22.08.2012, Festivalgelände Übersee am Chiemsee

CHIEMSEE ROCKS FESTIVAL 2012

Veröffentlicht am 06.09.2012

Das CHIEMSEE ROCKS FESTIVAL ist mittlerweile fest im deutschen Festivalsommer verankert und bedient mit traumwandlerischer Sicherheit sein fast schon abonniertes Zielpublikum. Internationale Rockgrößen wie BLINK 182, BILLY TALENT, RISE AGAINST oder die FOO FIGHTERS gastierten bereits neben den German Heroes DIE ÄRZTE und den TOTEN HOSEN am beschaulichen Festivalort im bayrischen Übersee am Chiemsee. Dieses Jahr setzten die Veranstalter des gleichsam als Aufwärmveranstaltung für das an den darauf folgenden Tagen stattfindende Chiemsee Reggae Open Air gedachten Großereignisses allein auf die Zugkraft deutscher Headliner. Neben den Stromrockern BEATSTEAKS durften auch die Elektro-Anarchos DEICHKIND für Schwung im vornehmlich jungen Publikum sorgen. Das Wetter spielte ebenfalls wieder mit…hochsommerliche Temperaturen, die perfekte Organisation, die hohe Qualität der Verpflegungsstände und die im Hinblick auf das Reggae Festival bereits installierte Händlermeile trugen dazu bei, auch das diesjährige Festival zu einem Highlight in Sachen „Sun & Fun“ für die über zehntausend Zuschauer werden zu lassen. Den Festival-Kick Off am frühen Nachmittag lieferten die Berchtesgadener Punkrocker FIRST CLASS TICKET, bevor ANTI-FLAG eine Prise politisch motivierten Punkrock nachlegten. Die THE CLASH-Fans vollführten eine musikalisch einwandfreie Gratwanderung zwischen kommerziellem Sell-Out, authentischer Attitüde samt sozial- und gesellschaftskritischem Hintergrund und klangen ein wenig wie BILLY TALENT, die sie auf der herbstlichen Tour auch supporten.

ME FIRST & THE GIMME GIMMES MF&TGG (hinter denen sich u.a. Musiker von LAGWAGON, FOO FIGHTERS und NOFX verbergen) waren als Coverband angetreten, sich durch die Musikgeschichte zu graben. Ihr Surf-Country-Rockabilly-Punk-Gebräu wurde stilsicher in Hawaii-Hemden dargeboten, der blonde Sänger hatte sich gar in einen weißen Anzug gehüllt um seine Truppe gleichsam lakonisch wie nerdig anzuführen, die gutgelaunt „Jolene“ (DOLLY PARTON) oder „Ghostriders In The Sky“ zum Besten gab und auch vor LED ZEPPELIN´s „Stairway To Heaven“, den Gassenhauern „Country Roads“ und „Somewhere Over the Rainbow“ oder R. KELLY´s „I Believe I Can Fly“ nicht zurückschreckte. Daumen hoch für eine frische Prise unterhaltsamer Rockshow und einem nostalgischen Ausflug in die Musikgeschichte! THE GASLIGHT ANTHEM Was als Studioaufnahme noch passabel klingt, macht auf der großen Festivalbühne eher als Hintergrundbeschallung für die mittlerweile nötige Nahrungsaufnahme was her. Zu wenige Höhepunkte lassen den von vielen heiß erwarteten Gig der US-Band quasi zu einer Randnotiz verkommen. Auch das Totenkopf-Backdrop vermochte die eher statische Performance und das unoriginelle Songmaterial nicht wirklich aufzupeppen. Merklich mehr Stimmung kam schließlich beim PEARL JAM – Cover „State Of Love & Trust“ auf. Fazit: Nette Festivalerholungpause mit gediegener Hintergrundbeschallung, ein packender Gig in Sachen Rock n´ Roll sieht aber doch anders aus.

DEICHKIND Kurz nach 19.30 Uhr war aber Großalarm angesagt. Die anarchistisch und unkonventionell anmutenden Hamburger Elektro-Techno-HipHopper DEICHKIND waren angetreten, in der Gunst des ihnen ohnehin zu Füßen liegenden Publikums noch weiter zu steigen. Im Fahrwasser des Charterfolgs von „Leider Geil“ nützten die 6 Deichkinder den Aufwind unter ihren Schwingen und verblüfften nicht nur den Rezensenten inmitten der sonst regierenden Gitarrenmania mit ihrem Elektropop. Mit „99 Bierkanister“ ging es gleich in die Vollen, bevor der Bühnenvorhang fiel und die Sicht auf die volle Bühnenpracht freigab. DEICHKIND ließen sich nicht lumpen und klotzten große, bewegliche Podeste auf die Bühne. Inmitten der flexibel gestalteten Bühnenaufbauten brach die Plastik-Glitzer-Folien-Neon–Hölle los. Die Bühnenelemente, die wechselnden Maskeraden der Band (siehe u.a. die Pyramiden-Trademarks) und die publikumsnahen Ausritte als Crowdsurfer (mal RAMMSTEIN-like im Schlauchboot oder zu „Roll das Faß rein“ in einem riesigen Weinfaß) machten das Konzert zu einem Feuerwerk der Bühnenunterhaltung. Der Gig mutierte zu einem richtiggehenden Schaulaufen der Groteskerie und der Extravaganz, da plötzlich Bandmitglieder auf Hometrainern über die Bühne gekarrt wurden, Luftschutzsirenen aus den Boxen heulten, allerlei Leuchtmittel (welche ihre Wirkung in der mittlerweile eingesetzten Dunkelheit entfalten konnten), Glitzer- und Plastiksackkostüme, Perücken, eine Hüpfburg, Bürosessel und Wasserpistolen zum Einsatz kamen und somit nicht nur sprichwörtlich Trash Kultur vom Feinsten feilgeboten wurde. Am Beispiel von DEICHKIND zeigt sich wieder einmal, wie schmal der Grat zwischen Genie und Wahnsinn liegt. Doch nicht nur showtechnisch, auch musikalisch und textlich ließen die Hamburger nichts anbrennen – auch hier reicht die Bandbreite von hintersinnig bis total gaga. Besonders Titel wie “Bück Dich Hoch” oder „Illegale Fans“ knallten begleitet von Stroboskopgewittern und Nebelwänden enorm aus den Boxen, „23 Dohlen“ überzeugte mit einem fetten Beat. Der Spannungsbogen zog sich dabei von den Anfängen („Limit“) bis zum aktuellen Chartalbum „Befehl von ganz unten“. Nach kurzer Pause brachte der Sechser “Arbeit Nervt” und das fast schon antiquierte „Bon Voyage“ dar. „Hört ihr die Signale“ wurde gleich ein wenig FRANKIE GOES TO HOLLYWOOD („The Power Of Love“) beigemischt, der finale Smasher „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“ beschloss ein (überraschend) geiles und viel zu kurz erscheinendes Konzert, dessen Hits noch Tage später im Ohr nachhallten. Ein größeres Kompliment kann den Elektropunks kaum gemacht werden. DEICHKIND setzten den willkommenen Kontrapunkt des heutigen Festivaltags und überzeugten auf voller Linie.

BEATSTEAKS Dieser furiosen Darbietung hatten die angepunkten Alternative-Rocker BEATSTEAKS danach relativ wenig entgegenzusetzen. Die Berliner enterten in klassischer Bühnenausstattung die Chiemsee-Bühne um die Stromgitarre wieder vermehrt in den Vordergrund zu rücken. „As I Please“ und das lässige „Soljanka“ bildeten den Einstieg in die bei lauen Abendtemperaturen stattfindende, vergleichsweise puristische Headlinershow. Apropos Temperaturen: Die Fans waren mittlerweile auch schon schön auf Betriebstemperatur und feierten die Band, bei der sich gleich zwei Schlagzeuger auf der riesigen Open Air Bühne abmühten, um dem Sound den nötigen Punch zu verleihen, mächtig ab und feierten Kracher wie „Jane Became Insane“ gebührend ab. Das Erfolgstriple „I Don't Care As Long As You Sing“, „Hand In Hand” und “Hello Joe“ bildete da ebenfalls keine Ausnahme. Der heutige Gig war einer der letzten der sogenannten „Two Drummer Summer“-Tour, bei der – begleitet von einer headlinerwürdigen Lichtshow und einem amtlichen Livesound - auch oft bis zu drei Gitarren zum Einsatz kamen. Sympathiepunkte konnte wie immer der sympathische und agile Frontmann Arnim Teutoburg-Weiß (der in einem Biene Maja Ringelshirt steckte) sammeln, den Entertainer mimte und die Nähe zum Publikum suchte. Die als gute und professionelle Liveband bekannten Berliner lieferten eine erdige, energiegeladene Rockshow ohne großen Firlefanz, waren aber zumindest für mich – wie auch die Vielzahl an gespielten Coverversionen hinwies – nicht ganz der erwartet große Headliner und wurden (für mich überraschend) von den DEICHKINDern in die Tasche gesteckt. Auch die Zuschauerzahlen (kolportierte 10.000) sprachen eine ähnliche Sprache, schließlich sollen es im Vorjahr bei den FOO FIGHTERS noch um die 16.000 gewesen sein. Neben dem A-Capella vorgetragenen BILLY BRAGG-Cover „New England” und der „Twist & Shout“-Coverversion war vor allem das vom Publikum frenetisch mitgetragene „Let Me In“, das den Schlusspunkt der BEATSTEAKS-Show markierte, erwähnenswert. Nach dem für mich doch überraschenden und auch etwas holprig dargebotenen „Sabotage“ der BEASTIE BOYS gab es mit „Frieda und die Bomben“ (FU MANCHU) eine weitere Coverversion, bevor um 23 Uhr Schicht im Schacht war und Legionen von Fans – die dargebotenen Hits vor sich hin summend – zu den Parkplätzen pilgerten.

Chiemsee Rocks 2012 war zu Ende, das Feld wurde für die schon in den Startlöchern scharrenden grün-rot-gelben Reggae-Fans und Rastafari geräumt. Wir freuen uns schon auf das sechste CR 2013 und ein weiteres hochkarätiges Line-Up!


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