Interview: Judas Priest - Glenn Tipton

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Wir müssten wohl zwei Tage durchspielen, um alle zu befriedigen.

Kollege Reini hat das bärenstarke neue JUDAS PRIEST-Album "Redeemer Of Souls" unlängst bis in seine Einzelteile seziert, ich habe mich einstweilen an die Strippe gehängt, um mit Gitarrist und Band-Oldie Glenn Tipton über die Querverweise des neuen Albums zur "Painkiller", die Schwierigkeiten im Frühpensionsalter und driftige Gründe zum Saufen gesprochen.

Veröffentlicht am 12.07.2014

Glenn, bis zum neuen Album „Redeemer Of Souls“ mussten eure Fans sechs lange Jahre warten, in denen ja so einiges passiert ist. Magst du uns das noch einmal kurz zusammenfassen?

Wir haben zwei große Welttourneen gespielt, mussten mit Richie Faulkner einen neuen Gitarristen integrieren und haben die letzten 18 Monate dieser Zeit schon am neuen Album gearbeitet. Die Zeit kann in so einem Fall verdammt schnell vergehen.

Ihr habt wirklich erst vor 18 Monaten damit begonnen?

Naja, eigentlich sitzen wir alles zusammengerechnet schon an die drei Jahre daran.

Wie seid ihr an die Sache rangegangen?

Rob Halford und ich haben bereits langsam mit dem Songwriting begonnen, noch bevor Richie in der Band war. Er hat sich dann aber glücklicherweise perfekt in unsere Arbeitsweise eingegliedert und es ging ohne Probleme weiter. Im Prinzip arbeiten wir aber schon seit fast 40 Jahren gleich – Rob und ich tüfteln an Ideen, werfen die dann zusammen und formen daraus die JUDAS PRIEST-Songs.

Habt ihr auch auf ältere Ideen oder Songfragmente zurückgegriffen?

Alles ist brandneu. Ich denke, nach dem „Nostradamus“-Doppelalbum waren die Fans wieder hungrig auf ein richtiges JUDAS PRIEST-Album und das ist das, was wir ihnen jetzt geben.

Basiert „Redeemer Of Souls“ wieder auf einem Konzept?

Nicht wirklich. Es gibt schon einige Songs, die thematisch zusammenhängen, aber ein durchgehendes Konzept haben wir dieses Mal nicht verwendet. Mit „Nostradamus“ haben wir unsere Lust auf Konzeptalben im Prinzip abgearbeitet. Das war ein wirklich interessantes und auch herausforderndes Projekt für uns, auf dessen Ergebnis ich auch wahnsinnig stolz bin. Aber wenn du so ein Mammutprojekt einmal fertiggestellt hast, hast du nicht unbedingt Lust darauf, einen zweiten Teil nachzulegen.

Der Titeltrack und „Halls Of Valhalla“ waren als erste Songs bekannt und überzeugten mit einem richtig fetten Sound. Ich gehe sogar soweit zu sagen, dass ihr mit dem neuen Werk verdammt nahe an euren ewigen Klassiker „Painkiller“ rankommt. Was denkst du darüber?

Viele Leute, die sich diese Tracks angehört haben vergleichen das neue Album mit „Painkiller“. Das freut mich auch wirklich zu hören, denn wir haben wirklich viel Zeit und Energie in den Sound dieses Albums gelegt. Wir haben die Songs im Studio live eingespielt – als bekannte und anerkannte Live-Band war das auch mein Ziel, diesen Klang unserer Konzerte möglichst gut reproduzieren zu können. Wir haben alles altherkömmlich mit Mikrofonen aufgenommen und nicht auf moderne und digitale Tricks zurückgegriffen. Wir sind mit dem Ergebnis wirklich sehr zufrieden.

Glaubst du, dass es auch am Einfluss eures neuen Gitarristen Richie Faulkner liegt, dass ihr vom Sound her mehr Richtung alte Zeiten gegangen seid?

Richie ist eine völlig neue und erfrischende Energiequelle für die Band. Wir sind ja keine Youngsters mehr und es tut wirklich gut, frisches und junges Blut bei PRIEST zu haben. Er sieht viele Sachen von einem anderen Standpunkt und ist außerdem extrem enthusiastisch und motiviert. Das hat uns als Band im Gesamten sicher nach vorne gebracht.

Wie war die Arbeit mit deinem neuen Kollegen für dich persönlich? Immerhin hast du zuvor 37 Jahre lang mit KK Downing zusammengespielt.

Einfach großartig. Wir haben im Sinne des Songwritingprozesses ja absolut nichts verändert. Wenn jeder mit seinen Ideen kommt und im Studio das Licht angeht wissen wir, dass daraus mit Sicherheit ein Song entstehen wird. Richie passt wirklich traumhaft in unsere Truppe.

KK Downing hat sich 2011 dazu entschlossen, in musikalische Pension zu gehen. Vermisst du ihn an deiner Seite und hast du noch Kontakt zu ihm?

Ich muss schon ehrlich sagen, dass wir unheimlich viele Jahre zusammengearbeitet und dabei so manch guten Song geschrieben haben. Als KK sich dazu entschied, die Band zu verlassen war das nicht leicht für uns – anfangs sahen wir gar keine Zukunftsperspektiven mehr für JUDAS PRIEST. Richie war wirklich ein Glücksfall zum richtigen Zeitpunkt. Ich weiß nicht, ob es die Band sonst noch weiter gegeben hätte.

KK und du gehörten zu den ersten Musikern überhaupt, die im Heavy-Metal-Bereich die berühmten Twin-Guitar-Solos salonfähig machten. Wie kann man sich nach 40 Jahren und so vielen Songs noch an alles erinnern und punktgenau abrufen?

Was weiß ich (lacht). Wir haben über die Jahre wirklich schon so einige Songs erfunden und offenbar glauben die Leute, wir könnten ohnehin alles locker runterspielen – dem ist aber nicht so. Wenn wir auf Tour sind und auf selten gespielte, alte Songs zurückgreifen, müssen wir die ohnehin wieder neu lernen. Man glaubt immer, das wäre alles so einfach, aber wenn ich manche alten Songs wieder spiele, muss ich einen komplett neuen Ansatz finden. Ich kann manche Songs überhaupt nicht mehr genau nachspielen und vergesse manchmal, welche Techniken ich früher angewendet hatte. Ich denke aber, dass das nach so vielen Jahren ganz normal ist.

Gibt es auch Songs, die mittlerweile zu schwierig sind, um sie live zu spielen?

Ich sage es mal so – es gibt viele Songs, die verdammt viel Übung benötigen (lacht). Ob ich die dann spielen werde? Keine Ahnung.

Viele Fans haben sich bei euren großen Tourneen in den letzten Jahren beschwert, dass sich Rob Halford stimmlich nicht mehr auf der Höhe befinden würde. Ich finde aber, gerade auf „Redeemer Of Souls“ klingt er so frisch wie in alten Tagen. Ging das mit einer Therapie einher?

Ich muss erst einmal sagen, dass ich nicht nachvollziehen kann, wie man Rob überhaupt kritisieren kann, schließlich hat er die unglaublichste Stimme im gesamten Heavy-Metal-Segment. Er schafft immer noch Töne und Höhen, die niemand anders erreicht und er hat damals live genauso wie jetzt im Studio unheimlich Gas gegeben. Für mich hatte er nie wirkliche Schwächephasen.

Stimmt es, dass er sich unlängst operieren lassen musste, weil sich sein Bauchnabel nach außen stülpte? Zudem hat er schon lange Probleme mit seinem Rücken.

Das stimmt – ich kenne die exakte medizinische Bezeichnung für seine Krankheit nicht, aber er litt wirklich an starken Schmerzen und das machte eine Operation unverzichtbar. Die Rückenoperation war aber sehr erfolgreich und es geht ihm mittlerweile wieder sehr gut.

Es wird in punkto Liveshows dadurch also keine Probleme geben?

Ich hoffe nicht, sicher kann man sich nie sein.

Bis auf Richie steckt ihr alle bereits mitten in euren 60ern und da ist das Touren sicher nicht mehr ganz so einfach. Wie haltest du dich heute fit?

Derzeit fische ich extrem oft in Schottland und dauernd im Wasser zu stehen und den Fischen nachzujagen, hält dich wirklich fit. Ich achte aber sehr auf mich, spiele viel Tennis und manchmal auch Fußball. Ich bin jetzt kein Fitnessfreak, weil ich das alleine trainieren ziemlich langweilig finde und lieber Gemeinschaftssport betreibe. Man muss in dem Alter einfach darauf achten, aktiv zu sein.

2010 habt ihr die „Farewell“-Tour gespielt und nicht wenige Fans waren sich sicher, dass damit das endgültige Ende der Band erreicht sei. Wie war die Situation damals wirklich?

Also ein Ende war nie in Sicht, es ging immer nur um das Livespielen. Die Tour war wirklich verdammt lang und wir sind Abend für Abend an die zweieinhalb Stunden auf der Bühne gestanden. Wir lieben es, auf der Bühne zu stehen, aber all die anstrengenden Punkte spielen sich rund um die Auftritte ab. Die Flughäfen, das ewige Reisen, die Security und die Tourbus-Trips. Das fordert dich schon ordentlich heraus und je älter du wirst, umso mühsamer und beschwerlicher werden all diese Reisen.

Ihr werdet aber doch sicher wieder mit dem neuen Album im Gepäck unterwegs sein?

Wir werden schon einige Konzerte spielen. Die letzte Tour war definitiv unsere letzte Welttournee – aber wir werden ab etwa Oktober einige ausgesuchte Konzerte ansetzen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dabei auch Österreich und Deutschland am Plan stehen werden.

Euer Debütalbum „Rocka Rolla“ feiert heuer seinen 40. Geburtstag – eine unheimlich lange Zeit für eine Metal-Band. An was erinnerst du dich dabei besonders gerne bzw. weniger gerne zurück?

(lacht) Für mich persönlich war der Auftritt beim Live Aid eines der größten Highlights meiner Karriere. Es hat einfach so gut getan, ein Teil dieser Bewegung zu sein. Am schlimmsten war wohl die Zeit Mitte der 80er-Jahre, wo wir alle auf der Anklagebank in den USA saßen, weil sich zwei junge Menschen umbringen wollten und deren Eltern uns verklagten, weil es nur an unserer satanischen Musik gelegen haben konnte. Es hab natürlich viele Hochs und Tiefs in dieser langen Zeit – auch untereinander innerhalb der Band. Das ist aber wohl nirgends anders. So ist das Leben.

Werdet ihr diesen 40. Ehrentag im Laufe des Jahres auch noch feiern?

Möglicherweise werden wir uns noch irgendwann ordentlich betrinken (lacht).

Wie wäre es, das komplette „Rocka Rolla“-Album live zu spielen?

Das wäre natürlich eine Idee. Aber wer weiß schon, was in Zukunft passieren wird.

Wirklich stark kritisiert wurdet ihr 1986 für euer Disco-lastiges Album „Turbo“. Wie siehst du diese Aufregung im Rückspiegel?

Heute sehe ich das sowieso alles entspannt. Als wir „Turbo“ veröffentlichten, klang das Album natürlich anders und ungewohnt – die Leute mussten sich erst mit dem Material zurechtfinden und es akzeptieren. Wenn wir aber „Turbo“ heute live spielen, ist die Nummer wirklich heavy und das ganze Publikum singt mit. Wir hatten niemals Angst davor, zu experimentieren. Manchmal können dir die Menschen halt nicht folgen und tadeln dich dafür, damit musst du umgehen können. Aber du musst auch mal experimentieren, um vorwärts zu kommen.

Ist es nach so langer Zeit noch immer einfach und frisch, mit den ganzen Bandkollegen zusammenzuarbeiten?

Wir sind wie eine Familie, da gibt es überhaupt nichts. Wir haben schon immer alles so gelöst, dass bei allen Ideen jeder zustimmen muss. Ist auch nur einer von uns mit etwas nicht einverstanden, wird es nicht gemacht. Bei JUDAS PRIEST herrscht eine wirklich gute Atmosphäre.

Was war für dich das ultimative JUDAS PRIEST-Album und warum?

Ich glaube, das kann man nicht auf einem festmachen. „Sad Wings Of Destiny“, „Screaming For Vengeance“, „British Steel“ und „Painkiller“ sind mit Sicherheit die ganz großen Klassiker, die unsere Karriere wiederspiegeln. Man sollte aber all die Alben dazwischen nicht übersehen oder ausklammern, aber mir ist schon bewusst, dass die zuvor genannten unsere absoluten Meilensteine waren.

Gibt es nachbetrachtet auch Alben, mit denen du gar nicht mehr zufrieden bist?

Naja, es gab natürlich Alben und Songs, die längere Zeit im Fadenkreuz standen. Neben „Turbo“ waren das etwa „Desert Plains“ oder „Hot Rockin‘“ vom „Point Of Entry“-Album. Das sind wohl nicht unsere besten Werke gewesen, aber selbst bei den schlechtesten Alben hast du immer etwas drauf, worauf du stolz bist, was eine gewisse Langlebigkeit besitzt.

Gibt es auch Songs, die du gar nicht mehr live spielen möchtest?

Spätestens wenn du abends auf der Bühne stehst und das Publikum dir zujubelt, all deine großen Hits mitgrölt, sind auch die tausendfach gespielten Songs wieder großartig. „Living After Midnight“ oder „Breaking The Law“ haben wir wirklich schon bis zum Exzess gespielt, aber wenn du die Energie der Menschen mitkriegst, wenn sie nicht nur die Refrains, sondern auch ganze Strophen singen, dann bereitet es dir wieder Freude wie am ersten Tag.

Wenn du ganz persönlich deine perfekte JUDAS PRIEST-Setlist aussuchen könntest – wie würde die aussehen?

Diese Frage kann man unmöglich beantworten. Jeder einzelne Mensch hat seine eigenen Ideen davon, wie das perfekte PRIEST-Set auszusehen hat – es ist also tatsächlich unmöglich, auch nur irgendeinen Konsens zu finden. Du kannst „The Sentinel“, „Hell Bent For Leather“ oder „Electric Eye“ spielen oder auch weglassen. Es wird immer jemanden geben, dem dieses und jenes nicht passt. Es war für uns selbst aber natürlich aufregend, bei der letzten Tour nach so langer Zeit den Song „Never Satisfied“ von der „Rocka Rolla“ zu spielen. Wir müssten wohl zwei Tage durchspielen, um irgendwie alle zu befriedigen.

Was sind eure näheren Ziele für die Zukunft, womit kann man bei euch rechnen?

Es geht momentan wirklich darum, die richtigen Tourdates zu wählen, um ab Herbst wieder in den Hallen zu spielen. Wir nehmen einfach, was kommt und nehmen uns nichts Großartiges vor. Ob es ein neues Album geben wird? Lass uns einfach abwarten.

Habt ihr denn noch Ideen oder Songs übrig, die ihr eventuell noch veröffentlichen könnt?

Wir haben eine ganze Menge Ideen, aber das sind jetzt keine ganzen Songs, sondern eher Riffs und einzelne Passagen. Ob die jemals an das Tageslicht schwappen, mag ich jetzt aber noch nicht versprechen.


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