Interview: The Devil's Blood - Selim Lemouchi

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Wenn wir über Freiheit sprechen, dann sprechen wir eigentlich auch über die Verantwortung seine eigene Freiheit zu beanspruchen, denn das ist nichts das dir einfach so gegeben wird.

Vor dem Auftritt in der Arena Wien steht mir THE DEVIL'S BLOOD-Mastermind Selim Lemouchi für ein entspanntes und aufschlussreiches Interview zur Verfügung. Der Niederländer philosophiert dabei über Freiheit, Kompromisse und die zentrale Bedeutung der Eigenverantwortung in seiner Musik. Welche Rolle Feuer, Blut und guter Sex dabei spielen, lest ihr nachfolgend.

Veröffentlicht am 11.12.2012

Hallo Selim. Ich möchte mit eurem Album “The Thousandfold Epicentre” beginnen. Ich finde das Album hat einen angenehm warmen Sound und auf Piano, Orgel und Synthesizer wurde viel Wert gelegt. Ist das etwas das du schon immer in dieser Form machen wolltest oder eher eine logische Konsequenz des Vorgängeralbums?

"Auch auf dem ersten Album hatten wird schon Pianos und Synthesizer. Aber in einer eher unterstützenden Rolle. Das aktuelle Album ist hingehen weitaus freier und offener in diesen Belangen. Als ich zuhause an den Songs gearbeitet habe gingen mir all diese zusätzlichen Intstrumental-Parts im Kopf herum. Ich wollte nicht noch mehr Gitarren hinzufügen, also hab ich einige durch Keyboards ersetzt. Das ist einfach der nächste Schritt in unserer Entwicklung."

Lass uns ein bisschen über die Rezeption deiner Band reden. Meinungen über THE DEVIL'S BLOOOD scheinen ja sehr zu polarisieren. Zwischen love-it und hate-it scheint es in eurem Fall nicht sehr viel zu geben. Hast du dich jemals gefragt, wie es dazu gekommen ist?

"Ich glaube es ist das beste Kompliment für einen Künstler, wenn Leute nur eine von zwei Meinungen über dich einnehmen. Entweder bringt dir die Musik etwas oder eben nicht. Du hasst es oder du liebst es. Keine Ahnung warum das so ist, aber teilweise liegt das vielleicht an unseren Lyrics, die dich manchmal dazu zwingen, dich mit einer bestimmten Sache zu beschäftigen. Deine Interpretation sagt dann auch einiges über dich selbst aus. Und wenn dabei etwas herauskommt, das man eigentlich gar nicht fühlen möchte oder etwas, wobei man sich unwohl fühlt, dann kommt etwas klar auf den hate-it-Haufen - und wenn es einem zuspricht, kommt es eben auf die andere Seite. Diejenigen in der Mitte sind sowieso uninteressant, an die darf man eigentlich gar nicht denken. Denn so bald du damit anfängst für diese Leute zu schreiben stirbt die Kreativität in dir. Auf eine gewisse geltungsbedürftige Art und Weise ist es manchmal sogar gut etwas zu wollen von dem du weißt, dass die Leuten, denen du vorher schon nicht gefallen hast, es hassen werden. Aber eigentlich geht es darum sich nicht zu kümmern was irgendjemand denkt. Mach einfach was du machen willst und bleib dabei."

Am Anfang eurer Bandgeschichte wirkte es so, als wärst du nicht gerade begeistert gewesen Interviews zu geben. Es gibt zum Beispiel einige Gespräche auf denen du unter Kapuze gar nicht zu erkennen bist. Heute ist das anders und auch aus deinem Namen machst du kein Geheimnis mehr. Was hat sich verändert?

"Naja, ich habe mich ja nie den Interviews verweigert. Ich hatte nur diese idealistische Sicht, dass wenn ich meinen Namen von der Presse fern halte, dass sich die Leute dann auf die Musik konzentrieren würden. Aber wie Menschen nunmal so sind, und so berechenbar wie sie sind – das hätte ich eigentlich wissen sollen – sie werden dann nur noch neugieriger etwas über einen herauszufinden. Wenn man etwas nicht bezwingen kann ist es manchmal besser mitzumachen und einfach zu sagen was die Leute wissen wollen. So geht man nun von Interview zu Interview, wobei es manchmal zu einer interessanten Konversation mit einem intelligenten Menschen kommt, und manchmal einfach nur frustrierend ist. Das sind einfach Dinge mit denen man klarkommen muss."

Wenn wir schon von solchen Dingen sprechen. Wie schaffst du es dir in dieser Welt deine Freiheit zu erhalten? Die Musikindustrie oder auch die Gesellschaft sind Instanzen die doch ständig Druck auf Individuen ausüben. Wie kommst du damit klar?

"Naja, das mit der Musikindustrie ist gar nicht so schlimm. Wir tun schließlich nur was wir wollen, wann wir es wollen und wie wir es wollen. Es gibt niemanden der uns sagt wie etwas klingen muss oder welchen Song wir auf einer Platte veröffentlichen müssen. Niemand kommt auch nur an diese Entscheidungen heran, dabei geht es nur um mich. Alles muss so sein wie ich das möchte. Aber im weiteren Sinne heißt ein Leben in dieser Welt sich mit gewissen Systemen und Gesetzten auseinandersetzen zu müssen. Das ist natürlich extrem frustrierend aber einige Menschen schätzen die Sicherheit, die diese Versklavung mit sich bringt. Aber ich nicht und ich versuche das auch so gut wie möglich zu bekämpfen. Im Leben kommt man oft an einen Punkt, an dem man entweder alles so akzeptieren kann wie es ist, oder man tut alles dagegen um es zu ändern. Wenn wir über Freiheit sprechen, dann sprechen wir eigentlich auch über die Verantwortung seine eigene Freiheit zu beanspruchen, denn das ist nichts das dir einfach so gegeben wird. Für einige Leute mag das bedeuten auf teure Urlaubsreisen zu fahren, für andere heißt dies wiederum ohne Haus und im Einklang mit der Natur zu leben. Für mich bedeutet Freiheit die Stimme die mir gegeben wurde so einzusetzen, dass sie auf eine bescheidene Art und Weise auch gehört wird. Um das zu erreichen würde ich alles tun und das was sich mir in den Weg stellt muss zerstört werden. Manchmal muss man natürlich auch Kompromisse eingehen und erkennen, welche Teile man akzeptieren kann und welche nicht. Ich glaube das ist eines der wichtigsten Dinge im Leben."

Aber Freiheit für sich zu beanspruchen heißt auch immer, sich der Kritik Anderer auszusezten, oder nicht? Man verlässt auf eine Art und Weise ja das System, nach dem andere Menschen leben.

"Absolute Freiheit heißt auch frei von den Meinungen anderer zu sein. Was immer man auch macht, und welche Meinung andere auch haben, das sollte dich nicht beeinflussen. Das ist wie ein Emanzipations-Prozess, du musst dich selbst ohne äußere Kritik akzeptieren wie du bist. Man muss sich dabei immer wieder fragen, ob man noch selbst die Zügel in der Hand hat oder ob andere bereits Einfluss auf einen ausüben. Das mag zu einem leicht paranoiden Lebensstil führen – aber in gewissen Maßen ist das doch ganz gesund."

Kommen wir zu eurem Bandkonzept. Deine Sichtweise scheint darauf abzuzielen, der Person hinter der Musik so wenig Bedeutung wie möglich zukommen zu lassen. Aber in wie weit können, oder sollen, Musik und Musiker wirklich isoliert von einander betrachtet werden?

"Musik hat für sich selbst quantifizierbare Werte wie Tonaliltät, Harmonie, Struktur, Rhythmus. Diese Dinge sind unabhängig davon, welcher Ideologie oder Sichtweise sie entspringen. Was allerdings eine Rolle spielt ist die Energie, mit der die Musik zustande kommt, die Leidenschaft. Aber ich spreche hier nur von mir persönlich. Mich kümmern Musiker nicht wirklich. Das Warum und das Wie ist mir egal, mir geht es um das Was der Musik. Ein leidenschaftlicher Poet ist jemand, der dir etwas mit dem du nicht einverstanden bist in einer Art und Weise erzählen kann, dass du dir wünscht du würdest mit ihm übereinstimmen. Und das gleiche gilt für Musik. Ein guter Song über ein gebrochenes Herz kann dir Liebeskummer bereiten ohne wirklich liebeskrank zu sein und umgekehrt. Durch meine Musik und die Lyrics drücke ich eine gewaltige Menge an Emotionen aus. Einige Leute berührt das, für andere ist es nur Musik. Beides hat natürlich seine Berechtigung. Mir ist es egal warum Menschen unsere Musik hören, solange sie etwas für sich selbst daraus gewinnen können."

Das scheint etwas zu sein, das dir sehr am Herzen liegt. Du betonst oft, dass es eher um eigene Interpretationen als um eine vorgefertigte Meinung in deinen Texten geht. Aber wie gehst du mit deiner eigenen Musik um? Hat das für dich einen festen Wert hat oder verändern sich die Bedeutungen, die du mit der Musik verbindest, mit der Zeit?

"Es gibt da schon einige lyrische Elemente die ich im Prozess des Schreibens gar nicht bemerkt habe. Wenn Worte zu Papier kommen, dann bekommen sie ihre ganz eigene Bedeutung, und dabei handelt es sich oft um mehr als nur eine. Ich habe erst kürzlich einige von unseren älteren Stücken angehört und habe wirklich ganz neue Wahrheiten darin gefunden. Ich wusste gar nicht, dass die überhaupt da waren – für mich ist das ein belohnendes Gefühl. Meist bin ich so verbunden mit meiner Musik, dass ich sie als Zuhörer gar nicht so schätzen kann wie ich das gerne würde. Aber wenn das passiert ist das etwas Gutes."

Femininität oder Weiblichkeit scheint bei TDB ein wichtiges Konzept zu sein. In wie fern spielt dies, abgesehen vom Geschlecht eurer Sängerin, eine Rolle in der Musik?

"Das ist etwas sehr wichtiges. Viele unserer Songs sind auf einem spirituellen Level von weiblicher Energie inspiriert – und manchmal auch auf einem physischen Level. Eine Menge meiner Songs sind äußerst sinnlich und von sexueller Natur. Diese Dinge muss man erst mal erlebt haben um sie auch ausdrücken zu können. Bei THE DEVILS BLOOD geht es nicht nur um Verstand und Seele sondern auch um Fleisch und Feuer. Und das ist etwas sehr physisches. Gerade heute, als wir geprobt haben, lief ein Song so verdammt gut, dass ich mich danach beinahe post-orgasmisch fühlte, wo man zu dem Punkt kommt, an dem man eine Zigarette rauchen möchte. Das zeigt, wie energiegeladen und körperlich bewegend diese Musik sein kann. Nicht nur im Kopf kann man manchmal die sexuelle Kraft spüren, die durch die Musik ausgedrückt werden. Diese Energie kann männlich oder weiblich sein, aber am interessantesten ist das, wo sich diese beiden treffen - dieser Schnittpunkt zwischen negativ und positiv, Nord und Süd, oben und unten, prick and cunt... "

Aber eure Perfomance zielt doch eher darauf ab, euch von einer fleischlichen Existenz loszureißen.

"Ja, das stimmt. Aber es geht eher darum, sich von seinem negativen Ego zu entfernen; deinem täglichen Ich zu entkommen. Du bist wahrscheinlich Studentin, richtig? Das heißt du musst dich den ganzen Tag mit Büchern herumschlagen und über die Arbeiten nachdenken die du schreiben musst... All dieser Lärm des Alltags hat im künstlerischen Schaffen nichts zu suchen. Man muss sich von diesen Dingen befreien um sein wirkliches Ich zum Vorschein zu bringen. Und das ist wiederum etwas, das auch bei gutem Sex der Fall sein sollte. Wenn du dabei an Steuern denkst wirst du nicht unbedingt gute Arbeit leisten können."

Ich habe das Blut, welches ihr auf der Bühne auf eurer Haut tragt, immer als etwas interpretiert, dass dazu dient, euch den Prozess der Performance auf extreme Art und Weise vor Augen zu führen. Eine Art Auto-Suggestion...

"Ja, schon. Es ist wie beim – jetzt wolle ich masturbieren sagen, aber eigentlich meinte ich meditieren. Es gibt Leute die zünden dabei gerne Kerzen oder Räucherwerk an. Es spielt keine Rolle was man tut um dorthin zu kommen wo man hin will. Alles ist dabei möglich. Man muss einfach frei, offen und klar werden."

Im April habt ihr eine Tour durch Amerika gemacht. Ist dir irgendwas an den USA im Gedächtnis geblieben, dass es vom Touren in Europa unterscheidet?

"Viele Dinge dort sind anders. Was mir wirklich gefallen hat war die Begeisterung und die Hingabe der Leute. Das war ein sehr aufmerksames, respektvolles und auch ruhiges Publikum. Wir sind eine dynamische Band, die manchmal laut, machmal aber auch sehr zurückhaltend sein kann. Wenn man dann sehr ruhig spielt fangen die Leute oft an laut zu werden – manchmal gehen die Leute eben nicht zu Konzerten um Musik zu hören sondern um sich mit ihren Freuden zu unterhalten. Das habe ich noch nie verstanden, denn auch im Kino oder im Theater wäre solches Verhalten unangebracht. Aber so ist das nunmal. Gut, das war etwas, dass mir an Amerika gefallen hat. Nicht so gefallen hat mir, naja die Kultur einfach. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und Geschichte fehlen dort einfach. Was natürlich wiederum gut an diesem Land ist, ist die Tatsache, dass Erfolg immer respektiert wird. Es ist egal was du machst und warum du es machst. Solange du gut in etwas bist wird man dich dafür auch respektieren. In Holland haben wir das in der Art nicht erfahren. Wenn man dort etwas macht, das nicht alltäglich ist wird man grundsätzlich eher belächelt. Das erste Mal als ich in Amerika war habe ich es gehasst. Beim zweiten Mal mit WATAIN war es besser, und jetzt, beim letzen Mal, konnte ich es zeitweise wirklich genießen."

Euer letztes Konzert für dieses Jahr findet beim "Einhoven Metal Meeting" statt. Gibt es schon Pläne für 2013?
Oh ja. Eine Menge Pläne. Aber was wir in erster Linie geplant haben ist ein neues Album aufzunehmen."

Das hört sich doch gut an. Für mich war es das. Ich danke dir für das Interview!
"Danke auch, dass du dir die Zeit genommen hast."


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