SÓLSTAFIR - das 'Berdreyminn' Gangbang-Review

Es wäre wohl wirklich ein Einfaches gewesen, SÓLSTAFIR nach dem öffentlich ausgetragenen Rosenkrieg mit dem ausgeschiedenen Drummer Guðmundur Óli Pálmason einfach nur zu hassen, sie zu verstoßen und all das zu vergessen, was die Isländer in ihrer mittlerweile 22 Jahre währenden Karriere vollbracht und erreicht haben, aber wie so oft sollte man als Außenstehender bei solchen Auseinandersetzungen die Contenance bewahren und neutral bleiben - einfach deshalb, weil man die genauen Hintergründe sowieso nie erfahren wird und in den überhitzten Reaktionen der beteiligten Parteien nicht immer die ultimative Wahrheit erwarten kann. Zwei Jahre haben sich SÓLSTAFIR jedenfalls Zeit gelassen, um dann dieses Jahr mit Hallgrímur Jón Hallgrímsson nahezu unauffällig den Ersatz für die vakant gerwordene Stelle am Schlagzeug vorzustellen und mit ihm das sechste Studioalbum "Berdreyminn" einzuspielen, um das es hier ja gehen soll.

Irgendwas hat sich aber geändert. Habe ich neuen Werken aus dem Hause SÓLSTAFIR früher noch kreischend entgegengefiebert, hat sich dieses Gefühl nach den ersten Auskloppungen von "Ísafold" und "Bláfjall" relativ rasch verflüchtigt. Bei "Silfur-refur" bekam ich zeitweise sogar den Eindruck, man würde hier eine Hommage an den Erfinder von Fahrstuhlmusik, einen Song nach dem Credo "Schatz? Deck' mich zu, wenn du fertig bist. Danke!" vorfinden, aber ganz so schlimm ist "Berdreyminn" in der Gesamtbetrachtung nach einigen Durchläufen, die bis zu einem gewissen Punkt Growerpotenzial aufschimmern haben lassen, dann doch nicht. Es ist gleichzeitig aber auch nicht der Meilenstein, den man als verwöhnter SÓLSTAFIR-Anhänger gewissermaßen vorraussetzt, weil es aus qualitativer Sicht einfach nicht mit der bisherigen Diskografie konkurrieren kann - zumindest meiner Meinung nach.

Vielleicht ist mein Verhältnis zu dieser Band mittlerweile einfach ein wenig vorbelastet (ja, ich weiß, was ich oben gepredigt habe, aber ich habe nie behauptet, dass es einfach werden würde), vielleicht hat das Quartett aber auch einfach schon besseres Songmaterial abgeliefert, weswegen ich insgesamt doch "nur" gut unterhalten zurückbleibe und dabei auch ob der zukünftigen musikalischen Ausrichtung etwas ratlos bin. Manchmal wären SÓLSTAFIR auf "Berdreyminn" wohl gerne CRIPPLED BLACK PHOENIX (falls du das liest: danke, Lobi!), manchmal klingen sie nach einer Indie-Kapelle, manchmal zelebrieren sie sich selbst und ihren gewohnten Charakter und manchmal versuchen sie sich an Synthpop-Zitaten, die wiederum erstaunlich gut mit ebendiesem Stil der Isländer korrelieren. Dabei lassen sie manchmal aber auch die Frage offen, wie sie sich selbst in Zukunft sehen oder hören, was dem Album als Gesamtwerk nicht immer zuträglich ist und ihm den Zugang zum atmosphärischen roten Faden des bisherigen Schaffens an ein paar Stellen versperrt.

Doch "Berdreyminn" hat auch seine unstreitbar starken Momente. Beispielsweise dann, wenn das sphärische Keyboard-Intro von "Hula" einsetzt und in ein balldesk-getragenes Stimmungsmeisterwerk mündet, bei dem auch die wehmütigen Gesänge voll zum Tragen kommen, oder wenn ein "Nárós" jeglichen SÓLSTAFIR-Trumpf von ausladenden Melodiebögen über eigenwillig-rockige Rhythmik bis hin zum einprägsam-melancholischen Organ von Aðalbjörn Tryggvason ausspielt. So bleiben am Ende gemischte Gefühle übrig: Einerseits hat "Berdreyminn" definitiv das bereits erwähnte Growerpotenzial, andererseits vermisse ich gerade im Mittelteil um "Hvít sæng" und "Dýrafjörður" das fesselnde Gemüt eines "Köld", "Svartir Sandar" oder auch "Ótta". Immerhin weiß das ein oder andere kleine Experiment zu gefallen und so kann man mit dem Ergebnis dann auch halbwegs leben. Einfach weil man nicht selten den Anschein erfassen kann, dass SÓLSTAFIR eine kreative Sackgasse erahnen und bereits mit "Berdreyminn" dazu ansetzen wollen, diese zu umgehen. Den Rest zeigt die Zukunft.
 

3,5 Punkte - Pascal Staub


Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Christian Wiederwald
Seite 3: Daria Hoffmann
Seite 4: Pascal Staub
Seite 5: Captain Critical
Seite 6: Anthalerero
Seite 7: Fazit


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