HEIMDALLS WACHT - Geisterseher

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VÖ: 14.10.2016
Bandinfo: HEIMDALLS WACHT
Genre: Black Metal
Label: Trollzorn / SMP Records
Lineup  |  Trackliste  |  Trivia

Was, schon wieder ein neues Album von HEIMDALLS WACHT? Tatsächlich. Das hat nach dem Sängerwechsel in diesem Jahr allerdings auch einen durchaus legitimen Grund, denn der seit 2004 beteiligte Narhemoth wurde durch Skjeld ersetzt, der wiederum schon mit den unlängst aufgelösten NYKTALGIA zwei herausragende Depressive-Black-Metal-Werke verzeichnen konnte - nicht zuletzt durch seine ausdrucksstarken Vocals, die sich doch deutlich von den üblichen Schreihälsen abheben. Die Frage ist nur, ob "Geisterseher", so der Titel des verflixten siebten Albums, dadurch alleine seinem Vorläufer "Ut de graute olle Tied - Deel Twee (Land der Nebel)" voraus sein kann, oder ob dazu noch ein bisschen mehr gehört. 

Jedenfalls machen HEIMDALLS WACHT auch abseits von diesem Positons-getreuen Wechsel am Mikrofon den Eindruck, so eine Art Mini-Neustart bzw. einige Veränderungen wagen zu wollen, denn man hat sich labeltechnisch schon im Vorfeld dem Trollzorn verschworen und mit Andy Classen gleichzeitig auch einen neuen Verantwortlichen für die Regler organisiert, der naturgemäß für einen druckvolleren Sound sorgt, welcher aber schon bei NAGELFAR, GRAVEWORM (zu ihren besten Zeiten) oder auch bei ROTTING CHRIST funktioniert hat und dadurch den nötigen Background hat. Ich würde mich indes nicht als größter Fan seiner Soundgewänder bezeichnen, aber das ist irgendwie natürlich auch abhängig von der Band und ihrem jeweiligen Stil, weswegen man das vielleicht auch mal etwas entspannter sehen sollte. Ein Jens Bogren passt mit seinen überragenden Produktionen ja auch nicht zu jedem seiner Klienten, aber bevor wir nun zu weit in's Musiknerd-Universum abdriften, kehren wir zurück zu "Geisterseher".

Der hat nämlich genug Material anzubieten, über das es sich zu erzählen lohnt. Dabei stellen die Westfalen dem Hörer mit "Spökenkieker" direkt einen Opener und Quasi-Titeltrack (der Titel ist das westfälische und niederdeutsche Äquivalent zum Geisterseher) vor, der viele HEIMDALLS-WACHT-Ingredienzien enthält und damit seine neun Minuten Spielzeit locker überfliegt. Die angenehm melodischen Gitarren sorgen für Atmosphäre, das Schlagzeugspiel zeigt sich songdienlich und Skjeld fängt genau da an, wo er bei NYKTALGIA aufgehört hat: auf allerhöchstem Niveau und wunderbar mit dem Klargesang von Saruman harmonierend, der den Song im weiteren Verlauf veredelt. Um mir hier eine kleine Randnotiz zu erlauben: Für mich befinden sich Skjeld und der eigentlich schon legendäre Zingultus auf einer Stufe. Beide sind und wären eine Bereicherung für jede Band.

Was mir im direkten Anschluss an "Spökenkieker" weniger gefällt, ist das Stück "Wir sind die Wächter", das mich den Eindruck nicht los werden lässt, dass man hier vor allem textlich eine etwas zu gefällige Pagan-Metal-Hymne schreiben wollte. Wenngleich sich hier aus instrumentaler Sicht passable Passagen tummeln, fehlt dem Ganzen dadurch einfach eine gewisse Ästhethik, weswegen man sich viel mehr an eher "plattere" Bands wie MINAS MORGUL und VARG zu ihren "Schildfront"-Zeiten (da waren sie allerdings noch hörbar) als an HEIMDALLS WACHT erinnert fühlt. Glücklicherweise verkneift sich das Quintett solche Abstecher ansonsten, sodass man hier auch nicht zu viel hineininterpretieren muss und sich stattdessen auf ein "Der kommende Gott (Treffen mit Sabazios)" konzentrieren kann, das schon durch sein an Simplizität kaum übertreffbares Drumming (erinnert dezent an den MARDUK-Smashhit "The Blonde Beast") als Überraschungsmoment profitiert, der dann immer wieder mit pechschwarz niederprasselnden Melodien und später dann auch mit fast schon thrashigen Riffsalven - positiv gesprochen - zerschlagen wird. Ob man das Sample mit der leidenschaftlich stöhnenden Herzensdame (darauf bezieht sich wohl das "kommende" im Titel, hmm...) wirklich benötigt, steht auf einem anderen Papier, fällt für mich aber nicht weiter dramatisch in's Gewicht.

Viel wichtiger ist, dass man, zumindest meinem subjektiven Empfinden nach, die Schwächen des Vorgängeralbums weitestgehend ausmerzen konnte, die sich in Form von zäheren Passagen hauptsächlich in den längeren Stücken immer wieder eingeschlichen und die eigentlich guten Ideen zumindest ein kleines Stück getrübt haben. Davon spüre ich bei den zusammen auf stolze 23 Minuten kommenden "Taedium Vitae" und "Anderswelt" fast nichts. Hier muss man einfach zugeben, dass HEIMDALLS WACHT irgendwann mal ihren Stil gefunden haben und diesen, abgesehen von den hier und da gesäten Neuerungen (der stampfend-beschwörende, BELPHEGOResque Mittelteil von "Sycomantia - Der Thron im Schatten" beispielsweise), zumeist knallhart durchziehen. Dementsprechend sind sie geübt darin und bedienen das mit wenigen Ausnahmen auch ziemlich gut. Diese episch-getragenen Melodiebögen gepaart mit partieller Raserei, abwechslungsreicher Gesangsdarbietung und diversen, stets nachvollziehbaren Tempowechseln ohne den leisesten Hauch von Anbiederung oder Konvention (von "Wir sind die Wächter" mal abgesehen) macht ihnen so schnell jedenfalls keiner nach und das ist auch ein Grund, warum sich beispielsweise "Ut de graute olle Tied - Deel I" auch heute noch, also acht Jahre nach Erscheinen, regelmäßig seinen Weg durch meine Anlage bahnt.

Diese Momente können HEIMDALLS WACHT auch heute noch kreieren und unter dem Strich gefällt mir "Geisterseher" eine Idee besser als "Ut de graute olle Tied - Deel Twee (Land der Nebel)", wobei es natürlich diesen einen größeren Minuspunkt gibt, der zwar auch mit einem "Tairach" im ureigenen Stil ausgemerzt wird, aber nunmal trotzdem existiert. Dafür sind immerhin die langatmigen Passagen deutlich rarer und der Sound druckvoller geworden. Letzteres kann man mögen, muss man aber nicht, nur passt das, zumindest meiner Auffassung nach, wie bei den oben erwähnten Bands sehr gut zu den Westfalen und unterstreicht deren Qualitäten. Schlussendlich ist "Geisterseher" ein Album, das man sich als Fan der Band eigentlich bedenkenlos zulegen kann, weil die Experimente zwar vorhanden sind, aber eben keinen übergroßen Teil des Albums einnehmen und dabei sowieso stets in Kombination mit den über die Jahre angehäuften Markenzeichen und einem großartigen Skjeld serviert werden, der sich wirklich sehr gut eingefügt hat.



Bewertung: 4.0 / 5.0
Autor: Pascal Staub (11.10.2016)

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