AMALTHEA - In The Woods

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VÖ: 31.01.2014
Bandinfo: AMALTHEA
Genre: Post-Rock
Label: Moment Of Collapse Records
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Lineup  |  Trackliste  |  Credits

Wer ein klein wenig mit dem Realitätskonstrukt in Horror-Filmen vertraut ist, weiß, es gibt ein paar Örtchen, an denen man sich besser nicht aufhalten sollte – denn dann, dann geht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit etwas gewaltig schief. Niemals, niemals verstecke dich in einem Schrank, auf Dachböden – und Keller sind ebenfalls Tabu. Und wer meint, Dickicht versperrt dem Jäger die Sicht auf das vogelfreie Wild, der liegt ebenso gehörig daneben. Der Wald ist eine Lokalität, in der blöde herumliegendes Wurzelwerk nicht nur stolpern macht, auch lauert hinter dem nächsten Stamm gewiss das Unheil – und wenn nicht dort, so hinter dem nächsten.
Das „Blair Witch Project“ ist hierfür ein gutes Beispiel, vielmehr noch „Evil Dead“, wo das Monstrum gar Besitz vom Wald an sich ergreift. Nicht minder auch der Unheilsbringer in „The Woods“, wo der Nebel aus dem Geäst in die Falburn Academy wabert und mehr als nur ein bisschen Frösteln im Sinne hat.

Das Setting von „In The Woods“, dem nach „Decision Should Be A Desert, Bright And Clear” (2007) zweiten Longplayer der schwedischen Formation AMALTHEA nun, ist vorgegeben: „Ein Männlein steht im Walde, ganz still und stumm. Es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um“, heißt es im Kinderlied von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben aus dem Jahre 1843. Das Männlein, es steht ganz allein im Wald herum, mal auch auf einem Bein, und trägt dabei ein schwarzes Käppelein. Jene Figur, sie ist eigentlich nur die schmackhafte Hagebutte, doch in „Hannibal Rising“ zieht sich jene Motivik infernalisch durch Kehle und Sehnenfleisch.

Legten AMALTHEA bis zu ihrer letzten EP, „The World Ends With You“ (2011) noch einen deutlichen Schwerpunkt auf Screamo, stießen sie mit ihrer Apokalypsenvision tiefer, immer tiefer in die Leid und Pein heraufbeschwörende Welt des Post Rocks ein, „The world is a dead carcass and the purpose of human beings is as maggots“, heißt es auf der Rückseite von CARCASS‘ „Reek Of Putrefaction“, ein Zitat der britischen Pop-Sängerin Alison Moyet. Und auch im Walde der Schweden ist das Leben ein wertlos gewordenes, was einst lebte, wird tot aufgefunden, was noch atmet, dem wird die Luft entzogen, der Garaus gemacht.
Monochrom gerät das Setting, das zwar trist, aber in einer morbiden Art auch romantisch mit „Rain“ eröffnet wird. Ein Waldschrat sitzt auf einem Strunk, einem Baumstumpf, und zupft auf seiner Gitarre herum, während über ihm der Himmel bricht und es aus allen Gassen schifft. Beinahe liebevoll und zärtlich stimmt er sein Instrument, bis Donner und Blitz bei Minute vier zeigen, wo Thor seinen Hammer hängen hat. Da rumpelt es und pumpelt es, THE RED CHORD hätten für jenen Ausbruch Pate gestanden haben können. Über die gesamte Spieldauer hinweg pendeln die Herren zwischen geplagten Seufzern, die auch JOHN FRUSCIANTE auf seine frühen Solo-Veröffentlichungen, insbesondere „The Will To Death“, aber auch „Inside Of Emptiness“, packen hätte können, und wahren Ausbrüchen, die vermeinen lassen, Leatherface kann nicht nur seine heiß geliebte Kettensäge, sondern auch ein musikalisches Instrumentarium bedienen. Dass er auch hiermit seine Opferlämmchen schreien macht, versteht sich von selbst – und während im Dickicht Leben genommen wird, säuseln gar filigrane, überlange Soli durch das nebulöse schwedische Nirgendwo, wie sie nicht einmal NEIL YOUNG besser hätte fabrizieren können – wehe, wenn er losgelassen!

Amalthea, das war eigentlich eine Nymphe, die – folgt man der mythologischen Erzählung – in Gestalt einer Ziege Gottvater Zeus mit Milch, Ambrosia und Nektar nährte und somit davor bewahrte, von seinem Vater, dem Titanen Kronos, mit Haut und Haar verspeist zu werden. Was für ein tumber Riese auch, dass er den blutverschmierten Stein, den ihm sein Eheweib Rhea an Zeusens Stelle in den Schlund warf, nicht als kein Wesen erkannte! Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: Durch Amaltheas Fürsorge wurde Zeus so stark, dass er seinen Vater vom Thron stoßen konnte – und somit der Weisung Genüge tat.
AMALTHEA jedoch, die akustische und nicht mystische, nährt nicht, sie verschlingt und saugt, einem bissigen Vampir gleich, deinen Lebenssaft aus – ätherisch war gestern, heute überwiegen Schwaden – „Vapour“ wie auch ein Stück heißt –, die Licht ins Dunkel wandeln, das Leben verwesen lässt. Irgendwo zwischen Ambient, klassischem Jazz (man hört hierauf auch einmal ein Saxofon) und progressivem Hardcore erschaffen die Herren einen hervorragend ausbalancierten Soundtrack zur Fahrt ins ewige Nichts, wenngleich auch ein „Ruhe im Frieden!“ nur vorgegaukelt wird, denn der nächste Sturm, der ist bei AMALTHEA gewiss. Trompete, Violinen und gar ein Chor potenzieren die Auswegslosigkeit, die jene fantastischen Musiker mit einer gezielt eingesetzten Atonalität ohnehin schon evozieren, zudem noch einmal ins Unermessliche. Vater Wahn, er schreitet in Gestalt von AMALTHEA durch rauschende Blätter und dichtes Geäst, eingehüllt in zuckende Blitze und grollendem Donner, seine morbide Lust, sie lodert.

Es gibt da einen ziemlich grauslichen Witz: Ein Kinderschänder geht mit einem kleinen Kinde in den Wald, wozu, das dürfte nicht schwer herauszufinden sein. Irgendwann meint der kleine Zwuck dann, als sich die Dunkelheit breit macht, unheimliche Geräusche aus dem Off an sein Ohr dringen und der Nebel den Boden und die Ferne nicht mehr sehen lässt: „Ich habe Angst.“ Daraufhin sein Begleiter: „Was denkst du, wie es mir geht? Ich muss später allein nach Hause gehen!“
„Someone guide me out, I see a ghost", heißt es flehend auf diesem Album, und wenn es also in schwedischen Wäldern, oder Wäldern überhaupt, so klingt, wie uns AMALTHEA weiß machen wollen, dann kann ich den Schänder gut verstehen. Dann würde ich auch lieber meine Triebe unterdrücken, und gemeinsam rasch kehrtmachen und mich auf die lichte Lichtung flüchten.

Mit „In The Woods“ ist dem Quartett zweifelsohne ein Opium fürs Volk gelungen, das die breite Schnittmenge zwischen ISIS und CULT OF LUNA ebenso zufrieden stellen dürfte, wie all jene, die sich im schier endlosen „Post“-Sektor zuhause fühlen, von Hardcore über Rock bis hin zu Core.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Stefan Baumgartner (23.01.2014)

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