Interview: Dornenreich - Eviga

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"Doch im enormen stilistischen Reichtum dieses Albums deuteten sich eben auch bereits – und das ist mit dem Abstand vieler Jahre durchaus klar ersichtlich – die gravierenden Veränderungen der kommenden Jahre an.“

20 Jahre Dornenreich! Wir begeben uns mit Eviga auf eine interessante Zeitreise zurück zu den Wurzeln der Band, über die Phase der Veränderungen bis heute.

Text: Alex M.
Veröffentlicht am 22.03.2016

Dornenreich 1996 - 2016

Zum Beginn geht's zurück in der Bandgeschichte bis ins Jahr 1997. Zu diesem Zeitpunkt erschien das Demo "Mein Flügelschlag", welches sowohl musikalisch als auch vom sehr atmosphärischen Cover eindeutig dem Black-Metal zu zuordnen ist. Wie erinnert ihr euch an diese Zeit? Welche musikalischen Vorbilder gab es für euch?

Eviga: „Es war eine magische Zeit des Sich-Findens, als wir in jenen Tagen (naturmystischen) Black Metal für uns entdeckten – mit nur fünfzehn Lenzen auf dem Buckel und mitten in den Tiroler Bergen.  Wir erforschten damals aber nicht nur norwegische Bands wie EMPEROR, ULVER oder SATYRICON, die in dieser Zeit in aller Ohren waren, sondern wir hatten damals eine speziell starke Bindung zu österreichischen Bands und Projekten wie ABIGOR, SUMMONING, KOROVA, ELEND oder GOLDEN DAWN, mit deren Mitgliedern wir auch in regem handschriftlichem bzw. persönlichem Austausch bzw. Kontakt standen. Gerade in dieser Zeit unserer jugendlichen Selbstfindung bzw. Persönlichkeitsfestigung war es für uns natürlich von unschätzbarem Wert, so direkte und oft anerkennende Rückmeldung von Menschen zu bekommen, die wir für ihre künstlerischen Leistungen hoch schätzten.“

Das im gleichen Jahr veröffentlichte Album "Nicht um zu sterben" war schon ein großer Sprung nach vorne. Es wurden vermehrt Elemente in den Stil eingebaut, die zu dem Zeitpunkt eher untypisch waren. Wie waren die Resonanzen zu dieser Zeit?

Eviga: „Als die Spannungen nach dem beinahe Boykott des Albums seitens der Vertriebe wegen des sehr radikal-minimalistischen Covers nachgelassen hatten, war die Resonanz durchaus sehr positiv; und das war freilich enorm wichtig für unser Selbstvertrauen. Rückblickend bin ich besonders glücklich darüber, dass ich es mir schon damals nicht nehmen ließ, die akustische Gitarre, für die DORNENREICH über die Jahre bekannt geworden ist, bereits im Rahmen dieses Albums als prägendes Stilmittel miteinzubeziehen. Und auch unser Beharren auf genau diesem minimalistischen Cover – trotz des enormen Gegenwindes  –  lässt mich heute mit Freude auf diese Zeit zurückblicken.“

Spätestens auf "Bitter ist´s, dem Tod zu dienen" wurden auch die Titel zunehmend Black-Metal untypischer. "Nächtlich liebend", "Leben Lechzend Herzgeflüster" oder auch "Woran erkennt mich Deine Sehnsucht morgen?" haben sicher für Zündstoff gesorgt. Hat zu diesem Zeitpunkt eine Art Entfremdung zu dem Genre stattgefunden? Wenn ja, was hat diese Entwicklung ausgelöst?

Eviga: „Immer schon hatte uns die Vielschichtigkeit innerhalb des Black-Metal fasziniert und in der Zeit nach der Veröffentlichung unseres ersten Albums waren es insbesondere Bands wie EMPYRIUM, ULVER oder auch alte DIMMU BORGIR, die uns zusätzlich dazu motivierten, unseren eigenen Ausdruck noch facettenreicher zu gestalten, obwohl eben diese Universalität im Ausdruck, die über die Jahre immer stärker geworden ist, schon von Anfang an in uns selbst und in unserem sehr breit gefächerten Musik- bzw. Kunstgeschmack angelegt war, was sich ja auch auf ‚Nicht um zu sterben‘ angedeutet hatte,  – etwa in all den Flöten-, Piano- und Akustikparts. Und im Besonderen die Verbindung von Gegensätzen lag uns am Herzen und verdeutlichte unseren Zugang zur besagten Universalität des Ausdrucks. Persönlich fand ich unseren Ausdruck auch nie einfach aggressiv, sondern vielmehr intensiv. Für mich macht das einen großen Unterschied.  Und so verwundert es wohl auch nicht weiter, dass bereits die Texte unserer ersten Alben mitunter auch Themen wie Sehnsucht oder Vergänglichkeit behandelten, die für die Tiefe und das Ganze des Lebens bedeutsam sind.“

Der endgültige Durchbruch kam dann 2001 in Form des heute zu Recht als Klassiker geltenden "Her von welken Nächten". Das Album besticht durch enorme Detailfreude und ist stilistisch nicht zu fassen. Von melancholischen und dennoch harten Stücken wie "Trauerbrandung" bis zu zerbrechlichen Momenten wie "Innerwille Ist Mein Docht" deckt das Album jede Facette ab. Wie lange habt ihr an diesem Album gearbeitet?

Eviga: „Soweit ich das in der Erinnerung rekonstruieren kann, haben wir knapp zwei Jahre sehr intensiv an dem Album gearbeitet – von der Phase des ersten intuitiven Herantastens Anfang 1999 bis zum finalen Master, das im Oktober 2000 vorlag. Valnes und ich hatten gerade das Abitur gemacht und diese Befreiung gab uns enorm viel zeitliche bzw. mentale Kapazitäten zurück und wir feuerten all unser Leidenschaft, Zeit und Energie in dieses Album. Und, ja, das hört man dem Album gewiss an. Dieses Album bezeugt den Höhepunkt unserer Jugend, das Zentrum unserer Sturm-und-Drang-Zeit.“

Besonders auffällig ist, neben dem exzellenten Gitarrensound, die großartig-verspielte Schlagzeugarbeit für die Moritz Neuner verantwortlich war.  Wie beurteilt ihr im Nachhinein die Platte selbst?


Eviga: „Es zeigt uns auf dem Gipfel unserer jugendlichen Kraft, Hingabe und Experimentierfreude. Und es ist ohne jeden Zweifel ein Dokument, das mich auch heute noch mit Freude erfüllt, wenn ich es selbst höre. Doch im enormen stilistischen Reichtum dieses Albums, deuteten sich eben auch bereits – und das ist mit dem Abstand vieler Jahre durchaus klar ersichtlich – die gravierenden Veränderungen der kommenden Jahre an.“

Nach diesem Album schien es etwas zu kriseln. Es wurde das Hexenwind Projekt als Doppel-CD angekündigt, doch dann wieder verworfen, dann sind Valnes und Moritz ausgestiegen. Was für Gründe gab es für diese Veränderungen?

Eviga: „Gilvan hatte gute persönliche Gründe für seinen Ausstieg, der damals auch nicht nur DORNENREICH betraf, sondern auch andere Bands bzw. Projekte, in die er involviert gewesen war, doch natürlich spielte die tendenzielle Traumtänzerei, die Valnes und ich in jenen Tagen mitunter an den Tag legten, gewiss auch eine Rolle bei seiner Entscheidung (lacht). Was Valnes und mich betrifft, so ist zu sagen, dass wir Nach ‚Her von…‘ vorhatten, unsere vielen, vielen und durchaus auch verschiedenen musikalischen Ideen und Visionen in zwei Bandprojekten namens ‚Hexenwind‘ und ‚Nebelklang‘ zu verwirklichen. Und im Laufe der langen Entstehungsgeschichte von ‚Hexenwind‘ – zwischen der ersten Idee und der Veröffentlichung liegen ganze fünf Jahre – traten die klassischen persönlichen und künstlerischen Differenzen immer klarer zu Tage und führten 2005 schließlich zu Valnes‘ Rückzug aus DORNENREICH.“

 

DORNENREICH-MASTERMIND Eviga / Jochen Stock


Als dann das nächste Album mit dem Titel "Hexenwind" erschien hatten sich auch soundtechnisch einige Dinge verändert. Der Klang war sehr reduziert, auch die Arrangements, die viel mehr Wert auf Atmosphäre zu legen schienen. Auch die Drums von Michael Stein waren sehr minimalistisch, der sein Spiel aber durch gelegentliche, virtuose Kabinettstückchen akzentuierte. War das geplant oder der Situation geschuldet? Interessanterweise gab es von Valnes ja doch noch Beiträge.

Eviga: „Tatsächlich wurde die gesamte Musik für ‚Hexenwind‘ und auch für ‚Durch den Traum‘ zwischen Sommer 2002 und Herbst 2004 aufgenommen, also noch eine ganze Weile vor Valnes‘ tatsächlichem Ausstieg. Was die minimalistische Ausrichtung von ‚Hexenwind‘ betrifft, so lässt sich sagen, dass das eine durchaus bewusste Entscheidung war – und auch das Ergebnis eines gezielten Rückbaus; denn es gab etwa von dem Stück ‚Der Hexe flammend‘ Blick‘ auch einige frühere Versionen, die opulenter arrangiert waren. Das minimalistische Schlagzeugspiel war allerdings von Anfang an genauso geplant, und zwar tatsächlich Schlag für Schlag, denn es gibt eine Urversion von ‚Hexenwind‘, in der sich selbst am Schlagzeug sitze. Und Michael Stein – ein echter, uneitler Profi – hat sich mein Spiel anhand dieser Rohfassung 1:1 notiert und final übernommen.“

In eine ähnliche Kerbe schlägt das hervorragende Album "Durch den Traum", welches mit "Durch den Traum VIII" eines der besten und ungewöhnlichsten DORNENREICH Stücke überhaupt enthält. Stammen die Stücke aus der gleichen Session wie die von "Hexenwind"?

Eviga: „Ja. Ganz deutlich wird das zum Beispiel auch daran, dass der Opener von ‚Hexenwind‘ (– ‚Von der Quelle‘ –) auf demselben Keyboard-Grundthema basiert wie auch Part VIII von ‚Durch den Traum‘. Aufgrund der sehr unterschiedlichen Arrangements der Stücke fällt das aber kaum jemandem auf – und auch ich selbst vergesse es von Zeit zu Zeit (lacht).“

Komplett über Bord geworfen wurde der Black-Metal dann mit dem rein akustischen und bis auf wenige Overdubs mehr oder weniger Live aufgenommenen Album "In Luft geritzt". Wie kam es zu der Entscheidung, als Duo weiter zu machen und auf Percussions im klassischen Sinne weitestgehend zu verzichten?

Eviga: „Thomas Riesner/Inve hatte ja bereits im Jahr 2000 die Session-Geige für ‚Her von welken Nächten‘ für uns aufgenommen und 2006 war ich gerade auf der Suche nach einem Geiger, um beim 10-Jahres-Jubiläum von Prophecy Productions ein Akustikkonzert geben zu können. Geige-Gitarre ist ja im Grunde eine durchaus klassische Kombination und ich wollte schon seit Demo-Zeiten eines Tages ein reines Akustikalbum aufnehmen und damit unter Beweis stellen, dass auch akustisch instrumentierte bzw. intonierte Musik vielschichtige Energie bzw. eine immense Kraft ausstrahlen kann, um damit etwa auch ein Stück weiter zu gehen, als etwa ULVER mit Ihrem zweiten – rein akustischen – Album gegangen waren (das ich freilich hoch schätze). Und da ich tief im Herzen schon immer ein Schlagzeuger gewesen bin, wurde mein Gitarrenspiel in dieser Duo-Besetzung zudem immer perkussiver, zumal ich ja in dieser Minimal-Besetzung mit der Gitarre generell das Fundament und oft auch die Überleitungen innerhalb der Stücke liefere. Außerdem hätte es einem eigenen Schlagzeuger bzw. Perkussionisten enorm viel abverlangt, die umfangreiche Dynamik, über die Inve und ich unser Zusammenspiel zentral definieren, zu bereichern – und nicht etwa zu verflachen. Spätestens nach dem besagten Konzert und der euphorischen Resonanz war uns dann ganz klar, dass es eine großartige Sache ist, Musik so magisch minimalistisch und nackt entstehen zu lassen und auf die Bühne zu bringen. Der weitere fruchtbare Verlauf dieser Herangehensweise ist bekannt.“

Überraschenderweise gab es dann 2011 mit dem überragenden Album "Flammentriebe" eine Rückkehr zu den harten, schwarzmetallischen Klängen. Zudem kehrte Moritz Neuner zurück und lieferte ebenfalls eine großartige Performance ab. Wie kam es dazu?

Eviga: „Die metallische Instrumentierung bzw. Klanggewichtung von ‚Flammentriebe‘ hat zwar einerseits mit Moritz‘ /Gilvans Rückkehr zu tun, andererseits war es mir ein Anliegen, ‚In Luft geritzt‘ und DORNENREICHS unberechenbare Lebendigkeit zu vertiefen, indem wir das Nachfolgealbum des rein akustisch ausgerichteten ‚In Luft geritzt‘ in ein vorwiegend anderes klangliches Gewand kleideten. Auch das war letztlich ein bewusste Entscheidung, denn auch ein Brecher wie ‚Flammenmensch‘ wurde ursprünglich auf der akustischen Gitarre skizziert. Denn prinzipiell geht es uns um den melodisch-harmonisch-rhythmischen Kern der Musik, das Wesen eines Stückes. Wenn es der Nacktheit akustischer Instrumente standhält, hat ein Stück unserer Erfahrung nach ein besonders starkes Herz und sehr viel Substanz.“

Schließlich gab es 2014 mit "Freiheit" erneut eine große Überraschung. Dem Black-Metal wurde wieder komplett abgeschworen, stattdessen klingt "Freiheit" eben genau so. Positiv, offen, auf mich wirkt es wie ein Vogelschwarm am Horizont, der in weite Ferne zieht. Gleichzeitig wurde eine voraussichtlich lange Album Pause von Dornenreich angekündigt. Was war der Grundgedanke hinter diesem Album und diesem Entschluss?

Eviga: „Mit ‚Freiheit‘ wollte ich einen (weiteren) Versuch wagen, Wesentliches künstlerisch anzudeuten – und Wesentliches meint hier insbesondere die Verbindung scheinbarer Gegensatzpaare innerhalb einer gemeinsamen Vision, was auch Titel wie ‚Im Fluss die Flammen‘ oder ‚Das Licht vertraut der Nach‘ bereits andeuten. Es ging mir um die Auseinandersetzung mit einem Bewusstsein, das sich ausbildet an der Schwelle zwischen allen Polaritäten oder eben auch an der Schwelle zwischen Tag und Nacht, wie es auch das Front-Cover zeigt. Zudem ist die Dramaturgie des Albums einer sich aufbauenden, sich brechenden und sich schließlich langsam neu aufbauenden Welle nachempfunden, was die zyklische Natur dieses Weltenlebens betont. Und gerade der spirituelle Kern dieses Zyklischen – gleichsam Konstante in allem Wandel – beschäftigt mich im Grunde, seit ich denken kann. Und nach so vielen Band-Jahren und erlebten Abenteuern war es an der Zeit, etwas Abstand zu gewinnen und sich ganz neu mit der Magie künstlerischen Ausdrucks zu verbinden, denn in DORNENREICH schlägt ein sehr lebendiges Herz, das mit neuen Erfahrungen und Eindrücken genährt sein möchte.“

Wie schauen denn nun die Zukunftspläne aus? Live seid ihr ja nach wie vor sehr aktiv.

Eviga: „Ja, in unserem Zentrum ist viel los, darf ich dir versichern. Wir experimentieren viel in verschiedenen künstlerischen bzw. musikalischen Richtungen, im Augenblick konzentrieren wir uns allerdings ganz auf die Konzerte rund um unser 20-jähriges Bestehen, die unsere lange Bandgeschichte mittels eines akustischen und metallischen Doppelsets äußerst intensiv auf die Bühne bringen werdem. Unser Augenmerk liegt also ganz auf der ‚Gänsehaut statt Gänsemarsch‘-Tour, die am 18.03. beginnt und uns quer durch Deutschland aber an zwei Abenden auch nach Österreich führen wird, nämlich am 25.03. nach Wien und am 26.03. nach Sachsenburg.

Abschließend darf ich euch die letzten Worte überlassen!

Eviga: „Ich danke dir für deine fundierten und interessierten Fragen. Die Beantwortung war durchaus ein großes Vergnügen. Doch jetzt freuen wir uns einfach immens auf die Tour, auf das Wiedersehen mit vielen treuen Seelen und Weggefährten – allerorts! Niemand weiß, wie oft wir noch solche Tourneen fahren werden können, deswegen werden wir diese Tour mit aller verfügbaren Leidenschaft und Begeisterung zelebrieren und wir zählen dabei gewiss auch auf eure Loyalität, denn wir spielen diese Tour ohne Zweifel auch für euch alle da draußen, die ihr mit uns einen freien, wachen und unbezähmbaren Geist teilt! Auf bald!“

 

 


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