METAL GOES SCIENCE - Tag 2 - Tagungsbericht „Hard Wired III: Heavy Metal And Society“

Veröffentlicht am 18.06.2013

Zu Beginn arbeitet Brill „Hypermaskulinität und Whiteness“ als zentrale Kennzeichen der Pagan und Black Metal Szene heraus. Dass sich über diese Begriffe streiten lässt beweist die Anschlussdiskussion, doch Brill meint damit nichts anderes, als dass diese Sparten vorrangig von männlichen, weißen Musikern und Fans praktiziert wird, welche ihre Männlichkeit und „Weißheit“ (Stichwort: „nordisches Erbe“) auch akzentuiert in Szene setzen. Mit den Bildanalysen von Bands wie IMMORTAL oder ENSIFERUM unterstreicht sie ihre Argumentation und führt das Thema praxisnahe an das Publikum heran. Nach dieser Feststellung folgt eine Auseinandersetzung aus einer „Cultural Studies“-Perspektive, die sich weniger mit den Absichten der Musizierenden, als mit den Aneingungsprozessen der Fans auseinandersetzt. Wie wirkt diese übertriebene Maskulinität nun auf ein Publikum? Werden diese Darstellungen immer todernst genommen und deshalb reaktionär angeeignet? Unter Bezugnahme auf Judith Butler (eine der wahrscheinlich bekanntesten Autorinnen rund um Gender- und Queertheory) verweist Brill schließlich auf die Möglichkeit der Unterwanderung dieser „hyperbolischen“ weißen Männlichkeit. Das Publikum hat dabei immer auch die Möglichkeit einer subversiven Aneignung und damit einer Umdeutung des Dargestellten. „Mit Black Metal ist alles Krieg“ lautet ein solches Beispiel, welche die Musikszene auf ironische Weise für sich sprechen lässt. Während speziell im Black Metal die Inszenierung nach außen hin (sprich außerhalb der Metalfans) weitestgehend eher ernst genommen wird, existieren innerhalb des Diskurses also durchaus ironische Lesarten. Brills Fazit lautet: Während in postmodernen Gesellschaften Diskriminierungen (z.B. entlang der Kategorien Gender, Class, Race) oft verschleiert und unter den Teppich gekehrt werden, erleichtert die plakative Übertreibung im Black Metal eine Unterwanderung dieser Konzepte.

Da generell nur 20 Minuten pro Vortrag eingerechnet sind, bleiben viele Fragen offen. Was aber Gaahls (ehem. GORGOROTH-Sänger) Outing mit der Maskulinität der Szene und französische BM-Bands mit dem Konzept der „Whiteness“ zu tun haben wird in den zehn Minuten Anschlussdiskussion noch kurz erörtert.

Geheiligt werde dein Metal

Von „nordischem Erbe“ ist auch der nächste Beitrag nicht weit entfernt. Florian Heesch und Anna-Katharina Höpflinger setzten sich mit den „Interdependenzen zwischen den beiden soziokulturellen Systemen Religion und Heavy Metal“ – kurz: mit deren Zusammenhang auseinander. Heesch spezialisiert sich dabei auf den Paganismus und seine Ausführung anhand der Neuinterpretation von Volksballaden durch die färöische Pagan-Band TYR. Diverse Songbeispiele und eine Analyse der traditionellen und zeitgenössischen Symbolik und Bräuche (z.B. Kettentänze, Odin-Darstellungen) zeigen auf, wie vielfältig Paganismus in Musik gelebt werden kann.

Eine andere Perspektive auf den erwähnten Zusammenhang bietet Höpflinger. Sie präsentiert das Beispiel eines schweizer Geistlichen, welcher den Heavy Metal für seine Religion instrumentalisiert. Über die Musik versucht der „Metalpfarrer“ mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Kontakt zu kommen und organisiert religiöse Freizeitevents speziell für Heavy Metal Fans. Als kurioses Anschauungsmaterial reicht die Wissenschaftlerin aus Zürich die „Metalbibel“ durch die Runde. Das Publikum reagiert auf den spannenden Vortrag mit Diskussionen um Komplexitätsreduktion durch Zurechtstutzung von Religion einerseits, und Instrumentalisierung der Metalmusik andererseits.

Flüstern und Schreien in der DDR

Nach einer kurzen Pause dreht sich wiedereinmal alles um die Vergangenheit. „Heavy Metal und Extreme Metal als soziale Praxis am Beispiel der DDR der 1980er“ lautet der vielversprechende Vortrag von Wolf-Georg Zaddach (Weimar). Er fragt nicht nur nach den geschichtlichen Entwicklungen des Metal, sondern auch nach den regionalen, lokalen und zeitlichen Gegebenheiten. Wie hat zum Beispiel der Staatssozialismus die Formierung der Jugendszenen beeinflusst? Die sozialen Praktiken, also wie Heavy Metal in der DDR damals gelebt wurde (Konzerte, Fanclubs, Tape-Trading, Kontakte in den Westen etc.) stehen dabei im Fokus des Interesses. Als empirische Basis wurden neben theoretischen Erkenntnissen über diese Phase der Vergangenheit auch Berichte von Zeitzeugen herangezogen. „U.a. soll diskutiert werden, inwiefern die Heavy und Extreme Metal-Szenen im totalitären Staat per se als oppositionell oder widerständig und somit politisiert aufgefasst werden können“, so Zaddach. Einer der Kollegen vom Fach hat sogleich eine dringende Wortmeldung zu verlauten: die Doku „Flüstern und Schreien 1&2“ (Portrait der deutschen Punk und Rockszene der späten 80er und frühen 90er Jahren, u.a. mit Flake von Rammstein) sei ein muss für jeden, der sich mit Themen wie diesen auseinandersetzt: „Brauchst nur bei youtube reinschaun“. Danke, wird gemacht!

Von Anti-Fa, über Fanzines hin zur Mittagpause

Vor der Mittagspause beschäftigt sich Matthias Burgard (Mainz) noch mit „Der Rezeption antifaschistischer Aktionen in der Black Metal-Subkultur“. Die Spannungen zwischen den Bestrebungen der Anti-Fa einerseits, und Rufe nach Meinungsfreiheit andererseits steht dabei von Anfang an zur Sprache. So wird beispielsweise die Rhetorik, welcher sich NSBM- Bands bedienen um den Spieß umzudrehen und sich selbst als „Opfer“ zu stilisieren (Stichwort: „Wir sind die neuen Juden“) genau unter die Lupe genommen. Wie geht also der Metal-Bereich generell mit antifaschitischen Aktionen um und wie sind dabei Lemmis Vorliebe für Nazi- Paraphernalia oder die jüngsten Aufregungen um die Band FREIWILD zu diskutieren? Das und mehr erfährt man kompakt und bebildert von Burgard. Bevor es dann wirklich zu Tisch geht bezieht Jan Leichsenring aus Erfurt noch Stellungnahme zu der Entwicklung und Bedeutung von Fanzines. Als Magazine „Von Fans, für Fans“ funktionieren diese als Kommunikationsplattformen und weisen Themenverknüpfungen auf, die man so im professionellen Medien (Rock Hard, Metalhammer) wahrscheinlich eher nicht finden würde. Neben der kritischen Hinterfragung des Umgangs dieser Fan-Medien mit politischen Positionen steht auch eben dieses kreative Potential im Vordergrund. Noch Fragen? Nein, aber Hunger.

„Wenn Metal die Lösung ist, was ist dann das Problem?“

Statt wie geplant um 14:00 trifft man sich erst wieder um 15:30 im Fanny Hensel-Mendelson Saal der Darstellenden. Man habe sich von der „Wiener Gemütlichkeit“ hinreißen lassen und sich beim gemeinsamen Essen einfach verquatscht. Halb so schlimm, denn es geht weiter mit der Frage nach der „Verortung von Heavy Metal in der Gesellschaft“ von Katharina Seßler und Florian Süssenguth (München), sowie „Disktionktionsprozessen in Metal- und Gothikgruppen“. Beide Vorträge beschäftigen sich mit dem Szene-Faktor und der Vergemeinschaftung durch Musikkulturen. Die Metal-Szene ist dabei nicht als Vereinigung von Musikfans außerhalb und unabhängig von Gesellschaft zu sehen, sondern ist in die sozialen Strukturen eben dieser größeren Gesellschaftszusammenhänge eingebettet. Solche „Szenen“ reagieren schließlich auch auf gesellschaftliche Veränderungen – wie man zum Beispiel im Metal und DDR-Beitrag schon erfahren durfte. Was für eine Funktion erfüllen aber diese Szenen (Metal, Hip-Hop, Elektro etc.)? oder wie es Seßler und Süssenguth formulieren: „Wenn Metal die Lösung ist – was ist dann das Problem?“. Tina-Berith Schrader (Duisburg-Essen) geht noch ein Stück tiefer auf sogenannte Szenen ein und betrachtet „innerszenische Gruppenprozesse sowie Distinkionsprozesse nach außen“. Anhand von Gruppendiskussionen mit Fans beleuchtet sie wie die Abgrenzungsbedürfnisse der Szenegänger nach außen hin gelebt werdem. Dass der Fokus der Gemeinsamkeiten und des Zugehörigkeits- bzw. Anders-Seins-Gefühls eher auf der Musik als auf Elementen wie Kleidungsstil und Haartracht liegt, ist ein beruhigendes aber nicht unumstrittenes Fazit. Das Publikum reagiert dabei insbesondere auf die Methodik und ihre Mängel. Nichtsdestotrotz wirken die vorliegenden Ergebnisse schlüssig und, im Sinne eines laufenden Dissertationsprojektes wahrgenommen, legitim.

Metal – Global gesehen

Nach etwa fünfeinhalb Stunden an Vorträgen und Diskussionen wendet man sich nun dem letzten Themenblock des „Hard Wired III“ zu. Drei Sprecher vom Fach äußern sich zu globalen, nationalen und regionalen Aspekten des Heavy Metal. Mit seinem Expertenstatus wird Pierre Hecker, Autor des Buches „Turkish Metal“, im Anschluss auf alle drei Arbeiten reagieren. Wir starten mit Manuel Trummer (Regensburg), welcher für den Rock Hard im Oktober 2012 (Vol. 305) bereits über Heavy Metal in Armenien berichtete. Die Analyse der armenischen Szene zeichnet den Black Metal Mitte der 90er als Leitgenre. Der Unterschied zwischen den skandinavischen Vertreten der 90er und der gegenwärtigen armenischen Musiker liegt für Trummer jedoch in den speziellen soziokulturellen Prozessen, welche sich in der Metalmusik wiederspiegeln (dadurch, dass beispielsweise weniger Menschen in Armenien als außerhalb davon leben, stellt Trummer die Suche nach einer gemeinsamen Kultur durch Metal fest).

Regionale Besonderheiten werden auch in Georgien festgestellt. Um sich ein genaueres Bild von den spezifischen Eigenheiten zu machen, konsultierte Dominik Irtenkauf (Münster) die georgische Szene und führte im Sommer 2011 Interviews mit Black-Metalmusikern vor Ort. Nach der Feststellung, dass für eine aktive Szene in gewisser Weise soziale wie politische Freiheiten vorhanden sein müssten, fragt er nach der Rolle von Religion, Aufklärung oder Meinungsfreiheit in einer Nation und nach der Möglichkeit, von der „Hyperpräsenz / Absenz von Black – Metal – Kultur Rückschlüsse auf den Zustand einer Gesellschaft zu ziehen.“

Ohne Unterbrechung präsentiert Ekkehard Knopke (Weimar) im Anschluss seine Analyse zu Metal in Kenia. Laut seinen Ergebnissen wurde dort die erste Metal Band im Jahre 2005 gegründet.Während sich die Szene in Afrika größtenteils an der europäischen orientiert, erkennt Knopke durchaus Individualisierungsprozesse. Bestreben nach einem „authentischen lokalen Klang“ würden dazu führen, „dass sich in naher Zukunft in Kenia ein ‚Afro Metal‘ herausbilden könnte“, so Knopke.

Nach den drei Vorträgen im Schnelldurchlauf regiert Pierre Hecker mit durchaus kritischem Blick. Wo bleibt beispielsweise der Genderaspekt in den Untersuchungen zu „Global Metal“? Ist Metal vielleicht nicht nur als Konzept einer „Imagined Community“ vorhanden und die einzelnen Szenen unterscheiden sich doch mehr als man glauben möchte? Und welche Rolle spielt zum Beispiel die Infrastruktur eines Landes bei der Etablierung von Rock und Metalmusik? Der akademische Diskurs wird zwar größtenteils auf sachlicher Ebene diskutiert, dennoch bemerkt man auch im Publikum die emotionale Involvierthiet der Diskutanten. Klar, könnte man nun noch besprechen, wie sehr die Fan-Perspektive die wissenschaftliche Forschung beeinflusst – leider ist die Stunde aber bereits zu weit fortgeschritten.

Der zweite Tag des „Hard Wired III“ endet mit dankenden Worten an die Universität für Musik und darstellenden Kust Wien, wissenschaftlichen und organisatorischen Mitarbeitern und Sarah Chaker, welche dafür verantwortlich ist, dass das facettenreiche Programm an diesem Wochenende überhaupt stattfinden konnte. Für 2014 darf man sich wieder auf eine Tagung freuen, in welcher es voraussichtlich um Heavy Metal und Theater-/ Performance-Aspekte gehen wird. Inoffiziell wurde sogar für 2015 schon ein Vorschlag für einen Austragungsort verraten. Dazu aber mehr im nächsten Jahr wenn „Hard Wired“ in die vierte Runde geht.


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