21.07.2019, Colos-Saal, Aschaffenburg

ROSE TATTOO + HARDBONE

Text: Lord Seriousface | Fotos: FiniMiez
Veröffentlicht am 24.07.2019

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Rückblick

Ein Besuch bei den australischen Hardrockern ROSE TATTOO ist immer etwas Besonderes und kommt in gewisser Weise einer Zeitreise gleich. Die traditionell personalflexible Band um Kult-Sänger Gary "Angry" Anderson bereist seit mehr als 40 Jahren den Globus und hat sich, abgesehen von ihrem regelmäßig wechselnden Lineup, bis heute nur wenig verändert. Die sympathischen Aussie-Rocker sind gleichermaßen Zeitzeugen als auch Relikt vergangener Tage. Ihre Musik und Texte leben den Geist der hart malochenden Arbeiterklasse, ihr Auftreten war und ist für das Image des "Bad Boys" prägend. Im Gegensatz zu den meisten Bands, die durch sie beeinflusst wurden, sind die TATTS einige der wenigen Originale, die mit prolligem Outlaw-Rock'n'Roll und großflächig tätowierter Haut noch ernsthaft schockieren konnten. Was heute nicht einmal mehr konservative Fundamentalisten hinter dem Ofen hervorlockt, hatte zu Zeiten von "Rose Tattoo" und "Assault & Battery" noch ein anderes Gewicht. Aus dieser einleitenden Tatsachenbetrachtung leitet sich eine naturgemäße Wahrheit unweigerlich ab: ROSE TATTOO sind alt. Und das ist noch nicht einmal despektierlich oder in irgendeiner Weise scherzhaft gemeint, sondern vielmehr ein Ausdruck aufrichtiger Bewunderung der Ausdauer und Hartnäckigkeit einer Band, die über die Jahrzehnte bereits Schicksalsschläge wie den Tod ihres Gründers Pete Wells verkraften musste.

Eine Zeitreise ist der heutige Abend auch für mich selbst, denn mein letztes TATTS-Konzert liegt inzwischen 11 Jahre zurück und war die letzte Station einer Reihe von Lustreisen (hossa...gibt es für sowas schon einen Markt? Lass dir das mal patentieren! Anm.d.Korr.) quer durch die Republik, an deren Höhepunkt stets der Auftritt von Angry Anderson und Co. stand. Dabei musste ich für den Auftakt dieses Marathons noch mühevoll motiviert werden. Dem Starrsinn meines damaligen Bandkollegen hatte ich es zu verdanken, dass meine Ausrede "Ich hab' morgen Uni!" keine Anerkennung fand und ich am folgenden Morgen völlig übermüdet an selbiger eintraf. Mit meinem prolligen ROSE TATTOO Tanktop wurde ich inmitten fein gekleideter Hoffnungsträger selbst zu einer Art "Rock'n'Roll-Outlaw". Zur womöglichen Verwunderung aller Beteiligten wurde mir dies nicht zum Nachteil und es sollte nicht das einzige Mal sein.

Intro

Nachdem ich das besagte TATTS-Tanktop aus den Untiefen meiner T-Shirt-Sammlung gekramt habe, machen wir uns auf den Weg zum Aschaffenburger Colos-Saal, wo wir die Band das bisher letzte Mal bewundern durften. Zum Einlass stehen die Besucher bereits Schlange, einmal den halben Roßmarkt runter und wieder hinauf. Es verwundert wenig, dass das Durchschnittsalter des heutigen Publikums relativ hoch ist, doch glücklicherweise finden die TATTS auch bei Connaisseuren jüngerer Semester noch Anklang. Ob hier die postpubertäre Kulturerziehung Rock-erfahrener Eltern eine Rolle spielt, sei mal dahingestellt - das Ergebnis zählt (by the way: so und nur so stelle ich mir gute Erziehung vor!). Beim obligatorischen Besuch der Sanitärabteilung fällt mir zunächst der rustikale und völlig analoge Bespaßungsmittelautomat ins Auge, der mindestens fünf Rezessionen und vielleicht den letzten Krieg überlebt hat. Nach einem kurzen Sinnieren über eine Analogie zwischen der augenscheinlich für die Ewigkeit konstruierten Verkaufsmaschine und der ebenso unverwüstlichen Band des Abends betrete ich den wohlig klimatisierten Colos-Saal. Während die Besucher in den Raum strömen, werden auf einer Leinwand Musikvideos von Bands gezeigt, die hier demnächst auftreten. Um kurz vor 20:00 Uhr ist die Hütte zu etwa 80 Prozent gefüllt und es wird trotz aufwändiger Belüftungs- und Klimatechnik allmählich stickig. Während die Leinwand aufgerollt wird, läuft AC/DCs "Shoot To Thrill" - was sonst?

HARDBONE

Nachdem bereits die Begleitmusik auf australische Klänge eingestimmt hat, betreten HARDBONE aus Hamburg die Bühne und eröffnen den Abend. Der sehr offenkundig durch AC/DC geprägte Rock'n'Roll geht keine Kompromisse ein, zündet auf Anhieb und lässt das Bon Scott-erzogene Publikum singen und tanzen. Die Erfolgsformel, das die wohl bekanntesten Rocker des australischen Kontinents über 40 Jahre hinweg perfektioniert haben, haben die fünf Nordmänner wohl durch Intensivbeschallung im Mutterleib aufgenommen und geben sie dementsprechend treffsicher zum Besten. Pumuckeleske (ich bitte um sofortige Aufnahme dieses Wortes in den Duden! Anm.d.Korr.) Vocals über den Rock'n'Roll-Way-Of-Life, simple Riffs, wummernder Bass und behäbige Bumm-Tschakk-Beats - mehr braucht es nicht für eine feuchtfröhliche Reise in die Zeit, als Angus Young erst fuffzig war [Anm. d. Red.: als "Hyperbel" bezeichnet man das rhetorische Stilmittel der Übertreibung, das die Aussage des Verfassers zu verstärken und in einer unterhaltsamen Weise darzubieten beabsichtigt]. Die unrasierten Rocker proklamieren ihre Bemühungen zur "interkulturellen Nord-Süd-Brücke", worunter sie einen fairen Quid-Pro-Quo-Handel von norddeutschem Rock'n'Roll gegen süddeutsches Bier verstehen. OK, nach Hamburger Schule klingen HARDBONE nicht unbedingt, aber dafür mundet Sänger Tim Dammann das lokale Bier umso besser. Während sein Kollege Sebastian Kranke in der Menge ein Solo zockt, prostet der gut gelaunte Fronter mit dem Publikum - und ehe der Leadklampfer wieder auf die Bühne klettert, fliegt bereits der nächste Schlappeseppel-Deckel hinter das Drumset. HARDBONE flirten mit ihrem Publikum und machen vom Getränketransfer bis hin zum Ringelpietz ohne Anfassen das Beste aus der überschaubaren Bühne. Charmante, auf den Sonntagabend anspielende Ansagen der Marke "Ihr seid besser als jeder Tatort - sogar die Neuen!" gehören ebenso zum Programm wie ein kleiner Gesangskurs während "Walking Talking Sexmachine". Ganz im Sinne der Band singen alle brav mit und (fast) niemand skandiert "Walking Talking Seehofer". Mehr Politik soll es für heute nicht sein, die erste Band des Abends wird ausgelassen gefeiert und hinterlässt beste Laune für den Headliner. AC/DC-Huldigung hin oder her: viel besser konnte man auf den bevorstehenden ROSE TATTOO-Gig nicht einstimmen.

Tracklist HARDBONE:

  1. No Man's Land
  2. This Is Rock'n'Roll
  3. Wild Nights
  4. Sound Of The City
  5. Barfly
  6. Walking Talking Sexmachine
  7. Hellevator
  8. Neckbreaker
  9. One Last Shot

ROSE TATTOO

Nachdem HARDBONE außer guter Laune und Spielfreude auch einen ordentlichen Durst demonstrierten, wird für den Auftritt der TATTS in erster Linie Wasser aufgetischt. Die Altmeister sind ja schließlich nicht mehr die Jüngsten und müssen mit ihren physischen Ressourcen nachhaltig wirtschaften. Dachte ich. Törichterweise. Denn kurz, nachdem AIRBOURNEs "Cheap Wine & Cheaper Women" aus den Boxen schallte, betritt Angry Anderson mit einer (ziemlich leeren) Flasche Ingwerwein bewaffnet die Bühne und verteilt das dort befindliche Wasser großzügig an das dürstelnde Publikum. Mit dem Charme eines Gentleman begrüßt er die Damen in der ersten Reihe stilecht mit Handkuss, bevor die Aussie-Rocker mit "Bad Boy For Love" einsteigen. Neben dem wesentlich jüngeren Jackie Barnes an den Drums sind heute Rhythmusgitarrist Bob Spencer und der frühere AC/DC-Basser Mark Evans in der Band. Von den Besetzungen der 2000er Jahre ist neben Angry Anderson nur noch Slide-Gitarrist Dai Pritchard an Bord. Zum 40. Jubiläum ihres selbstbetitelten Debuts spielen ROSE TATTOO (bis auf "T.V.") alle Stücke dieses Albums. Damit werden neben den bekannten Gassenhauern wie "Rock’n’Roll Outlaw" oder "Remedy" auch "Stuck On You" oder "Snow Queen" aufgeführt, die bis dato selten oder überhaupt nicht live zu hören waren. Nach über zehn Jahren Abstinenz war ich zugegebenermaßen etwas besorgt über die Livedarbietung der TATTS im Angesicht ihres respektablen Alters (speziell dem des einzigen verbliebenen Ur-Outlaws Angry Anderson). Glücklicherweise können diese Bedenken schnell zerstreut werden, denn wie bereits die ersten Zeilen beweisen, hat es der alte Haudegen auch mit fast 72 Jahren noch drauf. Es scheint, als habe Anderson sich in der letzten Dekade kaum verändert. Seine Bewegungen mögen etwas langsamer geworden sein und insgesamt erscheint der Altrocker etwas kauziger als früher, doch seine markante Stimme erklingt druckvoll wie eh und je und auch seine Hingebung auf der Bühne ist ungebrochen. Er wirkt zuweilen wie in Trance und lässt keinen Zweifel daran, dass er für seine Sache lebt. Seine Mimik wechselt zwischen völliger Glückseligkeit und "gleich hau' ich dir eins in die Fresse!". Manchmal kann man nicht so recht unterscheiden, ob das Dargebotene für den Frontmann eine Rock'n'Roll-Show oder ein Akt der Liebe ist - vielleicht ist es auch beides...oder eine Nebenwirkung des Ingwerweins, der Angry heute offenbar gut gemundet hat. Alles in allem liefern die TATTS eine saubere Show ab. Dass nach dem starken Einstieg vereinzelte Songs etwas kraftlos dargeboten werden, lässt die Stimmung zunächst ein wenig abflauen. Auch die unbekannteren Songs kommen beim Publikum anscheinend nicht so gut an. Als zum Abschluss die Band-Hymne "Nice Boys" gespielt wird, ist hingegen wieder ordentlich Dampf auf dem TATTS-Kessel und der vollgestopfte Colos-Saal beginnt erneut zu toben. Auch mit den Zugaben "Remedy" und "Astra Wally" hauen ROSE TATTOO noch einmal ordentlich auf den Putz und hinterlassen nach 90 Minuten unterm Strich einen positiven Eindruck.

Tracklist ROSE TATTOO:

  1. Bad Boy For Love
  2. Scarred For Life
  3. One Of The Boys
  4. Assault & Battery
  5. Tramp
  6. Who's Got The Cash
  7. Rock'n'Roll Outlaw
  8. The Butcher And Fast Eddy
  9. Once In A Lifetime
  10. Rock'n'Roll Is King
  11. Stuck On You
  12. Sweet Love
  13. 1854
  14. Snow Queen
  15. We Can't Be Beaten
  16. Nice Boys
  17. Remedy
  18. Astra Wally

Outro

Nachdem es zeitweise sehr ruhig um ROSE TATTOO wurde, fürchtete man schon um deren unangekündigten Renteneintritt. Dementsprechend erfreut waren wir über die jüngste Aktivität der Australier und ihre Tourtermine im deutschsprachigen Raum. Dass die alten Recken noch ordentlich abrocken können, gibt zusätzlichen Anlass zur Freude. Den kleinen Durchhänger in der Mitte kann man da ganz gut verzeihen. Zusammen mit der Erinnerung an den überraschend mitreißenden Gig der Supportband HARDBONE blicken wir also auf einen gelungenen Abend zurück. Die fröhlichen Gesicher und Frauen aller Altersgruppen, die ihre Hände nach dem Kuss Angry Andersons nicht mehr waschen wollen, verraten uns, dass die Gäste das offenbar genauso sehen.


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