AMORPHIS - Das 'Queen Of Time' Gangbang-Review

Es gab eine Phase bei AMORPHIS, so ziemlich genau dann, als "The Beginning of Times" erschien, in der ich mich zunehmend mit den Bedenken konfrontiert sah, die Finnen könnten sich in ihrem eigenen, nicht ganz so klein angelegten Gartenteich vertümpelt haben. Sicherlich hatten alle bis dahin erschienenen Werke der Joutsen-Ära so ihre gewissen marginalen Eigenheiten und natürlich auch ihre großen Qualitäten, aber irgendwie wirkte die Performance trotzdem überwiegend zu souverän und künstlerisch selbstzufrieden. So selbstzufrieden, als hätte man bereits alle musikalischen Möglichkeiten voll ausgereizt und könne nun die eigenen Errungenschaften mit Minimalaufwand verwalten. Zum Glück sah das die Band selbst ganz anders und machte mit den Produzentenwechseln hin zu Peter Tägtgren ("Circle") und danach zu Jens Bogren ("Under The Red Cloud") wieder Fortschritte hinsichtlich des Songwritings und konnte den bekannten Schemata neue Impulse verleihen. Auch auf "Queen Of Time", für das sich  AMORPHIS erneut dazu entschieden haben, die Fascination Street Studios aufzusuchen?

Jein. Aber man hat sich mit der Integration orchestraler Details und dem "Vorhaben: Konzeptalbum" genügend vorgenommen, um sich nicht versehentlich im Versuch wiederzufinden, den großartigen Vorgänger rekonstruieren zu wollen. Beides gelingt ihnen vorzüglich, aber zumindest bei dem Orchester gilt anzumerken, dass das auch sehr leicht hätte schiefgehen können, weil die zehn Songs auch ohne dessen Mitwirken enorm facettenreich arrangiert sind und damit nicht selten kurz vor der Überfrachtung stehen. Ein gutes Beispiel dafür ist das progressive "Daughter Of Hate", das nicht nur mit dem Wechselspiel zwischen den süßlich vorgetragenen Strophen und dem harten Refrain aufwartet, sondern auch mit geschickt verzahnten Folk-Melodien, einem Saxophon-Solo und dem gesampelten Auszug aus einem finnischen Gedicht.

Überfordern werden AMORPHIS einen Großteil ihrer Hörerschaft damit aber wohl nicht, weil sie, natürlich auch aufgrund jahrzehntelanger Erfahrung, ein sehr gutes Gespür für ihre Kompositionen haben und den roten Faden, der sich zweifelsohne durch "Queen Of Time" zieht, auch mit gewohnt hitlastigen, eingängigen Songs wie dem Opener "The Bee", dem dynamischen und hochmelodischen "The Golden Elk" sowie einem "Amongst Stars", in dem sich Anneke van Giersbergen mit ihrem charismatischen Organ die Ehre gibt (und damit das gesamte Stück abrundet), fortspinnen. Das Orchester tritt dabei so wohldosiert in Erscheinung, dass man damit höchstens vereinzelte Passagen wie im an ENSIFERUM (als sie sich noch nicht selbst abgekupfert und ihr Handwerk überladen, sondern gute Songs geschrieben haben) erinnernden "Message In The Amber", in "Grain Of Sand", bei dem Streicher und Chöre die orientalische Grundstimmung unterstützen, oder eben in "We Accursed", wo es die melancholische Atmosphäre mit dezentem Auftreten verstärkt.

Die große Stärke von "Queen Of Time" liegt dabei direkt im Albumtitel: auf knapp 60 Minuten Spielzeit kommt man, aber alles wurde so flüssig inszeniert, dass quasi keine Längen zu vernehmen sind und man vielmehr das Gefühl hat, es würde viel zu rasch enden, um wirklich alle musikalischen Nuancen greifen zu können. Dass das für einen hohen Wiederspielwert sorgt, muss ich nicht weiter erklären. Aber wenn man dazu noch bedenkt, dass AMORPHIS hier noch ein detailliert ausgearbeitetes Konzept (vom Aufstieg/Fall einer Zivilisation) so harmonisch unterbringen (hier muss man einfach explizit den Abschluss "Pyres On The Coast" mit seiner durch die Gitarrenmelodien erzeugten Endzeitstimmung erwähnen), dass man sich als Hörer*in regelrecht hineingesogen fühlt, ist das nicht nur eine Verneigung wert, sondern auch ein klares Empfehlungsschreiben als eines der künstlerisch hochwertigsten Alben des Jahres 2018, das, und das muss man fairerweise schon hinzufügen, der ein oder andere sicherlich auch als überladen empfinden könnte.

4,5 / 5 – Pascal Staub

 


Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Christian Wilsberg
Seite 3: Pascal Staub
Seite 4: Anthalerero
Seite 5: Lucas Prieske
Seite 6: Lisi Ruetz
Seite 7: Sonata
Seite 8: Fazit


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