Die Apokalyptischen Reiter - Tief.Tiefer

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VÖ: 30.05.2014
Bandinfo: DIE APOKALYPTISCHEN REITER
Genre: Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Wie ist das wohl, wenn man, anstatt sich gemütlich im Studio auf den Allerwertesten zu setzen und stur Songs zu produzieren, den Ural beackert, die Florida Keys befährt und in der Uckermark allerlei erlebt? DIE APOKALYPTISCHEN REITER hält hier scheinbar nichts mehr, aber Freigeister waren die netten Herren aus Weimar ja schon immer. Früher noch haben sie das Eisen gefressen und die Ketten geschissen, heute sprengen sie diese kurzerhand in "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" und stellen damit auch direkt ihr neues Doppelalbum "Tief.Tiefer" eindrucksvoll vor.

Wem "Moral & Wahnsinn" schon zu viel für's nostalgische Reiterfan-Herz war, wird hier Blut spucken. Jedenfalls lässt der Einstieg aus Electronica, stadiontauglichem Refrain und Stakkato-Riffing nicht zu, dass man im weiteren Albumverlauf noch irgendwann mal die Möglichkeit bekommt, zu sagen, man hätte es nicht vorher gewusst. Der Text? Gesellschaftskritisch, allerdings nicht platt sondern klug formuliert - wie eine Durchsage für's ganze Volk vorgetragen. So kennt man Fuchs. Der kann übrigens auch noch growlen, und muss das im rockig-hymnischen "Wir" auch prompt zeigen. Alter Angeber, der. Dass Musik auch großartig sein kann, ohne sich Gedanken über die Vergangenheit und Roots einer Band machen zu müssen, beweisen er und seine Kollegen ähnlich dem "We don't give a fuck"-Stil eines "Samurai" aus dem Jahre 2004. Da kleiden in "Wo es dich gibt" eingängige Techno-Parts und sanfte Melodiebögen das harte Metallkorsett in wohlige Melancholie, darf der Bass in "Was bleibt ich" auch mal ordentlich zu dissonanten Gitarren grooven und die für DIE APOKALYPTISCHEN REITER fast üblich gewordene verträumte Nummer "Ein leichtes Mädchen" mal eine Atempause attestieren.

Klingt nach Potpourri, ist es auch. Gleichwohl aber auch schlüssig. Die Reiter dürfen das, weil sie schon immer so waren und man sie auf diese Weise lieb gewonnen hat. Und weil sie es wie keine zweite Band schaffen, einen dermaßen kunterbunten Mix zu einer Einheit zu formen. Logo, die Prügeleskapaden von anno dazumal kann man schon mal vermissen, aber wofür hat man "All You Need Is Love" und "Have A Nice Trip" denn im Regal? Eine Ballade wie "Ein Vöglein" mit einem Fuchs in Topform ist ebenso Bestandteil des musikalischen Repertoires dieser Kreativgeister, wie das tiefgründige "Es wird Nacht", das sich auf einen bedachten Songaufbau stützt, nur um dann im Gegenzug den herrlich impulsiven, von bretthartem Riffwerk unterstützten Refrain zu entfesseln. Ein bisschen von Deutschrock, eine Spur Indie, dazu ein urtypischer Reiter-Chorus... und fertig ist "Die Wahrheit", in dem sich die Herren Volk-Man und Ady, auf "Tief.Tiefer" ohnehin mit ausufernder Narrenfreiheit gesegnet, auch mal mit 'nem schicken Solo austoben dürfen. Ehrlich zugegeben: Im Vergleich zu diesem Songmaterial wird mir erst klar, warum mir Moral & Wahnsinn" trotz seiner Andersartigkeit viel zu bider war, denn der wahre Ideenreichtum der einstigen Weltuntergangsprediger entfaltet sich alleine in "Der Teufel" und der Elektroeskalation "Die Welt ist tief" gefühlte drölf mal stärker als noch auf dem Vorgängerwerk. Da passt es ganz gut, dass man zum Ende der ersten Albumhälfte noch einen emotionalen Break ("So fern") einfügt, der über den wehmütigen Gesang und die wunderbar melodischen, postrock'schen Cleangitarren eine fantastische Atmosphäre erzeugt.

Wer die "1000-Tage"-Videoblogs zu "Tief.Tiefer" nicht aufmerksam verfolgt oder die Geburt der Akustik-Idee bei einigen Exklusivkonzerten verpasst hat, erlebt dann zu Beginn der "Tiefer"-Hälfte in "Die Zeit" sein blaues Wunder. Wobei... eigentlich muss man, wenn DIE APOKALYPTISCHEN REITER ein neues Album ankündigen, mit so ziemlich allem rechnen, was einem spontan in den Sinn kommt. Dass man den Begriff "Doppelalbum" allerdings dermaßen auf den Kopf stellt und auf die metallische Seite eine akustische folgen lässt, war mir zunächst völlig fremd. Normal sein kann allerdings auch jeder. Naja, zumindest fast jeder. Interessant ist aber doch, dass diese anfänglichen Bedenken von Hördurchgang zu Hördurchgang schwinden, "Tief" und "Tiefer" nicht mehr gegensätzlich erscheinen lassen, sondern harmonieren. Der Kontrast könnte zwar nicht größer sein, wenn "Die Zeit" mit rhythmischen Akustik-Gitarren loslegt und man sich auf Albumlänge voreingenommen die schlimmsten Szenarien ausrechnen möchte. Tatsächlich ist's aber deutlich leichter in der vermeintlichen Gegensätzlichkeit von "Tief.Tiefer" die Gemeinsamkeiten, den roten Faden zu erkennen, als das Werk an den Arsch der Welt zu verdonnern, es zu verteufeln.

Dabei spielen die Neuninterpretation bereits bekannter Reiter-Songs eine nicht unwesentliche Rolle: "Der Weg" (von "Licht") z.B. ertönt deutlich bedachter und kann seinen Text viel besser als in seiner metallischen Variante entfalten und "Friede sei mit dir" (von "Riders On The Storm") nimmt durch Trompetenunterstützung gar Big-Band-Ausmaße an, die vor allem dem ohnehin schon starken Refrain zusätzlich Kraft verleihen. Dazwischen funktionieren neue Songs wie das emotionale "Flieg, mein Herz" oder das mit Streichern dramatisch inszenierte "Die Leidenschaft" vorzüglich und zeigen zusammen mit den alternativ arrangierten Reiterklassikern ("Das Paradies", "Terra Nola") wie sehr man ursprüngliche Widersprüche reduzieren kann, wenn man das Material auf einen gemeinsam Nenner herunterbricht, ohne, dass der eigentliche Charme der Komposition abhanden kommt. Ganz groß ist in diesem Zusammenhang auch "Der Wahnsinn" (von "Samurai"), welches durch die Swing- und Jazz-Intonierung äußerst elegant und intensiv den Facettenreichtum eines Reitersongs aufdeckt.

Viele böse Zungen werden nicht nur deshalb bei "Tief.Tiefer" wieder ihr selbstgerechtes "Das sind doch nicht mehr die Reiter" richten und urteilen lassen, aber das wird diesem Werk nicht im Ansatz gerecht. Gräbt man ein wenig tiefer und durchdringt den anfänglichen Schein, kann man in diesem Doppelalbum durchaus "die alten Reiter" oder einfach DIE APOKALYPTISCHEN REITER erkennen, denn der Wahnsinn regiert hier an allen Ecken und Enden und tobt sich in jeder erdenklichen Form aus. Anfangs mögen beide CD's kaum unterschiedlicher sein, aber der bereits genannte rote Faden zeigt sich in der Grenzenlosigkeit der gebotenen Musik und im Fluss der Kompositionen, die nach viel Aufmerksamkeit wie eine feste Einheit agieren. Das mag für's Erste unbefriedigend sein, offenbart mithilfe von Geduld aber nach und nach einen grandiosen Meilenstein in der Reiter-Diskografie, der Konventionen meilenweit umschifft, den Hörer auf seine eigene Art mitreißt und trotzdem den Charme vergangener Tage inne hat. Wie wär's auf der kommenden Tour mit einem Doppel-Set, DIE APOKALYPTISCHEN REITER?



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Pascal Staub (19.05.2014)

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