10.07.2015, Gasometer, Wien

MIND OVER MATTER FESTIVAL feat. DREAM THEATER + KADAVAR + PALLBEARER + THE PICTUREBOOKS

Veröffentlicht am 16.07.2015

Bei der Ankündigung eines Open-Air-Festivals in der Arena Wien bekam ich schon glänzende Augen, da ich diese Location schon immer als die ideale urbane Realitätszufluchtsstätte erachte. Welch grandiose Open Airs habe ich dort schon erlebt! Dort erzeugten die Fans der Headliner stets eine formidable Stimmung, was bei den großen Festivals kaum möglich ist und außerdem ist mir das zum großen Teil musikuninteressierte Partypublikum auf derartigen Großveranstaltungen ein Gräuel. Endlich also ein Festival in der Arena dachte ich mir, das ich so in meiner bisherigen Konzertlaufbahn, die erst vor ungefähr zehn Jahren startete, noch nie erlebt hatte.

Und dann noch die Ankündigung des Headliners DREAM THEATER, eine Band die mich seit den Anfängen meiner metallischen Musikbegeisterung zutiefst beeindruckt. Vor allem John Petrucci als unerreichbares E-Gitarristen-Vorbild verschlug mir mit seiner souveränen Gitarrenarbeit die Sprache. Doch auch das Bassspiel eines John Myung, mit dem eigentlich ein zehnminütiges Schweigeinterview geplant war, welches aufgrund von Interviewverweigerung aber nicht stattgefunden hatte, ist nicht von dieser Welt. Um diese beiden Gründungsmitglieder hätten sich der stets sympathische Frontmann James LaBrie, Tastenmeister Jordan Rudess und der Rekord-Schlagzeuger Mike Mangini in der für den guten Livesound bekannten Arena wieder mal in Höchstform präsentieren können.

Und damit kommen wir zur großen Fehlentscheidung des Veranstalters, das Konzert ins Gasometer zu verlegen, vor allem bei schönstem Open-Air-Wetter. Zwar wirtschaftlich aufgrund der schlechten Vorverkaufssituation sogar ein wenig verständlich. Für die Werbetauglichkeit der neuen MIND OVER MATTER – eine aufgrund der bereits angekündigten Konzerte jetzt schon großartigen Konzertreihe – leider fatal. Denn auch wenn ich schon viele gute Konzerte mit gutem Sound im Gasometer gesehen habe, bei DREAM THEATER ist dieser unerlässlich! Während der instrumentalen Passagen ging es ja noch, aber als dann der an diesem Abend leider erkrankte James LaBrie, der sicherlich unter diesen Umständen sein Bestes gab, zu seinen umstrittenen gepressten hohen Tönen ansetzte, tat das nur mehr weh in den Ohren.

Doch zurück zum Anfang des Konzertabends mit den großartigen Supportbands aus der ROADTRIP TO OUTTA SPACE-Reihe der Arena Wien, die mit einem stimmungsvollen DJ-Set um ca. 17:30 Uhr eingeleitet wurde. Zu dieser Zeit befand ich mich allerdings noch mit meinen Stormbringer-Kollegen und Freunden am Arena-Open-Air-Gelände, um dort gegen die Verlegung der Veranstaltung ins Gasometer zu protestieren. Bei schönstem Wetter brachen wir dann um ca. 18 Uhr Richtung dunkle Gasometer-Halle auf und kamen gerade noch rechtzeitig zur ersten Band des Abends: THE PICTUREBOOKS.

Die "internationale Version von BILDERBUCH" hat so gar nichts mit der Musik des österreichischen Exportschlagers zu tun. Die zwei Mitglieder von THE PICTUREBOOKS könnten direkt den Straßen Kaliforniens entspringen und spielen staubigen Rock, der Bilder des Films „Easy Rider“ vorm inneren Auge heraufbeschwört. Die energetische Performance des Duos erinnerte mich auch stark an jene der Australier JACKSON FIREBIRD, die vor einem Jahr im Dreiraum der Arena Wien Furore machten (zum Bericht).

THE PICTUREBOOKS sind definitiv zu empfehlen, der Sound war bei diesem Zweigespann, das sich am rechten Eck der großen Gasometer-Bühne eingerichtet hatte, ganz in Ordnung – nicht zuletzt sollte er ja sowieso ein wenig „dreckig“ daherkommen. Sowohl das wuchtige Schlagzeug-Spiel und die staubigen Riffs, wie auch die raue Stimme blieben mir jedenfalls gut in Erinnerung. Und bei dem kleinen Hit „Your Kisses Burn Like Fire“ gingen sogar die hundert bereits erschienenen Leute ganz gut mit. Da die Band durch ihre Ansagen verraten hat, dass sie aus Deutschland kommt – was mich Unwissenden ziemlich überraschte – kann man wohl davon ausgehen, dass sie bald wieder in Österreich spielen werden.

Die nächste Band war dann schon ein schwereres Kaliber. Als wahrscheinlich eine der genialsten Doom-Bands der nächsten Generation konnten PALLBEARER ihre Genialität soundbedingt an diesem Abend leider schwer ausspielen. Obwohl die Truppe sehr bemüht wirkte, kämpfte sie dennoch einige Male mit technischen Problemen. Instrumental war die schwere, langsame Doom-Walze wie beim Opener „Worlds Apard“ über alle Zweifel erhaben, der Gesang war leider zu übersteuert und machte diese Passagen teilweise unerträglich, was sich leider auch an den Publikumsreaktionen zeigte. Ich hatte schon zu Beginn meine Bedenken, ob sich diese progressive, sperrige Musikrichtung wohl für ein Festival eignen würde. (MASTODON haben dies vor einigen Jahren am Nova Rock bereits bewiesen.)

Ich bin mir nicht einmal sicher, ob PALLBEARER als Open-Air-Konzert bei Tageslicht funktioniert hätten, denn die mithilfe der ausgezeichneten Lichttechnik im Gasometer erzeugte düstere Stimmung passte eigentlich sehr gut zur Band. Beim nächsten Einzelkonzert dieser Ausnahmeband werde ich jedenfalls sicher wieder dabei sein, denn zumindest auf Platte überzeugen PALLBEARER auf allen Ebenen, wie übrigens auch ATLANTEAN KODEX, um eine weitere Genre-Referenzband zu nennen.

Stimmungstechnisch ging es dann mit den zeitreisenden KADAVAR, die direkt den 70er-Jahren entstammen könnten, wieder bergauf. Vor allem die Kollegen Fröwein und Baumgartner, die am Nachmittag ein 60-minütiges Interview (viel Spaß beim Abtippen - Anm. Flo // längst erledigt! - Anm. RF) mit den Neuzeitverweigerern geführt hatten, gingen während des Konzerts ab wie Schmidts Katze. Und das mit voller Berechtigung!

Wie ich bereits vom ausverkauften Konzert der Truppe im Chelsea mit voller Begeisterung berichtet hatte (zum Bericht), konnte man die Performance auch an diesem Abend wieder mal als äußerst gelungen bezeichnen. Der Sound war hier von allen Bands des Abends am besten, die Outfits und die Bärte der Bandmitglieder sowieso und die Sympathie der Berliner sprang auch aufs Publikum über.

Das Hauptproblem war leider, dass bis auf die zwei erwähnten Headbanger-Kollegen kaum richtige Fans von KADAVAR anwesend waren und die Stimmung hinter uns Dreien deshalb nicht so großartig ausfiel, wie es hoffentlich am bevorstehenden Headliner-Konzert im Dezember 2015 in der Arena Wien nicht der Fall sein wird. Die Band zeigte sich jedenfalls von ihrer besten Seite und gab mit ihren einprägsamen Songs wie „Doomsday Machine“ und „Come Back Life“ Vollgas.

Vor allem Schlagzeuger Christoph „Tiger“ Bartelt poste in seinem schönen Gilet und mit seiner Haarpracht im Ventilatorwind (Kollege Dragonslayer lässt grüßen) wie ein ganz Großer. Bassist Simon „Dragon“ Bouteloup gab in seinem Tank-Top die lässige Groove-Maschine und Sänger und Leadgitarrist Christoph „Lupus“ Lindemann zauberte eine geniale Melodie nach der anderen aus dem Ärmel.

Doch nun war der Moment des Headliners gekommen und wenn es eine reine ROADTRIP TO OUTTA SPACE-Veranstaltung gewesen wäre, hätte der Abend bereits einen würdigen Abschluss gehabt. Die DREAM THEATER-Fans, die leider nicht sehr zahlreich erschienen waren (wenn man überhaupt 1.000 Besucher zählte, was nach der letzten ausverkauften Show im Frühjahr 2014 doch stark verwunderte), warteten sehnsüchtig auf ihre Helden, was nach dem durchaus bunten musikalischen Genremix der Vorbands aber durchaus verständlich war.

Generell spielten die Progressiv-Metal-Pioniere in den letzten Jahren so oft in Österreich wie noch nie in ihrer Karriere, was sicher auch das Resultat des Ausstiegs von Mike Portnoy ist. Gut für die Fans! Mein erstes Konzert von DREAM THEATER im Posthof Linz im Jahr 2007 habe ich soundbedingt leider nicht gut in Erinnerung. Da fand ich soundtechnisch sogar die Supportband DOMINICI mit DREAM THEATER-Original-Sänger Charlie Dominici besser.

Mein erstes Gasometer-Konzert dieser Band im Jahr 2011 mit Neo-Drummer Mike Mangini war dann aber fast eine Offenbarung. Und seither beehrten uns die Ausnahmekünstler fast jährlich, waren immer gut besucht, aber die Häufigkeit der Konzerte verursachte bei mir ebenso wie bei METALLICA schon fast eine musikalische Übersättigung. Vor allem weil es so viele andere geile Bands gibt, die Unterstützung viel notwendiger haben als weltbekannte Acts.

Zumindest bleibt bei DREAM THEATER die Setlist immer interessant. In den letzten Jahren wurden ja auch zum großen Teil die neuen Alben vorgestellt, die beileibe nicht schlecht waren. Aber es gibt eben immer ein paar Song-Favoriten, die man unbedingt live hören will, wenn man mit den alten Alben aufgewachsen ist. Und deshalb war diese "30th Anniversary"-Tour, bei der pro Album ein repräsentativer Song gewählt wurde, ein besonderes Ereignis, welches doch wieder eine gewisse Vorfreude in mir auslöste.

Die Setlist wurde in streng chronologischer Reihenfolge abgespult, was leider darin resultiere, dass das Songmaterial am stärksten begann, dazwischen ein paar Höhepunkte hatte, das Ende aber als etwas schwächelnd vorprogrammiert war. Das neue Intro „False Awakening Suite“ stimmte gut in die Best-Of-Setlist ein, die dann mit „Afterlife“ und der Übernummer „Metropolis Pt.1“ meine Highlights schon vorwegnahm, da ich großer Fan der ersten beiden Alben bin. Aber auch „Caught In A Web“ vom „Awake“-Album, das bei der letzten Tour einen großen Anteil innehatte, hielt das Niveau hoch, genauso wie der kurze „A Change Of Seasons“-Part. „Falling Into Infinity“ – das umstrittenste Album der frühen DT-Diskografie – bildete bei mir mit „Burning My Soul“ einen kleinen Tiefpunkt. Es hatte sicher jeder anwesende Besucher seine eigenen Favoriten, eine kollektive Jubelstimmung wie beim „The Spirit Carries On“ vom vielleicht populärsten Album „Metropolis Pt. 2“ kam selten auf, da auch James LaBrie bei solchen stark emotionalen Songs am meisten glänzte.

Jetzt kam für mich ein Jordan-Rudess-Keyboard-Solo gerade recht, um mal aufs Klo zu gehen. Als ich dann zurückkam, wurde gerade „About To Crash“ vom Doppelalbum „Six Degrees…“ gespielt. Jede Phase der Bandgeschichte wurde bedient: Somit auch das thrashige „As I Am“ vom „Trial Of Tears“-Werk, wobei sich James hier gesanglich sehr anstrengen musste und immer wieder hinter der Bühne verschwand, um den Instrumentalisten den Weg frei für deren Performance zu machen.

Die Interaktion mit dem Publikum war spärlich, genauso das Bühnenbild, das eigentlich gar nicht vorhanden war. Lediglich die Lichtshow konnte punkten. Die kleinen Videowalls an den Seiten der Bühne konnten die Konzeptwerke nicht gebührend darstellen – eine große LED-Wall, wie in solchen Fällen eigentlich üblich, wäre da schon hilfreicher gewesen. Das „Systematic Chaos“-Video mit den animierten Ameisen, die über Ampeln kraxeln, zu „Constant Motion“ hatte ich beim letzten Konzert besser in Erinnerung. Der Song „Panic Attack“ vom Konzeptwerk „Octavarium“ war sicher auch nicht die schlechteste Wahl – aber Songs aus ihrem Kontext herauszureißen kann eben ihre Wirkung schmälern, was bei den neueren Songs nicht so tragisch auffiel. Die balladesken Songs „Wither“ und „Bridges In The Sky“ mit ihren getragenen Gesangslinien, die James LaBrie, wie gesagt, im Allgemeinen besser zu Gesicht stehen, waren ein versöhnlicher Abschluss und „Behind The Veil“ eine gelungene Zugabe.

Dass das Konzert nun vorbei sein sollte ohne jede weitere Zugabe aus alten Zeiten, wollte dann so mancher nicht glauben – die Zeiten von dreistündigen Shows sind anscheinend leider schon vorbei. Der unerbittliche Umgang der Security, die das Publikum danach so rigoros nach draußen verfrachtete, ließ mich außerdem wieder daran denken, dass dies in der Arena so sicher nicht passiert wäre, denn nach dem ALICE COOPER-Konzert vor zwei Wochen (zum Bericht) genoss ich dort noch ein gepflegtes After-Show-Bier ohne Stress. Ich hoffe deshalb sehr, dass nächstes Jahr der Plan aufgeht, ein richtiges MIND OVER MATTER-Festival in der Arena Wien stattfinden zu lassen. Denn wenn nicht, fliege ich lieber nach Ulan Bator und hoffe dort auf ein Festival mit meinem Wunschheadliner MANOWAR, da dies in Österreich wohl nie mehr möglich sein wird.

Setlist DREAM THEATER:

  • False Awakening Suite
  • Afterlife
  • Metropolis Pt. 1: The Miracle And The Sleeper
  • Caught In A Web
  • A Change Of Seasons: II Innocence
  • Burning My Soul
  • The Spirit Carries On
  • About To Crash
  • As I Am
  • Panic Attack
  • Constant Motion
  • Wither
  • Bridges In The Sky
  • Behind The Veil

WERBUNG: Innfield Festival
ANZEIGE
ANZEIGE