NIKOLAI OKUNEW - Red Metal – Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR

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VÖ: 15.11.2021
Bandinfo: NIKOLAI OKUNEW
Genre: Sachbuch
Label: Ch.Links Verlag
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 |  Trivia

Bücher zum Thema Metal gibt es mittlerweile jede Menge. Literatur, die sich mit der Hard'n'Heavy-Jugendkultur in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik auseinandersetzt, suchte man dagegen bislang (fast) vergeblich. Doch nun hat sich NIKOLAI OKUNEW, ein junger Doktorand aus dem Osten Deutschlands, der Thematik angenommen.

Nach jahrelanger intensiver Recherche- und Forschungsarbeit präsentiert der Berliner seine Erkenntnisse in dem umfangreichen Werk "Red Metal – Die Heavy-Metal-Subkultur der DDR". Auf über 300 Seiten vermittelt der Autor tiefe Einblicke, in die Welt des Heavy Metal jenseits des eisernen Vorhangs im geteilten Deutschland der 80er Jahre einerseits, aber zum anderen auch in den realsozialistischen Alltag der Akteure (Fans, Bands, Medien, Staatsapparat) in der DDR.

Allein der 80-seitige Anhang zeigt bereits, dass es sich hier nicht um irgendein Sachbuch und/oder Fanprojekt handelt. "Red Metal" ist ein (hervorragendes) empirisches Werk, das von Presse und Kritik nicht nur als ausgezeichnetes Fachbuch zurecht gefeiert wird, vielmehr darf man hier wohl mit Fug und Recht vom neuen Standardwerk in Sachen 'Heavy Metal in der DDR' sprechen.

NIKOLAI OKUNEW hat für "Red Metal" immens viel Material aus verschiedensten Quellen zusammengetragen. Was aber noch viel wertvoller ist und zum besseren (heutigen) Verständnis der Verhältnisse in der ehemaligen DDR und den damit verbundenen Auswirkungen auf eine ganze Jugend-(Sub-)Kultur beiträgt, sind die unzähligen Interviews und Zeitzeugenberichte. Neben (ehemaligen) Bandmitgliedern von u.a. MCB (Sebastian Baur aka Buzz Dee von KNORKATOR), ROCHUS ( Hans-Ulrich Wilke), FORMEL 1 (Peter 'Paule' Finke) und MACBETH (Ralf Klein) aus dem Osten kommen auch Gerre von TANKARD und Mille von KREATOR zu Wort. Weiterhin erklärten sich zahlreiche ehemalige und oft auch noch heutige Metalfans aus der ehemaligen DDR zu Interviews bereit, und gerade ihre Erinnerungen erwecken die Szene der Heavys (wie die ostdeutschen Heavy Metal Fans sich selbst bezeichneten) in der DDR knapp vier Dekaden später wieder zum Leben. Auch Pressevertreter wie der ebenfalls in der "Zone" aufgewachsene Wolf-Rüdiger Mühlmann und sein westdeutscher Kollege Götz Kühnemund (ex-Rockhard, Deaf Forever) kommen zu Wort.

Besonders interessant sind außerdem die Ausführungen der – leider 2021 verstorbenen – Hard'n'Heavy-Koryphäe Matthias Hopke, der in der DDR als der 'Gott des Metal Radios' förmlich verehrt wurde. Mit seiner Sendung "Tendenz Hard bis Heavy", die bei dem Sender Jugendradio DT64 über den Äther ging, versorgte er Woche für Woche tausende Heavys auch und vor allem mit internationalen Metal-Songs – natürlich in voller Länge mitschnittfreundlich ausgespielt. Nur so konnte die sozialistische Mangelwirtschaft in Sachen Musiknachschub für die ostdeutsche Hartwurst-Fraktion zumindest ansatzweise kompensiert werden.

"Red Metal" informiert die Leserschaft über alle wichtigen Aspekte, die notwendig sind, um sich ein einigermaßen umfassendes Bild von den in Bezug auf Heavy Metal Musik in der DDR herrschenden Gegebenheiten machen zu können. NIKOLAI OKUNEW beschreibt, welchen Stand die Fans in der Gesellschaft hatten, wie die Obrigkeit und die Stasi die langhaarigen Anhänger der harten Klänge misstrauisch beobachtete und stellenweise auch reglementierte. Er legt anschaulich dar, welche Hürden ostdeutsche Bands überwinden mussten, um auftreten zu können (Absolvierung einer live gespielten Konzertprüfung und damit eine Spielerlaubnis inklusive Einstufung in verschiedene Kategorien zu erhalten). Dass deutsche Texte Voraussetzung für die Lizenz und für (sehr seltene) Plattenproduktionen und (häufigere) Rundfunk-Studioproduktionen) waren. Dass Konzerte jederzeit kurzfristig abgesagt oder aufgelöst werden konnten. Welche Mühen und finanziellen Aufwendungen die Fans auf sich nahmen, um an Kleidung, Accessoires und natürlich an Schallplatten und Tapes zu gelangen.

Dies und noch vieles mehr gibt es zwischen den Buchdeckeln zu entdecken. Natürlich ist "Red Metal" eine wunderbare Quelle für alle Ostmetaller, ihre Erinnerungen an die alten Zeiten wieder aufzufrischen und ihre Jugend noch einmal Revue passieren zu lassen. Doch auch und gerade die Metalheads aus den alten Bundesländern (sowie die in Österreich und in der Schweiz), die die Achtziger als Szeneakteure miterlebt haben, sollten unbedingt einen Blick riskieren, denn es ist ein ungemein spannender Blick hinter den (eisernen) Vorhang, den "Red Metal" bietet, während das Buch speziell bei den im 'kapitalistischen Ausland' Geborenen etliche Aha-Effekte auslösen dürfte.

 

Fazit:

Bislang existierte in Sachen Metal und DDR nur das Werk "Heavy Metal in der DDR: Szene, Akteure, Praktik", eine wissenschaftlich fundierte und wertvolle, aber staubtrockene Forschungsarbeit. NIKOLAI OKUNEW gelingt mit seiner Veröffentlichung der Balanceakt zwischen empirischer Abhandlung und für Otto Normal-Metaller goutierbarer Wissensvermittlung. Natürlich ist auch "Red Metal" aufgrund des Dissertations-Hintergrundes kein mainstreamiger Pageturner. Der Autor schafft es allerdings über die gesamte Seitenzahl mit vielen spannenden Geschichten und interessanten Einblicken in die sozialistische Welt der Heavys in der DDR, seine Leser bei der Stange zu halten und keine Langeweile aufkommen zu lassen. Deshalb an dieser Stelle nochmals vielen Dank, für dieses großartige und ungemein wichtige Buch!

Hier weiterlesen: Unser Interview mit Nikolai Okunew



Bewertung: 4.5 / 5.0
Autor: Ernst Lustig (27.02.2022)

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