OVERKILL - Scorched

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VÖ: 14.04.2023
Bandinfo: OVERKILL
Genre: Thrash Metal
Label: Nuclear Blast GmbH
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Lineup  |  Trackliste

Als ich kürzlich meinen Ehrentag beging und kurioserweise wie zufällig OVERKILLs neues Album "Scorched" anspielte, ist mir erneut bewusst geworden, dass das Altwerden gar nicht so schlimm sein kann, wie häufig suggeriert wird. Es gilt als nicht besonders kreativ, eine Rezension damit zu beginnen, auf das Alter bzw. Bestehen einer Band anzuspielen, aber Bobby "Blitz" Ellsworth und seine Mannschaft werden heuer 43, ohne auch nur Quäntchen leiser oder kraftloser zu werden, und das verdient nicht nur eine rein bürokratische Erwähnung, sondern ein ernstgemeintes, kolossales Lob. Manchmal ist uns gar nicht bewusst, was wir an gewissen Institutionen unserer Szene eigentlich haben, was im Umkehrschluss aber auch nicht heißen soll, dass man ungefiltert abfeiern soll, was nicht gut ist [Anm. d. Lektoratspraktikanten: siehe unten...hust...].

Von letzterem Status quo sind OVERKILL auf "Scorched" nach den ordentlichen, aber keineswegs fundamentalen Alben ("The Grinding Wheel" und "The Wings Of War") immer noch weit entfernt. Schlussendlich könnte man auch hier über Stunden darüber debattieren, ob der Kauf gerechtfertigt wäre oder nicht, aber ich habe mich während der Zeit, in der ich mich mit "Scorched" befasst habe, des öfteren dabei ertappt, dass ich dem Thrash-Treiben der New Yorker wesentlich konzentrierter und interessierter folgte als den beiden besagten Vorgängern. 

Auf Spurensuche - warum, wieso, weshalb? - bin ich letztlich zur Conclusio gelangt, dass das am wesentlich besseren Einstieg liegen muss, denn wo ein "The Wings Of War" nach fulminantem Auftakt schnell eingebrochen ist, hält "Scorched" konstant sein Niveau - nicht nur im eröffnenden Titeltrack zwischen Twin-Leads und schwungvollen Rhythmuswechseln. "Goin' Home" grooved kurz darauf in typischer OVERKILL-Manier, "The Surgeon" macht genau das, was der Titel verspricht und gestaltet brachial die Visagen des Publikums neu und "Twist Of The Wick" ist einfach eine ziemlich geile Thrash-Nummer der alten Schule. Bei all diesen Stücken hat man im Übrigen auch das Gefühl, dass der seit 2017 in der Band agierende Jason Bittner an den Drums besser in die Stücke eingebunden ist.

Trotz dessen schwebt aber auch über "Scorched" ein Tadel, der insbesondere in der amerikanischen Thrash-Szene längst zum Phänomen herangewachsen ist: Die Alben sind schlichtweg zu lang. METALLICA haben jegliches Gefühl für eine angemessene Spielzeit bzw. spannendes Songwriting, das die längere Spielzeit rechtfertigen würde, verloren, MEGADETHs "The Sick, The Dying...And The Dead" [Anm. d. MEGADAVE-Beauftragten: Einspruch, euer Ehren!] war deutlich zu lang und auch EXODUS' "Persona Non Grata" wäre mit ungefähr 15 Minuten weniger bestens ausgekommen - und damit zähle ich nur die aktuellen Werke auf. Natürlich obliegt das zuvorderst der bandeigenen Bewertung, ich persönlich sehe diese Mentalität des Spielzeit-Exzesses eher kritisch, denn viel hilft nicht immer viel. OVERKILL ihrerseits hatten zuletzt genau ein Album, dem das nichts ausmachte, nämlich "Ironbound" - und das ist mittlerweile auch schon wieder 13 Jahre her. Zugegeben, "Scorched" macht sich diesbezüglich besser als seine Vorgänger und hat auch im späteren Verlauf mit "Harder They Fall" und "Bag O' Bones" noch mindestens zwei richtig saftige Nummern im Köcher. "Wicked Place", "Fever" und "Know Her Name" könnten hingegen aber auch schneller auf den Punkt kommen.

Was die Produktion betrifft, gehe ich mit meinem Kollegen Christian und seiner Meinung zum Vorgänger weitestgehend konform. Dieses Mal war zwar Colin Richardson statt Sneap und Zeuss damit beauftragt, einen großen Unterschied macht das allerdings nicht: Bass und Gitarren fetzen zwar ordentlich, das Schlagzeug allerdings ist immer noch zu klinisch. Schlimmer geht natürlich immer, wie man u.A. dem Clipping-Desaster auf bereits in anderem Kontext erwähnten "The Sick, The Dying...And The Dead" nachempfinden kann [Anm. d. Objektbetreuers: sacrebleu! Ich mecker' auch gerne über überproduzierten Müll, aber die Scheibe klingt doch genital!], aber es gibt eben auch viele Bands im großen Metal-Zirkus, die spannendere Produzenten ausgraben und dadurch nicht nur organischer, sondern auch dynamischer klingen.

Am Ende steht somit ein Album mit altbekannten Schwächen, aber auch Stärken, die wieder etwas selbstbewusster auftreten. Demnach ist "Scorched" ein respektables Altwerk mit imponierender Attitude, einer Überzahl an richtig guten Songs, einem fantastischen Bobby "Blitz" Ellsworth, den man einfach nicht kleinkriegt und mir persönlich zu modernem Soundgewand. Nach über vier Dekaden Bestehen noch so relevant zu sein und zudem auch noch ein gewisses Pensum auf den Bühnen dieser Welt abzuspulen, ist weit mehr als nur respektabel.



Bewertung: 3.5 / 5.0
Autor: Pascal Staub (14.04.2023)

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