Rimbaud sinniert über Fates Warning

Text: rimbaud
Veröffentlicht am 11.05.2007

Besonders im Metalbereich steht die, von liberalen Musikliebhabern stets geforderte Veränderung einer Band im starken Kontrast zu der konservativen Seite, die an „Ihrer“ Band rein gar nichts verändert haben möchte und vergnügt die x-te Kopie eines Werks ins Regal stellt. Die „New wave of british heavy metal“ – Pioniere von Iron Maiden erfüllen diese geistige Stagnation - vorher erwähnter Fans - mit treuer Beharrlichkeit. Dass neueste Re-released Alben, in zeitlich chronologisch aufgestellter Reihenfolge der bemalten Cd-Rücken, als Gesamtbild das Bandmaskotchen Eddie ergeben, spiegelt illustrativ die reaktionäre Einstellung der Band wider. Bestimmt möchte ich hier nicht die musikalischen Qualitäten des Sechsers mindern und die Lieder sprechen ja auch eine eindeutige Sprache, - ganz abgesehen von der respekteinflößenden Tatsache, dass hier eine Band über dreißig Jahre im schnelllebigen Musikzirkus überlebt, die ewigen Strapazen ihrer gigantischen Tourneen durchhält und noch dazu Live eine unantastbare Macht ist, - doch bei all den genannten Qualitäten kann man Maiden bestimmt eine Sache ganz klar absprechen: Progressivität. Richtungweisend oder gar mutig waren die Herren aus London nie, selbst wenn das Powerslave-Epos „The rime of the ancient mariner“ in manchen Gazetten als progressives Stück gehandelt wurde. Ist es nicht! Man nehme drei, vier kurze Stücke, klebe sie dramaturgisch halbwegs brauchbar zusammen, passe auf, dass man die Naht nicht sieht und, Voilà, verzückte Kritiker schnalzen mit der Zunge. Das hat mit Progressivität natürlich nichts zu tun. Der Wochenendeintopf, zutatiert aus übrig gebliebenen Resten der Werktagsspeisen schmeckt gewiss prima, ist nahrhaft und liegt nicht schwer im Magen aber den Gaumen kann nur der jungfräulich verdaute Kugelfisch verzücken.

Ich hörte vom jungen Maidenfritz, der freudestrahlend mit Maidens neuesten Butterbrotalbum zu den, als progressiv geltenden Semestern ging, - bei Gott der Junge - irgendwo hatte er die Ausdrücke „Progressiv“ im Review eines nachlässigen Rezensenten gelesen, und war nun, Opfer seines Mitteilungsdranges zu Jenen gegangen um ihnen das neue Werk der Jungfrauen vorzuspielen. Er ahnte nicht, dass sich diese Leute bei King Crimsons Cirkus in den Schlaf träumen und Melt Banana unter der Dusche pfeifen, dass sie Dream Theaters Stream of consciousness lapidar mit „Zwa Grode, zwa Verkehrt“ als Morgenübung eines Robert Fripp abtun und Power of Omens als Klingemelodie in ihre Handys komponieren. Bebrillte Meute konnte nun, - wie es halt so hergeht - nicht anders und lachte Maidenfritz`es Mitbringsel mit der Boshaft einer elitären Überlegenheit aus, sodass der Gedemütigte von dannen zog und seither nie wieder glaubt, was er in Rockmagazinen liest.

Mit FATES WARNING wäre ihm das nicht passiert. Die Band startet Anfang der Achtziger unter dem Namen Misfits, den sie aber schon bald aufgrund der Namensgleichheit zu Glenn Danzigs Combo aufgeben müssen. Mit einem 7-Track Demo, ergattern die Jungspunde einen Platz auf dem etablierten Metal Massacre V-Sampler, dem fünften Teil einer Cd-Compilation, die in dieser Zeit wohl eines der wenigen Sprungbretter für junge Metalbands in Amerika war. Verbreitung via Internet, My-Space-Kommunikation, Online-Tauschbörsen und dergleichen gab es nicht. Wer Erfolg haben wollte, musste quer durch die Lande touren und mindestens jährlich mit einem Album aufwarten. Dies waren die einzigen Möglichkeiten, seine Musik einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Auf Radioairplay konnten FATES WARNING nie hoffen – dazu waren sie stets zu extravagant - und die Zeit der großen, einflussreichen Musiksender wie MTV oder VIVA stand noch in den Kinderschuhen und hätte wohl auch wenig kommerzielle Hilfe geboten. Doch die Reaktionen auf das Demo sind hervorragend und kein geringerer als Szeneguru Brian Slagel erkennt das Potenzial der Band und bietet der Band einen Plattenvertrag bei Metal Blade. Die Pforten sind geöffnet.

NIGHT ON BRÖCKEN: 1824 schrieb Deutschlands größter Sänger: Viele Steine, müde Beine, Aussicht keine, Heinrich Heine. Ort seiner musischen Dichtung war der Gipfel des „Brocken“, der höchste Berg des Harzes, ein imposantes Gebirgsmassiv in Norddeutschland. Der Legende nach, fanden in dieser Gegend grausame Hexenverbrennung und teuflische Rituale statt. Die jährlich stattfindende Walpurgisnacht, in der die Hexen mit ihren Besen durch die Lüfte reiten, hat hier ihren Ursprung. Auch Goethe verlegte einen Teil seines zweiten Faust in diese sagenumwobene Gegend. John Arch stolperte zufällig - wie er in einem Interview erwähnt - über diese geheimnisvollen Überlieferungen und versah sie, mit seinen fiktiven Charaktern und Beziehungen. Ergebnis dieses Interesses war das lyrische Konzept des Titelsongs. Einher mit der mystischen Ausrichtung der Texte gingen die unorthodoxen Gesangslinien von John Arch. Sie machen Night on Bröcken - der Vorläufer der späteren Epics - und Damnation zu den beiden überragenden Liedern des Debüts. Das statische Abschlussriff von Zweitgenanntem ist mit dem ähnlich konzipierten Epitaph-Schluss eine der typischen Komponenten der früheren FATES WARNING. Daneben gibt es speedige Heavymetal-Songs, die jedoch komplexer und schrulliger daherkommen, als beispielsweise Jene von Iron Maiden. Das Album verströmt bereist die Aura, die in Spectre Within weiter verfeinert und in Awaken the guardian schließlich zur Kunstform erhoben wird.

THE SPECTRE WITHIN das bereits ein Jahr später erscheint, macht bereits beim ersten Song Eins unmissverständlich klar: Hier erfindet die Band einen neuen Musikstil. Traveler in time ist an sich so schräg und eigenwillig komponiert, dass sich ein Vergleich zu anderen zeitgleich agierenden Bands ausschließt. Matheos schneidet meterdicke Metalkanten aus seiner Gitarre, zu denen nie und nimmer ein Mensch singen kann. Es klingt als sei ein fertiger Metalsong die Stiege runtergefallen und hätte sich bei jedem Aufprall rhythmische Verletzungen zugezogen. Der rote Faden ist verrutscht, die Einheit verschoben und verkrüppelt. Und doch legt John Arch betörend schöne Harmoniegesänge über die Riffs und besingt fremde Welten, die zu verstehen kein Mensch imstande war: Ein Solo ab 4.14, zuerst vom engelsgleichen Arch, dann richtet die Gitarre irreparablen Schaden am Gehirn an, diesen Wunderknochen kriegt man nie wieder aus den Ohren. Blind Guardians Andre Olbrich - bekennender FATES WARNING Fan, verbeugt sich beim Mordred`s Song Solo knietief vor Matheos. Drei Minuten steuert dann Orphan Gypsy auf einen spektakulär komprimierten Refrain zu, ein lang gestrecktes, verklärtes Gitarrenriff, in das melancholisch Meister Arch eindriftet, um den eigenartigen Zauber zu entfalten. Selbst Metallica gehorchten den Regeln der Harmonielehre und ästhetischen Notenfolge bei ihren richtungweisenden Liedern, doch FATES WARNING gingen einen Schritt weiter: Passagen, die seltsam dissonant wirken und flüssige Schnell/Langsam-Übergänge bescheinigen der Band eine vielleicht wenig beachtete, doch für jeden Musiker ersichtliche Fähigkeit, mit der man sich vom Groß der Metalband abhebt : Das hier war nicht nachspielbar! Metallica konnte man selbst mit elender Kramergitarre und drei Kochtöpfen irgendwie nachzimmern, die Noten ergaben am Griffbrett eine mathematische Einheit. Wollte ich aber beispielsweise Pirates of the Underground nachspielen, klang das Ergebnis stets so erbärmlich, dass ich mich fragte ob ich denn nicht besser meine Gitarre an den Nagel hängen sollte. Jahre später erst – die Gitarre wurde tatsächlich an Nagel gehängt – wurde mir bewusst warum es keine FATES WARNING-Coverband gibt, aber Iron Maiden und Metallica Epigonen, wie Pilze aus dem Boden schießen. Babyblauen-Seiten-Profi Nik Brückner hat einen besonderen Zugang zur Musik: (.)Es ist mir völlig wurscht, ob Streichquartett oder Metalband: lasst das Zeug, das derzeit in den Charts ist, von Rolf Zuckowski singen, und es werden perfekte Kinderlieder draus. Daß das keiner bemerkt, liegt nur daran, dass allgemein zuviel auf die Soundgestalt und zuwenig auf den Gehalt gehört wird. Aber natürlich kann man den gleichen Popsong nehmen, und ihn für Manowar, Madonna oder Zuckowski arrangieren, und er wird jedes Mal authentisch und überzeugend klingen. Das geht aber eben nicht mit jeder Musik. Und die, bei der es nicht geht, finde ich interessant(.) Der hinkende Vergleich mit Manowar sei mal dahingestellt aber die Kernaussage hat viel Wahres. FATES WARNING berührt nicht, weil gewisse Notenfolgen einen ästhetischen Wert haben, auch nicht weil die angeschlagenen Frequenzen äußerst wohltuend auf Ohr und Hirn wirken, sondern weil man Zeuge eines unnachvollziehbaren Werkes wird, dessen alleinigen Überblick der Künstler selbst hat. In dieser Hinsicht sind FATES WARNING außergewöhnlich. Und dann natürlich The Apparition. In den Linernotes schreibt Boris Kaiser: But what can go wrong, when you have a song like „the apparition“, which is in my opinion the best metal song of all time? Here you can find it all: great melodies for eternity, a vocalist that sings every single note with his voice AND his heart, fantastic guitar works and lyrics that you have to think about and that you can sing along at the same time………Steve Kachinsky und seine Stahlpropheten, die, wären sie nicht so chaotisch gewesen, durchaus das Erbe der alten FATES WARNING hätten antreten können, haben diesen Song Jahre später gecovert und, Wunder, der Geist konnte tatsächlich bewahrt werden, was eindeutig für die Band spricht. Matheos hat die früheren Alben später als erste Gehversuche und teils stümperhafte Versuche beschrieben, eine individuelle Ausdrucksweise zu finden. Konform ging er mit Archs Meinung nicht, der die ersten drei Alben auch heute noch als sehr gelungen bezeichnet. Am Ende steht wieder ein Granitblock. Epitaph. Was hier ab Minute Siebeneinhalb zum Vorschein kommt, hätten Genesis und Yes auch nicht besser hinbekommen. Vor allem Arch, - der für diese und ähnliche Passagen stets im abgedunkelten, nur von Kerzenschein erhellten Studio stand – besitzt in dieser Szene eine Demagogie, der man sich als fühlendes Wesen nur sehr schwer entziehen kann. Beendet wird das zwölfminütige Epos von einem eisernen Riffmonolith, an dessen Mächtigkeit, kleinere Metalsongs wie Holzboote zerschellen. Nie konnte die Band selbst dieses Glanzstück live umsetzen.

AWAKEN THE GUARDIAN ist der nächste Streich, der die unheimlichen Fortschritte der Band dokumentiert. Zeitgleich mit Master of Puppets von Metallica, ernennt man das 86er Jahr als Wichtigstes der Achtziger. Mit Brian Slagel steht der Boss persönlich hinter den Reglern und beschert FATES WARNING einen dichten, dumpfen Sound, der hervorragend zu der mythisch verklärten Ausrichtung des lyrischen Konzepts passt. Schon das pittoreske Cover äugt mit der düsteren Fantasieatmosphäre in eine transzendentale Welt, in die John Arch mit seinem leidenschaftlichen Gesang sofort verführt. Zimmer abdunkeln und Anlage aufdrehen für die wunderbaren, verschnörkelten Gesangsharmonien die Arch um die teils sehr harten, einzigartigen Gitarrenriff Mattheos` legt. Drummer Steve Zimmermann tut sein übriges, den Liedern eine vertrackte organische Würde zu verleihen. Immer wieder tauchen akustische Gitarren auf, wie etwa im göttlichen Guardian, welches mit seiner epischen Ausrichtung als Schlüsselstück des Albums fungiert. Was für ein grandioses Traumgespinst! Mein Lieblingsstück ist allerdings Giant`s Lore (Heart of Winter). Gebe es noch keine Definition von Doom, so würde ich diese Ehre ohne Zweifel den warmen Schweberiffs von eben jenem Lied zugestehen, die bei Arch` einsetzendem Gesang für traumhaft schöne Gänsehautmomente sorgen. Hier ist am besten zu hören wie sich bei FATES WARNING die Lieder entwickelten. Zuerst entsteht ein Grundgerüst aus Gitarrenriffs, die auch rein instrumental ihren Zauber entfalten würden, dann überstrahlt Arch mit seinem Gesang (ein Freund sagte mir mal, der würde sich anhören wie ein Gitarrensolo und war mit dieser Beschreibung nicht fern der Wahrheit) diese Fundament. Exodus beendet den emotionalen Hörgenuss. Wie aus einem Guss brechen wieder die seltsam, rabiaten Riffs aus um sich zu einem enormen Stück zusammenzuschließen. Und auch emotionalster Moment passiert hier. Bei Minute 4:08 nimmt die Zurückhaltung ab und es wird Musikgeschichte geschrieben. Seltsam, aber so steht es geschrieben….

FATES WARNING zählen weniger durch Gefrickel und virtuose Instrumentenbeherrschung zu den Vorreitern des Progmetals; diese Komponente zelebrierten Dream Theater auf ihrem Debüt und vor allem Watchtower mit dem Control and resistance- Pionierwerk eindrucksvoller. Wohingegen FATES WARNING eindeutig die Nase vorne hatte, waren elegante Rhythmuswechsel, vielschichtige aber stets nachvollziehbare Arrangements, ein unkonventionelles Songwriting und ein dichter, erstaunlich lebendiger Gesamtsound, der dazu dreckiger und authentischer produziert war, als der klinische, enorm basslastige Seziersound der übrigen Progmetalbands.

Für John Arch, eigentlich John Maurice Archambault, haben Arbeit, Familie und abgesicherte Zukunft einen höheren Stellenwert als für seine Kollegen und er verlässt die Band. Auch der Altersunterschied von zehn Jahren zu seinen Kollegen trägt entscheidend zur Trennung bei. Während FATES WARNING der Musikwelt schon nach Kurzem, mit der Ex-Syrus Sirene einen neuen Mann am Mikro präsentieren, bleibt ein Statement von John Arch aus. Klammheimlich verabschiedet sich der scheue Sänger und bleibt bis zur 2003er Comeback-Ep völlig von der Bildfläche verschwunden. Wie er in Interview bei Eternal Flame aus dem Jahr 1996 verrät, fährt er heute lieber mit seinem Mountain Bike durch die Berge seiner Heimat Kansas und geht mit seiner Frau und seinem dreijährigen Sohn campen. „Lesen tue er heute weniger“ sagt er, angesprochen auf seine metaphysischen philosophischen Texte, die er in so unnachahmliche Weise auf den ersten drei Alben formulierte, „wenn dann lieber Radmagazine“ fügt er bescheiden hinzu und erfüllt so gar nicht die mystische Vorstellung, mit der er den Metalfans auf der ganzen Welt in Erinnerung geblieben ist: Schwarze Lederjacke, lange Haare, enge Jeans und Adidasschuhe, so zeigt ihn eines der raren Bilder im Bröcken-Booklet. Dreitagebart, ein großes Kreuz um den Hals und Brusthaare das Spectre-Inlay. Privat hört John die Helden, mit denen er aufgewachsen ist: Uriah Heep, Grand Funk Railroad, Rush und Led Zeppelin, aber auch King Diamond und King`s X. Dream Theater inspirierten ihn sehr, und nach dem Ausstieg bei FATES WARNING fragte ihn auch Mike Portnoy ob er bei Dream Theater einsteigen wolle. Doch Arch lehnte dankend ab. Die zermürbenden Tourneen seien nichts für ihn. Außerdem würde er jede Nacht so hart und hoch singen wollen wie auf den Studioalben, wie er es selbst bei seinen Vorbildern erwartet habe, und das sei bei seinem Stil leider nicht möglich. Es scheint als würde er die ganze Musikkolchose nicht wirklich missen, nur ab und zu wird er melancholisch, wenn er die vielen Fans, besonders aus Europa hört, die ihn nicht vergessen haben. Aber ein erfülltes Familienleben, gesellige Freundesabende und die berufliche Karriere seinen heute die wichtigsten Dinge in seinem Leben.

Kein Entkommen gab es für Fans, sich dass Nachfolgealbum zuzulegen, auf dem Ray Alder - damals zarte zwanzig Jahre - dass schwere Erbe von John Arch antrat. NO EXIT ist ein erlesenes Album, das aber unter dem 2112-Problem leidet. Ähnlich wie das Rush-Album, wird die Scheibe vom zwanzigminütigen Abschlussepos dermaßen eingenommen, dass die fünf kurzen Stücke, im Schatten dieses Giganten zur bloßen Dekoration verkommen. Aber bis auf das schwache „Silent Cries“ zimmern FATES WARNING erneut fein arrangierte, durchdachte Nummern und vor allem, das von Frank Aresti komponierte In a word zeigt den Einfallsreichtum dieser Band. Mit einem nassen und einem trockenen Auge indes erlebt man Ray Alder. Gewiss sehnt man sich nach Johns Stimmakrobatik, und doch weiß Alder mit seiner hohen, - manchmal zu quietschenden Stimme - zu überzeugen. Mit Innocence beginnt, der aus sieben Teilen bestehende, von Matheos allein komponierte Monstertrack des Albums und die elegische Eröffnungsmelodie streckt sich wie ein roter Faden durch das ganze Stück. In Cold Daze erlebt man Matheos erneut als Saitenmagier und ab Minute 3:02 stirbt man den ersten Tod. Die Gitarren fräsen sich wie Korkenzieher ins Hirn. Der Song ist schnell, sogar verdammt schnell. Ohne Übergang und Naht schließt sich Daylight Dreamer zum heftigen Riffsturm und es knallt ohne Ende. Nach sechseinhalb Minuten wird es ruhig. Quietus hebt sich wie eine Lagune aus dem trüben Meer und tanzt mit den Noten, bevor ein halluzinierendes Riff die Ohren betäubt. Dies ist die einzige Passage, die die Band noch heute live spielt, wie etwa die 2005er Live DVD bezeugt. Der Rest ist Heavy-Futter der Sonderklasse und auch heute noch einzigartig.

Wesentlich nachdenklicher und ruhiger leitet man mit PERFECT SYMMETRIE die zweite Phase der Band ein. Mark Zonder – ehemaliger Schlagwerker der Epicband „Warlord“ - ersetzt Zimmermann und trägt nicht unwesentlich zu der neuen musikalischen Ausrichtung der Band bei. Zimmermann war immer der Metaldrummer, hart und treibend, während Zonder ein filigraneres Spiel bevorzugt. Alders hohe Schreie können auch nicht immer überzeugen, deutlich orientiert es sich - am deutlichsten beim Eröffnungssong part of the machine - an Melodiebögen der No Exit-Aufnahmen. Weiterhin sehr vertrackt, mit vielen Rhythmuswechseln und streng choreografieren Instrumentalstellen tendiert der Sound aber schon zu – man wagt es kaum zu sagen – kommerzielleren Gefilden. Bei Through different eyes lässt Matheos bereits künftige Lieder anklingen, besonders Point of View wird schon ansatzweise erahnbar. Das siebenminütige At fates hands ist einer der ergreifenden Songs des 89er Outputs. Akustische Gitarren und eine kratzende Geige eröffnen die zweite Albumseite (jaja, damals gab es nur Vinyl). Nach drei Minuten gänsehäutiger Traurigkeit reißen wilde Riffs und gefühlvolle Soli – von Gitarre und Keyboard abwechselnd gespielt - das Ruder herum und zeigen das musikalische Können der Band. Mit einer wehmütigen Violine streut Chasing Time alles Salz der Meere in die Wunden sentimentaler Naturen, höchst ergreifend und vor allem textlich eine Meisterleitung. Nothing left to say schließlich. Ich verneige mich im Geiste vor diesem dreisten Gefühlsausbruch. Meine erste Freundin empfing von mir nur diese schlichten Worte, alles, was mir zu der nebulösen Entfremdung einfiel, die sich unser anheim gemacht hatte Unsere Wege sollten sich nie wieder kreuzen. Anders als diese achtminütige Kostbarkeit, die ich in Zeiten des Liebeskummers stets neben meinen geliebten Tränendrückern, wie Jigsaw von Marillion und Gone Ahead von Peter Hammill in Reichweite habe. Zusammen mit Secrecy und Warrel Danes Sanctuary tourt die Band erstmals durch Deutschland

Nach Perfect Symmertie fokussiert sich die neue musikalische Sinnsuche der Band. Auf PARALLELS liefert Mark Zonder erneut eine atemberaubende Vorstellung, weit entfernt von gängigen Metalklischees. Wo Matheos einst aggressiv sein Griffbrett nach den ungehörten Riffs abmusterte begnügt er sich Anfang der Neunziger auf zurückhaltenderes Spiel, lässt Bass und Stimme immer mehr Freiraum, und baut gekonnt perfekt akzentuierte Fill-Ins ein. Leave the past behind kommt mit genialem Refrain daher, Alder hat sich endgültig von seinen nervenden Kastratengejaule gelöst und gibt die Vorlage für seine späteren Meisterleistungen. Frank Aresti und Jim Matheos lassen mehr und mehr aufwändige Rifffolgen im Köcher, kommen schon mal einen ganzen Song, mit ein und demselben Gitarrenkonstrukt aus (We only say goodbye). Man sucht nicht mehr verbissen so viele Riffs wie möglich in den Song zu packen. Bei Life in still waters singt Dream Theaters La Brie die Backgroundvocals. The eleventh hour – Matheos persönlicher Lieblingssong und ständiges Livevehikel – spielt wie schon At fates hands mit der intensiven Auseinandersetzung von balladesken Aufbau und harten Passagen. Parallels verkauft sich weltweit 160.000-mal und ist somit das erfolgreichste FATES WARNING Album.

Und trotzdem: Platzhalter oder Verkaufsschlager waren FATES WARNING nie, allein der Status der Kritikerlieblinge fiel ihnen zu. Während die verzwickte Verschwörungsgeschichte „Operation Mindcrime“ den Kollegen von Queensryche einen Triumph sondergleichen bescherte, der auch außerhalb der Szene für respektvolles Kopfnicken sorgte, fassten FATES WARNING in kommerzieller Hinsicht nie richtig Fuß. Die Schublade „Thinking man`s metal“ scheint unanfechtbar von Queensryche gepachtet zu sein und Dream Theater, die erst 1989 ihren ersten Höllenhund auf das Publikum losließen, sind geradezu der Inbegriff von Progressivität. Ja sicher, FATES WARNING führen regelmäßig die Kritikerlisten an und empathisch huldigen Fans neueste Werke der Band. Auch das Nebenprojekt des Herrn Matheos, - OSI – macht hier keine Ausnahme und treibt Schreiber zu Gewissenskonflikten. Wieso Queensryche? Wieso Dream Theater? Absolut verständlich, warum diesen Ausnahmemusiker der Erfolg vergönnt ist, aber die Absurdität des Qualitäts- Erfolgs- Verhältnisses lässt sich am besten ex-nagativo darstellen. Warum Lionell Richie? Warum. Zumindest optisch waren FATES WARNING immer stilsicherer als Queensryche. Was Mitte der Achtziger, vor allem zu Queen of the reich- Zeiten die Herren Tate und de deGarmo bekleidete, mahnt sämtliche Modeschöpfer vor der Invasion des Metallers. Die Vokuhila-Frisur von Sangesgott Tate trägt nicht unwesentlich zum herrschenden Vorurteil bei, die Jahre wären modische Verbrechen gewesen.

Nach Parallels wechselten FATES WARNING von Metal Blade zu Massacre Records und bringen das kontroverseste Album ihrer Karriere auf den Markt. Mit INSIDE OUT stürzen FATES WARNING nicht nur kommerziell in ein Loch, auch die Kritiker lassen kein gutes Haar an dem viel zu seichten Album. Die Musik ist nur noch auf Gitarre und Gesang hin komponiert, konstatiert ein Onlinemag richtig. Vorrangig ruhig und unaufgeregt richten FATES WARNING ihre Segel aus. Doch heute, mehr als zehn Jahre später, zeigt das Album seinen eigenartigen, doch höchst schlüssigen Faden und wirkt wie ein zerbrechliches Kleinod im Gesamtkosmos der FATES WARNING- Discographie. Während der folgenden Tour im Vorprogramm von Dream Theater erscheint bei Metal Blade als Abschiedsgeschenk, das Best of Album "Chasing Time".

Gitarrenhero Frank Aresti und das letzte Originalmitglied außer Matheos, Joe Dibiase, verlassen die Band, da sich kaum pekuniär gewinnbringende Tendenzen abzeichnen und selbst Kritikerlieblinge nicht von Luft allein leben können. Joey Vera (Amored Saint) übernimmt den Bass. Matheos, vor kurzem Vater eines Mädchens geworden, hält nichts von Aufgeben und spielt für den Nachfolger sämtliche Gitarren selbst ein. In dieser alles andere als glücklichen Ausgangssituation, beweist sich das Genie einer Nacht. Die dreizehnte Sternstunde der Menschheit, eine Miniatur des emotionalen Werdegangs der Person Jim Matheos, über die ersten losen Ideenkonstrukte und Rohentwürfe, bis zur Fertigstellung von A PLEANSANT SHADE OF GRAY hätte auch Material für eine fein gezeichnete psychologische Studie von Stefan Zweig geboten. Auf den hervorragenden „Babyblauen Seiten“ wurde dieses achte Werk von FATES WARNING in selten da gewesener Übereinstimmung, von seitens dreier Rezensenten als Meisterwerk abgefeiert und ihm ein Heiligenstatus zugestanden, der aus dem Mund dieser mit Abstand besten deutschen online Prog-Rock-Seite, als uneingeschränkte Kaufempfehlung verstanden werden kann. Lediglich in zwölf Parts unterteilt, - am Backcover verraten sie seltsam uninspiriert nur die Zeitangabe jeweiliger Sequenzen - vertont Alleinkomponist Jim Matheos einen traumatischen Egotrip, in dem seine Mitmusiker zur Höchstform auflaufen. Dunkel und vertrackt, destruktiv und verstörend reihen sich in dem 52 Minuten Stück technisch hochpräzise Gitarrenläufe aneinander, stürzen abrupt in ein schwarzes Loch, woraus elegische Bassrhythmen entwachsen, verletzlich und klar mit medialen Radiofetzen und Babygeschrei harmonieren und mit Alders einsetzenden Gesang eine Bilderflut entfachen, die Jims Gitarre von einem fernen Planten - der vielleicht Gefühl heißen könnte - ins Diesseits zurückführt. Was im Part sechs hier versucht in poetischer Weise in Worte gekleidet zu werden, gelingt bei zunehmender Spieldauer immer weniger. Away with words nennt sich ein Soloalbum des Gitarristen und selbiges ernüchternde Zugeständnis kann man auch A pleasant shade of gray ohne Sentimentalität machen. Hier spricht die Musik in einer nicht dialektischen Form eine eigene Sprache. Part acht ist die vielleicht brillanteste Instrumentpassage von FATES WARNING überhaupt. Akustisch verträumt liefert Matheos eine meisterliche Vorstellung an der Gitarre. Mark Zonder trägt seine Seele auf Snare, Base und Toms zur Schau und liefert mit minimalen Arabesken die beste Vorstellung seiner Karriere. Daniel Bosen von den Babyblauen Seiten ist kaum Herr seiner Worte: (.) Part V hat das genialste Schlagzeug, das ich überhaupt kenne. Derartig filigran und einfallsreich, trotzdem treibend und hoch energetisch, der reine Wahnsinn. Oder der Bass in Part VI, besser als Levin (ich verteidige diese Aussage vor jedem Gericht dieser Welt). Oder der Piano Übergang, vom repetitiven "Regentropfen-Sound" in das Instrumental Stück(.) Für die Keyboards zeichnet sich kein geringerer als Ex-Dream Theater-Tastenmann Kevin Moore verantwortlich, der die von Matheos geschriebenen Parts übernahm. Ray Alder: (.) “Wir haben alle unser eigenes Studio. Jim schreibt einen Song, schickt ihn an Mark, der das Schlagzeug einspielt. Dann komme ich und überlege mir eine Melodie dazu. Anschließend schicke ich meine Ideen zu Jim zurück, der sich daraufhin um die Texte kümmert, was schon mal ein Jahr dauern kann. Yeah. Das lustige ist, das Jim alle Keyboard und Pianoparts geschrieben hat. Kevin brauchte sie nur noch einzuspielen. Eine Menge Leute glauben, Kevin hat die Parts geschrieben, aber es ist falsch“. (.) Mit diesem Album sichern sich FATES WARNING einen glorreichen Platz neben den Besten unserer Zeit. Das letzte Wort gehört den Babyblauen Seiten: (.) Aber ich habe in vielen Durchläufen versucht, etwas Negatives an diesem Album zu finden, vergeblich. Na ja, vielleicht den Schluss (der hier nicht verraten werden soll), der mich jedes Mal wieder unsanft in die Wirklichkeit zurückholt ;-) Auch wenn die Indexierungen Einzel-Tracks suggerieren, "A Pleasant Shade Of Gray" ist für mich ein durchkomponierter Longtrack. Einzelne Motive und Melodien tauchen immer wieder auf, werden transformiert, dekliniert und wiedergegeben. Es gibt eigentlich immer wieder etwas Neues zu entdecken... Da bleibt mir eigentlich nur noch eines: Die "Meisterwerk"-Bewertung zu ziehen. Die dritte Bandphase hat begonnen.

Mit einer perfekten Show und dazugehörigem Video, entfacht die Band auch auf der Europatournee ein atemberaubendes Spektakel. Wer Marillions Brave-Film oder Pink Floyds „The Wall“ kennt, weiß um die bereichernde Wirkung einer solchen visuellen Komposition. Matheos` Saitenzaubereien klingen wenig warm und lassen Live, wie auf der APSOG-Tour, wo das Album in voller Länge dargeboten wurde, wenig Freiraum für Improvisationen. Minutiös folgen die Musiker dem, im Matheos Kopf gewachsenem Schema, lassen Virtuosität nur im Hinblick auf die messerscharf akzentuierten Instrumentalpassagen aufblitzen und an den strengen Ruhig/Wüstpassagen ihre zurückhaltende Professionalität erkennen. Staunen, weil erkennbar ist, wie viele Stunden im Proberaum von Nöten sind, um derart leidenschaftlich, diese kühle Atmosphäre zu erzeugen. Hingerissen vom plötzlichen Überschuss körpereigener Drogen, die durch die schwitzenden, ungehaltenen Fans frei werden und dem wie mechanisch zelebriertem Zusammenspiel auf der Bühne, laufen viele Bands Gefahr, die Stimmung des Tonträgers, live nur bedingt einzufangen. Was im Genre „Jazz“ als uneingeschränktes Maß aller Dinge gilt – nämlich live, dem Song eine intuitiv gefühlte Note zu geben, die kollektive Energie der Interessierten als gleichberechtigten Einfluss auf Lied und Ausarbeitung mit ein zu beziehen - würde den Zauber von FATES WARNING vernichten. Jeder einzelne Ton wird ohne Abstriche auch in Natura gespielt, und das ist so herrlich an FATES WARNING und überhaupt am Metal.

DISCONNECTED: Neuntes Studioalbum und konsequente Weiterführung der APSOG- Sounds. Nein, weit gefehlt. Disconnected hat mit seinem Vorgänger soviel gemein wie Promised Land mit Empire. Nach einem dämonischen Anfang melden sich wieder ungestüme Riffs, die konsequent über weite Teile unverändert aus den Boxen donnern. Ray Alders Gesang ist hier dominant wie nie zuvor. Elektronische Einsprengsel erklingen nun dort, wo einstmals die zweite Gitarre für dichteren Sound sorgte, Loops und Samples nehmen ebenso einen fixen Platz ein und machen die endgültige Abkehr von den ersten drei Alben überdeutlich. Sphärisch und dunkel wie ein Krankenhausbesuch taucht Matheos in menschliche Abgründe ab, in der Hoffnung wenig Platz hat. Drummaschine Zonder agiert wie ein Gott und treibt mit seinem roboterhaften Spiel, das Bewusstsein in ungeahnte Welten. Die beiden Longtracks, vor allem das sechzehnminütige still remains zeigen, dass nicht nur Progrockkapellen wie Genesis und Yes, ein Lied dauerhaft interessant konstruieren können. Weit weg vom gängigen Strophe/Refrain Schema zelebrieren FATES WARNING ein unglaubliches Manifest des Metals: Richtungsweisende Klangspektren und Riffs (3.23`Remember) die eigentlich mit der stärksten Anlage und den wattreichsten Boxen genossen werden müssen. Erneut eine schwer zugängliche, doch umso dankbarere Platte, hat man sie erst einmal aufgesaugt.

Matheos Tatendrang kennt keine Auszeit und 2004 versammelt er das Nonplusultra der Progszene um sich: Der in Istanbul lebende Kevin Moore, Porcupine Tree-Genie Steve Wilson und Mike Portnoy formieren sich zur Supergroup OSI. Melancholische Industrialklänge und enorm komplexe Arrangements geben Einblick in das verstörende Innenleben Matheos`. 2006 erscheint das zweite OSi-Werk. Das schlichte X betitelte zehnte Studiowerk baut wieder mehr auf heftige Gitarrenriffs und verzichtet weitgehend auf dominante Keyboards. Elekrtoloops und Samples sind aber ständig zu hören. Mark Zonder, der hier zum letzten Mal die Stöcke schwingt, untermauert seinen Ruf als technisch herausragender Schlagzeuger. Die Zeit ist jedoch noch nicht reif um das Album adäquat zu bewerten. Die Zeit als Lehrmeister wird diese Sache eines Tages regeln.

Zum Abschluss ein subjektives Erlebnis, dass von niemandem jemals nachvollzogen werden kann, das ich aber innigst mit FATES WARNING verbinde: In den Musestunden meines Lebens, schlenderte ich oft am Bahnhof herum, schlich auf Parkplätzen und aufgelassenen Fabrikgeländen umher, kletterte über Zäune und Absperrungen, saß auf alten ungebrauchten Schienen und schrieb in mein kleines Buch, die Fülle meiner traurigen Gedanken nieder. Wenn die Sonne die alten Waggons in ein zauberhaftes braunes Licht tauchte und nur das ferne Tönen der ratternden Züge zu hören war, erschien es mir nicht fern, das Leben das Jack Kerouac geführt hatte, die seligen Augenblicke, die er manchmal nur, und in überschwänglicher plötzlicher Freude, in seinen spontanen Prosatexten beschrieb. Ein altes geheimnisvolles Gefühl der Vergänglichkeit, dass man spürt wenn jahrelang angenommene Überzeugungen plötzlich auseinander brechen und eine große Leere zurücklassen, eine Leere die gefüllt werden muss, mit Mörtel des Glaubens und Wassern der Liebe und einem Cd-Player mit A Pleasant shade of gray.

Bilder 1-5: Quelle: http://www.fateswarning.info/
Bild 6: Caroline Traitler


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