13.8.2016, Viper Room, Wien

IN THE WOODS... & SIGH & NONEXISTENCE

Text: Mike Seidinger | Fotos: Anita Petzold
Veröffentlicht am 17.08.2016

Das Gerücht, dass sich die norwegischen Kult-Metaller IN THE WOODS… reformiert haben, geisterte ja schon länger in der Szene herum. Letztes Jahr wurden die Ankündigungen dann konkret, und eh man sich’s versah, steht auch schon eine kleine Tour auf dem Programm. Ich muss dazu anmerken, dass ich – wie viele andere Freunde der härteren Klänge auch – die Band weder noch groß auf dem Radar hatte, noch jemals mit einem Wiederauftauchen der Dunkelmänner aus Kristiansand gerechnet hätte. Also noch schnell das Götterwerk „Omnio“ aus dem 97er-Jahr ausgegraben, reingeblasen, und ab in den Viper Room, wo die Band mit nicht minder interessanten Supports nach zwei Dekaden wieder auf einer österreichischen Bühne steht (den Gig vor einigen Wochen auf der Neudegg-Alm in Salzburg mal nicht mitgerechnet).

NONEXISTENCE aus Graz eröffnen den heutigen Abend wuchtig und brachial. Eigentlich handelt es sich bei der „Band“ um das Ein-Mann-Projekt von Philip Santoll, der sich live mit einem zweiten Gitarristen (Azazel) einem Drummer (Ashrak) und einem Keyboard aus der Konserve verstärkt. Dass die Musiker allesamt aus dem ASMODEUS-Umfeld kommen sei nebenbei erwähnt, aber NONEXISTENCE – laut Philip spielt man „Cosmic Doom Black Metal“ (natürlich, was sonst?) – gehen in eine komplett andere Richtung. Am ehesten kann ich noch Prallelen zu älteren SAMAEL ausmachen, der Doom-Anteil in der Musik ist relativ hoch, die Songs kommen selten über Uptempo hinaus oder münden gar in schrilles Gebolze. Gesanglich wird alles von Growls über Klargesang bis hin zu schwarzmetallischem Keifen abgedeckt, und mit der nötigen Portion Brutalität im Kehlkopf kommt das natürlich äußerst delikat. Zwar wirkt das Trio manchmal ein wenig uneingespielt, aber das bekommen wahrscheinlich nur Haftlmacher wie ich wirklich mit. Mit einem guten Gespür für die nachhaltige Melodie und einem effektiven Songwriting, das alles Überflüssige ausspart, können NONEXISTENCE bei mir durchaus Eindruck schinden. Und übrigens auch bei den bandeigenen Groupie-Mädels, die bereitwillig Unterhöschen auf die Bühne werfen, was Sänger Philip lapidar mit „Endlich was zum Anziehen!“ kommentiert. Die Band (oder das Projekt, je nachdem), deren letztes Output „Antarctica“ auch schon wieder drei Jahre her ist, ist leider viel zu selten live zu bewundern. Ein Umstand, der sich bitte schleunigst ändern muss, denn die Musik ist es wirklich wert.  Mit ihren gelegentlichen Sludge-Anleihen ist die Chose noch dazu recht zeitgemäß und einen heimlichen Hit haben die Drei mit "The Void Of No Void" auch noch im Programm! 

Setlist NONEXISTENCE: Shroud Of Distress - Here Is Nowhere - Hope Dies First - Vast Abysses Inside - Serenity - The Void Of No Void - Starless Aeons

Bands aus Japan sind natürlich immer interessant. Und anders. Weit abseits vom Hype um Retorten-Klumpert wie BABYMETAL gibt es im Land der aufgehenden Sonne eine feine Underground-Szene, die Black Metal mit Gothic vereint und Visual Kei mit Death Metal. SIGH, die IN THE WOODS… auf ihrer kleinen Europa-Tour begleiten, sind da ein ganz eigenes Konglomerat, optisch eine Mischung aus „Fluch der Karibik“ und „Shogun“, musikalisch irgendwo im weiten Land zwischen Schwarzmetall und Okkult-Avantgarde. Mit (wirklich) brennenden Bibeln beginnen die vier Herren und eine Grazie ihren Set, und von Beginn an ist klar: konventionell geht anders. Zwar machen SIGH in ihren Songs oft den Fehler, etwas monoton zu klingen und gewisse Parts etwas zu oft zu wiederholen, aber das tut der rudimentäre Black Metal zugegebenermaßen ja auch des Öfteren. Sänger Mirai Kawashima, der nebenbei auch bei den US-Deathern NECROPHAGIA die Keyboards quält, zieht gesanglich alle Register, hat eher den Habitus und die Gestik eines Schauspielers, und zückt zwischendurch auch mal die Querflöte. Und irgendein anderes Ding, das aussieht wie eine Blockflöte, mit dem er aber nur herumfuchtelt und seiner Frau, die neben ihm an Vocals und Saxophon performt, beinahe den Schädel zerdepscht. Dr. Mikannibal, wie sich die an eine Gothic-Manga-Vampirin erinnernde junge Frau nennt, hat überdies ein gar furchterregendes Männer-Organ und deatht sogar ihren Gemahl in Grund und Boden. Musikalisch grundlegend top-solide, sticht aber vor allem Gitarrist You Oshima heraus, der mit seiner Siebensaitigen wahre Gustostückerln abliefert und sicherlich zu den Top-Axemen Japans gehört. Eine sehr seltsame, wenngleich auch nicht umwerfende Erfahrung sind diese SIGH allemal, etwas wortkarg zwischen den Songs zwar (Japaner und Englisch – ein auf ewig gestörtes Verhältnis), rechnet man den durchaus vorhandenen Exotenbonus dazu, aber ein nachhaltiges Live-Erlebnis.

Setlist SIGH: A Victory Of Dakini - The Knell - At My Funeral - Shingontachikawa - The Soul Grave - The Forlorn - Introitus/Kyrie - Me-Devil

Exoten waren IN THE WOODS… eigentlich auch immer. Nicht nur, dass sie aus dem südlichsten Zipfel, quasi der Riviera Norwegens, kommen, sie haben auch sehr früh erkannt, dass die üblichen Parameter des Black Metal viel zu eng für ihre musikalischen Vorstellungen und quasi „Krieg“ sind. Vielleicht waren sie stilistisch deswegen stets einen Schritt vor ihren Genre-Kollegen, erfolgstechnisch dadurch aber eher immer einen Schritt weiter hinten? Nachdem die Truppe vor einigen Wochen bereits die Salzburger Neudegg-Alm im Rahmen des „Funkenflug“-Festes beschallt hatte, ist die Band nach zwei Dekaden Abstinenz endlich auch wieder in Wien, und die Anwesenden wissen um die Symbolhaftigkeit des Moments. Der schrullige Engländer James Fogarty, der in den letzten Jahren bereits durch eigenwillige Projekte wie EWIGKEIT oder JALDABOATH auffiel, und dem Drummer Anders auch bei OLD FOREST aushalf, passt ironischerweise wie die Faust aufs Auge in die Band. Die beiden liebenswürdigen, aber eher introvertierten Botteri-Brüder balancieren das Gesamtbild auf der Bühne zwar optisch aus, Christopher „C:M.“ fällt neben seiner eigenwilligen Kleidung, die eher an einen Rapper als einen Düstermetaller erinnert, aber vor allem durch seine freudige Gestik auf: fast jeder Anwesende bekommt von ihm eine Pommesgabel oder zumindest ein Peace-Zeichen.

Das musikalische Fundament von IN THE WOODS…  ist über jeden Zweifel erhaben, und vielleicht ist es ja gut, dass James als Sänger nicht gerade der exaltierte Show-Man ist, sondern sich eher unsicher an den Mikroständer klammert – es passt ohnehin mehr zur melancholischen Musik der Band. Die Setlist hat ein paar alte Klassiker wie das selten bis nie gespielte „In The Woods“ (vom 1993er-Demo „Isle Of Man“) oder „299.272 km/h“ drinnen, mit „Blue Oceans Rise“, „Towards The Black Surreal“ und „Cult Of Shining Stars“ aber auch drei brandneue Tracks vom kommenden Album „Pure“ am Start, dem ersten Release seit satten 17 Jahren. Und diese Tracks knüpfen, vielleicht unbewusst, irgendwo an das „Strange In Stereo“-Material an (diese Scheibe wird heute übrigens sträflich außen vor gelassen), obwohl das Ganze etwas gereifter und erwachsener wirkt. Anders Kobro erweist sich als genialer Drummer, der seine Stärken gezielt und songdienlich einsetzt, und James „Mr.Fog“ Fogarty kann neben eindrücklich mahnendem Klargesang auch richtig fies grunzen. Da macht es auch nichts, dass er seine Texte teilweise vom Blatt liest und gegebenenfalls auch mal irgendwie abwesend wirkt. Dem Publikum gefällt’s, die Band gibt sich insgesamt eher distanziert-kühl, was aber durchaus der Aura von IN THE WOODS… entspricht.

[Dass die Truppe auch anders kann, sieht man übrigens sehr schön in unserem Interview mit Christopher, James, Anders und Christian, das wir vor dem Gig geführt haben. Klickt einfach hier und seht es euch an!]

Der Hut tragende Newcomer Kåre André Sletteberg an der zweiten Gitarre und DARK FORTRESS-Tastenmann Job Bos runden den wuchtigen Sound von IN THE WOODS… wunderschön ab, und nach knapp 70 Minuten ist auch schon wieder Schicht im Schacht. Es ist aber echt schön, die Jungs wiederzuhaben. Und auch wenn im Jahre 2016 ihre Songs nicht mehr ganz so wegweisend wirken mögen wie 1996, so sind IN THE WOODS… doch immer noch eine ziemlich außergewöhnliche und visionäre Band mit einer internationalen Persönlichkeits-Mischung, die sicherlich noch die eine oder andere Überraschung parat haben wird und die sowieso immer ihren völlig eigenen Weg ging, geht und gehen wird. So, und jetzt freuen wir uns erst mal auf das großartige „Pure“, das am 16.9. erscheint.

Setlist IN THE WOODS…: Yearning The Seeds Of A New Dimension - Heart Of The Ages - Blue Oceans Rise (Like A War) - 299.272 km/h - Cult Of Shining Stars - Towards The Black Surreal - In The Woods - Divinity Of Wisdom

[Setlists wie immer ohne Gewähr.]


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