Slipknot - .5: The Gray Chapter

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VÖ: 17.10.2014
Bandinfo: SLIPKNOT
Genre: Nu Metal
Label: Roadrunner Records
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Lineup  |  Trackliste

Lang, lang ist’s her …

In sechs Jahren kann sich einiges abspielen. Es kann zu Spannungen in deinem Freundeskreis kommen, dir nahestehende Menschen können sterben und das Genre, in dem du seit den Anfängen deiner Karriere musizierst, kann es plötzlich gar nicht mehr geben. So in etwa hat sich die Szenerie für die neun Maskenmänner aus Iowa angefühlt. Ja, SLIPKNOT hatten es wahrlich nicht leicht und die volle Ladung Schicksal abbekommen. Wenn man bedenkt, dass das Nu-Metal-Crossover-Projekt ja eigentlich nur für ein Album angesetzt war, das „kurzzeitig aber langfristig für Aufruhr sorgen wollte“ und sich dann Mitte der 90er doch zu einer der größten Bands der Hard’n’Heavy-Schiene etablierte, versteht man, warum der Druck, der auf dieser Kapelle lastet, so immens groß ist. Dass sich Corey Taylor (STONE SOUR) und seine Mannen nie so recht kategorisieren ließen, muss ich nicht extra ewähnen, dennoch entwickelte sich die Combo immer mehr zur Massenware, ähnlich den Kollegen von SYSTEM OF A DOWN, LIMP BIZKIT, LINKIN PARK und KORN, oder um es einfach zu sagen: die 1990-New-Metal-Partien.

Mit der Salontauglichkeit wurde all diesen Bands auch der Kommerz hinterhergeschrien, was teilweise zutrifft, doch irgendwo sind sie sich allesamt doch auch treu geblieben. (Mit Ausnahme vielleicht vom Herrn Fred Durst, Anm.) Den definitiven Tiefpunkt ihrer Karriere hatten SLIPKNOT wohl oder übel vor vier Jahren, als 2010 Bassist und Gründungsmitglied Paul Gray das Zeitliche segnete. Um ehrlich zu sein, ich habe den Tieftöner bei dieser Truppe nie so wirklich wahrgenommen, doch plötzlich war jeder – ob Fan oder Bandkollege – im Trauermodus. Die (unmaskierte) Pressekonferenz mit Kullertränen hat sich genauso in mein Hirn gebrannt, wie damals die Terroranschläge auf das World Trade Center. (Versteht das bitte nicht falsch, ich weiß, alles was mit Amerika und dem WTC zu tun hat, wird sofort als großer Frevel an den Pranger gestellt, wenn man nicht die entsprechenden Trauerworte und „Oh mein Gott“-Sager einbaut, aber es geht hier rein um das Empfinden dass ich verspürte, als sich diese Events zugetragen haben, als ich davon erfuhr. Danke.)

Zuletzt gab es dann auch noch Spannungen mit Drum-Monster Joey Jordison, der schließlich die Band verließ. Um dieses kleine Exzerpt mit den einleitenden Worten abzurunden: SLIPKNOT haben ultimatives Pech gehabt. Na gut, reden wir’s uns nicht schön: Die Herren haben so verdammt tief in die Scheiße gefasst, dass es nahezu ein Wunder ist, dass wir uns nun 2014 überhaupt noch über einen Ton freuen können – denn das Stand definitiv nicht mehr zur Debatte!

„The Knot is back“, und mit diesen Worten werden Maggots (so nennen sich die Hardcore-Fans) rund um den Globus wohl Luftsprünge gemacht haben. Seit „All Hope Is Gone“ (2008) sind sechs lange Jahre ins Land gezogen – ein Best-Of-Album („Antennas to Hell“) gab es zwar 2012, aber so etwas zählt man ja nicht zur offiziellen Diskografie der Studiolongplayer dazu ;)


Habt ihr gewusst, dass …

Zu „.5: The Gray Chapter“ gibt es natürlich viel zu sagen, und es ist schwer, sich gute Details rauszupicken, doch folgende sollte man vielleicht gehört haben, wenn man sich die neue Scheibe zu Gemüte führt, oder sich als waschechter Maggot bezeichnet:

Es bedarf wohl keiner großen Intelligenz, wenn man sich zuerst einmal den Ursprung der Titelgebung des Werkes zuwendet: eine Danksagung an den verstorbenen Paul Gray, Gott habe ihn seelig. Auch wenn die vergangenen Jahre für SLIPKNOT wohl die schwärzesten Zeiten – die dunkelsten Kapitel ihrer Karriere – waren, so muss es dennoch irgendwo Lichtblicke gegeben haben. Anders lässt es sich nicht erklären, warum sich die neunköpfige Truppe neu formiert hat, ihr fünftes Fulllenght aus dem Boden stampfte und nun auch noch auf große Welttournee geht. Als Ersatz für Paul Gray entschieden sich die Jungs für Alessandro Venturella (KROKODIL, CRY FOR SILENCE und Gitarrentechniker bei MASTODON), dessen Identität eigentlich nur deshalb leakte, weil man sein Spinnennetz-Totenkopf-Tattoo auf dem Musikvideo zu „The Devil In I“ zu sehen bekam. Ein kleines Versehen, denn eigentlich wollte Corey Taylor die beiden neuen Maskierten nicht als „offizielle Mitglieder mit Namen“ in der Band haben.

Wer sich hinter der Gesichtsverdeckung des Schlagwerkers verbirgt, und somit als Ersatzmann für Joey Jordison hämmert, ist nach wie vor unbestätigt – Gerüchte kursieren zu Hauf, u. a. Chris Adler (LAMB OF GOD) oder Jay Weinberg (AGAINST ME, MADBALL). Geht es nach Taylor, wird dieser Mann (soviel ist klar) nie enthüllt werden. Die Sache mit den beiden neuen Musikern hat übrigens noch einen Twist: sie beide tragen dieselben Masken und haben keine offizielle Nummer. (Jedes Slipknot-Mitglied trägt eine Nummer und wird innerhalb der Band auch nur mit dieser Zahl, und nicht mit seinem bürgerlichen Namen, identifiziert, Anm.) Heißt also, dass die beiden sowas wie die „leblosen Schatten“ ihrer toten/ausgeschiedenen Vorgänger sind, anders kann ich mir nicht erklären, warum sie beide mit den etwas unspektakulären GLEICHEN Masken und quasi als „Zeroes“ auftreten.


So klingt das graue Kapitel

Kommen wir aber langsam zum eigentlich wichtigsten Punkt dieses Artikels, dem Review selbst. Natürlich wollt ihr ja auch alle wissen, was ihr bei „.5: The Gray Chapter“ auf die Löffel bekommt, oder? Vorweg sei gesagt, SLIPKNOT sind wirklich zurück, immer noch so aggressiv wie damals aber irgendwie auch … ruhiger geworden, aber schon auch noch so brutal und roh wie auf ihrem Debütalbum. Den melodiösen Einschlag von STONE SOUR kann man nun nicht mehr ignorieren, dafür dominieren die cleanen Passagen und gesungenen Refrains zu sehr – was aber nicht weiter stört, denn Tracks wie „Vermillion, Pt. 2“ zählen wohl zu den tollsten Songs der gesamten Bandhistorie.

Los geht’s mit einem verdammt gemeinen, sehr stillen Opener („XIX“), der uns quasi vermitteln will „Hey, du hast sechs Jahre auf neues Zeug von uns gewartet, jetzt kannst du diese drei Minuten auch noch durchdrücken.“ Und glaubt mir, als ich das Ding zum ersten mal in meinen CD-Player gelegt habe, bin ich vor Neugier fast geplatzt! Dann, endlich, rollt „Sarcastrophe“ los, zwar schnell und wild, mit einem anfänglich auch eher gemächlichen Tempo, aber im Vergleich zu einigen nachfolgenden Nummern zieht dieser Track im Schneckentempo an uns vorbei. So richtig fetzen tut’s dann erst bei „AOV“ – ein richtig feiner Knüppler. „The Devil In I“ werden viele von euch wohl schon kennen und bestimmt genauso lieben wie ich – und ganz ehrlich, das ist doch echt einer der eingängigsten Knot-Songs ever! (Besonders beim Autofahren zu empfehlen.)

„Killpop“ ist eine etwas düstere, beklemmende Nummer, die vom Tempo auch wieder gezähmter ist. Mit „Skeptic“ kommt dann die erste richtig gemeine Nummer, die auch schön zeigt, dass der neue Schlagwerker auch während eines einzelnen Songs die Tempiwechsel beherrscht, wie seinerzeit Joey Jordison himself. (Im übrigen: Geht’s nur mir so, oder muss noch jemand an „Trigger“ von IN FLAMES denken!?) „Lech“ (nein, nicht das Lech am Arlberg) hängt sich an die stampfenden Beats des Vorgängers an und prescht genauso durch die Gehörgänge, erst bei „Goodbye“ kommt man wieder zum Luftschnappen – der Song ist klar Paul Gray gewidmet.

„Nomadic“ ist ein hundsgemeiner Wachrüttler, „The One That Kills The Least“ hingegen wieder sehr verspielt und driftet einen auch leicht in Trancezustände ab. Schließlich kommen wir zum härtesten Song des Silberlings und definitiv einer Nummer, die auf „IOWA“ oder gar „Slipknot“ – also in den goldenen Zeiten der Band – ihren Platz verdient hätte: „Custer“ lässt sich zweifelsfrei als der Bastard von „Spit It Out“ und „People = Shit“ bezeichnen. Nicht nur, weil er so verdammt schnell, eingängig und prägnant ist, sondern weil Textzeilen wie „Cut, cut, cut me up and fuck, fuck, fuck me up“ wie ein Mantra heruntergebetet werden und unweigerlich jedes Hirn brandmarkt, dass diesen Song verarbeiten muss!

Bei „Be Prepared For Hell“ gibt’s ein knapp zweiminütiges instrumentales Interlude zu hören, dass schließlich in das – ebenfalls bereits ausgekoppelte und der Masse wohl bekannte – „The Negative One“ umschwingt. Bei den letzten drei Tracks „If Rain Is What You Want“, „Override“ und „The Burden“ darf dann abgeschaltet werden (ich mein’s ernst, ihr könnt die CD ab da dann eigentlch wirklich abdrehen! – So ihr Besitzer der Special Edition mit den beiden Bonustracks seid, ansonsten ist’s für euch nach "Rain" eh zu Ende), denn hier kommt es zu monotoner Berieselung ohne nennenswerte Hooklines, die fast schon Stoner-Charakter hat.

Was unter’m Strich bleibt

Ich will mal ganz brutal ehrlich sein: Weder Paul Gray noch Joey Jordison werden ungeschulten Ohren fehlen. Wer SLIPKNOT kennt, weiß was er bekommt, und das gibt es auf „.5: The Gray Chapter“ in Reinkultur – ja, besser sogar als auf „All Hope Is Gone“. Müsste man nicht die Tragik hinter der Fassade dieses Albums beachten, wäre dieses Werk wohl ihr bestes. Zumal man sich natürlich mit den unzähligen ruhigen Songs und Clean-Vox anfreunden kann.

Die Gitarren fetzen, die Drums bumpern und die Scratches sitzen wie eh und je, die Melancholie, Brutalität und Unnachgiebigkeit von SLIPKNOT ist bei den Tracks so spürbar wie noch nie. Wer bis dato beim Hören Pausen einlegen musste, kann sich dieses Ungetüm mit seinen 16 Songs und den 75 Minuten Spielzeit im Vorbeigehen zu Gemüte führen und wird keine Sekunde davon über- oder unterfordert sein. Die Mixtur und die Abfolge der harten und weichen Nummern scheint perfekt. Bis auf die letzten drei faderen Tracks, wohlgemerkt.

Fuck it, the Knot is back!! Ich bin gespannt was in den letzten drei Monaten dieses Jahres noch auf uns losgelassen wird, aber ich habe nicht nur mein „Comeback des Jahres“ gefunden, sondern definitiv auch den verdammt besten Longplayer 2014!



Bewertung: 5.0 / 5.0
Autor: berni (20.10.2014)

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