Morbid Angel - Illud Divinum Insanus
Bandinfo: Morbid Angel
Genre: Industrial Metal
Label: Season of Mist
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Lineup | Trackliste | Credits
Sehen wir einmal davon ab, dass die amerikanischen Fun-Thrasher ANTHRAX im Herbst mit einem neuen Studioalbum um die Ecke biegen wollen, ist die leibhaftige Veröffentlichung eines neuen MORBID ANGEL Albums wohl die größte Sensation des Metaljahres 2011. An „Illud Divinum Insanus“ basteln die Vorzeige-Deather aus Florida schließlich schon seit knapp fünf Jahren, doch das eher gemächliche Songwriting und die zahlreichen Liveaktivitäten haben den heiß ersehnten Release der wohl legendärsten Ami-Mörtler bis in die gefühlte Ewigkeit verzögert. Der politisch leicht verwirrte David Vincent hat sich ja schon 2004 zurückgemeldet und Steve Tucker rausgedrängt, seit drei Jahren wird das MORBID ANGEL Line-Up durch Destructhor aka Thor Anders Myhren (ex-ZYKLON) an der zweiten Klampfe komplettiert.
Ganz nach Gewohnheit wird das achte Studioalbum mit dem ebensovielten Buchstaben im Alphabet begonnen, Line-Up und Albumname sind aber auch schon das einzige, das von alten MORBID ANGEL Tagen übriggeblieben ist. Vielmehr bekommt der „Altars Of Madness“ und „Blessed Are The Sick“ Lunatic ordentlich auf die Fresse, denn Vincent und Co. haben sich anno 2011 fast gänzlich aus den eigenen Fußstapfen befreit und ließen „Illud Divinum Insanus“ unerwartet industriell und progressiv geraten. Mag vielleicht daran liegen, dass der liebe „Evil D“ bei den GENITORTURERS eine ordentliche Stilverlagerung erfahren hat, oder dass ihn seine Gen bei dem einen oder anderen Bondage-Spielchen mit Peitschenhieben dazu gezwungen hat.
Wer sich durch die Untiefen des virtuellen Netzes hangelt, wird auf eine nie gedachte Ansammlung an Kritik und Diffamierungen stoßen. Grundsätzlich schwer zu verstehen, denn wo bitteschön steht geschrieben, dass sich Bands nicht weiterentwickeln, sich nicht auch mal auf unbekanntes oder neues Terrain wagen dürfen? Und außerdem – waren die letzten MORBID ANGEL Alben denn auch astreiner Spätachtziger Ami-Tod? Eben. Wenn man „Illud Divinum Insanus“ Zeit gibt, sich den Kompositionen voller Aufmerksamkeit widmet und die Vorurteile ablegt, erhält man vom Quartett nämlich eine Brutalo-Wundertüte, die immense Langzeitwirkung hat und allein schon aufgrund der mutigen Wandlung die Höchstpunktezahl verdienen würde. Aber klar, es ist nicht alles höllisches Gold, was aus der morbiden Gruft glänzt. Das eher lächerlich wirkende (und eindeutig zweideutig betitelte) Intro „Omni Potens“ hätte man sich sparen können und die abschließende Industrial/Death Metal/Aggro Schlachtplatte „Profundis – Mea Culpa“ ist etwas zu heftig und wirr geraten.
Doch die restlichen „Techno-Versatzstücke“ brauchen einfach nur Anlaufzeit und Geduld. Für den „ich mag meinen Metal stumpf und derb“ Trotzkopf wird „Illud Divinum Insanus“ nichts Brauchbares beherbergen, aber wenn man sich den unwiderstehlich stampfenden Beat von „Too Extreme!“, die mit offensiver Sogwirkung ausgestatteten EBM-Anleihen von „Destructos vs. The Earth / Attack“ und das Spoken-Word / MARILYN MANSON-Alternativegeknüppel von „Radikult“ auf den Seziertisch gelegt hat, sollte der tolerante Geist zumindest die Qualität und den Mut der Ostküstenprügler zu schätzen wissen. Um etwaigen Suizidversuchen vorzubeugen – MORBID ANGEL sind und bleiben trotzdem aggressiv ohne dabei auf Metaldiscoelemente zurückzugreifen. „Existo Vulgoré“ ist ein unwiderstehliches Riffmonster, das sich seinen Platz im Liveset der Engel schon jetzt gesichert hat und vor allem von den grandiosen Sechssaitern Azagtoth/Destructhor lebt. „Blades For Baal“ ist (neben der Vorab-Single „Nevermore“) noch am ehesten Futter für die Old-School Fraktion, mit „I Am Morbid“ bietet uns die Band auch noch eine unheimlich eindringliche Bandhymne, die sich schon nach einem Durchlauf im Trommelfell festsetzt.
Mr. Vincent ist vielleicht noch immer gleich freakig und irre wie einst, in Kombination mit der fetten Produktion scheint er aber zumindest nichts von seinen Gesangsqualitäten eingebüßt zu haben. Das Gitarrenduo leistet sich keine Patzer und der für den verletzten Pete Sandoval eingesprungene DIVINE HERESY Drummer Tim Yeung erledigt einen fantastischen Job, denn er kann den ANGEL-Standardfellgerber tatsächlich vollwertig ersetzen. MORBID ANGEL zeigen Eier, scheuen sich nicht vor Konflikten und definieren sich selbst neu. Der Grat zwischen Müll und Kunstwerk ist oft nur ein schmaler, aber auch wenn die Band unzählige Fans mit dem neuen Werk verpellen wird ist handwerklich alles in Ordnung, sitzt alles am rechten Fleck. Mut, der auch anderen, sich ständig wiederholenden Bands guttun würde. Wir werden in zehn Jahren sehen, ob „Illud Divinum Insanus“ als einst verkannte Perle in die Toplists kommt, oder man vom „St. Anger“ des Todmetalls spricht. Jedenfalls: Welcome back – und danke für das Ausbrechen aus den Genregrenzen - und jetzt haut auf mich ein!