind CATTLE DECAPITATION eine extreme Visualisierung von gesellschaftlichen Verfehlungen und GRAVELAND etwas, das für mich nicht tragbar ist. Ich will ihnen damit aber nicht ihr Dasein absprechen, denn so beschissen sie für mich auch sein mögen, sie haben durchaus die Berechtigung ihre Art von Musik zu machen.

SB:  Wenn wir schon bei Menschlichkeit sind – als überzeugter Darwinist, der du bist, wohin entwickelt sich Europa, wenn man sich die aktuelle Flüchtlingslage ansieht?

Das kann wohl niemand mit Gewissheit sagen. Wenn wir noch 3.000-4.000 Jahre abwarten, dann können wir einmal bilanzieren, was die Evolution gebracht hat. Hier geht es aber auch nicht primär um die Evolution, sondern um die Migration – das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Grenzen werden wahrscheinlich an verschiedenen Stellen hochgefahren werden und – lass uns ehrlich sein – das wird einer Handvoll Leuten in die Hände spielen, aber nicht der breiten Masse. Am Beginn der Menschheit war die Migration ein Riesending, es gab viele verschiedene Formen davon. Welche Fähigkeiten hatte jemand, was hat er geistig drauf, woher kommt er? Im Prinzip besteht die Menschheitsgeschichte aus Zyklen der Migration und derzeit ist gerade wieder eine dieser Zeiten. Diese Menschen sind aber keine Objekte, sie verdienen Würde, Respekt und ein Dach über dem Kopf. Ich habe derzeit leider eher ein negatives Gefühl, was die Zukunft angeht. Die Leute müssen verstehen anfangen, dass das ein natürlicher Lauf in der Geschichte ist. Speziell in den letzten Jahrhunderten haben Herrscher ihre Königreiche vergrößert oder verändert, um neue Landgebiete zu erschließen. Heute bereuen viele, was früher passiert. Die Briten mit ihren Kolonien oder auch die österreichisch-ungarische Monarchie würde ich da dazuzählen. Man muss einfach akzeptieren, dass Migration immer wieder passiert. Die Leute riskieren ihr verdammtes Leben und sterben beim Versuch dabei, einfach nur ein Zuhause zu haben. Das ist Wahnsinn.

SB: Die Rechtsparteien erhalten derzeit dadurch ungemeinen Zulauf …

Natürlich, das ist immer so in solchen Epochen, wenn es derartige Völkerverschiebungen gibt.

SB: Glaubst du, dass sich die Nazis – frei nach „Nazi Punks Fuck Off“ – jemals verpissen werden?

Schwierig, derzeit ist das Thema intensiver als in den letzten Jahren. Schau nur mal rüber nach Ungarn, wo die Jobbik-Partei extrem populär ist. Sogar in Tschechien, die im Prinzip eine sehr liberale Geschichte haben, beginnt es mittlerweile zu rumoren und die Rechtsparteien kriegen massiven Zulauf. Es wird interessant sein zu sehen, wohin das alles noch geht. Wenn das so weitergeht, wird es in Europa wieder mehr Kriege geben. Wenn die Bürger einmal die Auswirkungen der derzeitigen Bewegungen auf ihr eigenes Leben realisieren, dann könnten daraus Bürgerkriege entstehen, so wie in Spanien in den 30er-Jahren. Wenn man den Balkan-Krieg ausklammert, gab es in Europa seit mehr als drei Jahrzehnten keinen Krieg mehr, dieser Kontinent ist im Prinzip gesegnet. Aber solche Dinge passieren. Mir wäre es auch lieber, dass alle in Frieden leben können, aber die Leute lernen bekanntlich nie aus der Geschichte und bleiben immer gleich dämlich.

RF: Nach den Anschlägen der IS unlängst in Paris – hast du Angst zu touren?

Nein, ich habe keine Angst, das war auch nie so. Sobald du nicht mehr frei heraus deine Meinung sagen oder einfach wo live spielen kannst, wenn du dir das alles nicht mehr zutraust, dann solltest du besser aufgeben. Dann fütterst du nur diese faschistischen Ideologien, dass du dich unterdrücken und einschüchtern lässt. Als Europa einst von den Nazis überrollt wurde, haben die Menschen da aufgegeben? Natürlich – ein paar sind mitgelaufen, aber die meisten haben einfach nie aufgegeben, es war gar kein Thema für sie. Andererseits brauchst du dich nicht dafür entschuldigen, was in Paris passiert ist. Man muss auch mal darauf reagieren. So wie sich die Israeli oft in Palästina verhalten haben – da kannst du nicht allen Ernstes erwarten, dass das keine Gegenreaktionen hervorruft. Staaten können sich heute nicht mehr so benehmen, das ist absolut inakzeptabel. Das kannst du dann auf alle Situationen des Lebens umlegen – nichts gefallen lassen und zu deinem Standpunkt stehen.

RF: Was denkst du über Musiker wie Roger Waters, der sich so klar zu Palästina positioniert, dass er sogar aufgehört hat in Israel Konzerte zu spielen und auch sonst nichts mehr Nettes über den Staat zu sagen hat?

Das ist für mich eine zu radikale Sichtweise. Israel hat natürlich das Recht zu existieren, schließlich leben dort Menschen, die auch ihren Frieden haben wollen. Was ich nicht toleriere, ist die Art und Weise, wie sich Israel als Staat anderen gegenüber verhält. Sie beschießen Menschen, die sich nicht wehren und verteidigen können, in deren eigenen Häusern und Farmen. Das kann einfach nicht richtig sein. Waters‘ Statement geht mir aber zu wenig weit, das ist mir zu allgemein gehalten. Jeder Mensch auf diesem Planeten verdient es, in Frieden zu leben. Egal, ob das jetzt ein Israeli oder ein Palästinenser ist.

The leader and his followers - Barney mag Shirts von Popstars, DIY-Mentalität und heile Knochen

SB: Kommen wir zu etwas leichterer Kost. Du bist unlängst in Russland mit einem JUSTIN BIEBER-Shirt auf die Bühne gegangen, der wiederum ließ sich in einem METALLICA-Shirt ablichten. Kendall Jenner trug ein SLAYER-Shirt und die revanchierten sich ihrerseits mit einem „Kill The Kardashian“-Shirt. Was all diese Dinge gemein haben – die Leuten haben sich darüber beschwert, über jede dieser Aktionen. Warum ist das so? Weshalb regen sich Menschen so darüber auf?

Keine Ahnung, wen interessiert’s? Das ist doch alles nur Spaß. Das ist jetzt vielleicht ein albernes Argument, aber einer der Gründe für mein BIEBER-Shirt war einfach eine Art Protest gegen dieses dumme Gesetz in Russland, das alle alternativen und nicht herkömmlichen geschlechtlichen Ausrichtungen verpönt. Mit dem BIEBER-Shirt sah ich ziemlich feminin aus, mehr war da nicht dahinter. Das war eine Art Protest auf meine kleine Art (lacht).

SB: Mit „You Suffer“ habt ihr in den späten 80er-Jahren wohl den kürzesten Song der Musikgeschichte erschaffen, generell ist der Grind eine Sparte mit kurzen, knackigen Nummern. Glaubst du, dass es für Grindcore eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne gibt?

Nein, ich denke nicht. Unsere Musik hat aber viele verschiedene Schichten, das erkennt nur nicht jeder auf Anhieb. Für uns zählt immer das Gesamtpaket. Die Musik, die Texte und die Kunst am Artwork. „You Suffer“ könnte für manche oberflächlichen Menschen als dummer, witziger Song angesehen werden, aber das ist nicht wahr. Er ist ziemlich pathetisch, weil er in der Luft hängt. Es heißt „You suffer, but why?“ – dazu kann jeder eine Verbindung zu sich selbst aufbauen, ausnahmslos.

SB: Du hast selbst lange als Musikjournalist für verschiedene Magazine gearbeitet, wie siehst du die Zukunft des Berufsstandes?

Diese Frage kann ich eigentlich nicht beantworten, wer weiß das schon? Ich schreibe auch deshalb nicht mehr, weil es mich irgendwann gelangweilt hat. Es war nicht mehr aufregend für mich und ich wollte auch nicht mehr über Bands urteilen. Warum, habe ich vorher schon erwähnt. Mir ist das egal – es muss jeder machen, was er will. Ich mische mich da nicht ein.

RF: Du bist auch bekannt dafür, dich auf der Bühne schon des Öfteren ordentlich verletzt zu haben. Dave Grohl und seine FOO FIGHTERS haben aus seinem gebrochenen Bein unlängst Kalkül geschlagen und die Tour als „Broken Leg“-Tour verkauft. Wäre das auch eine Idee für euch?

Ich habe mir erst unlängst in den USA meinen Handknöchel gebrochen und bei den ersten Shows danach habe ich jedes verdammt Wort meiner Vocals bis tief in die Hand gespürt. Ich habe innerlich geweint, weil es so wehgetan hat – aber natürlich haben wir das durchgezogen. In Serbien haben wir einmal eine Show gespielt, da bestand die „Bühne“ aus zwei Tischen, die irgendwie schief gestellt waren. Ich sprang gegen Ende des Sets in die Höhe, landete im Spalt verbog mir meinen Knöchel, zudem habe ich mir die Bänder im Bein gedehnt. Das hat verdammt weh getan. Im Van musste ich meinen Fuß immer über den Sitzen hochlagern, aber die Shows haben wir trotzdem alle gespielt. Auch Mitch hat immer gespielt, obwohl er sich einmal das Bein brach, dann halt im Sitzen – möglich ist das alles. Wenn du schon das Gefühl hast, dass es gehen könnte, dann mach’s einfach.

RF: Brauchst du auch ein bisschen den Schmerz, um auf der Bühne so in Fahrt zu kommen?

Nein, das auf keinen Fall (lacht). Ich wäre am liebsten immer fit und gesund. Es gibt sicher Leute, die das brauchen, aber ich gehöre mit Sicherheit nicht zu denen.

SB: Ich habe euch mittlerweile sicher zehn oder 15 Mal live gesehen und du bist bekannt dafür, auf der Bühne komplett abzudrehen. In welcher geistigen Verfassung bist du während des Sets?

Ich schalte einfach total um. Wenn ich auf die Bühne gehe, dann stehe ich unter Strom, das ist so, wie wenn du das Licht einschaltest nach der Dunkelheit. Zwischen den Songs weiß ich dann schon wieder genau, was ich sagen will, da kehre ich zurück zur Realität. Ich liebe aber die Energie auf der Bühne, das kommt von den frühen amerikanischen Hardcore-Bands. Die hatten so eine Kraft, eine Energie auf der Bühne, das war beispiellos. Wenn ich mir Videos ansehe, dann bin ich wie weggeblasen von der Attitüde, die solche Bands hatten. Ich bewundere das und das hat mich sehr inspiriert.

RF: Vermisst du diese Energie bei den moderneren Hardcore-Bands? Fehlt es denen an dieser Attitüde?

Die Mainstream-Bands sind nicht so wild unterwegs, das stimmt. Aber dann gibt es so etwas wie TERROR. Ob man sie mag oder nicht mag, aber Scott Vogel ist ein Tier auf der Bühne. Man darf dann auch keinesfalls den Underground vergessen, viele Bands und auch Fans von dort sind auch von den alten Zeiten inspiriert, das stirbt also nicht aus.

RF: Welcher eurer Songs würde die pure Essenz von NAPALM DEATH beschreiben?

Das kann ich so nicht sagen, das wären dann verschiedene Parts zusammengefügt von unterschiedlichen Songs. Es gibt einfach zu viele Songs, die diese Essenz wiederspiegeln, ich könnte mich nie für nur einen entscheiden.

RF: Du bist bekanntermaßen ein großer Fan des britischen Klubs Aston Villa FC, die derzeit eine wahre Scheißsaison spielen. Der berühmteste Fan dieses Klubs ist Prinz William – wie geht es dir damit als deklarierten Gegner der Monarchie?

Der Primeminister als bekannter Konservativer ist auch Fan von Villa, schon lustig, wie unterschiedlich sich so ein Publikum zusammensetzen kann. Ich kann damit aber leben, schließlich ist es unmöglich, dir ein perfektes Leben einzurichten. Das ist nun einmal so, was soll’s. Aston Villa ist mein Team seit ich ein Kind bin, das sucht man sich nicht aus. Ich würde die Truppe auch nicht als Working-Class-Team bezeichnen, da würden die Prominenten ja nicht mehr dazupassen. Ich und der Verein kommen aber aus einem der ärmsten Viertel Birminghams, wo auch die Typen von BLACK SABBATH groß wurden. So etwas prägt dich und darin liegt auch die Ironie. Einerseits liegt die Heimat des Teams in einem Areal voller Armut und Beschäftigungslosigkeit, andererseits rühmen sich zig Prominente als Fans der Truppe.

RF: Der Lokalrivale Birmingham City ist somit kein Working-Class-Team?

Die Frage ist doch eher, wie definiert man ein Working-Class-Team? Jede Mannschaft hat auch bekanntere Fans. Ich hasse das Klassensystem sowieso und würde es gerne abschaffen. Ich meine damit nicht, dass man die Mittelschichtmenschen oder die Reichen bei lebendigem Leib verbrennen sollte, das keinesfalls, aber das Gleichgewicht muss hergestellt sein. Ich glaube, es gibt einfach kein typisches Working-Class-Team, das gibt es so nicht mehr.

RF: Wäre es für dich interessant, mal eine Art Vereinshymne für deinen Klub zu verfassen?

Nein, das wäre nicht interessant für mich, da habe ich keine Lust dazu.

RF: Wenn du dir eine Band statt NAPALM DEATH aussuchen könntest, in welcher wärst du gerne?

Definitiv in MOTÖRHEAD. Diese Jungs sind unerreicht, absolut. Es ist schade, dass Philthy Animal vor kurzem gestorben ist. Für mich ist MOTÖRHEAD die erste extreme Band der Musikgeschichte. Natürlich könntest du in der Historie noch weiter zurückgehen und BLACK SABBATH heranziehen, aber Lemmy und Co. waren die ersten, die richtig aggressiv und schnell waren. Das ist bis heute unerreicht.


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