OPETH - Der "Sorceress"-Gangbang

Als Erstes gleich mal vorweg: ich bezweifle, dass OPETH jemals eine wirklich abgrundtief schlechte Scheibe machen werden; genauso, wie ich glaube, dass MANOWAR nie mehr eine wirklich aussagekräftige Scheibe machen werden – auch wenn Herr Rosenberger da naturgemäß anderer Meinung ist. Als nach „Watershed“ damals der große Bruch kam, der sich im Detail und insgeheim aber eh auch schon seit längerem angedeutet hatte, rümpften viele erst mal die Nasen, wackelten ungläubig mit den Ohren, dachten „Wat’n dat nu?!“ und wandten sich oft sogar angeekelt von ihren ehemaligen Idolen ab. Herr Åkerfeldt hatte sich immerhin dazu erdreistet, dem harschen Gegrowle und dem latenten Death Metal der Vergangenheit endgültig Lebewohl zu sagen und sich stattdessen, auf musikalischen Fabelwesen über rosarote Hippie-Wiesen hoppelnd und Räucherstäbchen schwingend, dem Retro-Prog seiner eigenen Historie zu widmen. Es folgten das etwas durchwachsene „Heritage“ und das diametral dazu relativ zugängliche „Pale Communion“, und mittlerweile dürften sich so ziemlich alle Übriggebliebenen mit der neuen Marschrichtung von OPETH abgefunden haben. Hoffentlich. Denn: es geht munter in dieselbe weiter.

„Sorceress“ heißt die neueste Analog-Großtat aus Stockholm, und ist im Vergleich zu den beiden Vorgängern weder eine Steigerung noch ein Reinfall. Dass die Band auf der Stelle tritt würde ich aber so auch nicht sagen. „Adopt, adapt and improve“ predigte schon der spätere König Edward der 8. an seinen Landesnachwuchs, selbiges Motto dürften sich nun auch OPETH auf die Fahnen geheftet haben. Natürlich bedarf es wieder einmal einiger, ja mehrerer Umdrehungen im Schacht, bis „Sorceress“ mit seinen insgesamt elf Tracks (inklusive Intro und Outro) so richtig greift. Doch jeder, der mit „Pale Communion“ konnte, wird auch hiermit können, und anstatt jeden Track einzeln abzuhandeln, möchte ich hier nur ein paar Highlights herausgreifen. So wie beispielsweise den Titelsong, der nach obligatem Gedudel in ein Lava-Riff-Gewitter mündet, das sogar Tony Iommi in Ehrfurcht erbeben ließe und mit solidem Hammond-Teppich unterlegt so richtig heavy-kitschig im Gehör klebt. Die wunderschöne Ballade „Will O The Wisp“ provoziert eingangs erwähnte Bilder von rosaroten Rauchschwaden, erweitert um ein paar schöne Frauen am Schoss und süßlichen Wein in Griffweite: genau so lullt man seine Hörer ein, und OPETH wissen das kreuzgut.

„Chrysalis“ ist irgendwie ein Hybrid, der zwischen wilder Romantik der eigenen Vergangenheit und dem visionären Prog der vielleicht grandiosen Zukunft hin- und herpendelt, und beschreibt den Status Quo der Band vielleicht am kompetentesten – „leave it all behind you“ orakelt Åkerfeldt am Ende mysteriös, und ich glaube er meint es auch so. Das orientalisch angehauchte Quasi-Instrumental „The Seventh Sojourn“ greift tief in die Weltmusik-Schatzkiste und vermengt die Chose raffiniert mit Soundtrack-haften Elementen, so dass uns vor dem geistigen Auge Filmklassiker wie „Ben Hur“ oder „Lawrence von Arabien“ vorbeiflimmern – doch halt! Hier läuft ja immer noch OPETH, und kein Film. Beim darauffolgenden „Strange Brew“ ist der Name natürlich Programm: ein fast neunminütiges, seltsames Gebräu ergießt sich aus den zerbrochenen Reagenzgläsern in Åkerfeldts Gehirnlabor, die bunten Substanzen vermengen sich, rauchen, zischen, sprühen Funken – und amalgamieren am Ende zu einem Lehrstück des modernen Retro-Prog: Von abstrus jazzigen Passagen über betörende Melodiekaskaden hinunter, oftmals ohne erkennbare Struktur, immer wieder in ruhige Gefilde abdriftend, eröffnet sich einem dieses scheinbar orientierungslose Elixier erst nach mehreren, zum Scheitern verurteilten Versuchsanordnungen.

Bevor uns Persephone am Ende der einstündigen Klangreise das zweite Mal becirct (ach, wie ich diese Wortspielchen liebe!), tut sich aber noch ein Song besonders hervor: das erst etwas unscheinbare, später fast schon kommerziell wirkende „Era“, das gekonnt und raffiniert das Riff/Hammond-Thema von „Sorceress“ wieder aufgreift und es eine Stufe höher hievt, um einen wuchtigen Uptempo-Stampfer zu gebären, der nach den vielen ruhigen Passagen in den diversen Songs wie ein großes, in Stein gemeißeltes Ausrufezeichen dasteht. Und das ist, denke ich, volle Absicht. Genauso wie es die volle Absicht von OPETH ist, mit diesem Album die neu gewonnenen Fans unbedingt bei der Stange zu halten und gleichzeitig dem zu frönen, was man liebt. Allein dafür muss man diese Band und ihren schrulligen Chef-Querdenker ja eigentlich schon lieb haben: dass sie sich bei allem kommerziellen Erfolg um ebendiesen nie wirklich geschert haben und uns Alben kredenzen, die sowohl tiefgründig, facettenreich, lieblich, mystisch, retro, ehrlich, ungekünstelt und erdig sind, manchmal auch noch ein wenig unvorhersehbar. Und das muss man anno 2016 erstmal schaffen. Oder, wie es schon Grönemeyer vor Ewigkeiten formulierte: Alles bleibt anders.

Bewertung: 4.0 / 5.0 - Mike Seidinger

 


 

Einleitung
Captain Critical
Lucas Prieske
Mike Seidinger
Manuel Ennser
Christian Wilsberg
Florian Dammasch
Anthalerero
Phillipp Annerer
Sonata


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