Konzertwahnsinn - ein Selbstversuch

Text: Anthalerero | Fotos: Anthalerero
Veröffentlicht am 08.11.2016

Es gibt so Zeiten im Leben, da staut sich soviel auf, dass man platzen könnte, wenn man es nicht irgendwie herauslässt. Für solche Situationen hat jeder ein anderes Ventil – für verdächtig viele Metalheads heißt das Ventil: Konzerte! Je mehr, desto besser! Also normaler Besucher pilgert man zum nächsten Abrisskommando und lässt sich einmal gepflegt die Fresse polieren, um sich besser zu fühlen. Als Schreiberling hat man vielleicht tendenziell andere Prioritäten, da sich die Möglichkeiten weitaus vielfältiger darstellen und die Menge an Bands, die man gerne einmal (wieder-)sehen bzw. auch fotografieren möchte, exponentiell mit der Anzahl an gesehenen Gruppen ansteigt. Das führt mitunter zu der Qual der Wahl, wenn mehrere interessante Konzerte am gleichen Tag stattfinden. Denn zweiteilen kann man sich ja schlecht – oder etwa doch?

Zumindest kann man, wenn man wahnsinnig genug ist, einen Selbstversuch starten, um herauszufinden wie viele Konzerte man am gleichen Tag bewältigen kann. Weil ein schieres, „ich tingle mal eben zwischen knapp nebeneinander liegenden Hallen hin und her“ zu langweilig wäre, kann man natürlich den Schwierigkeitsgrad noch erhöhen, und als Bonusprogramm noch mal eben eine andere Stadt hinzufügen. Die Zerrissenheit zwischen „verdammt, ich würde so gerne einmal EVERGREY“ sehen, „verflucht, ROTTING CHRIST sind schon eine Macht, die darf man nicht verpassen“ und „meine Lieblingsmonster von LORDI muss ich schon noch einmal besuchen“ führte sodann zu obigem Szenario, dass es am Ende gleich drei Gigs an einem einzigen Abend sein mussten. Gut, Show Nummer Drei war in dieser Form eigentlich nicht geplant, aber... wer kann, der kann!

Hier also das Programm des Wahnsinns, für den denkwürdigen 28. Oktober 2016:

DELAIN + EVERGREY + KOBRA AND THE LOTUS – Backstage Werk, München [Kameraoutput]

INQUISITION + ROTTING CHRIST + MYSTIFIER + SCHAMMASCH – Backstage Halle, München [Bilddokumentation]

LORDI (ohne Supportacts SHIRAZ LANE + SILVER DUST) – Kaminwerk, Memmingen [Beweisfotos]

Klingt nach einer schier unlösbaren Aufgabe, oder? Aber hej, man wächst an seinen Aufgaben, somit war es an der Zeit so etwas, bei näherer Betrachtung eigentlich komplett Bescheuertes, auch einmal auszuprobieren.

 

Ausgangspunkt des Ganzen war gegen Mittag Göppingen an der schwäbischen Alb, von wo aus es samt Begleitung durch die Stauzone rund um Ulm nach Memmingen ging. Nach der Ankunft am frühen Nachmittag wurden zunächst noch kräftigende Nahrungsmittel käuflich erworben, ehe es auch schon zur Kaminfabrik ging. Die große Tourfamilie von LORDI, die bereits zur letzten Rundreise der Monster 2015 ganze sieben Gigs lang verfolgt wurde (zum Tourreport Teil 1, Teil 2 und Teil 3), freute sich sichtlich über das unverhoffte Wiedersehen nach „nur“ zwei Konzerten der „European Monstour“ (Traun, München) dieses Jahr.

Die Begleitung blieb in Memmingen zum vollen Konzert der Monster und ihrer Vorbands SHIRAZ LANE und SILVER DUST zurück, während der kleine Stormbringer-Schreiberling mit seinem fahrbaren Untersatz kurz vor halb Sechs gen Landeshauptstadt düste - nicht ohne sich vorher noch beim Soundcheck der Monster von LORDI-Songs beschallen zu lassen. Pünktlich um 18:30 langte man dann auch am Backstage ein, fand prompt einen Parkplatz (ein Wunder!) und nach Abholung der Fotografenbändchen an der Kasse, ging es auch um 18:45 schon los. Hier gleich einmal die erste Überraschung – spielte doch das Tourpackage rund um INQUISITION und ROTTING CHRIST nicht, wie angekündigt, im großen Werk, sondern in der Halle, während DELAIN, wohl wegen des dieses Mal äußerst guten Vorverkaufs, in die größte der Backstage-Hallen verlegt wurden. Das bedeutete eine Veränderung des persönlichen Schlachtplanes – aber wie sich herausstellen sollte, keinesfalls zum Schlechteren!

Durch den Hallentausch war die mittelgroße Halle bereits zum Opener SCHAMMASCH überraschend gut gefüllt, dennoch war es noch möglich der Bühne nahe zu kommen und problemlos aus dem Publikum zu fotografieren. Der äußerst intensive, gitarrentechnisch sehr anspruchsvolle Black Metal vermochte das Publikum zu so früher Stunde noch nicht recht zu begeistern – etwas zu Unrecht, da die Schweizer mit ihren imposanten Outfits und stimmungsvoller Beleuchtung eine äußerst starke Show abzogen. Kurz vor Ende der Darbietung, heißt es auch schon Locationwechsel, da über den Beginn im Werk noch nichts kommuniziert wurde.


SCHAMMASCH

Wie es sich zeigte, fand der Einlass dort etwas verspätet statt, da das zuvor stattgefundene VIP-Treffen mit Delain etwas länger gedauert hatte. Nichtsdestotrotz gingen KOBRA AND THE LOTUS pünktlich um 19:30 auf die Bühne und konnten bereits auf ein erkleckliches Häufchen Besucher zählen. Die Truppe rund um die gülden gekleidete Frontröhre Kobra Paige präsentierte sich überraschend hart und servierte den sich stetig mehrenden Zuschauern gleich einmal ein ordentliches Brett. Einzig die kräftigen, auflockernden Schreie der Fronterin begannen nach kurzer Zeit schon eher negativ aufzufallen, wohingegen musikalisch wahrlich keine Gefangenen gemacht wurden.


KOBRA AND THE LOTUS

Viel Zeit der Kobra und dem Lotus zu lauschen blieb nicht, denn in der gegenüberliegenden Halle waren zeitgleich bereits MYSTIFIER am Werk. Eine Drei-Mann-Black-Metal-Walze aus dem sonnigen Brasilien? Was es nicht alles gibt! Wie man im warmen, lebensbejahenden Brasilien dermaßen der grim and frostbitten Darkness huldigen kann, wird wohl auf Ewig ein Geheimnis bleiben. Vielleicht war es ihnen auch einfach zu warm? Dann dürften sie sich in der schön langsam auf Temperatur gekommenen Halle ja durchaus noch wohl gefühlt haben – denn diese war inzwischen schon ziemlich gut gefüllt, dass Fotografieren nur noch vom erhöhten Merchstand im hinteren Teil der Halle möglich war. Das Publikum zeigte schon deutlich mehr Interaktion auf die recht oldschooligen Schwarzwurzelklänge, wenngleich auch die Reaktionen weiterhin relativ verhalten blieben. Vermutlich warteten gar nicht wenige Anwesenden auf das Abrisskommando von ROTTING CHRIST, das im Frühjahr dieses Jahres bereits am Dark Easter Metal Meeting die Bude zerlegt hatte.


MYSTIFIER

Nachdem die Brasilianer (Hier war nicht nur der Metal schwarz, Schenkelklopfer!) ihr Ritual beendet hatten, war es wieder an der Zeit im Werk vorbeizuschauen, wo gerade EVERGREY auf die Bretter gingen. Eine der Bands auf der persönlichen Must-See-Liste, so ist die Erwartungshaltung durchaus als groß zu bezeichnen. Inzwischen hat die ganze Aktion fast ein wenig Festivalcharakter, da sich die Zeitpläne der beiden Bühnen für Fotografen fast ideal darstellten – für den Musikgenießer eher weniger, musste doch die Entscheidung zwischen den parallel spielenden EVERGREY und ROTTING CHRIST getroffen werden. Die Lichtsituation erwies sich im Werk bei EVERGREY als relativ suboptimal, wurde doch während der ersten Titel auf Schummerlicht und Stroboskop gesetzt – eher weniger passend zu den relativ getragenen, aber doch auch ordentlich harten Kompositionen der Schweden. Von den Feinheiten der dunklen, melodischen Musik kam im Verlaufe der ersten Songs leider nur sehr wenig an, da überdies der Sound relativ übersteuert und zu laut aus den Boxen drang. Das Publikum, das zu EVERGREY schon bei den ersten Songs so richtig abfeierte, störte es allerdings nicht – der kleine Stormbringer-Schreiberling beschloss das Wagnis einzugehen, und zwecks der Fotografenpflicht schnell in die Halle zu wechseln.


EVERGREY

Und was soll man sagen; Gestaltete es sich zunächst schon schwierig in die inzwischen wirklich bis zum letzten Platz gefüllte Halle überhaupt noch hinein zu kommen, so war es genauso unmöglich einfach wieder zu gehen – denn ROTTING CHRIST taten ihre Schuldigkeit, und zerlegten die Halle quasi aus dem  Handgelenk. Die Zuschauer dankten es den Griechen mit einer Hammerstimmung, während sie Schlag um Schlag von Sakis Tolis und seinen Mannen eine übergebraten bekamen. Äußerst guter, richtig kräftig drückender Sound und überdies, gemessen am bisherigen Programm in der Halle, wahrer Festbeleuchtung, machten den Auftritt zu einem wahren Schmankerl. Da ward für den Moment das Parallelprogramm im Werk nur noch Nebensache, denn die mächtige Okkult-Walze von ROTTING CHRIST beanspruchte schlichtweg alle Ressourcen. Was für ein Abriss! So war es nicht weiter verwunderlich, dass sich der kleine Schreiberling erst zu den letzten Takten der Griechen losreißen konnte und zurück in das Werk hastete.


ROTTING CHRIST

Nach kurzer Wartezeit gab es dort, vor ebenfalls verdammt gut besuchter Kulisse, die nächste Breitseite – dieses Mal allerdings melodischer Natur. Frontfrau Charlotte Wessels und ihre Gefolgsleute von DELAIN erschienen – und das Werk ging steil. Klarer, druckvoller Sound, gutes Licht und eine richtig gut aufgelegte Band – mehr Zutaten brauchte es nicht, um die Meute im Werk glücklich zu machen! Der Tausch der Hallen hatte sich wohl gelohnt, denn sowohl bei ROTTING CHRIST in der Halle, als auch bei DELAIN im Werk stimmten nicht nur die Besucherzahlen, sondern auch, was viel wichtiger war, die Stimmung! Alleine von der Lautstärke her, trugen die Holländer hier eindeutig den Sieg davon, obgleich die Atmosphäre im Vergleich zum griechischen Abriss in der Halle nicht die gleiche Intensität erreichen konnte. Nun, zumindest nicht während der ersten, standesgemäß abgefeierten Titel, denn die Doppel-Foto-Pflicht trieb einen nach einigen Songs gleich wieder in die Halle, wo sich der Schlusspunkt des zweiten Konzertes gerade bereit machte.


DELAIN

„Zwei Mann machen Krawall“ - das beschreibt INQUISITION vermutlich am besten. Das US-Amerikanische Duo mit den seit jeher kurzen und knappen Albumtiteln (zuletzt das griffige „Bloodshed Across The Empyrean Altar Beyond The Celestial Zenith“) präsentierte sich einmal mehr als garstiges Underground-Biest, das die Tore zu den schwärzesten Tiefen der Hölle aufstieß. Alleine, nach dem gekonnten Abriss von ROTTING CHRIST, zog der sich stumpf ins Cerebrum bohrende Black Metal nicht mehr gar so gut, wie man auch an den mehr verhaltenen Publikumsreaktionen bemerken konnte. Auch der Stormbringer-Schreiberling fühlte sich in der infernalischen Soundkulisse mit waberndem roten Schummerlicht nur mäßig wohl, und verließ die Halle alsbald, um sich doch noch eine Kante Symphonic Metals holländischer Bauart einzuverleiben.


INQUISITION

Zwischen den Hallen zeigte ein kurzer Blick auf die Uhr, dass es erst kurz nach 22:00h war. Die Zeit, zu der LORDI in Memmingen laut Plan die Bühne betreten sollten. Eine kurze Milchmädchen-Zeitrechung später, mit dem Wissen dass die finnischen Monster etwa anderthalb Stunden spielen würden, hastete der kleine Schreiberling, anstatt ins Werk, zu seinem Auto, und bretterte alsbald über eine fast menschenleere Autobahn im Tiefflug die etwa 100km gen Memmingen. Dank durchgedrückten Gaspedals langte das Gefährt um Punkt 23:20 am Kaminwerk an, wo der Schreiberling einen noch gut gefüllten, aber menschenleeren Parkplatz vorfand und erwartungsfroh die Tür aufriss. YESSS!

Drinnen schien die Show tatsächlich noch im Gange, also geschwind die Kameras geschnappt, unter Vorlage des am Nachmittag noch abgeholten Fotopasses an den verdutzten Mädels am Eingang vorbei, in die Halle gestürmt. Tatsächlich war das Obermonster gerade bei seiner Ansage zu „Sincerely With Love“, dem viertletzten Song des Sets – was für ein großartiges Timing! Trotz beschlagender Objektive aufgrund der aus dem Auto noch kalten Kamera, gingen sich im Verlaufe der vier Songs noch einige starke Bilder aus – Mission erfüllt! Drei Konzerte an einem Tag, in verschiedenen Städten! Nie erwartet das zu schaffen – und doch erfolgreich gewesen! Mit einem nahezu perfekten Abschluss, wenn man als Draufgabe noch die stärksten Songs seiner Lieblingsband auf die Ohren bekommt.


LORDI

Entsprechend waren auch die Reaktionen des Begleiters sowie der Lordi-Crew – das unverhoffte Erscheinen kurz vor Ende des Konzertes war für die meisten kaum fassbar. Nach Beendigung des Konzertes mussten sodann als Beweis auch noch die Bilder der beiden Konzerte in München herumgezeigt werden – damit einem dieser Wahnsinn überhaupt erst geglaubt wurde! Da fragt man sich doch selbst, „WAS zur Hölle habe ich da eigentlich getrieben?“, aber die ungläubigen Blicke und das eigene Grinsen bis über beide Ohren geben Einem recht – das war es verdammt noch einmal wert! Auch die zähe, nächtliche Rückfahrt zum Ausgangspunkt der Reise, wo man um etwa Drei Uhr Morgens hundemüde, aber glücklich in die Federn fiel.

Und sollte sich jemals noch einmal so eine Gelegenheit bieten – ICH WÜRDE ES WIEDER TUN!


WERBUNG: Hard
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