01.12.2012, Sportplatz Ischgl

SCORPIONS

Veröffentlicht am 05.12.2012

1986: Die SCORPIONS headlinen die legendären deutschen Monsters Of Rock Festivals (im Vorprogramm u.a. OZZY OSBOURNE, DEF LEPPARD und die gerade voll durchstartenden BON JOVI). Gebannt und wehmütig starre ich zu den Kassetten-Klängen von „World Wide Live“ auf die Berichterstattung in der BRAVO, damals noch zu jung, um einem derartigen Großevent beiwohnen zu dürfen. 1996: Die SCORPIONS gastieren mit GOTTHARD im Vorprogramm in der Innsbrucker Olympiahalle. Aus heute nicht mehr erinnerlichen Gründen verpasse ich das Konzert. 2012: Es begibt sich heuer, dass die (neben RAMMSTEIN noch) erfolgreichste deutsche Rockband, die auch eine meiner überhaupt ersten Kontakte mit harter Rock-Musik war, ihr zweites Tirol-Gastspiel gibt und ich die Hannoveraner Rocker zum ersten Mal (endlich!) livehaftig auf Tiroler Boden erleben darf. Stormbringer wagte sich für euch in die verschneiten Tiefen des Paznauntals, um euch von einem Stück Tiroler Konzertgeschichte zu berichten. Nach 17 Studioalben und Gigs in allen Metropolen der Welt sollte der heutige Open-Air-Auftritt inmitten der schneebedeckten Alpen doch auch etwas Besonderes für die erfahrenen Profirocker sein. Das heutige Konzert war sicherlich eines der „frischesten“ und höchst gelegensten in der langen Karriere der deutschen Rockikonen, immerhin liegt Ischgl knappe 1.400 Meter über dem Meeresspiegel. Die findigen Tourismusmacher lockten mit der seit 1995 veranstalteten „Top Of The Mountain Concert“-Reihe schon zahlreiche internationale Topacts, welche sich wie das Who-Is-Who der Popwelt lesen (PINK, RIHANNA, MARIAH CAREY, ELTON JOHN, TINA TURNER, BOB DYLAN, STING, PETER GABRIEL etc.), in das beschauliche Bergdorf, das im Winter neben Kitzbühel, Sölden und Lech einer der Schnee- und Society-Hotspots (in dem allerdings selbst der Mini-Hotdog am Würstlstand schon mit 5 Euro zu Buche schlägt) überhaupt ist. Heuer zeigte man nach einem früheren Gastspiel von JON BON JOVI wieder einmal ein Herz für die härtere Spielart des Rock. Der finanzkräftige Premium-Schiort ermöglichte den Tourismusmachern den Kraftakt, die SCORPIONS zu verpflichten, deren heutiges Gastspiel das Tiroler Konzertgeschehen adeln sollte.

Ein riesiger Auflauf von dick eingemummten Fans sollte ein Vorbote für das bevorstehende Großereignis sein, in Ischgl selbst brodelte es in Folge des Schiopenings ohnehin schon. Die SCORPIONS lockten kolportierte 13.000 Zuschauer nach Ischgl, von denen Tausende am Abend einem Rockevent der Superlative beiwohnen sollten. Auf einen soundtechnischen Anheizer wurde verzichtet, die SCORPIONS starteten, von einer lässigen Videoeinspielung vom legendären Festivalauftritt im kalifonischen San Bernardino Valley 1983 begleitet, bereits um 18.30 Uhr mit dem Titeltrack des letzten regulären Studioalbums „Sting In The Tail“ durch. Nach diversen Acoustic- und Orchesterexperimenten markierte dieses Album fast so etwas wie ein Comeback für die nunmehrigen und selbsterklärten Beinahe-Rock 'n' Roll-Rentner. Was dann folgen sollte war ein tolles Rockkonzert vor beeindruckender Bergkulisse. Unter den von Frau Holle angezuckerten Berggipfeln rockte eine der größten Hardrockbands aller Zeiten im Rahmen ihrer „Final Sting“-Abschiedstournee die Tiroler Alpen. Die Fans deutscher Sportwagen präsentierten dabei eine ausgewogene Mischung aus Klassikern aus mehreren Jahrzehnten Rock und Schmalzballaden, dies alles gewürzt mit Titeln vom starken „Sting In The Tail“. Es folgte der klassische Melodicrocker „Make It Real“, warum dann allerdings inmitten des folgenden Hitfeuerwerks aus vielen Jahren im Zeichen der Stromgitarre ausgerechnet „Is There Anybody There?“ (von „Lovedrive“) zu Liveehren kam ist mir dann doch etwas schleierhaft. Vermutlich als Tribut an den hohen Anteil an „Normalhörern“ unter den Anwesenden nölte Klaus Meine seine „Ah-Ah´s“ ins Mikro. Da hätte man ruhig mit „Dynamite“, „Another Piece Of Meat“, „Loving You Sunday Morning“ oder „Bad Boys Running Wild“ das Kuh fliegen lassen können. Für Versöhnung sorgte allerdings gleich anschließend „The Zoo“.

Herzerfrischend der typische SCORPIONS-Gitarrensound, der im Hardrockbereich einzigartig ist und auch heute noch 80er-like unverkennbar aus den Boxen dröhnt. Ebenso bandtypisch ist das markante deutsche Flair, das naturgemäß auf die Akzentuierung und Phrasierung des wie immer etwas näselnden und hoch tönenden Klaus Meine (der sonst allerdings trotz der Kälte gut bei Stimme war) zurückzuführen ist. Die SCORPIONS waren im Grunde immer zutiefst deutsch und schafften dennoch – oder gerade deswegen?! – den Durchbruch im genretechnisch eigentlich ausreichend und hochklassig bedienten Nordamerika. Auch in die Jahre gekommene Rockstars (Klaus Meine und Bandchef Rudolf Schenker sind immerhin Baujahr 1948 und dürfen sich somit zu Recht mit Sonnenbrillen tarnen) brauchen ab und an auch mal ein Päuschen. Das Instrumental „Coast To Coast“ ermöglichte Sänger Klaus Meine (trotzdem er sich mit einer Axt bewaffnet in die breite Gitarrenwand einreihte), eine Verschnaufpause. Während des von Videosequenzen und einer geilen Lichtshow unterlegten Drumsolos von ex-KINGDOM COME-Drummer James Kottak kam auch das altbewährte Sixstring-Tandem Rudolf Schenker und Matthias Jabs sowie der polnische Basser Pawel zum Durchatmen. Apropos Kottak: Dem Mann mit der riesigen „Rock 'n' Roll Forever“-Tatöwierung auf dem Rücken merkte man die verlebten Jahre im Zeichen des Rocks deutlich an, dennoch konnte sich der Amerikaner aber innerhalb der Rockdinosaurier sein eigenes Profil herausarbeiten und wertet die Show der Deutschen mit seinem sympathisch-kaputten Show-Gehampel merkbar auf.

Die einstigen Platinseller legten heute eine beeindruckende Liveleistung auf die kalten Ischgler Bühnenbretter. Gestählt und bestens eingespielt durch die zahlreichen Dates der laufenden Tour bewegte sich die Band, die heuer ihr 40-jähriges Veröffentlichungsjubiläum (die Band gibt es allerdings schon viel länger) feiern konnte, erstaunlich agil und gewohnt professionell. Besonders der gertenschlanke und fetzcoole Rudolf Schenker machte einige Meter auf der Bühne, nützte wie Sänger Meine (der fast schon inflationär Drumsticks ins Publikum warf) den Laufsteg ausgiebig und heizte dem begeisterten Publikum mit seiner klassischen Flyin' V ein. In der heute gezeigten Form brauchen sich die Hardrocker nicht vor der nachdrängenden Garde verstecken. Vielmehr wünschten sich viele der anwesenden (Alt-)Rocker die Legende vermehrt zurück auf die Bretter, die die (Rock-)Welt bedeuten. Balladentechnisch hielt sich die Hannoveraner Institution trotz des hohen Anteils an Schiurlaubern und Eventbesuchern erfreulich zurück, die Hardrockfraktion wurde ordnungsgemäß bedient. Dezente Heizstrahler am Boden und Schals heizten die klammen Finger der Gitarrenfraktion, der Atem des Rock 'n' Rolls aus dem Munde von Sänger Klaus Meine löste sich im schwarzen Abendhimmel auf. Neben den zahlreichen Hits aus den glorreichen Achtzigern griff man abseits der Balladen lediglich auf „Tease Me Please Me“ (vom Erfolgsalbum „Crazy World“) aus den für die Band schwierigeren 90er Jahren zurück. Oder anders ausgedrückt: Außer den beiden Titeln vom letzten regulären Studioalbum („Raised On Rock“ & Titeltrack) stammen die letzten am heutigen Abend gespielten Songs aus 1990. Zum von einem Video-Intro eingeläuteten und verdammt hart gespielten „Blackout“ erschien Schenker mit der Gottfried Helnwein-Kopfmontur vom Albumcover, bevor sich die letzten kraftvollen Töne von „Big City Nights“ an der Tiroler Bergwelt brachen und der von powervollem Livesound begleitete offizielle Konzertteil beendet war.

Nach rund 60 Minuten Rock der Extraklasse sollten die Fans allerdings noch in den Genuss einiger DER Top-Hits der Rockgeschichte kommen! Der geballten Herzschmerz-Power von „Still Loving You“ kann sich selbst der gestandenste Rocker nicht entziehen, da schmilzt das Herz, da trieft der Schmalz! Naturgemäß wartete ein Großteil des Publikums auf den darauf folgenden Mauerfall-Hit „Wind Of Change“, der dann auch gebührend abgefeiert wurde. In der Kälte lagen sich die Fans und Schitouristen in den Armen und ließen den Geist jener Tage wieder aufleben. Selbst ein Blick in das Gesicht des vergleichsweise jüngeren und im Gegensatz zu Schenker weitaus zurückhaltenderen Stammklampfers Mathias Jabs schien zu verrraten, dass die SCORPIONS dieser Nummer noch immer nicht überdrüssig sind. Mit dem finalen Überflieger „Rock You Like A Hurricane“ wurden noch einmal Erinnerungen an die Hochzeit der Band wach, als sogar Amerika fest in der Hand der Deutschen war und als erste deutsche Band Stadien füllte und Platten stapelweise verkaufte. Das ist kommerzieller Hardrock in seiner Reinkultur, deren Faszination man sich als Liebhaber des Stromgitarrensounds nicht entziehen kann. Gänsehaut auch nach hundertfachem Hören und etlichen Jahren auf dem Buckel muss einfach ein Qualitätsindiz für die Nummer und die Band gelten. Ein denkwürdiges Konzert einer der langgedientesten und erfolgreichsten Hardrockbands aller Zeiten in der beeindruckenden Umgebung der verschneiten Tiroler Bergwelt war zu Ende gegangen und hinterließ aufgrund der sorgsam komprimierten und ausgewählten Classic-Setlist, der imposanten Bergkulisse und des speziellen Charakters der Veranstaltung nur zufriedene bis glückliche Zuschauer. Ischgl ist zwar nicht sunny California und die Kälte fuhr einem mit der Zeit auch durch Mark und Bein, andererseits konnten trotz des Fehlens von bevorzugt daheim im Warmen verharrenden Rockfans Tausende motiviert werden und so durfte die lebende Legende auch wohl selten vor einem derart bunt durchmischten Publikum aus aller Herren Länder auftreten (dem Schitourismus sei Dank!). Ob dies wirklich eines der letzten SCORPIONS-Gastspiele sein wird, wird wohl die Zeit weisen, grundsätzlich haben sie nämlich eigentlich nur dem „Heavy Touring“ entsagt. Die Band, die sich seit geraumer Zeit auf (prolongierter) Abschiedstournee befindet, wirkt jedenfalls noch zu hungrig und zu agil um sich selbst in Rente zu schicken und erlebt in der heute gezeigten Form – in absoluter Würde gereift - gerade ihren zweiten Frühling. Hope to see you soon, „boys“!

Setlist SCORPIONS:

• Sting In The Tail • Make It Real • Is There Anybody There? • The Zoo • Coast To Coast • Holiday • Raised On Rock • Tease Me, Please Me • Drum Solo • Blackout • Big City Nights - • Still Loving You • Wind Of Change • Rock You Like A Hurricane


ANZEIGE
ANZEIGE