Helrunar - Sól

Artikel-Bild
VÖ: 07.01.2011
Bandinfo: HELRUNAR
Genre: Black Metal
Label: Lupus Lounge
Hören & Kaufen: Amazon | Ebay
Lineup  |  Trackliste

HELRUNAR aus Münster haben sich in den Jahren ihres Bestehens mit Recht eine bebende Fangemeinde erspielt. Selbst in der dichten deutschen Black/Pagan Szene kommt Skald Draugir, dem Kopf der Band, eine Sonderstellung zu. Bereits mit dem Demo "Grátr" bewies er eine Hand für frostkalte Atmosphäre und intelligente Texte. Das Black Metal Jahr 2011 eröffnen die Mannen mit dem Doppelschlag "Sól" - eine ideale Gelegenheit, einen Blick auf die Geschichte und das Werk der Truppe zu werfen.

Im Jahr 2003 stößt Skald Draugir, Student nordischer Philologie, zusammen mit Dionysos (Gitarre) und Alsvatr (Drums) mit einem Demo in die schon im Verwässern begriffene Pagan-Szene, dass mit Tiefgang und Authentizität die breite Masse mjölnirbehängter Flaumbärte in die Erde stampft. "Grátr", in Umfang und Professionalität eine reguläre LP, zeichnet sich vordergründig durch rasende Härte und feinsinnige Melodie aus. Einen signifikanten Teil ihres Reizes bezieht die Scheibe aus Skalds Textkompositionen, denen er selbst sehr hohen Stellenwert beimisst: "Text und Musik sollen zueinander passen, sich gegenseitig unterstützen, eine Fusion eingehen." Skalds Interesse für altgermanische und altisländische Reimdichtung verleiht den Texten poetische Tiefe und unterstützt die Kompositionen perfekt. Kostprobe? Frühlingsdämmerung und Jahreszyklus aus "Das goldene Feuer":

Golden gleißend die Glut /
Götterhain Wolkenschrein /
Nach Nacht nun neu erwacht /
Nordens Kreis aus dem Eis /
Winterglas welkt und rinnt /
Wellendach schon zerbrach /
Erblühend erwachend /
Erneuert sich das Rad

Die heidnische Naturschwärmerei fand nach einem Split mit Nachtmahr (nein, nicht die elektronischen Faschohipster) auf dem ersten regulären Langspieler "Frostnacht" ein brutales Ende. Auf "Grátr" balancierten HELRUNAR kaltes Black Metal Riffing noch perfekt mit weicher Melodie. "Frostnacht" vermittelte über die gesamte Laufzeit die bedrückende Stimmung einer Moorwanderung im Winterfrost. Hatte die mythologische Geistwelt zuvor noch einen märchenhaften Charakter - ohne je in Kitsch abzugleiten - hörte man nun gesichtslose Schrecken hinter jeder abgestorbenen Eiche und in jedem Tümpel lauern. Ein trockene Produktion, die nicht bei jedem Kritiker gut ankam, tat ihr übriges, um aus "Frostnacht" eine nackenhaarsträubende Erfahrung mit boshaftem Charakter zu machen. Gerade diese Kanten halfen, das Profil von HELRUNAR weiter zu schärfen und der Fangemeinde Reibungspunkte zu bieten.

Entsprechend groß fiel der Hype vor dem Release von "Baldr ok Iss" 2007 aus. Eine reduzierte Soundlandschaft und schütteres Riffing verhinderten jedoch den Aufbau einer geschlossenen Atmosphäre, und so erntete die Platte meist eher verhaltene Respektsbekundungen. Die Band verstieg sich auf unsicherem Terrain zwischen Traditionalismus und Moderne.

Mit neuer Entschlusskraft wuchten HELRUNAR sich 2011 also aus der Unstetigkeit, und als Rettungsanker wirft Skald Draugir nichts weniger als ein Doppelalbum aus. "Der Dorn im Nebel" und "Zweige der Erinnerung" bilden das Gesamtopus "Sól", und es ist nichts weniger als eine Hommage der Band an sich selbst, ein Best-Of, ein brodelnder Schmelzguss aus "Grátr" und "Frostnacht", der keinen Fan enttäuschen dürfte.
Die markanten Charakteristika, die sich durch die Bandgeschichte ziehen sind auf "Sól" natürlich evident: markiges Riffing und ein starker Fokus auf Lyrik, die von Skalds reibendem, aber klar verständlichem Gesang getragen wird. Nach einem gesprochenen Intro sorgt "Kollapsar" unmittelbar für nostalgisches Staunen. Ja, da sind sie sie wieder, die schweifenden Riffs, die den Weg für rasende Rhythmussektionen breiten - die Eröffnung lehnt sich in Melodie und Struktur so stark an den "Grátr"-Opener "Raune mit der Tiefe", dass jedem Fan das Herz springen muss. Die Liedtitel lassen einen Rückschluss auf die expressive Lyrik auf "Sól" zu: "Nebelspinne", "Aschevolk", "Moorgänger". Skald leistet sich zu Recht häufig starke Expositionen seines Textkönnens in Form gesprochener Interludes, die in dieser Qualität im deutschsprachigen Raum sicher einzigartig sind.

Über beide Alben hinweg schaffen HELRUNAR einen kaum durchhängenden Spannungsbogen. Sie zaubern "Frostnacht"-Atmosphäre mit "Grátr"-Mitteln, unterstützt von einer satten, aber präzisen Produktion, die in gleicher Weise wie das Songwriting den Spagat zwischen Melodieepik und eisstarrer Stimmung schafft. Das Erzählkonzept des Albums sieht Skald "von mythischen Strukturen und Symbolen geprägt, jedoch auch von moderner bzw. expressionistischer und surrealistischer Lyrik. Diese Herangehensweise soll eine vergleichsweise offene (aber nicht beliebige!) Bedeutsamkeit erzeugen, in die der Leser sich selbst einbringen kann, darf und soll." Dieser Aufforderung nachzukommen wird über die lange Spielzeit hinweg zum - seidenen - Fallstrick für "Sól". Skald selbst sieht "Sól" als "durchgehend weit düsterer" als die vorangegangenen Alben. Ohne die Andeutung eines Hoffnungsschimmers gerinnen die einzelnen Stücke zusehends zu einem bodenlosen Meer von Dunkelheit, Verzweiflung und Verfall. Freude kann man mit diesem Album nur auf abstrakte Weise erfahren. Sich der raumgreifenden Düsternis öffnen, teerschwarze Schicht um Schicht zu durchtauchen und auf sich selbst zu stoßen – nichts weniger verlangt dieses Album dem Hörer ab.

Keine Frage, es gibt keinen ungünstigeren Zeitpunkt, es auf Bestenlisten zu schaffen als den Jahresbeginn. Dieser Donnerschlag, daran kann kein Zweifel bestehen, wird die Gehörgänge aber so tief erschüttern, dass er mindestens ein Jahr nachhallt. Wer HELRUNAR nicht kennt kann dieses Defizit mit "Sól", das auch als limitierte Artbook Edition erscheint, hervorragend aufholen. Die Band hat sich, tief in der eigenen Vergangenheit verankert, ein Stück weiterbewegt, und das mit großem Erfolg.

Diskografie

Grátr (2003/Re-Release 2009)
Roberts Rezension der Neuauflage dieses lange vergriffenen Demos findet sich hier. (4.5/5)

Frostnacht (2005)
Ein mutiger Schritt Richtung finsterer Moderne, der fortan stilprägend für die Band bleiben sollte. Der Nachhall dieses Albums wirkt auf „Sól“ ungebrochen. (4/5)

Baldr ok Iss (2007)
Im Konkurrenzfeld sicher ein starker Eintrag, unterm Strich jedoch eine zerfahrene Angelegenheit. Die Unsicherheit im Spagat zwischen Pagan und Black führte letztlich zu Stagnation und schwammiger Atmosphäre. (3.5/5)



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: eisendorn (07.01.2011)

ANZEIGE
ANZEIGE