DARK TRANQUILLITY - Das "Moment" Gangbang Review

DARK TRANQUILLITY sind ja doch eine eher spezielle Truppe. Die lang dienende schwedische Melodic Death Formation gehört zu den prägendsten Acts dieses Genres und entfernte sich eigentlich nie wirklich von ihren Wurzeln (im Vergleich zu mehr oder weniger erfolgreichen stilistischen Ausflügen von Genrekollegen...) entwickelte sich jedoch trotzdem stetig weiter. Für mich standen – rückwirkend eigentlich unverständlicherweise – DARK TRANQUILLITY durch ihre über die Jahre vergleichsweise eher ruhigere und getragenere Art immer ein wenig im Schatten und zündeten erst mit Verspätung. Was wohl auch daran lag, dass ich es, trotz vieler Begegnungen mit der Band auf diversen Festivals, noch nie (!) zu einem Live-Auftritt schaffte. Durch die aktuellen Entwicklungen dieses Jahres, weiß man auch nicht, ob es nun jemals dazu kommen wird... doch das nur am Rande. Es bleibt zumindest die brandneue Musik aus der Konserve, die man genießen kann.

Im Falle des vorliegenden „Moment“, gibt es sogar gar viel zu genießen. Denn die Schweden legen den Fokus ihres neuen Outputs so stark wie noch nie auf eingängige Melodien, behalten dabei aber zu jeder Zeit genügend Härte, dass man auf ausgiebiges Rübeschütteln nicht verzichten kann. Gleich der Opener „Phantom Days“ setzt in den Vocals ausschließlich auf die harte Tour und kann mit einem absolut zwingenden Riff ein fettes Statement setzen. In der Folge finden DARK TRANQUILLITY wieder einmal einen gut ausbalancierten Mix aus hingebungsvollem Gerülpse, als auch melancholischem Cleangesang, zwischen denen Sänger Mikael Stanne scheinbar mühelos hin und her gleitet, ohne die geringsten Qualitätseinbußen auf beiden Seiten.

Die musikalische Tiefe, die aus teils wirklich großartig geratenen Melodiebögen erwächst, entfaltet sich langsam und sachte wie eine Knospe. Trotzdem „Moment“ durch seinen Fokus auf massiv eingängige, packende Refrains eigentlich vom Fleck weg zündet, zeigt sich die verspielte Seite des Albums, die auf seinem Abwechslungsreichtum und den häufigen, punktgenau inszenierten Tempowechseln fußt, erst nach einigen Umdrehungen mehr. Doch dann gräbt sich „Moments“ derartig tief in die Gehörgänge, dass man sich nur noch schwer von dem Album losreißen kann.

Dabei sind es sowohl kantigere, düster-aggressive Songs wie „A Drawn Out Exit“ oder „Failstate“, die den Charakter der Platte prägen, als auch Titel mit unfassbar auf den Punkt komponierten Refrains, die wie Leuchttürme aus dem wogenden Kaleidoskop von „Moment“ ragen. Exemplarisch erwähnt sei hier „Standstill“, dessen Symbiose aus harschen Strophen und gar herzzerreißendem Cleangesang im Refrain tiefe Marken im Hörorgan hinterlässt und Potenzial hat, den Hörer wochenlang zu verfolgen. Einen Schritt weiter geht das beinahe fröhliche „Empires Lost To Time“, das ohne Cleangesang auskommt, aber dessen Hookline sich besonders heftig im Gehörgang festbeißt.

Zum Abschluss zeigen sich DARK TRANQUILLITY, ganz in der Tradition früherer Alben, von ihrer sanften Seite und liefern einen melancholischen, mit elektronischen Elementen angereicherten Song im DEPECHE-MODE-Stil, dessen von Gitarre und Schlagzeug gekonnt aufgebaute Epik im Refrain Gänsehautfeeling verspricht. Ein weiteres der zahlreichen Highlights auf „Moment“.

Die Schweden sollte man einfach nie unterschätzen. Da glaubt man auf den ersten Hördurchgang, ein eher getragenes, mehr oder minder durchschnittliches Album vor sich zu haben, das man einige Zeit recht exzessiv hören wird und das nach kurzer Zeit vom nächsten ähnlich gelagerten Album abgelöst wird – doch dann saugt einen „Moment“ nach etwas Bedenkzeit derart tief in seinen musikalischen Kosmos, dass man sich jäh mit einem seiner persönlichen musikalischen Highlights des ohnehin äußerst fruchtbaren Jahres 2020 konfrontiert sieht. Glaubt mir, das kam auch für mich überraschend. Aber DARK TRANQUILLITY kratzen derart vehement an der Höchstnote, dass ich es selbst kaum verstehen kann. Vielleicht mag „Moment“ für manchen ein eher durchschnittliches Stück schwedischen Melodietods darstellen, doch mich erreicht es gerade auf allen Wellenlängen. Glücklicherweise ist das hier ein Gangbang, da darf ich mir vollkommen unreflektiert einen Ast drüber abfreuen... [nicht nur du! Anmerkung des Gangbang-Organisators]

 

4,5 von 5 Punkten


Inhaltsverzeichnis:

Seite 1: Einleitung
Seite 2: Pascal Staub
Seite 3: Anthalerero Majere
Seite 4: Ernst Lustig
Seite 5: Hans Unteregger
Seite 6: Lord Seriousface
Seite 7: Fazit


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