Audrey Horne - Youngblood

Tja, was denn nun? Während die beteiligten Musiker zuvor in Black- und Viking-Metal-Bands spielten und ihr Sound in ihren Anfängen mit Truppen wie FAITH NO MORE oder SOUNDGARDEN verglichen wurde, widmet man sich heute Vorbildern wie KISS oder LED ZEPPELIN. Was auf dem Papier nach orientierungslosen Trend-Hanseln ausschaut, entpuppt sich beim näheren Hinhören als eine saucoole Combo von Vollblutmusikern, die den Sound, den sie machen auch wirklich glaubwürdig und authentisch rüberbringen. Diese Rückkehr in alte Zeiten, sei denn auch gar nicht geplant gewesen, wie mir Gitarrist Arve im Interview bestätigte. Man sei einfach mal spontan zurück zu den Wurzeln gegangen, habe geschaut was dabei rauskomme und schlussendlich so viel Spaß im Studio gehabt, wie noch nie.

Sei es der durch mehrstimmige Gitarrenleads getragene Opener „Redemption Blues“ oder das mit der typischen skandinavischen Eingängigkeit daherkommende „Straight To Your Grave“ – man hört dem Silberling die Gaudi, die die Jungs beim Eintüten hatten, zu jeder Zeit an. Obwohl die Truppe hier mehr als nur einen Schulterblick zurück in 40 Jahre Rock-Geschichte wagt, ist die Platte alles andere als altbacken geworden. Nummern wie das nach SURVIVOR klingende „Youngblood“ oder die MÖTLEY-CRÜE-Hommage „Pretty Little Sunshine“ dürften auch heute noch so manchen Partykeller zum Triefen bringen. Zugestanden, AUDREY HORNE machen auf ihrer Platte wirklich nichts Außergewöhnliches – aber das dafür gut!

Zum angepeilten Zehn-Jahres-Jubiläum haben die Bergener Top-Rocker AUDREY HORNE es nicht geschafft, ihr viertes Studioalbum zu veröffentlichen, aber die um einen Monat verlängerte Wartezeit auf „Youngblood“ war im Endeffekt auch zu überleben. Druck und Anforderungen waren gewaltig – der 2010 publizierte, selbstbetitelte Vorgänger gehört nicht nur für mich selbst noch immer zu den besten Rockalben, die in diesem Jahrtausend überhaupt produziert wurden. Mit dem Wechsel von den norwegischen Indie Recordings zur heimischen Eisenerz-Schmiede Napalm Records befinden sich AUDREY HORNE auch am aufsteigenden Ast, denn die Frischzellenkur bei der Veröffentlichungsplattform hat sich auch gut auf die Musik der Norweger niedergeschlagen.

Endgültig abgedriftet vom Alternative-Rock-Segment à la ALICE IN CHAINS, FAITH NO MORE oder AT THE DRIVE IN sind sie mittlerweile und haben sich – bewusst oder auch nicht – dem derzeitigen Stromgitarrentrend der Stunde angeschlossen – dem guten alten Classic Rock. Vor allem die erste Albumhälfte lässt „Youngblood“ verdächtig gen „Album des Jahres“ schwenken – das herrliche, an IRON MAIDEN erinnernde Intro zum Metal-Rocker „Redemption Blues“ ist schon ganz großes Kino, doch in der Tonart geht’s auch munter weiter. „Straight Into Your Grave“ ist herrlich instrumentiertes 80s-Metal-Monster mit beneidenswerten Solo-Einlagen von Obergitarrero Ice Dale und der darauffolgende Titeltrack ist mit einem derart eingängigen und im positiven Sinne cheesigen Refrain ausgestattet, dass der Zeigefinger eigentlich schon fast auf der „Repeat“-Taste klebt. Auch der griffige Rockwühler „There Goes A Lady“ und die astreine 70s-Rock-Genialität „Show And Tell“ wissen vorzüglich zu munden.

Obwohl die zweite Albumhälfte etwas an Witz und Esprit verliert, machen AUDREY HORNE glücklicherweise niemals den Fehler, sich in ihrem eigenen Ideenreichtum zu verrennen. „Cards With The Devil“ entwickelt nach ein paar Durchläufen nämlich genauso viel Suchtpotenzial wie die LED ZEPPELIN-Verbeugung „The Open Sea“ oder das abschließende partiell an THIN LIZZY erinnernde „The King Is Dead“. Ausfälle gibt es auf „Youngblood“ gar keine zu verzeichnen – viel mehr begeistert vor allem der tätowierte Sangesgott Toschie einmal mehr mit unfassbaren Fähigkeiten, die getrost in die gegenwärtige Champions League gehören. So ist „Youngblood“ ob seiner klassischen Ausrichtung unmöglich mit den bisherigen AUDREY HORNE-Alben zu vergleichen, aber auf jeden Fall ein weiteres Monumentalwerk geworden, das mit Sicherheit noch länger in den Gehörgängen beben wird. Weltklasse-Teil!