18.10.2011, Explosiv

THE ACCÜSED, BLOODSHED REMAINS - LIFE CRIME - STRIKING JUSTICE

Veröffentlicht am 22.10.2011

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In Graz steppt endlich mal der Bär. Feine Underground-Locations wie das Explosiv sorgen dafür, dass auch die Kernöl-Bewohner wieder so richtig abschädeln, tanzen oder mitwippen können. Bleibt nur das Problem mit den stinkfaulen Bewohnern, denn der Andrang hält sich leider auch an diesem frühwinterlichen Dienstagabend in Grenzen. Dabei ist das musikalische Paket höchstinteressant. Neben einer amerikanischen Thrash/Crossover Institution gibt’s niederösterreichischen Hardcore, Grazer Gewaltästhetik und holländisches Gemoshe zu bewundern.

Das holländische Gemoshe ist dabei das Überraschungsei des Abends, denn STRIKING JUSTICE sind mit THE WORDS I NEVER SAID und WASTED BULLET selbst gerade auf Europatour und nützen den Day Off so, wie es im Underground Usus sein sollte – mit einem spontan eingeschobenen Gig. Der findet eben heute in Graz statt und kann die Handvoll Anwesenden durchwegs zufriedenstellen. Den Old School Hardcore Spirit atmet der Fünfer mit dem linken Nasenflügel und von Unsicherheit oder Enttäuschung bezüglich Saalleere ist gottlob nichts zu sehen.

Gleich danach gibt’s einheimischen Krach vom Feinsten. Die Grazer Stilbrecher LIFE CRIME sind zwar jung an Jahren (2010 ins Leben gerufen), aber keinesfalls jung an Erfahrung. Die Eigenbezeichnung Hardcorepunk erschließt sich mir nicht ganz, denn der knackige Bühnensound kann gleichermaßen S.O.D.-, LENG TCHE- und auch DOWN-Fans befriedigen. Hervorstechend dabei sind Ex-CARIGNAN-Snarezerstörer Claudio Petric und Mikro-Rampensau Peter Gigerl, der etwaige Unzulänglichkeiten auf der Bühne mit seiner offensiven Haltung gut kaschieren kann. Dass man auch der einen oder anderen Mid-Tempo-Nummer Platz einräumt, tut dem Gesamtpaket mehr als gut. Da wächst etwas Unberechenbares, Aggressives und gleichzeitig Interessantes heran – Keep Your Eyes Open!

Wesentlich eingängiger und einen ganzen Batzen druckvoller brettert kurz darauf die niederösterreichische Bollo-Formation BLOODSHED REMAINS durch die Gegend. Basketballhosen, Tätowierungen, Caps und Bandanas – Klischee juchee, aber die dargebotene Musik bestätigt den optischen Ersteindruck. Irgendwo zwischen der Kompromisslosigkeit von MADBALL und der Aggro-Attitüde von FIRST BLOOD fühlen sich die Jungs daheim und vermögen auch deren Bühnenhaltung gut zu imitieren. Hardcore Without Any Fucking Doubts – genau das wollen und kriegen die wild vor der Bühne pittenden Gäste. Zwischen den ganzen Breakdown-Stampforgien überzeugt vor allem Sänger Christoph mit vollem Körper- und Stimmeinsatz. Auch wenn er aus sicherer Entfernung als MONEYBOY-Double durchgehen könnte und sich sichtlich freut, dass „mich hier alle verstehen. In Deutschland ist das ja nicht der Fall.“ Der Kieferbrecher-Sound passt zwar nicht ganz zum restlichen Programm, ist aber zweifellos das intensivste und herzhafteste Stück Musik dieses Abends. Da kann man sich getrost auf das Anfang 2012 erscheinende Album freuen.

Die Headliner des Abends sind wahre Underground-Legenden. THE ACCÜSED (was soll eigentlich dieser inflationäre Gebrauch von Umlauten? Elende MOTÖRHEAD-Nachahmer… - Anm. d. Verf.) lärmen bereits seit exakt 30 Jahren, haben sich zwischen 1993 und 2003 aufgelöst und zählten zweifellos zu den Pionieren des Crossover/Thrash Metal-Punk. NAPALM DEATH light wenn man so will. Geworden ist aus den Jungs leider trotzdem nie was – dafür waren sie qualitativ zu durchschnittlich, medial zu wenig präsent und möglicherweise auch schon das eine oder andere Jahr zu spät dran mit dem Debütalbum. Der erste Blick auf die Bühne lässt es schon erahnen, mit Gitarrist Tommy Niemeyer ist nur mehr ein Part der Urbesetzung an Bord, die restlichen Jungs könnten alterstechnisch schon als seine Söhne durchgehen. Trotz lauwarmer Publikumsrezeption holzen sich die Amis eine gute Stunde durch ihr Retro-Set („Martha Splatterhead“, „Blind Hate / Blind Rage“) und bauen auch ein bisschen vom neueren Material ein („Fuck Sorry“). Sound und Licht zucken hier ähnlich nervös wie die Songs schnell und ungezähmt sind. Glatzkopf Brad Mowen macht am Mikro einen soliden Job und animiert das Häufchen Menschen zumindest zum respektablen Nicken. Abwechslungsreichtum gleich null, aber bemüht und solide war die Show trotzdem. Dennoch sollten die Jungs in sich gehen und überlegen, ob arschkalte Herbst-/Wintertouren vor leeren Sälen noch notwendig sind…


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