03.08. - 06.08.2016, Wacken Festival Area, Wacken

Wacken Open Air 2016 - Dienstag und Mittwoch - Mehr Rain als Shine

Text: Jazz Styx | Fotos: Daria Paul
Veröffentlicht am 10.08.2016

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Worte zu finden, die dem Wacken Open Air gerecht werden, ist in etwa so schwierig, wie über eine alte Liebe zu sprechen. Vielleicht kann man umschreiben, wie schön es begann, wie sich die Schwierigkeiten einschlichen, wie man sich trennte, wie man sich verfluchte und wie man sich später wiederfand, aber stets bleibt dieses schwer zu fassende Gefühl, für das es keine einfachen Begrifflichkeiten gibt: eine Liebe, die nie wirklich geendet hat und immer wieder neu auflodert, neben einer alten, zerknirschten Wut und über allem schwebend eine einnehmende Vertrautheit hinter einem Schleier noch immer aufregender Ungewissheit. Genau so fühlt sich auch die erneute Reise ins Metal-Mekka an: Wir kennen uns nicht mehr wirklich, sind uns aber tief vertraut, wir haben uns beide sehr verändert, aber Wacken wird stets einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen haben.

 

So durchfliegen sehnsüchtige Gedanken meinen Kopf, als der Stau langsam, aber sicher auf den heiligen Grund zurückt. Der Geruch von Bier beginnt, die Luft zu füllen, und die wahren Bewohner des kleinen norddeutschen Dörfchens erobern in traditionell schwarzer Tracht für ein paar Tage ihre kulturelle Heimat zurück. Welchem Metaller geht da nicht das Herz auf?

 

Hallo Wacken, ich bin wieder zuhause!

 

Zügig und kompetent werden die Anreisefahrzeuge aufgereiht und das Camp errichtet. Gefühlte Kilometer von Tape und Schnüren sichern die beiden Pavillons, die erfahrungsgemäß auf diese Weise sogar den Unwettern zwischen Nord- und Ostsee standhalten können – und die werden kommen, so sicher wie das gebrüllte „Wacken“ auf Wacken.

 

Nach den ersten fröhlich prozentuierten Getränken führt die erste große Runde auf den vertrauten Wiesen wie immer zum Check-In: Ticket gegen Festivalbändchen – zumindest für die meisten Besucher. Doch wer hat sich den Rückweg gemerkt? Eigentlich sollte der eine knappe halbe Stunde dauern, doch zu dieser Zeit sitze ich nicht vor meinem Zelt, sondern in einer bunt blinkenden Disco, in der reichlich Pfefferminzschnaps ausgeschenkt wird, und lasse mir aus dem rauen Leben eines Mittvierzigers und vom Hip-Hop-und-Metal-Musikgeschmack eines Dreiundzwanzigjährigen erzählen, die zur Pfahlsitzer-Crew gehören. Diejenigen, die „hier wohnen“ sind schon längst in ihre Schlafsäcke gekrochen, als ich mich aufmache, den Weg in mein Camp zurückzuschwanken – eigentlich ist es schon seit vielen Stunden Mittwoch.

 

 

Besagter Mittwoch startet stilgerecht mit prasselndem Regen, gewaltigen Kopfschmerzen und einem Nachdurst, der mit einer Sturmflut nicht zu löschen ist. Als Kugelschreiberschwinger unter den Festivalgängern darf ich mich in voller Regenmontur kilometerweit durch das Dorf schleppen, um ewig anzustehen, damit auch ich ein Festivalband erhalte. Die zahlreichen Fressstände und Saufbuden der Hauptstraße sind zwar durchaus sehenswert, aber die Dauer und Mühe dieser Angelegenheit ist für eine sonst so gut organisierte Veranstaltung eindeutig mit „peinlich“ zu bezeichnen, zumal es mir dadurch nicht möglich war, von wirklich großartigen Newcomerbands wie HTETHTHEMETH aus Rumänien oder PRETERNATURAL aus Lettland zu berichten.

 

Allerdings nehmen mich die Griechen von TIDAL DREAMS im Bus mit zurück zum Bühnengelände, wo gerade PROFANER spielen. Planmäßig wollte ich die ja gar nicht sehen, doch treibt es mir die Freudentränen in die Augen, endlich wieder Livemetal in Wacken zu hören. Echt stark sind die Kanadier: Melodisch und trotzdem knüppelhart ballert ihre Death-Thrash-Mischung in die Zuschauerohren. (Spoiler: Sie werden die Zweiten beim diesjährigen Metal Battle.) Geschätzte 200 Erwähnungen ihres Namens später, werden HORROR DANCE SQUAD auf die Nachbarbühne gelassen: Metalcore, nicht sonderlich kompliziert, aber auch nicht langweilig, echt gut geshoutet, doch nur knapp passabel gesungen.

 

Unwetterpanorama Wacken 2016
© Danil Menshykov

 

Der Mainact des Tages ist allerdings der Regen, der beinahe pausenlos vom Himmel fällt: mal nur ganz leicht, wie durch einen Zerstäuber, mal mit gewaltiger, erschlagender Masse, zu der sich ein Sturm gesellt, der wortwörtlich die redensartliche Hütte abreißt. Pavillons heben ab, fliegen durch die Luft und bilden, nachdem sie gelandet sind, trostlose Ruinen unter tiefgrauem Himmel. „Rain or shine!“, heißt es auf Wacken, aber ein bisschen mehr „shine“ wäre mir dann doch lieber!

 

 

Das kräftezehrende Wetter und das Ausfallen der Deathmetal-bis-Core-Band ELEMENTAL aus Indien, die aus unbekannten Gründen leider keine Visa bekommen haben, halten mich von einem nachmittaglichen Fußmarsch zu den Bühnen ab, obwohl ich zu gerne die Hamburger von SYNDEMIC mit ihrem intelligenten, atmosphärischen Death Metal wiedergesehen hätte. (Spoiler: Ich gratuliere ihnen zu einem vierten Platz beim Metal-Battle.) Stattdessen sitze ich Stunden im Auto und zusammengekauert möglichst mittig unter den Pavillons, die mehr als einmal festgehalten werden mussten, um sie gegen Abheben oder Brechen zu sichern.

 

Am Abend zieht mich dann mein Verlangen nach frischem, ungewöhnlichen Metal doch wieder durch die Schlammwege zum Bühnenzelt. Vorbei am Uffta-Täterät der WACKEN FIREFIGHTERS und den Cover-Dudlern von RED HOT CHILI PIPERS zu den ausklingenden BLIKSEM, deren Klänge anmuten, als würde der Gitarrist auf der Bühne sein Instrument beschlafen – aber nach allen Regeln des Saiten-Kamasutra.

 

Der primäre Grund für meinen zehrenden Kampf gegen das unwirtliche Wetter und die stickige Luft im gigantischen Zelt sind PANZERBALLETT. Die ignorieren erst einmal völlig, dass sie vor tausenden von Metalfans stehen und spielen Jazz, der sich erst nach Minuten mit groovendem Metal vermengt. Die feine Harmonie und gleichzeitige Widersprüchlichkeit von Saxophon und E-Gitarre ist überwältigend: Bei den einen heißt das, sie haben leuchtende Herzen in den Augen, bei anderen jedoch, dass sich dort nur Fragezeichen finden. Ohne Gesang und mit wild-präzisem Jazz Metal meistern die Musiker von PANZERBALLETT eine Genregradwanderung, wie sie kontroverser kaum sein könnte – berauschend beeindruckend!

 

Angesichts des vorabendlichen Promille-Übermuts und der schlauchenden Umweltbedingungen marschiere ich zurück zum Zelt, was sich wegen der Unmengen von HÄMATOM-Fans, die den Ausgang blockieren, als schwierig erweist. Ärgerlich, dass die Band auf die kleine Bühne verlegt werden musste, sodass nicht alle ins Zelt gelangten, die die NDH-Thrash-Groove-Metaller sehen wollten. Zur Entschuldigung spielen sie nächstes Jahr erneut auf dem W:O:A. Ich entschuldige mich auch für heute, rutsche aus den Schlammklumpen, die einmal meine Schuhe waren, und lasse mich in mein halbfeuchtes Zelt fallen, wo mich der schnell eintretende Schlaf aus dem mühsamen, aber nichtsdestoweniger wunderbaren Tag entlässt.


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