23.11.2014, Explosiv

SÓLSTAFIR

Veröffentlicht am 26.11.2014

Freitagabend im Spätherbst in der steiermärkischen Landeshauptstadt, schnittige fünf Grad plus und der Himmel hängt relativ knapp über dem Boden. Schon eine Stunde vor Beginn finden sich die ersten Konzertbesucher im EXPLOSIV ein. Es ist grausig kalt und neblig draußen, passend für die subarktischen Laute, die uns heute noch begegnen werden. SÓLSTAFIRs erste Headlinertour durch Europa ist ein Riesenerfolg und auch heute spielt man wieder vor ausverkauftem Haus. Rund 400 Leute sorgen für ein bummvolles (= Teil meines Projekts „bringt das weststerische Idiom zurück!“) Explosiv. Der Zeitplan ist sehr straff und wird beinahe auf die Minute eingehalten. Das heißt für OBSIDIAN KINGDOM aus Barcelona, dass um 20.00 Uhr Showbeginn ist. Anfangs, wie es dann eben bei Supportbands so ist, ist vor der Bühne nicht wirklich viel los, aber bald schon bewegt sich die größer werdende Schar Richtung Bühne um die Progressive Rock / Experimental / Post Metal - Chose abzufeiern. Schön flächige Keys vom am härtesten posenden Mann einer sehr hart posenden Musikerschar und intensive Songs beginnen einen legendären Abend. Die Jungs geben alles und ernten nach der ihnen gegebenen halben Stunde deutlich mehr als wohlwollenden Applaus.

ESBEN AND THE WITCH schlendern zu Dritt auf die Bühne und setzten beim Publikumszuspruch an, wo OBSIDIAN KINGDOM aufgehört haben. Schon beim ersten Song (wobei Song hier nicht treffend ist, handelt es sich bei den Briten doch sehr oft um äußerst sphärische, abhebende (nicht abgehobene), intensive Musik jenseits üblicher Strukturen) drängen sich die Leute ganz vorne. Was genau EATW spielen ist nicht eindeutig zuzuordnen, then again, sagt der Brite, ist es auch egal. Auf keinen Fall ist es irgendetwas mit Indie wie der Spex-Soziologe nennt. Die äußerst präsente Stimme von Rachel Davies entführt in den vielen ruhigen Momenten in die Weiten von, ehrlich gesagt, keine Ahnung. Aber sie lassen den Blick ins Innere richten und alle die sich darauf einlassen bekommen ein stimmiges Stück Post-Irgendwas mit auf den Weg. Der Drummer des Trios beklagte während der ausgefüllten Dreiviertelstunde immer wieder technische Probleme, scheinbar aber sind EATW so gut aufeinander eingespielt, dass selbiges dem begeisterten Hörer überhaupt nicht auffiel. Herrlich, was hier dargeboten wurde, und offensichtlich denken viele andere auch so, gibt es doch bereits die ersten "Ausverkauft"-Meldungen vom Merchandise. Die Tour ist offensichtlich nicht nur für den Headliner ein Erfolg. Kleiner Tipp, seht Euch die Homepage der Band aus Brighton an. Das ist erstens eine Zeitreise internettechnisch und zweitens richtiggehend künstlerisch.

Und für diesen Headliner war es dann um dreiviertel 10 Zeit, die Bühne zu betreten. Gleich nach dem Opener "Köld" beklagte Frontman Aðalbjörn Tryggvason Probleme mit seiner handgedrechselten Flying-V. Diese technische Pause gestalteten die drei anderen Schergen des Quartetts aus Reykjavík mit einer kleinen Improvisation die zeigte, dass man an den Instrumenten durchaus fit ist. Als es weiterging musste man feststellen, dass die Band noch nicht ganz auf Touren war. Was vielleicht auch am Publikum gelegen sein konnte. Die halbe Halle hatte mit Gesprächen zu tun und das störte vor allem in den ruhigen Momenten. Nach einem "I respect you, but I need you to Shut The Fuck Up now" und einem resoluten nach oben drehen der Lautstärke aber stellte sich die unheimliche Magie der Band ein. Jeder einzelne Song wurde abgefeiert als ginge es um´s Überleben. Der locker als Darsteller in Trainspotting durchgehende Fronter ist mit einem Charisma gesegnet mit dem man wohl in Bälde die größeren Bühnen des Kontinents bespielen wird. Bassist Svavar Austmann ist dermaßen cool dass sogar Lemmy da nicht mehr dagegen ankommt, der zweite Gitarrist Sæþór Maríus Sæþórsson sieht aus wie ein verlaufenes Extra aus "Justified" und Guðmundur Óli Pálmason an den Drums ist die isländische Version von Gene Hoglan. Nicht spielerisch, man geht dann doch in andere Richtungen, aber durchaus rotund verzieht er keine Mine und spielt ohne sichtbare Bewegung alles ihm Vorgeworfene souverän und punktgenau.

Durchaus interessant auch der Kommentar einer Mitbesucherin die da meinte, wenn man das Konzert auf Radio Soundportal oder FM4 bewirbt und im Forum-Stadtpark veranstaltet wahrscheinlich auch alles ausverkauft sein würde. Stimmt auf jeden Fall, zwischen Langhaarigen airdrummten sich Robert-Seeger-Pulli-tragende Hipsterknaben in eine andere Sphäre, Gothic-Biatches wirkten verwirrt und manch erwachsener Mann wurde beim rhythmischen Heiltanz gesichtet. Die Mjölnir-Dichte war sehr gering, offensichtlich ist es den echten Germanen zu kalt gewesen um heute hier aufzutauchen. Sind SOLSTAFIR also die heutige Konsensband im harten Rock? Und wenn ja, ist das nicht völlig egal? Riesige Soundflächen treffen auf die absolut treffsichere Stimme Tryggvasons, die alles umfassende Coolness der Band spielt mit dem kantigen Isländisch der Texte (eine des Isländisch rudimentär mächtigen Dame durchte ich entlocken, dass einer der Songs nichts anderes als ein Wetterbericht aus Island ist - in your face, Jünger Odins) und das eigenwillige Bewegungsmuster des Fronters.

Eineinhalb Stunden lang (auch das eine sehr akzeptable Länge in Zeiten in denen Headliner 60 Minuten spielen) entführten uns die Jungs, wie auch schon die Vorbands, auf eine Gänsehautreise in die Weiten des Inneren. Sich massig auftürmende Klangkasskaden lösen sich in fragilste Momente auf und bringen das Publikum zum Ausfädeln. Nach "Goddess of the Ages" war Schluss um halb Zwölf und jetzt, mit ein paar Tagen Abstand zum Konzert darf ich sagen, dass das wohl ein Packagage und ein Abend war, den ich so schnell nicht in meinem Thought Palace ablegen werde. Drei Bands an einem Abend, kein Ausfall sondern eine wunderbare Reise mit Rockmusik in Gänsehautsphären. Fantastisch, einfach fantastisch.


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