MYRATH - das 'Shehili' Gangbang-Review

Ich habe es ja versucht. Wirklich! Kritisch zu sein, fällt mir eigentlich gar nicht sonderlich schwer. Aber was, wenn man einfach nichts findet, was man kritisieren kann? Gut, ich lasse die Katze direkt aus dem Sack: Ich würde der Scheibe auch 10 von 5 Punkten geben, wenn das rein mathematisch möglich wäre. Damit seid ihr vorgewarnt. Phrasen-Dreschen inklusive, sollten mir die passenden, innovativen Worte nicht einfallen, um die Großartigkeit dieser Scheibe adäquat zu beschreiben. 

Ja, zugegeben, MYRATH gehören mittlerweile zu einer meiner All-Time-Favourite-Band und sind allgemein unumstritten ein absoluter Fixstern im Bereich Oriental-Metal geworden. Als großer Fan der wilden Progressivität von "Tales Of The Sands", hatten die Tunesier mich spätestens nach dem ersten Live-Gig voll in ihren Bann gezogen. Dennoch bedurfte es bei der letzten Scheibe "Legacy" ein, zwei Durchgänge mit erhobener Augenbraue, ehe sich die fast schon domestizierte Eingängigkeit des Albums entwickeln konnte. Und mit dieser Art von kritischer Haltung bin ich auch auf das Hörerlebnis "Shehili" herangegangen. 

Nachdem durch die erste Single "Dance" das dazu gehörende Video-Konzept vorgestellt - oder in diesem Falle weiter getrieben - wurde, immerhin startete die Story um die Avatare der Musiker, die sich in einer Prince-Of-Persia-Tausend-Und-Einer-Nacht-Welt gegen einen turbantragenden Fiesling stellen mussten, schon mit dem Title-Track "Believer" auf dem Vorgänger-Album "Legacy", blieb ich allerdings erst einmal mit etwas Skepsis auf Sicherheitsabstand. Nur für den Fall, dass "Shehili" zu sehr am Vorgänger angelehnt und somit zum böses Stiefbrüderchen mutieren würde. Doch die Antwort ist ganz klar: Nein! 

Zugegeben: Die erste Umdrehung hatte den ein oder anderen Moment. Wo waren die Instrumentalschlachten, die ich auf der "Tales Of The Sands" so geschätzt hatte? Wo waren die markant hervorstechenden Soli oder die Umbrüche innerhalb der Songs, die neben dem arabischen Zierrat den Prog ausmachten? Alles vom Winde verweht!? Und gleichzeitig konnte man alles wieder finden, nur feiner abgestimmt, detailverliebter ineinander greifend. Die Sache ist die: MYRATH haben es mit erlesener Genauigkeit geschafft, das Beste aus ihren Vorgänger-Scheiben als Quintessenz auf "Shehili" zu verewigen. Kantige Wildheit wurde etwas zurecht geschliffen, Emotionalität und Sangbarkeit ein elementarer Platz eingeräumt, die sich perfekt abgestimmt in die kraftvollen und arabesk verschnörkelten Songstrukturen anschmiegen. MYRATH verlassen sich dabei kompositorisch auf ihre ihnen eigenen Grundmauern, während sie alles im Aufbau - Komplexität, Feinheiten, die erzählende Kunst und Emotionalität veredeln und auf die goldene Spitze treiben. Fast schon ein göttlicher Hör-Höhenflug von der ersten bis zur letzten Sekunde.  Ja, ich weiß, "Übertreib mal nicht". Aber was soll man machen, wenn Melodik, Härte und Emotionen eine perfekte Symbiose ergeben, die Abwechslung und das Hörvergnügen jeglichen Anflug von Langeweile und Gleichmütigkeit zum Verrotten in den Wüstensand verscharrt hat und die Detailverliebtheit einen genauso umhaut wie die passende Einschleifung des "arabischen Erbes" in die einzelnen Songs. 

Und dabei ist es vollkommen müßig, abzuwägen, ob es nun der qualitativ hochwertigen Vocals von Zaher Zorgati geschuldet ist, den mannigfaltigen melodischen Erlebnissen im variierenden Instrumentarium mit orchestralen oder folkloristischen Einschlägen, den Piano-Einlagen oder einfach dem emotionalen Erzählstil, der einen mehr verzaubert. Auf jeden Fall bekommt man mit mächtigen Krachern wie "No Holding Back" oder "Born To Survive", Songs wie "You´ve Lost Yourself", in welchen Zahers Sangeskunst so richtig glänzen kann, einem sehr prog-lastigem "Monsters In My Closet" (nebenbei eines meiner persönlichen Herzstücke auf dem Album), oder dem rebellisch-rauerem "Darkness Arise", das etwas an die frühere Wildheit anknüpft, ordentlich Niveau in die Gehörgänge.

"Lili Twil" bietet sich sogar als Quasi-Cover-Version eines arabischen Pop-Songs an, der für unsere Ohren im Original wohl eher mittelprächtig interessant ist, MYRATH daraus aber einen emotionalen Höhenflug erschaffen haben. "Mersal" funktioniert, halb englisch, halb arabisch wunderbar im Midtempo. "Shehili" selbst entfaltet am Ende vollkommen würdig für diese überdimensionale Scheibe seine Weite mit Tempowechseln, progressiven Zutaten und einer Menge getragener Epicness. Und dann wäre da unter anderem noch "Stardust", der Song, der drohte, als fein gestimmter Abklatsch des "Legacy"-Traumsongs "Duat" zu enden, dann aber doch voll und ganz überzeugen konnte. 

"Shehili" weht nunmehr seit an die zweieinhalb Monate durch meine Wohnung, durchs Auto und wo auch immer sonst man so zum Musik hören kommt. Und die Scheibe will einfach nicht langweilig werden. Nicht.Ein.Song! MYRATH haben es wieder geschafft, sich selbst zu übertreffen! Dumm nur, dass sie diese Leistung wohl nie wieder werden toppen können. Und somit schließe ich diesen viel zu langen Text, an dem ich viel zu lange gearbeitet habe und widme mich wieder dem Album, das mich wie ein arabischer Flaschengeist verfolgen wird, bis ich endlich meine drei Wünsche ausgesprochen haben werde. (Und ich werde mich hüten, dies zu tun!)

5 / 5 - Lisi Ruetz


Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Martin Weckwerth
Seite 3: Lady Cat
Seite 4: Christian Wilsberg
Seite 5: Sonata
Seite 6: Lisi Ruetz
Seite 7: Fazit


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