Interview: SEELENFROST - Semgoroth, D.F.D.E

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Sollte es in Belgien (...) wirklich mal zum GAU kommen, macht es leider auch keinen Unterschied, ob man irgendwo in einer Großstadt oder tief im Wald lebt. Gefickt sind wir dann alle.

Mit SEELENFROSTs neuem Neuen Album "Des Mondes Staub" lässt es sich unter silbergrauem Himmel herrlich frösteln. Eigentlich hätten wir bei der schönen Atmosphäre mit den wirklich coolen Bandmembern Semgoroth und D.F.D.E. auch nur über Windbeutel und Gelato sprechen können.

Veröffentlicht am 16.10.2017

SEELENFROST bringen seit Jahren eisige Black Metal Alben für Genießer auf die Platte. Die Zuammenarbeit mit Talheim Records fruchtet auch diesmal vorzüglich, ist man sich doch einig, dass das Tischlein schön gedeckt sein muss, um den Gourmet zu erfreuen. Falls SEELENFROST aber durch die Unmegen an Black Metal Veröffentlichung unbemerkt unter eurem Radar durchgehuscht sind, empfielt STORMBRINGER heute die wirklich netten Männer im Interview näher kennenzulernen und dann gezielt ein Album von ihnen zu erwerben. (Semgoroth arbeitet indessen bereits mit DAUþUZ an neuem Material - demnächst mehr dazu bei uns!)


(Bisher unveröffentliches Promofoto von Semgoroth aus der "Nostalgia"-Session)


Hallo Semgoroth! Hallo D.F.D.E.!

Ich möchte mit ein paar allgemeinen Fragen beginnen, bevor wir zu eurer Musik kommen.
Wenn man, so wir ihr, lange im Geschäft ist, ist es egal, ob es sich um einen Job im Büro oder in einer Band handelt (Interessanter ist es natürlich, wenn es sich um Extremmusik handelt). Man kann in beiden Fällen berichten, mit welchen Erwartungen man angefangen hat und wie sich die Sicht der Dinge verändert hat. Semgoroth, erzähle uns bitte über deine Erfahrungen.

Semgoroth: Grüß dich, Daniel! Als ich SEELENWINTER (welche dann später in SEELENFROST umbenannt wurden) gegründet habe, bin ich ehrlich gesagt relativ erwartungslos an die Sache herangegangen. Es ging damit los, dass sich mir und ein paar Freunden die Chance ergab, einen günstigen Proberaum zu mieten und so fing man automatisch an, Bands zu gründen, mal öffentlicher Natur, mal weniger. Irgendwann sammelte also auch ich diverse Riffideen, die dann wie gesagt unter dem Banner SEELENWINTERs/SEELENFROSTs veröffentlicht werden sollten. Mit den Jahren stiegen natürlich auch langsam die Ansprüche an sich selbst und die eigene Musik, ebenso wie die Erfahrung und Expertise im Songwriting und Recording (bis heute nehmen wir ja alles selbst auf). An der Grundidee hat sich aber nicht viel geändert: Wir wollen einfach gute Musik machen, die wir selbst auch hören würden. Denn in erster Linie macht man sie für sich selbst und nicht, um irgendwelchen fremden Ohren zu gefallen.

Black Metal ist von seinen Erfindern vielleicht auch als eine Zufluchtsmöglichkeit vor den Zuständen, die andere als Idylle verstehen, gesehen worden. Dreißig Jahre später hat in Großstädten der Lärm durch mehr Fahrzeuge, Flugrouten und Bevölkerungszuwachs zugenommen. Aber der brachiale Black Metal Sound erfreut sich weiterhin größter Beliebtheit. Was meinst du wieso unterschiedliche Musikrichtungen dieselben positiven Gefühle verursachen können?

Semgoroth: Naja, Black Metal ist ja auch nicht gleich Black Metal. Diese Sparte ist so unglaublich facettenreich, vielleicht sogar die facettenreichste aller extremen Metal-Stile. Man vergleiche eine Band wie DEATHSPELL OMEGA mit frühen DARKTHRONE. Beides wird als Black Metal tituliert, aber könnte unterschiedlicher kaum sein. Wahrscheinlich gibt es einzelne DSO-Songs, die mehr Riffs haben als das gesamte "Transilvanian Hunger"-Album. (Lacht) Ob man das nun mag oder nicht, sei dahin gestellt. Auf jeden Fall hat Black Metal schon immer eine große Faszination auf Leute gehabt; seien es Themen wie Tod, (die eigene) Vergänglichkeit, Natur oder auch Okkultismus oder klassich Satanismus. Es ist für jeden, der sich von Dunkelheit angezogen fühlt, ein Schwerpunkt dabei, und sei es nur die Musik selbst.

Ist es 2017 schwieriger Politik von der eigenen Kunst fernzuhalten als noch vor einigen Jahren?

Semgoroth: Kommt immer drauf an, welche Themen man als Band behandelt, wie oder ob man sich selbst in irgendeiner Form politisch positioniert oder eben nicht. Wir hatten bisher nie irgendein Problem mit Vorwürfen irgendeiner Art und scheren uns auf gut Deutsch auch einen Scheiß darum.

Und andersherum: Was tragen Trump, Kim Jong-un und andere Politiker zur aktuellen Kunstszene bei?

Semgoroth: Ich kann da nur für mich selbst sprechen, aber was mich angeht, ganz ehrlich: Null! Derartige Themen mögen andere Bands mal mehr und mal weniger tangieren, aber ich kann da nicht mal wirklich Beispiele nennen, gerade wenn es um internationale Politik geht, wenn du jetzt schon die beiden Herrschaften nennst.

Black Metal bedeutete einst auch die Abkehr vom modernen Leben, die Rückbesinnung zur Innerlichkeit und Naturverbundenheit. Ab dem 1. September 2017 können Bürger in Nordrhein Westfalen wegen Risiken im belgischen Kernkraftwerk Tihange kostenlos Jodtabletten erhalten. Wie verteidigt man in solchen Zeiten seine Ideale?

Semgoroth: Was heißt "einst"? Meines Erachtens nach ist das noch genau einer DER Gründe, Black Metal zu hören oder zu spielen. Als Westfale bin ich mir natürlich über den Umstand der Jodtabletten, die du nennst, bewusst, da ich Leute kenne, die davon betroffen wären (wenn sie nicht zu alt für die Ausgabe der Tabletten wären. Welch Hohn!). Aber auch hier kann ich nur betonen, dass man versucht, sich aus dem ganzen Kram herauszuhalten. Sollte es in Belgien (oder sonstwo) wirklich mal zum GAU kommen, macht es leider auch keinen Unterschied, ob man irgendwo in einer Großstadt oder tief im Wald lebt. Gefickt sind wir dann alle. Bis dahin kann man nur hoffen, dass es nicht so weit kommt und so sein Leben nach seinen eigenen Idealen führen.

Da, salopp gesagt, schlechte Nachrichten und Furcht höheren Medienkonsum sichern, wird die Berichterstattung zunehmend auf die negativen Ereignisse konzentriert. Da kann man von einem Glücksfall für die Mediengesellschaften sprechen, dass die Brandherde und Krisengebiete sich tatsächlich ausweiten. Meint ihr, dass inzwischen schon die Tagesschau zur gesellschaftlichen Verrohung beiträgt? (Früher haben Kinder im Streit mit ihren Eltern über den schlechten Einfluss von Filmen, Videospielen und Musik argumentiert, dass dann ja auch Nachrichten-Gucken schlecht sein müsse.)

Semgoroth: Ich glaube, gesellschaftliche Verrohung findet in mehreren Hinsichten mehr statt als früher, einfach durch die viel höhere Präsenz von Medien aller Art in unseren Leben, Stichwort Smartphones/Tablets, Internet & Co. Unsereins war als Kind noch auf der Straße am Spielen, heutzutage verbringen schon Vierjährige Stunden vor irgendwelche Apps oder Spielen. Da ist dann auch das Internet nicht mehr weit und in der Folge eine Flut an schlimmen Nachrichten (die es natürlich auch früher gab, aber nicht so allgegenwärtig und präsent wie heute), Sexualisierung (bspw. durch Popmusik, "Celebrities" usw.), Gewalt etc... Ich denke, Computerspiele sind da noch am harmlosesten, weil (zumindest die meisten einigermaßen intelligenten) Menschen schon Realität und Spiel unterscheiden können. Die Computerspiel- und "der hatte einen Marilyn Manson- und Slipknot-Song auf dem Rechner"-Moralkeule wird mittlerweile sowieso erstaunlich selten geschwungen, wenn mal wieder jemand durchdreht. Das war vor gar nicht allzu langer Zeit anders, heute ist halt alles sofort Terror, Islamismus oder sonstwas. Man schießt sich halt immer wieder auf was Neues ein in der Medienlandschaft.

Seit eurem 2007er Debüt "Waldsterben" hat sich eurer Stil ziemlich verändert. Auf dem aktuellen Album "Des Mondes Staub" hört man, wie ich finde, Blackgaze Einflüsse und bringt mehr Kälte in den Sound, während die Aggressivität abnimmt. Könnt ihr heute rekonstruieren, wie es dazu gekommen ist, ohne es mit dem üblichen "Das war eine natürliche Entwicklung" abzutun?

Semgoroth: Ich denke, bis einschließlich "Metamorphosis" ist durchaus ein roter Faden bei uns erkennbar, weil SEELENFROST bis zu dem Zeitpunkt ein Duo, bestehend aus mir und Waechter Rutan, war. Danach stieß mit D.F.D.E. ein weitaus fähigerer Schlagzeuger zur Band, der sich ab da auch für diverse Gitarren-, Bass- und Gesangsspuren verantwortlich zeichnete. Mehr Input führt unweigerlich auch zu einer "natürlichen" (lacht) "Weiter-"Entwicklung des Stils und auch zu neuen Einflüssen. Außerdem begannen wir ab da auch regelmäßig zu proben und die Songs erhielten einen viel umfangreicheren Feinschliff als auf den Veröffentlichungen zuvor. Gerade die (meisten) Songs auf "☽" und vor allem "Des Mondes Staub" wurden bis zum Erbrechen geprobt und immer weiter optimiert. Bei den früheren Veröffentlichungen habe ich in Eigenregie Voraufnahmen getätigt, um Ideen und Strukturen zu testen. Das ist natürlich weitaus zeitintensiver, als wenn man zu zweit probt und nicht immer alles alleine aufnehmen muss.

"Kollision der Zeit" ist ein ganz fantastischer vorletzter Song mit Sogwirkung. Er klingt einzigartig und tief. Wovon handelt er?

Semgoroth: An dieser Stelle gebe ich einmal an den Kollegen D.F.D.E. weiter, der sich sowohl für Musik als auch Text verantwortlich zeichnet.

D.F.D.E.: Das Lied thematisiert metaphorisch die Verdrängung und den Verdruss von und an Geschehnissen und Erfahrenem. So weit diese Desillusion auch gehen mag und die Wertigkeit in den Hintergrund gedrängt wird, so überschlagen sich die Zeiten des Geschehenem und der Verdrängung - und die Zeiten kollidieren.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Talheim Records? Mit Mathias habt ihr ja einen ganz besonderen Labelchef. Er ist engagiert und interessiert, aber mit ehrgeizigen Charakteren hat man es wahrscheinlich nicht immer leicht.

Semgoroth: In jeder guten Beziehung oder Ehe gibt es kleinere und größere Reibungspunkte sowie gute und schlechte Zeiten, aber ich denke, dass wir ein sehr gutes, respektvolles Verhältnis haben. An oberster Stelle steht für mich immer Ehrlichkeit und das leben alle involvierten Parteien denke ich sehr. Man muss den Finger auch mal dahin stecken, wo es wehtut und brennt, sofern nötig, ohne böses Blut. Über die generelle Zusammenarbeit kann ich nur sagen, dass uns bisher kein Wunsch abgeschlagen wurde und wir uns gut aufgehoben und behandelt fühlen. Verzögerungen im Zeitplan sind weniger der Rede wert und bei einem solch "Band-reichen" Label auch nachvollziehbar. Insofern, alles gut.

Teilt ihr Mathias` Vision von Opulenz, Qualität und Nachhaltigkeit bei den Produkten?

Semgoroth: Wer uns kennt, der weiß, dass wir auch schon vor unserer Zeit bei Talheim Records, wo wir unsere Veröffentlichungen zu großen Teilen selbst produziert oder produzieren lassen haben, großen Wert auf Aussehen, Qualität, Haptik etc. gelegt haben. Ich weise hierbei auf die Kassetten-Editionen der Alben "Metamorphosis" und "Nostalgia: Zwischen Zukunft und Vergangenheit" hin. Nachhaltigkeit zu leben ist in der Produktion von Tonträgern und Merchandise nicht immer einfach und vor allem auch nicht ganz günstig, aber wir können nur unsere Hüte davor ziehen, wie Mathias das lebt. Wer beispielsweise einmal einen Zipper von uns in den Händen gehalten hat, weiß, wovon wir sprechen. Der Preis kommt nicht von ungefähr...

Hat sich die Zusammenarbeit mit Talheim irgendwie auch auf eure Konzerte ausgewirkt? Gebt ihr den Fans die Gelegenheit, nach den Shows ein bisschen zu quatschen oder braucht ihr nach dem Auftritt eure Ruhe?

Semgoroth: Da wir bisher nicht live gespielt haben, erübrigen sich diese Fragen.

Dann warten wir mal gespannt ab, ob sich das bald ändert. SEELENFROST Fans gibt es ja genug, die sich das herbeisehnen.

Die Verbalisierung eines leicht verständlichen Sachverhaltes und Fragen nach dem Offensichtlichen können provokant sein: Ist Black Metal eine Kommunikationsform? Wenn ja, wie funktioniert sie?

Semgoroth: Bei vielen Bands fungiert Black Metal als eine Art Kommunikationsform, wenn ich aber Musik schreibe, spreche ich dadurch höchstens mit mir selbst bzw. höre in/auf mein Innerstes. Wie eingangs erwähnt machen wir letztlich alles für uns selbst und sprechen somit auch niemanden direkt an. Dass sich dennoch jemand angesprochen fühlen kann, bleibt natürlich nicht aus und ist in den meisten Fällen ein positiver Nebeneffekt, aber wirklich beabsichtigt ist es nicht. Klingt arroganter als es gemeint ist, aber ich denke man versteht, was ich meine.

Vielen Dank für das Gespräch! Weiterhin viel Erfolg und bis bald bei STORMBRINGER!

Semgoroth: Vielen Dank für das interessante Gespräch, bis dahin!


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