24. Oktober 2015, From Hell, Erfurt / Bindersleben

HÖLLENFEUER VII Festival (NIFELHEIM u.a.)

Veröffentlicht am 19.11.2015

Geht mehr auf Konzerte! Das fasst diesen Abend im alteingesessenen From Hell bestens zusammen. Das immer wieder an der Grenze zur Unfinanzierbarkeit stehende From Hell (bzw. sein Pächter Frank Klein) geben sich trotz aller Widrigkeiten seit Jahren fast Woche um Woche Mühe, die Thüringer Black-Metal-Szene am Leben zu halten. Trotzdem hält sich der messbare Erfolg in Grenzen: Selbst an einem Samstag, und selbst mit einem Paket, das drei nicht an jeder Ecke spielende skandinavische Bands beinhaltet, ist der Laden nicht voll zu bekommen. In Worten: 130 zahlende Gäste finden sich an diesem milden Herbstabend zur Black/Thrash-Vollbedienung ein, darunter Gesichter, die man sonst aus Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg kennt und die hunderte von Kilometern gefahren sind und in ihrem Kofferraum pennen werden, um ein Konzert zu besuchen. Ich könnte schwören, dass eine Band wie NIFELHEIM vor ein paar Jahren alleine eine doppelt so große Meute hinter dem Ofen vorgelockt hätten. Die Zeiten des gepflegten Konzertgangs neigen sich aber offenbar dem Ende. Kein Wunder, wenn man sich am nächsten Tag ganze ohne Einverständnis der Band mitgefilmte Gigs auf der Couch angucken kann.

So müssen WARLUST, eine noch recht unbeleckte Black/Thrash-Truppe aus dem benachbarten Ilmenau, vor einer überschaubaren Anzahl Gäste loslegen, was ihrem jugendlichen Feuer aber keinen Abbruch tut. Das Quartett hat tatsächlich Bock auf Krieg und spuckt gut aufgelegt eine unübersehbar von alten VENOM oder SLAYER beeinflusste rotzige Suppe ins Publikum. Da macht das erste Bierchen gleich doppelt soviel Spaß. Neben ihrem Demo "Unholy Attack", stilecht auf Tape veröffentlicht und mit Gepolter wie "Speed Metal Tyrants" gefüllt, gibt's auch noch ein paar neue Tracks auf die Schnauze, alle zwei, drei oder vier Minuten lang und so authentisch 80er, dass man glatt vergisst, dass die Jungs zu Zeiten von "Black Metal" noch nicht mal geplant gewesen sein können. Guter Start!

Anschließend beehren FUNERAL PROCESSION nach mehrjähriger Auszeit die Erfurter mit einem ihrer extrem raren Auftritte. Ob die das zu würdigen wissen, wage ich zu bezweifeln. Die in runderneuertem Line-Up und mit schmucker Bühnendeko (nach 20 Jahren auch in der Neuzeit angekommen, die Herren?) angetretenen Friesen sind zwar keine großen Redner (Songtitel? Schnickschnack! Publikumskontakt? Überbewertet!), dafür aber eine der dienstälteren deutschen Black-Metal-Bands. Und so präsentieren sie sich dann auch: stripped down, würde man heute sagen. Eine Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang und dann ab dafür mit den größtenteils recht schnellen Songs, die stilistisch wohl irgendwo zwischen DARKTHRONE und DARK FUNERAL - immer aber irgendwas mit DARK - anzusiedeln sind, mit Ausnahme der ganz alten Schinken aus der Death-Metal-Vergangenheit der Mittneunziger. Das Repertoire reicht da bunt gestreut vom Demo "Doom" über "Of A World Hidden By Nocturnity" von der 2004er EP "Legion Cymru" über ein Best-Of des selbstbetitelten Debüts (auch schon fast zehn Jahre alt...) bis hin zu neuen und noch unveröffentlichten Songs. Am besten kommen FUNERAL PROCESSION bei den Erfurtern immer dann an, wenn sie gnadenlos auf die Glocke hämmern, ohne Groove, ohne Sologefidel, ohne Choruseffekt, ohne stundenlanges Gitarrenfeedback. Oder wenn sie, oh Wunder!, "Under A Funeral Moon" covern. Genau das können sie. Total Black Metal eben.

Das Kontrastprogramm bieten dann OCTOBER TIDE, die zusammen mit DEN SAAKALDTE und NIFELHEIM vom tschechischen Phantoms Of Pilsen-Festival gekommen sind, bevor sie heim gen Schweden fliegen. Ob sich die Einladung der beiden erstgenannten Bands wirklich gelohnt hat, darf ernsthaft bezweifelt werden. Obwohl OCTOBER TIDE mit einer mehr als sauberen Imitation der ersten KATATONIA-Inkarnation (bis etwa 1996) mit leichten AMORPHIS-Anleihen aufwarten, sympathische Leute in Alltagsklamotten, sicherlich hervorragende Musiker und im Grunde meinem Geschmack nach auch eine bessere Liveband als die aktuellen KATATONIA selbst sind, scheint das niemanden groß zu berühren. Death/Doom ist allerdings auch keine klassische Bühnenmusik, da können die Stücke noch so hübsch und die Band noch so sympathisch sein. Deshalb ballt sich das Erfurter Publikum während des Auftritts auch eher im lauschigen Biergarten und nimmt vor DEN SAAKALDTE noch eine Thüringer Bratwurst (übrigens überaus empfehlenswert!).

Die Norweger, seit 2013 verstärkt durch die Ex-Island-Black-Metal-Szeneikone Eldur, sind jahrelang als "die kleinen SHINING" belächelt worden. Mit einer sehr ähnlichen stilistischen Ausrichtung, Kvarforth als Sessionsänger und einem vergleichbaren Depressive-Image ist das auch kein Wunder. Woran es DEN SAAKALDTE immer gemangelt hat - und das zeigt sich auch an diesem Abend sowohl in der Performance als auch der Publikumsreaktion -, sind erstens wirklich gute Songs und zweitens Charisma. Die Band wirkt relativ gelangweilt, von ihrer eigenen Musik wenig berührt, und sie schafft es vor allem nicht, das eigentlich für seinen Hang zu Depressive-Bands bekannte Erfurter Publikum an den Eiern zu packen. Da mag die Performance noch so gut, der Sound überaus gelungen und die Songs solide sein, aber die große Livetruppe werden DEN SAAKALDTE ohne ein, zwei Hits und mehr Mitreiß-Potential wohl nicht mehr werden.

Was für ein himmelweiter Unterschied zu NIFELHEIM besteht, zeigt sich dann in den folgenden 70 Minuten mit Schwerpunkt auf der ersten Platte der Band. NIFELHEIM mögen vielleicht nicht die aktivste Truppe der Welt sein (geht ja auch nicht, wenn man im Grunde als Die-Hard-Fan MAIDEN hinterherreist...), aber sie sind bestimmt eine der mitreißendsten Live-Acts im Black/Thrash-Sektor und stecken sogar Kaliber wie AURA NOIR locker in den Sack. Bewehrt mit mindestens zwei Zentner Leder, Nägeln, Nieten und Stahl brennen die Gustavsson-Zwillinge und ihre drei Livemusiker ein unverkennbares, hochenergisches Feuerwerk aus pfeilschnellen Thrash-Songs mit Black-Metal-Attitüde ab, das nahtlos zwischen putzig (ist das Spinnennetz auf der Glatze von Erik ein Tattoo oder geschminkt? Gehen die abstehenden Haarfusseln am Kopp als bewusste Krusty-der-Clown-Reminiszenz durch? Ist das Erklimmen der Boxentürme ein King-Kong-Tribut?), spontan bis chaotisch (die Hälfte der Band verschwindet auf der Hälfte des Sets aus nicht erkennbaren Gründen für ein paar Minuten von der Bühne, was für eine Mischung aus Verwirrtheit und blöden Witzen sorgt) und beinhart professionell pendelt. Klar, ein Song gleicht dem nächsten wie ein Ei dem anderen, aber die Refrains sind spitze, die Riffs griffig, die Performance großartig, der Unterhaltungsfaktor geht spürbar durch die Decke. Das From Hell kocht - und das habe ich schon lange nicht gesehen - wie es sich eben für eine Hölle gehört. Und um es nochmal ganz klar zu sagen: Die Haare des bangenden Vordermanns im Gesicht, den Schweiß in der Luft, das Pfeifen in den Ohren, das Einssein mit hundert besoffenen Kuttenträgern... das kriegt man eben nur, wenn man den Arsch von der Couch bekommt. Und wenn's so weitergeht, kriegt man's eben in ein paar Jahren gar nicht mehr. Deshalb: GEHT AUF MEHR KONZERTE, verdammt!

Fotos: Thomas Lotze/metalvisions.de


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