Interview: ALICE COOPER - Alice Cooper

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Dieses Interview ist der Albtraum, der Raum füllt sich mit Wasser und die SPICE GIRLS schwimmen plötzlich daher.

ALICE COOPER, Hohepriester des Schock-Rock sowie redegewandter und überaus sympathischer Zeitgenosse traf sich exklusiv mit Stormbringer in seinem Grazer Hotel, um über seine Albträume, ehemaligen Alkoholprobleme, sein neues Album und "Wayne's World" zu sprechen.

Veröffentlicht am 24.10.2011

Du bist die Horror-Ikone schlechthin und Halloween ist nur mehr wenige Tage entfernt. Was macht Halloween für dich wichtig?

Für uns auf Tour ist jede Nacht Halloween. Es ist eine Mischung aus Horror, Comedy und vor allem Rock’n’Roll. In den letzten 40 Jahren haben wir uns unser eigenes Halloween kreiert. Andere Bands besingen den Valentinstag, wir besingen Halloween. Ist doch lustig oder? Du kannst eine andere Person darstellen, bekommst Süßigkeit und erschreckst Leute. Ich denke aber, dass der religiöse Gedanke völlig verfallen ist. Es geht einfach um den Spaß.

Hattest du in deiner Kindheit ein Lieblings-Halloween-Kostüm?

Ich war immer Zorro. Ich habe keinen blassen Dunst warum. Aber wenn du dir unsere Show ansiehst, wirst du sehen dass dort ein Schwert vorkommt. Zorro hatte immer eine eigene Wirkung auf mich. Bei meinem Auftritt siehst du diesen polternden ALICE COOPER. In der Show gibt es immer etwas Zorro.

Bist du daher schon etwas geschminkt?

Ich war noch nicht in der Maske, aber es ist vorerst ausreichend.

Wie lange dauert es vor der Show, bis aus Vincent Damon Furnier ALICE COOPER wird?

Eine Sekunde. Ich quatsche mit der Band über gewisse Dinge, gehe ganz normal auf die Bühne. Doch sobald der Vorhang hochgeht, bin ich ALICE. Das Publikum, die Location – ich betrachte alles als ALICE. Nicht einmal die Band weiß dann mehr wer ich bin. Sobald die Show zu Ende ist, bis ich sofort wieder die Privatperson. ALICE lebt nur und ausschließlich auf der Bühne. Es gibt keinen Grund backstage oder bei einem Spaziergang ALICE zu sein. Nur auf der Bühne vor Publikum.

War das schon immer so?

Nein, als ich damals noch stark getrunken habe, lebte ich oft in einer Grauzone. Ich konnte niemals so richtigen zwischen mir selbst und ALICE unterscheiden. Als ich dann aber gesehen habe, wie viele meiner Freunde gestorben sind, weil sie ihr Image leben wollten habe ich erkannt, dass ich einen Strich ziehen muss. MICHAEL JACKSON ist daran gestorben, ELVIS PRESLEY ist daran gestorben. Sie waren so groß und berühmt, mussten immer ihre Rolle ausfüllen und sind daran zerbrochen. Sie konnten nicht mehr einkaufen gehen oder Golf spielen. Ich wollte nicht, dass mir dieses Schicksal je widerfährt.

Die Leute kennen mich natürlich, wenn sie sich mit mir fotografieren lassen oder ich Autogramme gebe, aber das ist nicht ALICE. ALICE würde niemals ein Autogramm geben, er würde nie mit dir sprechen. Er spricht ja nicht mal mit mir. (lacht) Er ist seine eigene Kreation und völlig differenziert von mir.

Dein neues Album „Welcome 2 My Nightmare“ handelt wieder von Albträumen. In einem Interview hast du gesagt, dass du deine neuen Albträume dafür niedergeschrieben hast. Welche sind das denn?

Wir alle haben Träume und Albträume. Aber in den Träumen passieren die verrücktesten Sachen und sie scheinen oft logisch zu sein. Stell dir vor wir sind in einem Albtraum. Dieses Interview ist der Albtraum, der Raum füllt sich mit Wasser und die SPICE GIRLS schwimmen plötzlich daher. Plötzlich löst sich das Dach und eine fliegende Untertasse kommt vom Himmel. Irgendwann denkst du dir, dass das wohl Sinn macht, aber wenn du aufwachst ändert sich alles. Du sagst dir „Was? Das ist ja alles völliger Schwachsinn.“ (lacht) Darum dreht sich auch das Album. „I Am Made Of You“ handelt von ALICE, der irgendwie verwirrt scheint. Dann merkt er, dass er nicht einschlafen darf und schüttet sich Koffein rein. Er befindet sich in einem „Runaway Train“, der schließlich einen Unfall hat, worauf ALICE der letzte Mensch auf Erden ist.

Dem ist aber nicht so, denn es gibt eine Gemeinschaft die sich verschworen haben. Plötzlich ist er in einer Disco, an einem Strand, dort und da. Genau das macht ein Albtraum – er entführt dich zu verschiedenen Plätzen. Viele Songs klingen – mit Ausnahme meiner Stimme – auch gar nicht nach ALICE COOPER. „Last Man On Earth“ etwa klingt nach TOM WAITS. „Disco Bloodbath Boogie Fever“ ist ein Schlag mitten ins Gesicht von Disco. Wir haben bewusst stark experimentiert.

Beim Song „What Baby Wants“ mischt die Popsängerin KESHA mit. Das passt doch nicht zusammen oder?

Es passt zusammen, weil ALICE realisiert hat, dass er Teufel gekommen ist, um seine Seele einzufordern. Doch in ALICE‘ Albtraum wäre der Teufel nicht Christopher Lee, Freddy Krueger oder sonst wer. Der Teufel wäre eine Pop-Diva, denn was wäre ja sein schlimmster Albtraum. Mit den schrecklichen Jungs hat ALICE ja kein Problem, aber was tut er mit einer Pop-Diva, die „What Baby Wants, Baby Gets“ tönt? ALICE COOPER würde niemals einer Pop-Diva antworten, aber ein seinem Albtraum muss er ja. Der Song ist wirklich stark geworden und ich weiß jetzt auch, dass KESHA definitiv ein Teufel ist. (lacht laut) Nein, sie ist wirklich großartig.

Gefällt dir ein Song auf dem neuen Album besonders gut?

Da gibt es natürlich einige. „I Am Made Of You“ ist einer, weil er so abweichend zu meinen bisherigen Songs ist. „I’ll Bite Your Face Off“, weil es einfach ein richtiger ALICE COOPER/ROLLING STONES Rock’n’Roll Song ist. Ich liebe ihn. „When Hell Comes Home“, weil er mit der originalen ALICE COOPER BAND aufgenommen wurde. Er klingt auch nach den alten Alben „Killer“ oder „Love It To Death“. (Beide 1971 veröffentlicht – Anm. d. Verf.) Deine Lieblingssongs herauszupicken ist wie dein Lieblingskind zu bestimmen. Du liebst alle gleich, aber aus unterschiedlichen Gründen. „Something To Remember By“ ist möglicherweise der stärkste Song des gesamten Albums.

Du warst der allererste Musiker, der Horror-Elemente in seine Shows einbaute. Wie nachhaltig und stark hast du damit die gesamte Rock- und Pop-Welt verändert?

Wir haben damit eine Tür geöffnet. Vor uns haben alle ihre Gitarren gehalten, ihre Schuhe angesehen und die Songs runtergespielt. Mir ist es darum gegangen, die Sachen über die ich singe, auch zu visualisieren. Wenn ich jetzt den Song „Welcome To My Nightmare“ spiele, den gebe ich den Leuten ihren Albtraum. Sing nicht nur darüber, gibt es ihnen! Ich habe mir immer die ROLLING STONES und THE WHO angesehen. Sie waren so fantastisch, meine großen Helden. Dann sah ich sie live und dachte mir nur: „Warum nutzen sie diese große Bühne nicht?“ Das ist wie wenn ein Zeichner sein Blatt Papier weiß lässt.

Und genau das haben wir gemacht – wir haben die Bühne für das Publikum zum Leben erweckt. Egal zu welchem Preis. Sieh doch nur, was LADY GAGA macht. Das völlig gleiche – sie macht die Bühne lebendig und das haben wir ins Rollen gebracht. PINK FLOYD haben das mit „The Wall“ gemacht. Das Gute an dem Ganzen ist ja, dass wir alle befreundet sind und uns gegenseitig pushen. Wenn ich sehe, dass jemand etwas Tolles macht will ich es überbieten. Es ist natürlich ein Wettkampf, aber er wird zugunsten der Leute geführt.

Du hast schon so viele Showelemente gebracht. Hast du da noch was für die Zukunft in petto?

Oh, da gibt es noch so viele Sachen zu machen. Allein bei den Shows dieser Tour haben wir fünf, sechs neue Sachen, die wir noch nie zuvor angewendet haben. Wenn wir die nächste Tour starten, wird alles völlig neu sein. Es gibt Millionen Dinge, die wir noch nicht gemacht haben. (lacht)

Als du deine Alkoholabhängigkeit überwunden hast, hast du vor allem MEGADETHs Dave Mustaine stark bei seinen Problemen geholfen. War dir das ein so wichtiges Anliegen, diese Erfahrungen weiterzugeben?

Es geht um deine Verantwortung, weil es ein wirklich vernichtendes Thema ist. Ein Rockstar zu sein, den jeder kennt, der jeden Abend spielt und um die ganze Welt tourt – das ist ein verdammt unnatürlicher Lebensstil. Wenn du das nicht verkraftest, dann brauchst du etwas um das Ganze zu erleichtern. Dave hatte es damals schlimm erwischt. Freunde von ihm sind zu mir gekommen und haben gesagt: „Du bist jetzt über zehn Jahre weg von dem Zeug, kannst du ihm nicht helfen?“ Ich sagte „natürlich“, aber er musste mich selbst fragen. Ich konnte nicht als eine Art Prediger zu ihm kommen.

Wenn jemand mit Alkohol- oder Drogenproblemen zu mir kommt, dann helfe ich gerne. Dave hat’s geschafft. Ich habe aber so viele Leute im Spital gesehen die sich „etwas einbremsen“ wollten und ich habe dann immer gesagt: „Aber dann wirst du doch mindestens 20 Mal rückfällig. Du musst damit wirklich aufhören wollen – alles andere wird nicht funktionieren.“ Wenn ich auf sie zukomme funktioniert das nicht, denn der Alkohol spricht zu diesen Menschen lauter als ich. Dave wollte die Sucht stoppen, bevor die Sucht ihn stoppt. Die Frage ist nur, was zuerst kommt.

Du hast viele Nebenrollen in Filmen angenommen. Hast du nicht auch Lust einen Film selbst zu drehen so wie dein Kumpel ROB ZOMBIE?

ROB ZOMBIE sagte zu mir: „Mach das niemals!“ (lacht) Er meinte es wäre der härteste Job, denn er je hatte. Du kannst niemals alle zufriedenstellen und du kannst unmöglich exakt den Film machen, den du im Kopf hast. Du hast großartige Ideen, alles niedergeschrieben und willst loslegen und dann kommt der Produzent und sagt dir, was er nicht haben will oder was du alles ändern sollst. Es ist eine bittersüße Angelegenheit. Du kannst Teile so machen, wie du es willst aber unmöglich den kompletten Film.

Bei einem Album machst du, was du willst. Wenn es die Leute nicht mögen, verkauft es sich schlecht, wenn sie es mögen, wird es ein Renner. Im Endeffekt hast du aber freie Hand. Zu mir kam nie jemand und hat gesagt, ich solle einen Song nicht auf ein Album bringen. Der Sinn dahinter ist es ja, meine künstlerischen Ideen auf das Album zu bringen. Die Plattenfirmen wollen ja mehr Songs von mir. Film und Musik sind zwei wirklich grundverschiedene Welten.

Was würdest du machen, wenn du kein Musiker geworden wärst?

Gute Frage. Höchstwahrscheinlich Hirnchirurg, weil ich mich da so gut auskenne. (lacht) Ich würde wahrscheinlich ein Schauspieler oder Schriftsteller sein. Irgendwas im künstlerischen Bereich. Ich bezweifle, dass ich dauerhaft einen 9-to-5-Kob machen könnte, ich bin dafür einfach nicht gemacht. Wenn ich kein Rock’n’Roller wäre, würde ich also auf einer Bühne stehen, in einem Film mitspielen oder so etwas in der Art. Das wusste ich schon von Anfang an.

Hast du noch Kontakt mit Mike Myers und Dana Carvey von „Wayne’s World“?

Oh ja. Vor nicht einmal einem Monat war ich mit Mike Myers Abendessen. Er ist noch immer so verrückt wie vor 20 Jahren und hat mir von seinen tollen Ideen und Zukunftsplänen erzählt.


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