Interview: VOIVOD - Denis „Snake“ Belanger

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Ohne unsere Fans wären wir gar nichts, wir würden zu Hause sitzen und Däumchen drehen.

33 Jahre im Business, da kann man schon etwas erzählen. Ein bestens gelaunter VOIVOD-Fronter Denis „Snake“ Belanger vertrieb sich im Rahmen der Deathcrusher-Tour ein wenig die Zeit, um Stormbringer ein paar Fragen zu beantworten.

Veröffentlicht am 10.12.2015

Robert Fröwein: In euren Anfangstagen, als ihr hauptsächlich Covers eurer Heroes MOTÖRHEAD, VENOM etc. gespielt habt, gabt ihr euch Pseudonyme wie "throat, scream, insults, mike torture & weapon operator" - wie siehst du das heute?

Das war einfach lustig, auch so etwas wie ein Trend und es klang besser als einfach Gitarre oder so Zeugs zu sagen. Das war so, als ob man sich einen Spitznamen zulegen würde und ist ein Part unserer Geschichte, als es damals losging.

RF: Glaubst du, dass ein Image heute gar nicht mehr so wichtig ist wie vor 30 Jahren?

Es ist schon anders, obwohl auch heute viele Bands auf ein markantes Image setzen, wie z.B. CRADLE OF FILTH oder SLIPKNOT. Bei uns hing es damit zusammen – als wir immer komplexer wurden ist auch unser Image samt unseren Outfits irgendwie abhandengekommen, wir haben uns einfach mehr auf die Musik und weniger auf unser Image fokussiert.

RF: Aber eure wirklichen Namen verwendet ihr immer noch nicht.

Reini Reither: Wobei das ist ja schon in den Köpfen der Menschen verankert.

Exakt. Mittlerweile ist es unmöglich den Leuten zu sagen „You Call Me Denis Allright“! Das ist vorbei.

RF: Niemand würde mehr eure Platten kaufen, weil die Fans nicht wüssten, ob ihr die richtigen seid!

RR: In euren Anfangstagen wart ihr ja mehr eine Punk-Band, auch, weil damals Punk und Thrash sehr zusammenhingen. Wie seid ihr vom rohen, punk-beeinflussten „War And Pain“ zum exorbitant guten, schon mit etlichen progressiven Zügen versehenen „Killing Technology“ gekommen?

Als wir anfingen war Piggy derjenige, der musikalisch schon enorm weiterentwickelt war, er war auch um einiges älter als wir. Noch dazu wurde Piggy schon relativ früh in seiner Jugend mit progressiver Musik konfrontiert, das war wie ein Teil von ihm. Auch wenn wir zu anfangs reine Thrash-Alben mit Punk-Einflüssen veröffentlicht haben, hob sich Piggy die progressiven Sachen solange auf, bis auch wir in der Lage waren, sie umzusetzen. Wir waren ja bis auf Piggy richtig grün hinter den Ohren, ich habe vor VOIVOD noch in keiner anderen Band gesungen, Michael (Away) war okay, Blacky eher so und so, aber tight waren wir alle drei zu dieser Zeit nicht. Langsam brachte uns Piggy in die Richtung, einen eher progressiven Ansatz in unserer Musik zu finden. Als wir anfingen hatten wir ja eher das Ziel, die extremste Band von allen zu sein. Das erste Album, wenn du dir heute einige Reviews so durchliest, das war „horrible“. Andererseits gerade weil wir so extrem waren, haben die Leute das Album auch gekauft.

RF: Aber dies passierte ja an sich eh allen extremen Bands oder?

Stimmt, wir behaupteten damals ja, wir seien die schlechteste Band on Earth!

RR: War das in etwa so, dass Piggy euch an den Händen genommen und in eine progressivere Richtung geführt hat?

Nein, wir waren sogar froh über die Kritiken, sicher wussten wir, dass viele gerade wegen Floskeln wie „Worst Thing“ und „Baddest Album“ anspringen würden, „Rrröööaaarrr“ war dann ja schon ein nahezu reines Thrash-Album, weil damals gerade die Bay-Area-Geschichte anfing. Als wir dann mit den Arbeiten zu „Killing Technology“ starteten, lag der Fokus eindeutig darin, uns auf verschiedenste Einflüsse einzulassen, auch außerhalb des Metal-Genres, wobei „Killing Technology“ natürlich nach wie vor ein Metal-Album war.

RR: Der nächste Schritt war dann „Dimension Hatröss“ mit seinem einzigartigen Sound. Ihr habt angefangen mit Synthesizers zu arbeiten, wie so viele Industrial-Bands zu dieser Zeit, was dem ganzen Album diesen eigenwilligen Sound gab. Natürlich war „Dimension Hatröss“ noch einmal um einiges progressiver, ihr müsst ja während der Proben zu diesem Album geradezu geblutet haben, speziell die Instrumental-Fraktion?

Für uns war es die logische Entwicklung nach „Killing Technology“. Wir waren damals bei Noise Records, haben in Berlin aufgenommen…

RR: Mit Harris Johns.

Yeah, mit Harris Johns in den … wie hießen die wieder?

RR: Music Lab Studios.

Music Lab, genau. Für uns war "Killing Technology“ von den Aufnahmen her eine gute Erfahrung, nicht nur unsere Plattenfirma, auch wir wollten also wieder in Berlin aufnehmen, auch um die gleichen Vibes wieder zu spüren. Gerade Berlin zu dieser Zeit, die Mauer war noch da, Helikopter patrouillierten, die Checkpoints - für uns war das irgendwie eine gute Umgebung um Musik zu kreieren.

RR: Wie herausfordernd war es für dich als Sänger, dieses progressive Monster einzusingen?

VOIVOD-Alben sind immer herausfordernd für mich, das ist komplexe Musik, da geht es nicht einfach so Vers, Refrain, Vers, Refrain. Das ist eher „Okay, where you guys are going?“ oder „What the fuck is this?“, und auf dieses Gerüst musste ich dann die passenden Wörter einbauen, das war verdammt hart. Es ist sogar heute noch, mit all meiner Erfahrung die ich habe, hart. Wenn du so komplexe Musik schreibst, in die du dann auch noch die passenden Worte einfügen musst, das ist wie ein Puzzle, noch dazu sollte es dann in eine Art Story verpackt werden, wo alles zusammenhing. Besonders Piggy war da sehr herausfordernd für mich: „I want a solo there“, ich wiederum „Hmm Piggy, ich würde hier eher einen Vocal-Part sehen“ - „No no no, I want my solo here!“. Piggy war schon eigen in dem was er auf einem Album hören wollte, aber schlussendlich waren wir immer alle happy mit dem, was dabei herausgekommen ist. Es ist auch sinnvoller das große Ganze zu sehen, anstatt einfach ein paar Fragmente hier oder dort in den Vordergrund zu drücken.

Voivod-Interview

Die Stormbringer-Recken Robert Fröwein und Reini Reither mit einem bestens gelaunten VOIVOD-Sänger Snake.
Pic by KBK-Images

RR: Dann kam „Angel Rat“, wahrscheinlich jenes  VOIVOD-Album, welches seiner Zeit am meisten voraus war. Aber gerade dieses Album hat etliche andere Bands immens beeinflusst, FAITH NO MORE zum Beispiel. Wie fühlt sich das an, wenn man sich bewusst ist, seinen Fingerabdruck bei solchen Band hinterlassen zu haben?

Super, ich kenne ein paar Leute, die uns als Einfluss nennen, etwa Dave Grohl.

RR: Auch MUSE bzw. TOOL.

Das führt mir immer wieder vor Augen, was ich in meinem Leben schon alles zusammengebracht habe, aber dennoch liegt mein Fokus weniger in der Vergangenheit, sondern eher in dem, was als nächstes ansteht. Dennoch ist es natürlich ein riesiges Kompliment, wenn gewisse Musiker sagen unsere Musik wäre für sie eine Inspirationsquelle gewesen. Ich meine, Dave Grohl Mann, sogar in manch einem FOO FIGHTERS-Song kann man Piggy-Chords heraushören, das ist für mich dann immer so ein Moment „OK Piggy is still here“, das ist gut!

RF: Ihr habt ja sowieso mit etlichen Musikern zusammengearbeitet. Nicht nur mit Dave Grohl, auch mit Ivan Doroschuk von MEN WITHOUT HATS. Wer war denn die interessanteste Person, mit der ihr so zusammengearbeitet habt?

Dave Grohl, der ist schon ein spezieller Typ. Ich hab mit ihm ja auch das PROBOT-Projekt gemacht. Damals kannte ich ihn schon, er hat mir dann alles zugeschickt und ich hab meine Vocals aufgenommen und er war „completely blown away“. Wir haben uns dann auch getroffen, seine damalige Freundin war ja MELISSA AUF DER MAUR (Anm.: kanadische Rockmusikerin, ex-SMASHING PUMPKINS), und die stammte aus Montreal. Wir trafen uns da also in dieser Bar und er meinte nur „I got the tape man, it’s fucking great!“. Die Release-Party war dann in New York, zwei Jahre nachdem ich meine Vocals eingesungen hatte, das dauerte echt eine Weile und der ganze Medien-Marathon war ein Wahnsinn. Wir pilgerten von Radiostation zu Radiostation, da lernte ich Dave aber auch persönlich näher kennen und er hat einen vorzüglichen Humor und lebt einfach für seine Liebe zur Musik. Er ist talentiert, er grinst immer, „He is killer!“.

RF: Er ist noch dazu einer der wenigen, der mit zwei verschiedenen Bands Erfolg hatte.

Yeah, auch Jason Newsted. Ein weiterer Charakter, der voll und ganz in seiner Musik aufgeht, unabhängig von jeglichen Trends. Der Kerl war in METALLICA und wollte dann unbedingt zu VOIVOD. Er sagte immer: „Ich habe in zwei meiner absoluten Lieblingsbands gespielt“.

RF: Gab es eigentlich eurerseits Bemühungen Jason wieder in die Band zu holen, nachdem Blacky wieder mal raus war?

Jason hat mittlerweile einen anderen künstlerischen Zugang, er malt sehr viel und es spielte auch eine große Rolle, dass Piggy nicht mehr da ist. Er hat das zwar nie ausgesprochen, aber dies ist meine tiefste Überzeugung.

RF: Aber ihr wolltet schon, dass er zurück kommt?

Wir spielten das so, dass wir ihn spüren ließen, wir wären interessiert. Ich persönlich weiß aber, dass Jason mittlerweile mit seinen Gedanken woanders ist. Er hat ja auch seine eigene Band NEWSTED am Laufen und es ist nun mal verdammt schwer, zu viele Sachen unter einen Hut zu bekommen. Wir haben ihn am Hellfest getroffen, NEWSTED haben vor uns gespielt und er kam für einen Track zu uns auf die Bühne. Was soll ich sagen, es war perfekt. Aber wir kennen das ja alle, wenn du in verschiedenen Bands spielst ist es ungemein schwierig einen passenden Zeitplan für all deine Aktivitäten zu finden. Was auch ein Grund war, dass wir uns für einen „Home Boy“ entschieden haben. Rocky ist ein sehr, sehr enger Freund von Chewy, die beiden haben schon in diversen Projekten zusammengespielt, da war die Connection schon von vornherein gegeben und darüber hinaus ist Rocky ein supercooler Typ.

RF: Was war eigentlich der Grund für die Trennung von Blacky letztes Jahr?

RR: Again.

Yeah again. Erzählen wir eine lange Story kurz: Blacky hat seinen eigenen Charakter und es wird mit ihm relativ schwierig, wenn wir länger zusammen sind. Was dieses Mal passierte, war im Endeffekt dasselbe wie schon beim letzten Mal. Es wird einfach super kompliziert mit Blacky zusammenzuarbeiten, vor allem in einem Team. Gerade als Band muss man aber teamfähig sein. Ich will jetzt nicht sagen, Blacky hätte nichts mehr beigetragen, im Gegenteil, aber es war einfach mühsam mit ihm und schlussendlich war es sogar seine Entscheidung. Es gab und gibt eben Dinge, die wir anders sehen bzw. sahen als er, und das hat dann auf Dauer wieder einmal nicht funktioniert.

Hatte viel zu erzählen: Denis „Snake“ Belanger
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RF: Ich habe ein Video gesehen, wo ihr einem Fan einen ganzen Tag auf Tour gewidmet habt, stimmt das?

Wann war das?

RF: Keine Ahnung, im Internet habe ich das Video gesehen, es enthält Live-Footage und dergleichen und der Fan ist den ganzen Tag bei euch.

Really?

RR: You missed a whole day in your life!

Alles was ich dazu sagen kann ist, dass wir sehr offene Leute sind, die auch immer den Kontakt zu ihren Fans suchen. Wir sind fast immer beim Merch-Stand, immer kommunikativ, der Kontakt mit den Fans ist immens wichtig, das sind diejenigen, die unsere Platten und unser Merch kaufen. Ohne unsere Fans wären wir gar nichts, wir würden zu Hause sitzen und Däumchen drehen. Obwohl es nicht immer einfach ist, sich nach einer Show den Fans zu stellen. Erst kürzlich waren ein junges Mädchen und ihre Mutter bei einem Konzert, das Mädchen wahrscheinlich so 16 Jahre oder so, Rocky hat die dann Backstage geholt, für die beiden war das ein Wahnsinnserlebnis, die Jungs von CARCASS und von NAPALM DEATH waren auch dabei, für die ist ein Traum in Erfüllung gegangen.

RF: Wie sieht es mit der Dokumentation von Sam Dunn aus, die sollte doch eigentlich schon erschienen sein?

Da kann ich euch gar nichts Neues berichten. Alles was ich weiß ist, dass sie noch daran arbeiten, aber wir haben da nichts in diese Richtung aktiv unternommen. Wir sind auch anderwertig beschäftigt gewesen, Rocky musste in die Band integriert werden, wir arbeiten an neuem Material, gehen auf Tour, schreiben Musik, gehen wieder auf Tour usw…

RR: 2015 schaut ja so aus, als ob es als Seven-Inch-Release-Year von VOIVOD in die Geschichte eingehen könnte…

Yeah (lacht)

RR: Neben den Split-Singles mit AT THE GATES und NAPALM DEATH gab es ja auch noch die „Kluskap O‘ Kom“ 7inch Single, aber nicht nur wir Journalisten, auch die Fans wollen erfahren, wie es mit einem neuen Studioalbum aussieht?

Wir werden eine 5-Song-EP in etwa im März 2016 veröffentlichen. Darauf wird es zwei neue Songs geben (u.a. „We Are Connected“), eine Cover-Version und dann soll es natürlich auch eine Full-Length geben. Wir hoffen, dass wir noch ein paar anständige Songs zusammenbringen und womöglich im Herbst 2016 darüber reden können.

Stormbringer-Chefredaktion meets VOIVOD, die erste: Robert Fröwein und Denis „Snake“ Belanger
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RR: „Target Earth“ war das erste Album, auf dem ihr kein Material von Piggy mehr verwendet habt. Ist da noch irgendetwas übrig? Songideen, Fragmente oder dergleichen?

Da sind noch ein paar Akustiksachen da, aber die sind verdammt hart, wenn man sie sich anhört. Die entstanden in den letzten Tagen von Piggy, man hört ihn schwer atmen, husten, er stand unter wirklich schweren Medikamenten, das sind Sachen, die wollen wir aber unter keinen Umständen veröffentlichen, die sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, die behalten wir uns.

RR: Wenn wir uns „Target Earth“ ein wenig genauer ansehen: Die Musik haben Blacky und Chewy geschrieben, Away das Artwork besorgt und du wie immer die Story/Lyrics dazu. Jetzt ist Blacky bekanntlich nicht mehr da, wer schreibt das neue Material jetzt? Chewy alleine oder nimmt auch Rocky einen aktiven Part ein?

Rocky hat sehr viel Input, die beiden haben ja immer schon miteinander gearbeitet. Rocky ist ein fantastischer Bassspieler, er kann nicht nur Jazz, der kann alles, er war auch immer in diversen Projekten involviert und ist es gewohnt, einen Song am Nachmittag zu lernen und am Abend live zu spielen. Das neue Material hört sich auch ein wenig anders an, Chewy ist ja irgendwie die Inkarnation von Piggy, ich weiß ehrlich gesagt überhaupt nicht wie er das macht, aber er schreibt VOIVOD-Songs, die er gerne hören möchte - sie eben nicht aus Musikersicht betrachtet, sondern aus der eines VOIVOD-Fans. Das mit seinem eigenen Ansatz macht diesen Unterscheid aus und Rocky setzt mit seinen Ideen dem Ganzen noch die Krone auf. Gerade mit Rocky ist es einfach zu arbeiten, er sieht immer den Song im Vordergrund und nicht seinen Basspart. Wenn es besser passt einfach ein profanes „bumm bumm bumm“ zu spielen, anstatt sich die Finger zu verrenken, dann macht er das auch.

Stormbringer-Chefredaktion meets VOIVOD, die zweite: Reini Reither und Denis „Snake“ Belanger
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RF: Du bist jetzt seit mehr als 30 Jahren Part des Business, was ist die größte Herausforderung, der Frontmann von VOIVOD zu sein?

Jede Nacht ist verschieden, du hast kaum Langeweile, die Herausforderung ist on Stage zu gehen und alles zu geben, was man hat. Was gerade wenn man älter wird, immer schwieriger wird, ich weiß mittlerweile wo meine Grenzen sind. Eine weitere Herausforderung ist sicher neues Material zu schreiben und das Ganze sowohl für die älteren, als auch die jüngeren Fans interessant zu gestalten. Es gibt eine ganz neue Generation von VOIVOD-Fans, manchmal sind es Söhne, die von ihren Vätern auf uns aufmerksam gemacht wurden, weil sie mit unserer Musik aufwuchsen und für die müssen wir unsere Musik interessant gestalten, weil sie womöglich einen anderen musikalischen Background haben, eher Musik aus ihrer Zeit hören.

RF: Wir wissen ja, dass ihr alle in der Band riesige Punk-Fans seid, habt ihr auch noch so etwas wie rebellische Punk-Züge in euch?

Ich glaube schon, da war immer ein Rebell tief in mir drinnen. Ich singe heute noch Songs, die ich vor 30 oder mehr Jahren geschrieben habe und die immer noch Gültigkeit haben, die Probleme von damals behandeln, die heute noch aktuell sind.


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