09.10.2015, Viper Room, Wien

HARAKIRI FOR THE SKY

Veröffentlicht am 14.10.2015

Es wird wohl weder für Genre-, noch für Szenefremde eine sonderliche Neuigkeit sein zu erfahren, dass gerade im Black Metal kontroverse Inszenierungen ähnlich eng mit dem guten Ton Hand in Hand gehen, wie die Milch (neuerdings natürlich Soja) und das Frühstücksmüsli. Dies muss freilich nicht gleich und ausschließlich wie zu den glorreichen Glanzzeiten in den Neunzigern zu lodernden Gotteshäusern und einem leichten Anfall von Tod ausufern, sondern reduziert sich heute gern auf Selbstzerstörung, mit einem gewaltigen Hauch an Elitismus. Black Metal braucht seit jeher „starke Charaktere“, nur, dass wie hier der Tag zur Nacht wird, die „Stärke“ vorrangig in depressiven Verstimmungen und damit einhergehender (Auto)aggression manifestiert wird, der Wahnsinn zum Kultobjekt wird. Der Wahnsinn wird prestigeträchtig ausgeschlachtet, ist nicht Fiktion wie im schnöden Death Metal allein, sondern reale Umsetzung. Dass derartige Phrenesien zumeist einhergehen mit übersteigertem Geltungsdrang, mit einem Napoleon-Komplex, ist ebenso eine naheliegende Kausalkette, wie dass ein Gros der Belegschaft in der Klapsmühle besser aufgehoben wäre, denn in freier Wildbahn – gleich ob hoch oben, auf der Alm oder tief unten, in einem Kellerlokal. Allerdings, wie in so manch anderem elitären Sumpf üblich, rottet man sich viel lieber in seinem verkehrten Selbstmitleid zusammen, findet in der Musik eine Form der Therapie – dass selbst ein Niklas Kvarforth (SHINING) dies rational als ein bisserl kontraproduktiv erachtet, spricht Bände.

Wozu der Exkurs? Nun, in einer an zahlreichen Ecken und Enden derart verkommener Szenerie jedweder Natur ist es umso erfreulicher, wenn sich einmal nicht Licht in Dunkel, sondern Dunkel in Licht verkehrt; wenn, ähnlich der literarischen Gattung der Schauerromantik, eine wohlige Unsicherheit kreiert wird, die – wenngleich Namen wie HARAKIRI FOR THE SKY auf den ersten Blick erneut ins Gegenteil locken wollen! – nicht gleich mit der scharfen Klinge von oben nach unten schlitzt, man in weiterer Folge mit gekrümmten Mundwinkeln im Eck klammheimlich grollt. Sondern man, erfreulicherweise, nicht mit überbordender Inszenierung von massiver Inkompetenz ablenken möchte, sondern tatsächlich erneut wieder das musikalische Kollektiv, nicht das kranke Individuum im Raum steht. Oder, warum mag es wohl in jener Sparte so viele One-Man-Shows geben, hängt sich ein überwiegender Teil an singulären Mitgliedern auf?

Es ist dies vielleicht eine noch nicht gänzlich ausgeklügelte Theorie, und auch eine Annahme, die vielleicht in erster Linie eine Vielzahl an Musiker vor den Kopf stoßen mag, aber: Vielleicht sagt das Präfix „Post“, das (nicht gänzlich) neuerdings auch vor dem Terminus „Black Metal“ hängt, schlichtweg genau dies aus – trifft (zumindest in erster Linie) musikalisch selbst kaum Unterschiede zu all den wahnwitzigen Kategorien von Depressive-Suicidal bis Atmospheric und True Norwegian, sondern ist schlichtweg die kreischende Avantgarde einer Szene, die bisher besonders viel Wert auf Abgrenzung legte, ist gewissermaßen das musikalische Pendant zum literarischen "Tod des Autors".

2011 hieß es im deutschen Qualitätsmedium Die Zeit nicht ganz unberechtigt, dass sich in den zahlreichen Subsubsubgenres der Metalszene der Black Metal hauptsächlich mit den Assoziationen Faschismus, Mord und Totschlag etabliert hat. Dies mag zwar ein Vorurteil sein, das die durchaus respektablen musikalischen Leistungen – gerade der norwegischen Szene, aber auch der Bravo-Welle-Nummero 3, dem DSBM –, die durchaus mehr waren und sind, als wirrer Lärm und dumpfes Geschrei, überschattet. Einzelwirrköpfe dominierten jedoch tatsächlich die Szene, bis sich langsam der Nebel auch, zuerst süffisant, nur hier und da, später durchaus immer forscher, zu lichten begann, musikalisch die Intensität des Genres – dereinst wohl am gekonntesten bei BATHORY, später bei BURZUM fabriziert – immer weiter verdichtet wurde. Die Gitarren türmten sich auf zu einem kristallenen Koloss, verebbten dann langsam in der Gischt, das Schlagzeug stob mit roher Gewalt in die lichten Passagen – und all dies in einer tonalen Kakophonie, die sich zwischendurch durchaus in endloser Repetition verliert. „Dakapo, Dakapo!“ ist man versucht, innerlich zu frohlocken, wenn das kreischende Finale einbiegt – dies sind erschöpfende und ungemein befriedigende Momente, und gerade in dieser atemlosen Geschwindigkeit sogar befreiend. Man höre sich „Aokigahara“ von HARAKIRI FOR THE SKY an und man weiß, wovon ich rede. Eine fast schon jenseitige, psychedelische Erfahrung wie bei den Großen: WOLVES IN THE THRONE ROOM, LITURGY. Es sind die Ausflüge in den Postrock, zum Shoegaze, die eine Zeitwende evozieren – freilich mit ihrem manchmal intellektuellen Gestus in der bornierten Masse gerne verurteilt werden.

In diesem organischen Kosmos spielt freilich die Natur ein wichtiges Thema, in Verbindung mit einer verborgenen, spirituellen Welt. Wie gekonnt feinfühlig eine solche aufgebaut werden kann, die freilich auch weg vom Wald und der Wiese in die verlassenen Räume im Inneren des Körpers abdriften kann, zeigten kürzlich vier Künstler in den Untiefen des Viper Rooms, THINE aus Linz, sowie aus der Bundeshauptstadt ANOMALIE, BERNTH und die bereits angesprochenen HARAKIRI FOR THE SKY (mit mozärtlichen Wurzeln).

Erste, also THINE, eröffneten im Nelkenduft, mit spärlicher weißer Beleuchtung von unten und reduzierter Präsenz: Hier merkte man besonders deutlich, dass nicht nur ein, sondern gleich alle Individuen sich selbst zurücknahmen, gewissermaßen sich im Ton aufzulösen trachteten. Dabei präsentierten sich diejenigen Herren vielleicht noch am destruktivsten, wirkten nicht selten – trotz einiger Gitarrenläufe, die gar an die glorreichen Anfänge der NWoBHM erinnerten – animierend, sich mit den eigenen Fingernägeln die Haut vom Muskelgewebe zu scharren und dabei selbst im Spiegel zu beobachten, „Seelenleid“ eben. „Sommer“ heißt ein Stück ihrer EP von 2013, das ist dann doch ein bisserl eine Täuschung – Winter ist’s eher, nicht allein wegen des olfaktorischen Rahmens. Bittersüß – und in all der Epik ein kurzweiliges Vergnügen, das im Leid auch durchaus seine Freude zu finden vermag. 2016 soll dann endlich das Debüt vorliegen, welches vermutlich nicht für eine Revolution sorgen wird – meiner Meinung nach aber das Potential zu einem der geschicktesten musikalischen Brückenschläge zwischen verzehrendem DSBM und dem kristallinen „Post“-Zirkel haben könnte, ähnlich wie eine Lichtwertung von Dante in der „Divina Commedia“.

Hierauf, die ANOMALIE (erster Live-Auftritt überhaupt): Flehende Introduktion, Rauch, Nebel – erneut: Winterlandschaft. Deren Zweitling, „Refugium“, steht kurz vor der Veröffentlichung. Das Hirngespinst von Marrok (SELBSTENTLEIBUNG, HARAKIRI FOR THE SKY) entfaltet in der Bühnenpräsenz noch gekonnter als in den eigenen vier Wänden einen wohliges Frösteln, donnert dramatisch durchs Nichts und lässt die zuvor herabgekratzten Hautfetzen am Boden welken. ANOMALIE sind eins der geschicktesten Beispiele aus unseren Landesgrenzen, dass Genregrenzen rasch zu eng werden können – wenngleich hier ein Individuum die Verantwortung trägt, so es auch hier einen Schritt zurück tritt, hinter Nebelschwaden verschwindet und einzig noch die Spuren im Schnee von seiner Präsenz zeugen. Sehr feinfühlig, gar liebevoll karessierend ist man vielleicht die akustische Verbildlichung von „Winter is coming.“ – einer Annahme, in der so viel schwingt: Leid, Verzweiflung, Wahrhaftigkeit, Endgültigkeit, aber schließlich auch eine gewisse Sicherheit. Das zelebrierte Klangspektrum ist eine Katharsis, die im festen Griff die Seele aus seiner fleischlichen Hülle presst, ihr eine Transformation in stürmische Winde ermöglicht – und damit die Kraft der Ewigkeit, die Freiheit der Unendlichkeit verpasst.

BERNTH – den Namen kennt man von BELPHEGOR, STORMNATT und BLED DRY – stellten ihre EP „Diary Of Depression“ vor, stachen dabei jedoch etwas aus dem Rahmen hinaus, wirkten subjektiv wie ein Fremdkörper: Stimmlich ein angepisster Hetfield, musikalisch schwelendes Feedback hier und da, dann wieder ALICE IN CHAINS-Anleihen und 16tel, die manchmal auch nicht wirklich getroffen wurden. Zum hymnischen Charakter passte dann auch der Einsatz einer weiblichen Stimme, der jedoch live eher als bemühter Versuch, eine Prinzessin zu sein, rüberkam.

Schließlich, HARAKIRI FOR THE SKY (aus dem BIFRÖST- und KARG-Dunstkreis) – eine ganz eigene Transzendenz, dieser Märchenonkel Prügelpeitsch: Hier verharrt man augenscheinlich in Monotonie, explodiert aber zwischen den Zeilen zu einer kreischenden Hochschaubahn. Gleich ob am selbstbetitelten Erstling oder am Nachfolger „Aokigahara“, das musikalische Talent – mit Verweisen zu AUSTERE – war unverkennbar, jedoch mit kreativer Eigenständigkeit. Die Stimme – oder Stimmen, wenn man dann auch die Gastbeiträge von Cristiano (WHISKEY RITUAL), Seuche (FÄULNIS), Eklatanz (HERETOIR) und Torsten (AGRYPNIE) miteinbezieht – geriet hier vielmehr denn sonst wo zu einem weiteren Instrument, das geschickt zwischen der Instrumentierung duckend herumstreifte, und auch in ihrer Singularität auf der Bühne diese unglaubliche Präsenz nicht missen ließ. „Lungs Filled With Water“ heißt da die Eröffnung des Debüts, und nachdem mein Text ohnehin schon reich an Assoziationsketten ist, darf hier gleich fortgeführt werden: Das gerade noch Leben aufsaugende Japsen eines beinahe Ertrunkenem, des durch die knackende Eisschicht im See eingebrochenen armen Tropfes, ist für selbigen nicht minder befreiend als die himmelhoch jauchzende Wucht der Herren. Gleich ob sanft in verträumter Melancholie, schmerzerfüllt oder in purer Aggression: es ist ein wahnwitziges Gefühlskarussell, das sich zu drehen beginnt – ein „Harakiri“, das nicht danach trachtet, den einen Schmerz, den seelischen, mit dem anderen, dem körperlichen, zu ersetzen, sondern ein „Harakiri“, das schlichtweg – wie auch schon bei der ANOMALIE – Schalen bricht, auf dass das Innere wurzeln kann, den Kopf ins Licht streckend Teil des Universums wird. Oder, um LITURGYs Hunter Hunt-Hendrix zu zitieren: "Der einzige Weg, um mit der Leere und dem Chaos umzugehen, ist, es einfach zu bejahen. Spirituelle Extase." - Und die Risse in der Existenz, die HARAKIRI FOR THE SKY auch live gekonnt fabrizierten, sind genau jenes: ein Himmelfahrtskommando - HARAKIRI FOR THE SKY, eben, im wahrsten Wortsinn. Grandios, dieses "Fließende Licht der Gottheit".


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