Interview: Wintersun - Jari Mäenpää

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Die Plattenfirma hat meine Vision und was ich genau machen wollte am Anfang wohl nicht so genau verstanden.

8 Jahre Schaffenszeit für eine neue Platte sind zwar lang, in der Musikwelt aber an sich nichts Aussergewöhnliches. Etwas anders liegt die Sache im Hause WINTERSUN, wo man die Geduld der Fans seit 2004 mit zigfachen Release-Ankündigungen und Verschiebungen strapazierte, so dass die erneute Ankündigung für Oktober 2012 wohl niemand mehr so richtig ernst nahm. Ums vorwegzunehmen: Die Scheibe ist nicht mehr ein blosses Gerücht, sie ist da – und ich hab sie mittlerweile sogar gehört und für grandios befunden! Umso mehr war ich gespannt darauf, von Mastermind Jari Mäenpää im Interview zu erfahren, wie er es fertiggebracht hat, trotz dieser Veröffentlichungs-Odyssee ein derartiges Meisterwerk abzuliefern.

Text: symX
Veröffentlicht am 08.10.2012

In der Musikgeschichte gibt es etliche berühmte Beispiele für ewig verschobene Scheiben – so etwa das unsägliche „Chinese Democracy“ von GUNS N’ROSES oder „Smile“ von Beach Boy BRIAN WILSON, dass nach fast 40 Jahren veröffentlicht wurde und schlussendlich kaum jemanden mehr hinter dem Ofen hervorlockte. Nicht ganz so lange, aber für Fans von WINTERSUN fraglos zu lange, hat der frühere ENSIFERUM-Frontmann Jari Mäenpää an seinem – ursprünglich für 2006 angekündigten und im Oktober 2012 nun endlich enthüllten – Zweitling getüftelt. Anders als bei den oben genannten Gurken hat sich das Warten auf den ersten Teil von Jaris‘ Monumental-Epos aber bei jeder einzelnen Note gelohnt: „Time I“ ist das Über-Meisterwerk geworden, das wohl auch die grössten Optimisten nach den gefühlt hundertfachen Verschiebungen nicht erwartet hätten!


Jari zeigt sich nach den bisherigen positiven Resonanzen spürbar erleichtert und erfreut. Aber offenbar scheint ihm die mit grosser Spannung erwartete Veröffentlichung seines Babys trotzdem keine schlaflosen Nächte zu bescheren:

„Eigentlich bin ich nicht wirklich nervös sondern eher aufgeregt! Bis jetzt waren die Reaktionen von allen Seiten grossartig und ich denke im Moment einfach nicht zu viel darüber nach. Ich habe die grundsätzliche Einstellung, mir im Leben nicht zu viele Sorgen zu machen, das ist nur Zeitverschwendung! Ich bringe einfach mal das Album raus und hoffe, dass es die Leute mögen. Es wäre natürlich schon nicht schlecht, wenn’s gut ankäme, so dass ich auch in der Zukunft solche Produktionen machen könnte, hehe.“

Zu den in den letzten Jahren unter Fans vielfach diskutierten Verschiebungsgründen mag sich Jari nur vage äussern, wobei man den Zeilen entnehmen kann, dass das geplante Budget den hochtrabenden Plänen des WINTERSUN-Meisters regelmässig hinterherhinkte:

„Am Anfang hat es schlicht am Geld gefehlt, um meine aufwändigen musikalischen Vorstellungen umzusetzen. Man muss wohl sagen, dass die Plattenfirma am Anfang meine Vision und was ich genau machen wollte wohl nicht so genau verstanden hat, haha. So blieb mir nichts anderes übrig, als mir selber Schritt für Schritt das benötigte Equipment für mein Homestudio zu kaufen und alles bei mir zuhause zu produzieren. Anfänglich habe ich nicht abschätzen können, welche gewaltigen Computer-Kapazitäten ich benötigen würde, um diese riesigen Orchestrationen umzusetzen. Pro Songs sind teilweise bis zu 200 Spuren angefallen! Schlussendlich habe ich viele Jahre damit zugebracht, gegen Computer-Einschränkungen und andere technische Probleme zu kämpfen. Es ist also nicht etwa so, dass ich 8 Jahre lang auf der faulen Haut gelegen hätte, haha. In dieser Zeit war ich denn auch an keinen sonstigen musikalischen Projekten beteiligt. Ich habe einzig für eine Nuclear Blast Compilation einen neuen Song namens „Devotion“ gemacht. Ansonsten habe ich mich aber ganz auf „Time“ konzentriert. Ich musste deswegen viele Einladungen und Angebote von anderen Bands ablehnen.“


Natürlich hatte Jari nie geplant, den Nachfolger seines 2004-Debüts 8 Jahre in der Pipeline schmoren zu lassen:

„Eigentlich hatte ich die Basic-Tracks bereits 2005/2006 fertig aufgenommen und geplant, die Sache 2006 zu veröffentlichen. Da ich von Anfang an eine ziemlich genaue Vorstellung davon hatte, wo ich mit der neuen Scheibe hinwollte und wie sie klingen sollte, musste ich mir aber schliesslich einfach die Zeit nehmen, die es brauchte, um diese Vision zu erreichen! Und ich denke, das Resultat ist sehr gut geworden und ich bin stolz darauf. Und ja natürlich, wenn ich das Budget von „Chinese Democracy“ (gilt mit 13 Millionen US-Dollar Produktionskosten als teuerste Scheibe der Rockmusik – Anm. d. Verf.) gehabt hätte, dann wäre alles viel einfacher geworden, haha. Schliesslich habe ich aber sogar den ganzen Mix bei mir zuhause gemacht, was schlicht eine unglaubliche Arbeit war.“

„Time I“ ruft beim Hörer beeindruckende Bilder einer fremden Welt hervor, die mit dem Cover-Artwork sehr stimmig eingefangen wurden. Man wähnt sich zeitweise gar als Zaungast eines grossen Fantasy-Epos. Trotz des erzählenden Soundtrack-Charakters von „Time I“ sieht Jari das Ganze aber nicht als Konzeptalbum:

„Auch wenn sich die Songs alle um die Thematik „Zeit“ drehen, erzähle ich darauf keine durchgehende Geschichte. Es geht um die grundlegenden Themen des menschlichen Lebens - wie wenig Zeit wir doch haben und welche Emotionen wir erleben, wenn die Zeit uns durch die Finger rinnt und uns alles genommen wird. Oder welchen Schmerz und welche Sorgen wir erleben, wenn das passiert. Schlussendlich beleuchten die Lyrics die immerwährenden Fragen wie, woher wir kommen und wohin wir gehen.“


Zeitweise erinnern die neuen Klangwelten an eine asiatische Version von „Lord Of The Rings“. Hierbei wäre aber wohl kaum jemand auf die Idee gekommen, dass Jaris‘ Inspiration dazu aus den Urzeiten der Computer-Spiele stammt:

„Mein Interesse für asiatische Musik hat damit angefangen, als ich als kleiner Junge das Commodore 64 Spiel „The Last Ninja“ gespielt habe. Dieses hatte einen epischen Soundtrack, der so cool war und den ich mir auch heute noch anhöre. Und nach dem ersten Album kamen diese Filme wie „Crouching Tiger, Hidden Dragon“ ins Kino, welche mich echt umgehauen haben. Diese ganze majestätische Atmosphäre von Musik und Bildern hat mich auf „Time“ sehr beeinflusst!“


Auf „Time I“ ist der Anteil der Death-Grunts weiter vermindert worden, was für Jari aber nur eine logische Konsequenz, der von ihm verfolgten Vision war:

„Man hat einfach viel mehr Möglichkeiten, mit cleanen Vocals seine Gefühle und die Lyrics auszudrücken. Growling ist dagegen recht eindimensional, aber hat natürlich immer noch einen grossen Stellenwert bei Wintersun und bietet eine gute Möglichkeit, die aggressiven Statements umzusetzen. In den ganzen Jahren habe ich mich vor allem darauf konzentriert, meine gesanglichen Fähigkeiten zu verbessern, was mir hoffentlich auch gelungen ist. Aber ich habe natürlich viele Proben gebraucht, bis ich die Vocals schliesslich eingesungen hatte, haha. Zudem war es mir wichtig, bei diesem Album meine früheren musikalischen Einflüsse aus dem Fenster zu werfen. Natürlich kann ich meinen Wurzeln nicht vollständig entkommen. Aber ich habe versucht mit reinem Herzen zu komponieren, ohne mich beeinflussen zu lassen. Klar ist die Gitarrenarbeit von Metallica und Konsorten inspiriert und gewisse Melodiebögen sind von finnischen Folk-Melodien beeinflusst. Ich habe aber dieses Mal wirklich versucht, etwas von Grund auf Neues zu erschaffen!“

Das Debüt von WINTERSUN wird von den Fans noch heute vergöttert. Jari betrachtet seinen Erstling aus heutiger Sicht aber eher nüchtern:

„Das erste Album war im Vergleich zu „Time“ sehr roh. Zwar hatte es bereits damals sehr viele Spuren und vielfältige Arrangements. Aber für mich war’s nicht genug und ich hätte bereits zu dieser Zeit gerne mehr reingepackt. Leider hatte ich bekanntlich die notwendigen Ressourcen nicht, weshalb das Erstwerk im Vergleich zu „Time“ eigentlich fast eine Art Demo-CD war. „Time“ ist viel reifer und jede Note kommt direkt aus meinem Herzen. Ich war sehr darauf bedacht, dass mich jeder Song emotional berührt. Es ist denn auch eine grosse Reise, vergleichbar mit einem Soundtrack, geworden, mit vielen Dynamikunterschieden – wie eine Achterbahnfahrt. Diese laut-leise-Dynamik ist heute ohnehin eine fast vergessene Kunstform. Den meisten geht es nur noch darum, die Songs möglichst laut hochzuschrauben, damit sie im Radio funktionieren.“



Wenn man sich die gewaltige Produktion von „Time I“ mit fast 200 Spuren pro Track vor Augen führt, mutet es dagegen schon sehr kauzig an, wenn Jari davon erzählt, wie ein solcher Song seinen Anfang nimmt:

„Ich beginne damit, dass ich mal auf der Gitarre ein paar Akkorde spiele und zwar ohne Amp. Ich spiele die elektrische Gitarre also akustisch. Dazu summ ich Melodien und nehme alles mit dem Iphone auf, haha. Erst später beginne ich dann damit, das Ganze auf Cubase mit Midi-Tracks auszuarbeiten.“ Zum Entstehungsprozess der Songs erzählt Jari weiter: „Ich mache zwar immer noch die meisten Kompositionen und Arrangements selber, aber die Jungs helfen mir bei gewissen Aufnahmen. Während WINTERSUN beim ersten Album mehr ein Projekt mit Gastmusikern war, ist es mittlerweile eine richtige Band geworden. Die Drum-Arrangements habe ich beispielsweise zusammen mit Kai Hahto (Drums - WINTERSUN) geschrieben. Bis auf den Bass und die Drums habe ich aber dennoch wieder alles alleine eingespielt. Auch die Vocals stammen praktisch alle von mir. Aber für den zweiten Refrain von „Sons Of Winter And Stars“ habe ich viele Musiker von befreundeten Bands eingeladen. Das hat dann einen einmaligen Chor ergeben!“

Nach dieser langen Wartezeit geht es mit WINTERSUN in den kommenden Monaten dann aber endlich richtig ab:

„Ja, ich kann es kaum mehr erwarten! Zuerst machen wir die Heidenfest –Tour, danach ist im November-Dezember eine US-Tour mit ELUVEITIE angesagt. Und schliesslich ist eine Headline-Tour in den USA im April 2013 im Gespräch. Vorher will ich mich im Januar 2013 aber noch ganz auf das Mixing von "Time II" konzentrieren, damit der auf Ende 2013 angepeilte Release eingehalten werden kann und die Fans nicht weitere 8 Jahre auf die neue Scheibe warten müssen, haha.“ Na dann, Jaris Wort in Odins Ohr!


WERBUNG: Hard
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