Interview: TARJA - Tarja Turunen

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Ohne Emotionen kann ich nicht singen!

Für Tarja ist Musik pure Emotion – deswegen haben wir uns mit ihr auch über ihre Leidenschaft unterhalten!

Veröffentlicht am 26.07.2016

Hi Tarja! Du bist ja gerade ziemlich beschäftigt mit Vorbereitungen und Proben hab ich gehört – also vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst ein Bisschen mit mir zu plaudern!

Ja gerne! Es ist auch toll zu sehen, dass ich meine Songs jetzt wieder aus dem Studio rausbringen kann auf Tour, zu den Leuten. Das ist immer toll, fühlt sich fast an wie der Start in ein neues Leben!

Wann startest du mit der Tour – ich nehme an, du wirst im Sommer einige Festivals spielen?

Ja natürlich! Gut, eigentlich kannst du das nicht wirklich als „Tour“ bezeichnen, weil es einfach nur einzelne Festivalshows sind, fast jedes Wochenende. Ich habe schon auch einen kurzen Tourteil mit einigen Shows im Oktober (Anm. d. Verf.: dabei wird TARJA auch nach Wien kommen, Support werden dort VISIONS OF ATLANTIS sein), aber hauptsächlich sind es Festivalshows. Die ersten Shows sind schon ziemlich nahe, also sind wir gerade voll beschäftigt mit der Liveband zu üben und zu proben – eine aufregende Zeit!

Was können wir denn für die Shows an Neuem erwarten – plant ihr da vielleicht irgendetwas Spezielles?

Ich bin aufgeregt, wirklich total aufgeregt was die Shows angeht! Wir werden auch schon einige Songs des neuen Albums bei den Festival-Shows spielen und außerdem habe ich nun auch die Möglichkeit, Songs von wirklich allen meinen Alben zu spielen – und das sind inzwischen schon ziemlich viele! Also habe ich wirklich viele Songs aus denen ich wählen kann, und kann auch die Songs immer ein bisschen abwechseln. Das ist schon eine fantastische Möglichkeit, dass ich Songs auch je nach Land variieren kann, sodass ich für meine Fans immer etwas Neues bringen kann.
Ich werde auch einiges an Screams und so in den Shows verwenden, und die Produktion wird generell etwas farbloser sein. Also in diesem Sinne, dass auf der letzten Tour alles sehr bunt und farbenfroh war, und dieses Mal wird es eben etwas farbloser, weil sich ja auch das Albumthema darum dreht – Schatten und Licht, Schwarz und Weiß. Die Band ist wieder mehr oder weniger die Gleiche, aber ich werde natürlich auch wieder einige neue Outfits haben – also ist schon alles irgendwie neu und aufregend! Und ich freue mich schon enorm darauf, meine ganzen Freunde und Fans wieder zu treffen!

Welche Songs, glaubst du, werden live am besten ankommen?

Also, das möchte ich selbst gerne wissen! Bis jetzt habe ich die Songs ja noch nicht mit meiner Live-Band geprobt, also bin ich auch schon richtig nervös was das angeht! Einige der Songs sind auch ziemlich fordernd für mich, gesanglich – da steckte schon im Studio einiges an gesanglicher Arbeit dahinter, also weiß ich noch nicht einmal ob ich sie auch live so rüberbringen kann. Es sind schon einige ziemlich herausfordernde Songs auf den beiden Alben, also mal sehen... ich weiß es wirklich nicht, vielleicht wenn du mich noch einmal fragst, nach den Festivalshows! (lacht)

Ok, formulieren wir es einfach mal anders: was ist dein persönlicher Favorit auf den beiden Alben?

Puuuh... also, ich habe eigentlich nie für zwei Alben Songs geschrieben, eigentlich nur für eines. Aber auf einmal hatte ich so viele Songs, dass ich mich kaum noch entscheiden konnte und ich wollte diese Songs auch nicht für irgendwelche Bonus-Sachen verbraten, weil viele von ihnen mir doch persönlich einiges bedeuten. Also wenn du mich so fragst, welcher der persönlichste Song ist, kann ich dir das leider nicht sagen. Aber so ziemlich am liebsten habe ich den letzten Song auf „The Shadow Self“, denn auch wenn die Story des Songs eigentlich ziemlich traurig ist, so gibt es doch am Ende so eine hoffnungsvolle Stimmung. Mir bringt er Hoffnung, dass am Ende einfach alles wieder besser wird. Als ich diesen Song geschrieben habe, die Lyrics geschrieben habe, war mir klar, dass dieser Song unbedingt das Ende des Albums darstellen muss, weil er so ein starkes Gefühl der Hoffnung erzeugt. Und nun, da er aufgenommen und fertig produziert ist, ist dieses Gefühl noch immer da, darum ist es mein Lieblingssong.


Prequel-Album "The Brightest Void"

Wo wir schon beim Songwriting sind – am Anfang deiner Solokarriere hast du dich von vielen etablierten Songwritern unterstützen lassen, um von ihnen zu lernen. Was war das wichtigste, das du aus dieser Kooperation für dich mitgenommen hast?

Das wichtigste was ich dadurch gelernt habe war, dass ich einfach nicht schüchtern sein sollte meine eigenen Ideen umzusetzen und sie auch jemandem zu zeigen. Selbst wenn jemand das schon 20 Jahre länger macht als ich, brauche ich keine Scheu zu haben. Denn wenn ich nicht mutig genug bin mich selbst zu öffnen, dann würde man auch nicht mich selbst aus meinen eigenen Songs heraushören. Also habe ich angefangen in mich hineinzuhören, etwas aus mir herauszuholen – und inzwischen mache ich das ja auch schon wieder einige Jahre und habe in dieser Hinsicht auch schon ein wenig Selbstvertrauen entwickelt.
Und ein Bisschen ist es auch so, sich selbst zu entdecken, seinen Schatten zu entdecken. Also ist „The Shadow Self“ auch ein wenig über mich selbst, wie ich meinen eigenen Schatten entdecke, den kreativen Part meines Selbst, das was mich dazu bringt Musik zu kreieren. Und ich habe entdeckt, mein Schatten ist ziemlich dunkel, auch wenn er ein schöner Schatten ist, diese kreative Kraft in mir. Ich bin ansonsten eine recht positive Person, treffe gerne Leute, ich spreche viel, lache viel – ich bin happy. Wenn es aber um die Musik geht, ist mehr oder weniger alles was ich mache eher düster und dunkel – sogar meine Stimme! (lacht) Es ist also eine gewisse Selbstfindung, und die spiegelt sich auch im Songwriting wider. Am Anfang war es mit diesen professionellen Songschreibern schon ein wenig schwierig, weil ich einfach so schüchtern war in der Hinsicht. Aber irgendwann wurde ich dann doch mutig, konnte mich öffnen, und ich bin wirklich glücklich dass ich diese ganzen Erfahrungen, diesen Prozess durchmachen konnte.

Und jetzt bist du sogar mutig genug, gleich zwei Alben auf einmal zu veröffentlichen! Wie reagierte eigentlich das Label, als du mit dieser Idee gekommen bist? Also nicht als ein Doppelalbum, wie es manche Künstler zum Beispiel machen...

Ja, ich hatte eben so viele starke Songs, und wollte sie nicht als Bonus-Songs verkümmern lassen. Als ich dann mit dem Label darüber diskutiert habe, meinten sie, man könnte ja zum Beispiel eine zusätzlich EP machen, aber das wäre dann auch wieder so... naja. Damit war ich nicht so wirklich glücklich, und als Bonus-CD zum Album konnte ich es mir auch nicht so wirklich vorstellen. Also sind wir dann eben mit der Idee dieses Alben-Prequels gekommen, inspiriert von Soundtracks, die musikalisch gesehen zu meinen größten Einflüssen gehören.
So kam es dann, dass ich „The Brightest Void“ auch als eine Art Spaß-Album für mich selbst sehen konnte, auf dem dann auch einige Songs landeten die schon seit Jahren herumgeisterten, wie „Witchhunt“ zum Beispiel, der ewig lange in meinem Kopf herumgeflogen ist, aber den ich nie aufnehmen konnte. Außerdem gibt es da diese Kollaboration mit Michael Monroe von HANOI ROCKS, was in einem ziemlich andersartigen Song resultiert, den ich vermutlich nicht auf „The Shadow Self“ gegeben hätte, aber für „The Brightest Void“ war er perfekt! Er ist gleichzeitig mit den Songs für „The Shadow Self“ entstanden, aber differierte ziemlich stark zu den anderen Songs, also fragte ich meinen Freund Michael Monroe, und wir schrieben den Song dann einfach gemeinsam.

Wo wir gerade bei Gästen auf dem Album sind – waren die alle mit dir im Studio, oder haben sie in anderen Studios aufgenommen und es dir dann geschickt?

Naja, inzwischen ist es ja schon so, dass eigentlich jeder professionelle Musiker ein kleines Heimstudio hat, haben muss, damit man auch einmal etwas selbst machen kann und weil es in vielen Fällen auch einfach schneller geht, wenn man nicht extra irgendwo hinfahren muss. Da habe ich einige Sachen mit meinen Studiomusikern in den Homestudios aufgenommen, oder zum Beispiel als einer der Musiker in Los Angeles spielte, als ich aber gerade in Buenos Aires war – da hatten wir dann eine Skype-Session offen, ich glaube die ganze Nacht! Das war schon lustig, aber auch ziemlich nervenaufreibend, weil die Verbindung teilweise wirklich schlecht war!

Ich war übrigens ziemlich überrascht, Alissa White-Gluz von ARCH ENEMY auf dem Album zu hören! Wie kam es dazu?

Also generell geht es auf „The Shadow Self“ um die Gegensätzlichkeiten im Leben – Himmel und Hölle, Liebe und Hass, Schwarz und Weiß, Schatten und Licht, Yin und Yang... solche Sachen. Also sind Alissa und ich quasi die Gegensätze. Wenn ich also zum Beispiel eine der schönsten Stimmen in Metal bin, dann repräsentiert sie den genauen Gegensatz, das andere Ende der weiblichen Metal-Sängerinnen. Ich finde, das ist eine großartige Kombination! Ich dachte auch gleich an sie, als ich den Song aufgenommen habe, dass ihre Vocals am besten dazu passen würden. Ich war zwar zufrieden mit dem Song, aber ich dachte mir, da fehlt dieser gewisse Extra-Kick, und so landete ich bei Alissa, von der ich dachte sie wäre einfach die perfekte Ergänzung für den Song. Aber ich wollte auch ihre Clean Vocals mit dabei haben, weil ich der Meinung bin, dass sie eine wirklich wunderbare Stimme hat. Sie hat ihren Part dann in einem anderen Studio aufgenommen, ihn mir rübergeschickt und ich war über das Ergebnis wirklich happy! Auch wenn wir nicht gemeinsam im Studio waren, war es wirklich toll mit ihr zu arbeiten!

Jetzt muss ich aber noch kurz etwas zu diesem versteckten Bonus-Track auf „The Shadow Self“ fragen. Als ich den das erste mal gehört hatte, dachte ich mir wirklich „Was zur Hölle...?!“ Auf wessen Mist ist das gewachsen?

(lacht) Genau das soll es auch auslösen! So eine richtige „What The Hell?“-Reaktion! (lacht wieder)

Irgendwie klingt das, als ob man Thrash Metal mit Techno mischt...

(kichert noch immer, und kriegt sich kaum noch ein) Das ist defintiv ein Joke, der Song ist einfach als purer Spaß gedacht. Ein bisschen auch als Verarsche der Musikindustrie und dieser ganzen Radiosongs – und ich sehe mich auch definitiv nicht in einer Thrash-Metal-Band. Aber es war echt lustig, als meine Musiker das aufnehmen mussten – da hatten sie schon auch ein wenig zu kämpfen damit! (lacht noch immer)

Und am Ende fluchst du ja auch noch...

(lacht noch einmal) Jaa, genau, so richtig finnisch-like! (verschluckt sich vor Lachen) Aber da gibt es keine Message oder so, das ist wirklich nur Spaß. (bekommt bald keine Luft mehr)


"The Shadow Self"

Zu „No Bitter End“ gibt es ja auch ein Video, das irgendwie ziemlich psychedelisch rüberkommt – hast du da eigentlich selbst Einfluss, bringst du da eigene Ideen in die Musikvideos mit ein?

Ich arbeite immer mit Regisseuren bei meinen Videos und ich versuche mich auch immer selbst einzubringen. Bei „No Bitter End“ war es so, dass die Idee irgendwie gemeinsam entstanden ist – mein Regisseur Martin meinte, er kennt da einen wunderbaren Platz an dem man ein Musikvideo drehen könnte und ich wollte auch einmal so ein richtiges Band-Video machen. Denn die Band ist ja doch musikalisch sehr präsent und da sollte sie auch im Video auftauchen. Gerade bei so heavy Sounds wirkt das viel besser, das Album ist ja generell wieder ein wenig heavier, ich wollte auch dass es wieder etwas härter klingt als die letzten Alben. Und so sind wir eben an diesen wunderbaren Platz in Deutschland gekommen wo wir einen ganzen Tag lang das Video gedreht haben – übrigens haben wir dort auch noch einige andere Sachen gemacht, wie zum Beispiel Screenings gedreht, die man dann wahrscheinlich auch in meinen kommenden Shows zu Gesicht bekommen wird. Das war eine richtig tolle Session dort.

Wenn wir jetzt so von Musik-Genres generell reden – du bist ja da relativ offen, hast im klassischen Bereich studiert, magst Soundtracks und machst Heavy Metal... was würdest du Leuten gerne mitgeben, die so richtig voreingenommen und fixiert auf ein Genre sind und alles andere als Scheiße bezeichnen?

Naja, Musik hat einfach viel mit Geschmack zu tun. Jeder findet irgendwann heraus was ihm gefällt und für jeden gibt es etwas, das ihm gefällt – wenn es also um den Geschmack geht, dann kann man immer nur sich selbst fragen was „gut“ ist. Das ist, wie wenn du zum Beispiel keine Fleischbällchen magst, aber jemand anderer liebt die Dinger – sind sie dann schlecht? Das ist eigentlich der Punkt. Und für mich repräsentiert Musik eigentlich immer Emotion – wenn es mich wirklich packt, dann ist es vollkommen egal um welche Art von Musik es sich handelt. Selbst wenn man sich vielleicht denkt "oh Gott, das würde ich ja nie hören!". Da bleibe ich einfach im Fluss, und öffne mich gerne für alles, wenn es um Musik geht. Ich arbeite mit Musik, ich kreiere Musik – als Hörer findet man natürlich heraus was einem gefällt und was nicht. Das ist eine persönliche Erfahrung, da muss jeder für sich selbst entscheiden und niemand kann diese Entscheidung, was einem gefällt, für einen übernehmen. Natürlich sollte man sich auch etwas öffnen und einmal woanders reinhören, aber im Endeffekt kann doch jeder das tun beziehungsweise hören was er will.
Ich habe meinen Weg gefunden um Musik zu machen und Musik zu präsentieren. Aber ich habe auch mit vielen Leuten gesprochen, Erfahrungen gemacht, dass mir die Leute zum Beispiel gesagt haben, 'Hey, als ich dich da singen gehört habe, dachte ich nie dass mir das wirklich gefallen würde! Ich habe dann ein Bisschen in die Klassik reingehört und war sogar in einer Oper – und das war richtig klasse!'. Umgekehrt gab es aber dann auch Opernliebhaber und Klassik-Hörer die, nachdem sie mich gehört hatten, sich auch andere Metalbands angesehen haben. So gesehen, bin ich glaube ich jemand, der irgendwie alle Regeln der Musik bricht (lacht), oder besser, die Grenzen überschreitet – ich liebe einfach was ich tue ! Womit wir wieder bei der Emotion sind, die für mich für Musik steht – ohne Emotionen kann ich nicht singen!

Damit sind wir schon wieder fast am Ende... nun noch eine etwas lockere Frage: Was war das Verrückteste, was dich ein Fan einmal gefragt hat?

Uh... schwierig. „Willst du mich heiraten?“ Auf den Knien natürlich – und das ist nicht nur einmal passiert. (lacht) Es ist ja wirklich tragisch, dann so sein Herz zu brechen aber... sorry, irgendwie bin ich schon verheiratet.

Zumindest wurdest du nicht nach einem gebrauchten Slip oder so gefragt – soll ja anderen Sängerinnen schon mal passieren...

(lacht) Das hatte ich wirklich noch nie! Obwohl meine Fans auch ziemlich verrückt sind. Aber sie sind auch wirklich loyal mir gegenüber – wenn sie mich nicht so supporten würden, dann wäre ich jetzt nicht hier und könnte das machen, was ich so gerne tue. Diese Leute geben mir die Energie und die Motivation, meine Reise fortzusetzen und weiterhin Musik zu machen – sie können natürlich auch verrückt sein, aber es sind wirklich gute, nette Leute.

Das ist ein gutes Schlusswort für dieses Interview! Vielen Dank für deine Zeit Tarja!

Ich danke dir für das Interview – und vielleicht sieht man sich ja in Österreich! Wir werden mit „The Shadow Self“ viel touren, nicht nur im Herbst, sondern auch nächstes Jahr, da werden noch einige Shows bestätigt werden – da ist bestimmt für jeden etwas dabei!


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