Interview: Darkseed - Harald Winkler & Thomas Herrmann

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Die Romantik ferner Länder...

Ein gutes dreiviertel Jahr nach dem geplanten Erscheinungstermin beglücken und die süddeutschen Dunkelmetaller DARKSEED mit ihrem nunmehr siebten Langspielwerk. Anlass genug, mal bei Sänger Harald Winkler und Gitarrist Thomas Herrmann anzuklopfen, um ein paar Erklärungen einzuholen - zu diesem und zu jenem, aber auch zu Religion, Gothicbräuten und anderen essentiellen Themen...

Veröffentlicht am 27.07.2010

Warum hat sich der Veröffentlichungstermin für das neue Album um fast ein Jahr verschoben ? Geplant war “Poison Awaits” ja bereits für Herbst 2009...?

Tommy:
Tja, wir hatten diesmal unsere CD relativ früh angekündigt, und wie so oft verschätzt man sich sehr gerne im Zeitplan. Dass es sich aber so weit verschieben würde haben wir selbst nicht erwartet. Wir hatten anfangs ein Stück länger gebraucht fürs Songwriting. Dann hat Stefan ja die Band verlassen, und die "Neuen" im Bunde mussten sich auch erst mal einarbeiten. Diesen Umstand hatten wir nicht berücksichtigt. Nach der Aufnahme der Instrumente haben wir dadurch den geplanten Termin für die Gesangsaufnahmen verpasst, und das hat uns ziemlich nach hinten geworfen. Es war geplant die Aufnahmen in den Schulferien durchzuziehen, da Harry (Winkler; d.Verf.) ja Lehrer ist. Dann mussten wir in die reguläre Schulzeit ausweichen, somit war nur an den Wochenenden Zeit. Durch all diese Verschiebungen kamen mir dann im Studio blöderweise noch zwei Monate Arbeit dazwischen, und in dieser Zeit mussten wir die Produktion komplett liegen lassen, da die CD ja auch bei mir im Studio produziert wurde. So führte halt eins zum anderen.

Also ein ziemlicher Hürdenlauf wie es aussieht.
Euer neuester Zugang ist EISBRECHER-Bassist Michael Behnke. Hab ihr damit euer optimales Lineup gefunden ?

Harry:
Wir sind natürlich froh, mit Michi einen Mann an Bord zu haben, der sich seine Sporen bereits bei bekannten Acts wie eben EISBRECHER verdient hat. Somit ist für die Gigs und Festivals ab Herbst 2010 gewährleistet, dass wir eine tight groovende Rhytmussection haben, und insgesamt eine überzeugende Performance abliefern können. Da wir in den letzten Jahren kaum live gespielt haben, aber eigentlich einen guten Ruf als Liveband haben, ist jeder in der Band heiß darauf, mit dieser neuen, starken Besetzung endlöich die Bühne zu entern.

Steht hinter „Poison Awaits“ eigentlich ein Konzept, oder sind einzelne Songs thematisch miteinender verbunden ?

Harry:
Nein, das Album ist kein Konzeptalbum. Dennoch werden die einzelnen Songs inhaltlich lose durch einen Grundtenor zusammengehalten: In vielen der Texte steht ein lyrisches Ich am Scheideweg und muss sich entscheiden zwischen dem "Gift, das einen erwartet" (das kann Konsum, schnelles Glück, Materialismus oder auch die holde Weiblichkeit sein) und dem vielleicht weniger aufregendem Leben als Durchschnittsbürger.
Ohne plump den moralischen Zeigefinger zu heben, wird am Ende der jeweiligen Texte oft der Vorschlag gemacht, sich auf die wahren Werte zu besinnen.
Letztendlich sind es aber keine festen Geschichten mit klarem Ausgang, sondern eher Ansammlungen von Metaphern und Bildern, die jeder Hörer selbst interpretieren muss.
Erwähnenswert wäre hierbei noch, dass ich in meinem Job als Lehrer oft auf konsumgeile und lethargische Kids treffe, die mich zu einigen der Lyrics inspiriert haben. Nehmt euch die Zeit, beschäftigt euch mit unserem Album und bildet euch eure eigene Meinung zu “Poison Awaits”.

Wie wichtig ist das Artwork für euch bzw. eure Platten und was wollt ihr damit ausdrücken oder unterstreichen ?

Harry:
Das CD-Artwork hat sicherlich im I-Tunes- und EMule-Zeitalter ein wenig an Bedeutung verloren. Ich denke, dass die Zeiten, als man eine Platte nur wegen des Covers gekauft hat, wirklich vorbei sind. Ich habe allerdings gehört, dass Vinyl - und somit große, schöne Artworks - ja wieder im Kommen ist bei Sammlern und auch bei Metal-Fans. Für “Poison Awaits” haben wir das bislang beste Artwork gefunden finde ich – aber das hat ein wenig gedauert. Der Künstler heisst übrigens Markus Ruf (ehemals bei FEAR MY THOUGHTS; der Verf.). Die Dame auf dem Cover, die Schlangen, die ja auch in unsrem Logo auftauchen, die bedrückende und düstere Gesamtstimmung - all dies passt hervorragend zum Albumtitel und ist wie ich meine ein echter Eyecatcher.

Was haltet ihr von den immer wieder mal auftauchenden Vergleichen mit PARADISE LOST oder L’AMÈ IMORTELLE ?

Harry:
Über Fragen wie diese muss ich immer ein wenig schmunzeln, weil wir alle eigentlich nur noch wenig Gothic Metal hören. L‘AMÈ IMORTELLE kenne ich auch nur vom Namen her, PARADISE LOST habe ich in den Nunzigern viel gehört. Klassiker wie “Gothic” oder “Icon” haben uns damals natürlich auch stark beeinflusst. Danach habe ich die Band allerdings ein wenig aus den Augen verloren.

Ich finde, dass DARKSEED anno 2010 kaum mehr Parallelen zu PARADISE LOST oder anderen Gothicbands aufweisen, zumindest können wir behaupten, dass etwaige Ähnlichkeiten sicher nicht beabsichtigt sind - da wir uns privat eben nicht mehr von unsren Konkurrenten akustisch berieseln lassen. Natürlich benutzen wir einige der für den Gothic Metal typischen Trademarks, wie den tiefen Gesang oder die amosphärischen Synthies. Dennoch denke ich, dass es sehr schwierig ist, unseren Stil in eine vorgefertigte Genre-Schublade zu stecken.

Glaubt ihr dass der Einsatz von Synthies im Dark Rock/Gothic Metal unverzichtbar ist ?

Harry:
Unverzichtbar würde ich nicht sagen. Aber wir würden nicht mehr auf die zahlreichen zusätzlichen Möglichkeiten, die uns durch elektronische Sounds, Elemente und Samples offen stehen, verzichten wollen. Dennoch denke ich, dass Gothic Rock oder Gothic Metal auch ohne Keyboards glaubwürdig vermittelt werden kann. Wir schrieben in den Neunzigern ja auch schon Songs ohne Keyboard, die z.B. von ihren zweistimmigen Gitarren-Leads leben. Irgendwann war diese Kerbe aber ausgereizt, und die damaligen Hauptsongwriter der Band, Stefan und Tommy, tüftelten in ihren Studios eben mit Synths, Samples und Elektronik herum. 2010 steht die Frage “Keyboards bei DARKSEED - Ja oder Nein?“ überhaupt nicht mehr zur Debatte, auch wenn einige Kritiker und Metalheads allergisch darauf reagieren, haha…

Diese paar Kritiker werden es auch irgendwann kapieren denke ich. Habt ihr euch jemals Gedanken gemacht, weiblichen Gesang fix mit in die Band zu nehmen? Oder ist das für euch dann schon zu klischeehaft ?

Harry:
Die knappe Antwort auf diese Frage lautet: Nein! Wir haben in der Vergangenheit immer wieder mit weiblichen Gastsängerinnen gearbeitet, trotzdem wurde nie über ein festes weibliches Bandmitglied nachgedacht. Der weibliche Gesang wurde stets auch nur sparsam eingesetzt, sozusagen als kleines, überraschendes Gimmick. Mit dieser “Female-Fronted-Gothic”- Bewegung, die dann in den Neunzigern mit NIGHTWISH, ATARGATIS und Konsorten losgetreten wurde, können wir uns auch nur wenig bis gar nicht identifizieren. Mich persönlich tangiert dieser von Kitsch nur so triefende Sound eigentlich überhaupt nicht.
Ich denke, dass DARKSEED immer eine Band bleiben wird, deren Trademark die männlichen, tiefen Vocals sind.

Wo seht ihr euch also dann mehr zuhause, im Gothic Metal oder im Dark Rock ?

Harry:
Schwierige Frage. Wie schon gesagt, finde ich es schwer unsere Musik zu kategorisieren. Ich denke, dass die Riffs und die Produktion hart genug ist, um den Metallern zu gefallen. Andererseits sehe ich definitiv die Möglichkeit, Songs aus unseren Alben auch in Gothic-Clubs zu spielen. Selbst Metal-Gegner oder DEPECHE MODE-Fans mögen unsere Scheiben, da kann das ganze ja gar nicht so verkehrt sein...

Also nennen wir’s mal Dark Rock. Bands aus dieser Ecke ziehen üblicherweise verdammt viele Mädels an, auf Konzerten und sowieso. Seid ihr da eher eine atypische Dark Rock Band oder ist das bei euch auch so ...?

Harry:
Da ich einige Jahre nicht in der Band war, und wir seit 2008 nur unseren Reunion-Gig in München hatten, kann ich die Frage nur schlecht beantworten. Ich kann dir allerdings sagen, wie es früher in den guten alten Neunzigern war: damals waren wir alle solo und hätten es sehr gerne sehen, wenn sich dunkle weibliche Wesen zu unseren Gigs verirrt hätten, hehehe !Das Höchste der Gefühle waren in der Regel so zwei Mädels pro Gig, und die Gutaussehende von den Beiden war natürlich vergeben. Man muss es dieser ganzen Emo-Myspace-Deathcore-Bewegung der letzten Jahre zugute halten, dass mittlerweile deutlich mehr Mädels harte Musik hören und sich immer zahlreicher auf Konzerten sehen lassen. Ich bin aber sehr gespannt, wie sich unser Publikum bei unseren anstehenden Gigs zusammensetzen wird…

Tommy:
Da man uns stiltechnisch eben nicht direkt dem Dark Rock- oder Gothic Metal-Bereich eindeutig zuordnen kann war es die letzten Jahre - im Gegensatz zur Gründungszeit - immer sehr gemischt. Ich würde sagen, die männlichen und weiblichen Fans halten sich mittlerweile die Waage. Das war zumindest mein Eindruck auf unseren Konzerten die letzten zehn Jahre.

Harald, wie war es für dich damals eigentlich vom Drumkit an die vordere Bühnenkante zu wechseln? Immerhin ja kein alltäglicher Schritt, oder?

Harry:
Ach, das Schlagzeugspielen ist bei mir ja schon 14 Jahre her. Und der Übergang zur vordersten Bühnenfront war ja ein sehr langsamer und überlegter, der sich schrittweise vollzogen hat.
Schon in der Anfangszeit bei DARKSEED war ich übrigens neben meinem Drumming für einige cleane Gesangsparts zuständig.
Außerdem bin ich es als Lehrer gewohnt, täglich sozusagen auf dem Präsentierteller zu sein und zu “performen”, auch wenn es nicht immer alle interessiert, haha ! Und nebenbei singe ich seit Jahren in diversen Bandprojekten z.B. SOUL SABOTAGE, ein interessantes Metalprojekt mit Schülern von mir (www.myspace.com/soulsabotage).

Naja, aber Drummer sind doch immer sehr eigene und ruhige Zeitgenossen, im Gegensatz zu den eher extrovertierten Frontmännern. Wie switcht man das um ? (prominetes Stichwort: Dave Grohl...)

Harry:
Ich würde mich grundsätzlich eher als extrovertiert bezeichnen. Ich fand es schon damals als Drummer toll, Ansagen zu machen und das Publikum anzuheizen. Natürlich hat man von hinten, meist noch verdeckt durch seine Bandkollegen, nicht ganz so viele Möglichkeiten wie vorne am Bühnenrand, sodass ich mich da jetzt mehr ausleben kann.

Wo würdet ihr lieber auftreten wenn ihr es aussuchen könntet, am Wave Gothic Treffen in Leipzig oder in Wacken ? Oder überhaupt auf einem anderen Festival ?

Harry:
Ich würde natürlich zu keinem der beiden Festivals nein sagen. ich finde die Optik des Publikums und die Atmosphäre auf dem WGT großartig, andererseits hätte ich natürlich auch richtig Lust, mal auf der Hauptbühne in Wacken zu spielen vor einer gefühlten halben Million Zuschauern. Mein Lieblingsfestival ist allerdings das Rock Hard Festival in Gelsenkirchen, wo alles sehr familiär zugeht und die Leute wirklich wegen der Musik da sind. Das wäre mein persönlicher Favorit für 2011... (also Rock Hard, ihr wisst was zu tun ist! d.Verf.)

Mal Themenwechsel: Im Gästebuch eurer HP treibt ein gewisser Saeed aus dem Iran sein Unwesen. Habt ihr seine Statements verfolgt, die doch sehr anti-religiös sind ? Was meint ihr dazu ?

Tommy:
Eine direkte Aussage zu seinem Statement will ich mir hier verkneifen. Aber bezüglich Religion kann ich hier ja meine persönliche Meinung kundtun: Solange man sich in Frieden, ohne zu Töten, ohne Krieg, ohne Hass und mit Toleranz anderen Religionen, Menschen und Tieren gegenüber verhält - dann spricht von meiner Seite aus nichts dagegen, sich einer Glaubensgemeinschaft zugehörig zu fühlen und seine Religion auch auszuleben. Leider gibt es aber einige Religionen die diesen mir wichtigen Grundsätzen zuwiderhandeln.

Fliesst das Thema Religion auch in eure Songs ein ?

Tommy:
Religion ist eigentlich wenig in unseren Texten vorhanden. Ich persönlich fühle mich keiner Religion zugehörig, obwohl ich römisch-katholisch getauft wurde, wie eben in Bayern üblich. Trotzdem möchte ich mich nicht direkt als Atheist bezeichnen. Ich habe für mich selber entschieden was ich glaube und was nicht, und das kann man eben keiner speziellen Religion zuordnen. Aber wie das nun im Detail bei mir ist, darauf will ich jetz nicht unbedingt eingehen.

Klar, das würde auch jeden Rahmen sprengen. In der Biografie auf eurer Homepage meint ihr einleitend, dass „Gothic Metal aus deutschen Landen nicht besonders aufregend klingt“. Warum meint ihr das denn ?

Tommy:
Gut, die Biografie ist mittlerweile schon bisschen veraltet, aber es gibt eine Neufassung die mit einem größeren Websitenupdate die nächsten Tage online gehen sollte. Damals (die Biografie ist ja schon etwa fünf bis sechs Jahre alt) machte es irgendwie den Eindruck, dass Gothic Metal aus dem Ausland ist irgendwie populärer bei uns in Deutschland wäre und von den Hörern besser angenommen würde als deutsche Bands. Oft schreibt man ja fernen Ländern eine ganz besondere Romantik zu (hä..?? d.Verf.) , sowas ist dann vielleicht im Vergleich zu einer deutschen Band interessanter. Aber ich habe den Eindruck, dass sich das die letzten Jahre ziemlich verändert hat.

Jetzt mal ehrlich – Ronnie James Dio oder Peter Steele - wer bedeutet euch mehr, und warum ?

Harry:
Ich bin mir der Bedeutung von Dio durchaus bewusst, besitze auch einige seiner Alben wie etwa “Holy Diver”. Trotzdem war, wenn ich ehrlich bin, Peter Steele immer faszinierender und interessanter für mich. “Bloody Kisses” ist eins der besten Gothic-Alben aller Zeiten, und Peters schwarzer Humor und seine Biografie sind legendär. Ich bin froh, dass ich TYPE O NEGATIVE einige Male live erleben durfte ! Sie waren auch die erste Band, bei der mir tiefer, cleaner Gesang gefallen hat und ich mir sagte: das könnte man auch mal ausprobieren!

Ok, dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen – ausser ihr wollt den Stormbringer-Lesern noch was mit auf den Weg geben...

Harry:
Tja, wir bedanken uns für das Interview und möchten alle unsere Fans in Österreich grüssen! Checkt unser Album an und schaut immer mal wieder auf unsere Web- bzw. unsere Myspace-Seite. Vielleicht spielen wir ja schon bald mal in einem Club in eurer Nähe...!


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