Interview: FEAR FACTORY - Dino Cazares

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Ich musste damals mit Max Cavalera um das einzige vorhandene Demo-Tape wrestlen...

Ihr wollt wissen, warum FEAR FACTORY-Pummel Dino Cazares mit Superfrau Heather Locklear in trauter Zweisamkeit Wein trank? Weshalb man FF-Drumspuren auf einem BON JOVI-Album hören kann und wieso die Band einmal aus Maschinen bestehen könnte - dann lasst euch dieses Gespräch nicht entgehen...

Text: Robert Fröwein | Fotos: Kalti
Veröffentlicht am 22.12.2015

1995 war ein Jahr, wo der Metal schon ziemlich im Arsch war. Gut, Bands wie DISSECTION, FAITH NO MORE und Co. haben natürlich noch relevante Alben ans Tageslicht befördert, aber insgesamt war es der Anfang vom temporären Ende. Nicht aber für die Industrial-Death-Metaller von FEAR FACTORY, die mit "Demanufacture" nicht nur ein zeitloses und nahezu perfektes, sondern auch ein ungemein innovatives Album aus dem Boden stampften, das nicht nur die fiktionalen (??) Thematiken der kultigen "Terminator"-Filme auffasste, sondern auch stark mit den damaligen Problemen des ansonsten so mondänen Sonnenstädtchens Los Angeles kokettierte. Junge Unbekümmertheit traf auf politisches Interesse, Mensch auf Maschine, Weitblick auf Engstirnigkeit - zumindest wenn man den mühsamen Produktionsprozess als Beispiel heranzieht. Vor der großen (und großartig gelungenen!) Jubiläumsshow zu 20 Jahre "Demanufacture" in der Wiener Arena nahm sich Gitarrist und Bandboss Dino Cazares sehr viel Zeit, um mit uns die guten alten Tage zu rekapitulieren. Oftmals als launische Diva verschrien, war er an diesem nasskalten Novemberabend sichtlich erfreut über das europaweit große Medieninteresse und die durchwegs guten Feedbacks zum aktuellen Album "Genexus", das aufgrund der großen Feierlichkeiten etwas unterging. Nach dem gut 40-minütigen Interview quatschte Dino noch amüsiert und erfreut über seine Lieblingslokale in L.A., wie er seine Zeit verbringt, wenn seine zu Besuch kommenden Freunde sich von den Universal Studios vereinnahmen lassen und erklärte, warum der Sunset Strip und das private Taxiunternehmen Uber eine magische Allianz darstellen. Doch das alles sind Geschichten für einen anderen Tag - hier geht es um blutige Aufstände, hübsche Berühmtheiten und unfreiwillige Albumbeteiligungen...

Dino, derzeit gibt es ja tonnenweise Dinge von euch zu feiern. 25 Jahre FEAR FACTORY, 20 Jahre „Demanufacture“ und das brandneue Album „Genexus“…

…ja, das ist fast ein bisschen viel auf einmal. (lacht) Auch die vielen medialen Anfragen, das waren wir die letzten Jahre nicht gewohnt.

Hast du dir 1990 schon gedacht, dass diese Band eine so lange Lebenszeit haben würde?

Nein, auf keinen Fall. Wir sind sehr dankbar für diese 25 Jahre und die Chance, dass wir noch immer live spielen und neues Material veröffentlichen können. Natürlich hatten wir immer im Hinterkopf, große Rockstars zu werden, Hallen zu füllen und die Welt zu bereisen, aber wenn die Realität einsetzt merkst du schnell, dass das beinharte Arbeit ist. (lacht) Wir haben von Anfang an verdammt hart gearbeitet und vom ersten Album weg die ganze Welt betourt. Wir haben dieses Gefühl förmlich inhaliert, immer weitergemacht und sind jetzt hier, 25 Jahre später. Was will man mehr?

Gab es einen bestimmten Punkt, wo ihr genau wusstet, dass ihr es jetzt geschafft habt?

Definitiv beim zweiten Album, „Demanifacture“. Da wussten wir, dass wir etwas Cooles erschaffen haben, das den Leuten gefällt. Wir spielten schon 1993 nach dem Debüt „Soul Of A New Machine“ auf dem legendären Dynamo Festival in Holland, aber 1995 waren wir wirklich ganz weit oben auf der Running Order und da spürten wir, dass wir es geschafft hatten. Dieses Album hat uns alle Türen geöffnet. Allein in Deutschland haben wir 1995 14 Shows gespielt, das ist eine ziemliche Menge. Auch in Großbritannien wurden wir extrem groß, Gold gab es auch in Australien und in den USA tourten wir mit MEGADETH und IRON MAIDEN. Dann auch noch mit SEPULTURA und alle wussten plötzlich, wer wir waren. Das Album war seiner Zeit weit voraus, es gab keine Band, die auch nur annähernd nach uns klang. Die Produktion, das Songwriting und auch der Gesangsstil von Burton waren komplett neu und wir haben damit viele Leute und Bands beeinflusst, bis heute noch. Burtons Vocal-Style wurde seither zigmal kopiert.

Es war das erste Mal, dass Burton Death-Growls und Cleangesang derart wirkungsvoll vermischte.

Auf „Soul Of A New Machine“ hat die Welt erstmals davon gehört, aber erst auf „Demanufacture“ wurde dieser Stil perfektioniert und als cool empfunden. Die selbsternannten Death-Metal-Elitären haben sich auf dem Debüt immer gefragt, was dieser Gesangs-Bullshit sein soll und haben nach den CARCASS- und NAPALM DEATH-Vocals gesucht. Wir haben das aber durchgezogen und zwei Jahre später wurde es cool. Wir haben uns aber auch um 360 Grad gedreht, sind gereift und in allen Belangen besser geworden. Wir tourten viel durch Amerika, haben uns von guten Bands viel abschauen können und ständig dazugelernt. Wir sind quasi auf Tour erwachsen geworden. „Soul Of A New Machine“ hatte 17 Songs, das war einfach zu viel, weil wir die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen überschätzt haben. Auf „Demanufacture“ waren es dann wesentlich weniger und wir waren viel fokussierter. Auch Burtons Stimme wurde immer besser, wir wurden instrumental immer tighter und das Album war einfach ein Ergebnis von zwei Lehrjahren auf Tour.

Interessant ist ja, dass der gesamte Metal 1995 quasi brachlag und nur wenige Bands, wie eben ihr oder PANTERA wirklich erfolgreich waren. Lag das daran, dass ihr so stark mit dem Sound experimentiert habt?

Wir waren einfach furchtlos. Wir kannten damals schon Techno und Tanzmusik, aber als wir nach Europa kamen, haben wir sie auch gesehen, gefühlt und erlebt. Diese Bässe, diese Beats, das hat uns alles weggeblasen. Aus diesem Grund haben wir die Remix-EP „Fear Is The Mindkiller“ erschaffen. Damals haben wir Augen und Ohren für alle Arten von Musik geöffnet. Alle Arten von Metal, aber auch EDM und Techno. Wir haben einfach all diese Einflüsse verbunden, in einen Topf geworfen und mit aggressiven Vocals vermischt, die auch Metalfans mögen würden.

Als Burton erstmals Death-Growls mit dem Cleangesang vermischte, wusstest du da schon, dass diese damals noch so einzigartige Vorgehensweise für Aufregung sorgen würde?

Wir haben eine alte Demo, wo es so gut wie keinen Cleangesang von uns zu hören gibt. Bei einem bestimmten, melodischen Gitarrenpart von mir hat sich Burton daran versucht. Es hat mir gefallen, ich wollte mehr davon hören und so wurde es zu einem Teil und Markenzeichen der Band.

Habt ihr damals auch überlegt, rein elektronisch zu werden, den Metal beiseite zu legen, nachdem ihr von der europäischen Electro-Szene so fasziniert wart?

Wir haben das auf „Remanufacture“ gemacht, aber den Metal hätten wir sonst nie ganz rausgehauen. Metal ist in unser aller Herzen, es würde gar nicht ohne gehen. Auf „Remanufacture“ haben wir so stark experimentiert, wie später nie wieder. Auch diese EP hat viele Türen für andere Bands geöffnet, weil plötzlich viele Bands Remixes gemacht haben. Im elektronischeren Bereich war das mit Bands wie MINISTRY, NINE INCH NAILS oder KMFDM aber schon gang und gäbe. Wir merkten aber, dass es keine Metalbands taten und so waren wir auch dort führend in der Szene. All dieses Remixes landeten dann in Videospielen oder Filmsoundtracks, weil es die Produzenten liebten. Wir hatten schon immer Dance-Elemente, die auch in Werbungen und Spots verwendet wurden.

Hast du bereits 1995, zum Zeitpunkt der Aufnahmen und der Veröffentlichung von „Demanufacture“ gespürt, dass dieses Album tatsächlich zeitlos sein könnte?

Nein, ich dachte damals nur, es wäre eine endlose Arbeit. (lacht) Ich wusste, dass wir etwas Großes erschaffen haben, aber du kannst das nicht an den Menschen festmachen. Die Aufmerksamkeitsspannen und Vorlieben für gewisse Genres ändern sich so schnell, dass man sich einfach niemals sicher sein kann. Nun sitze ich hier, 20 Jahre später, rede über dieses Album und spiele es Abend für Abend in seiner vollen Pracht – das ist einfach großartig.

Ich finde eure Entscheidung mutig, dieses Kultalbum so zu promoten und damit zu touren, obwohl ihr mit „Genexus“ ein wirklich gutes neues veröffentlicht habt. Andere Bands würden sich wohl eher darum kümmern.

Das sehe ich ähnlich, aber wir spielen auch einen Haufen neuer Songs, nur klar, der Fokus liegt auf dem „Demanufacture“-Jubiläum. Das Label war damit einverstanden, so passte es allen. Das Album ging im Juni 1995 in den Verkauf, also hatten wir nur ein Zeitfenster von Juni 2015 bis Juni 2016, um es angemessen live zu würdigen. Dann wäre es zu spät, also mussten wir diese Zeitspanne nutzen. Mittlerweile fragen uns die Leute ja schon, ob wir das mit „Obsolete“ dann auch machen. Was weiß denn ich? (lacht)

Ein Kultmusiker in Hochform - Dino Cazares und Co. boten eine Top-Show in der gefüllten Wiener Arena

Auf dem Album habt ihr damals Christian Olde Wolbers Bass-Credits gegeben, obwohl du im Prinzip alle Bassspuren eingespielt hast. Warum denn das?

Das Label wollte das unbedingt so haben, sie wollten es nach einer Band aussehen lassen und nicht nach nur drei Mitgliedern. Ich bin aber auch als Bassist miterwähnt, aber das mit Christian stimmt.

Und heute bereust du es, dass du da mitgespielt hast?

(lacht) 50/50. Das ist eine harte Frage.

Eigentlich war „Demanufacture“ ein logisches Produkt, wenn man sich eure Historie ansieht, immerhin wart ihr ursprünglich von Bands wie MINISTRY oder GODFLESH beeinflusst.

Auf jeden Fall, das waren unsere größten Idole. Auch HEAD OF DAVID, von denen wir auf „Demanufacture“ den Song „Dog Day Sunrise“ gecovert haben. Aber Idole waren natürlich auch NAPALM DEATH, CARCASS, SLAYER und METALLICA – sie alle hatten einen großen Einfluss auf uns. Auf unserer ersten Demo klangen wir wie GODFLESH. Burton und ich hatten vor FEAR FACTORY eine Band namens ULCERATION, die bestand nur ein Jahr und wir waren ein Rip-Off von GODFLESH. Als wir die Band gründeten kam der damalige Roadrunner-Chef Monte Connor in mein Apartment und ich spielte ihm das Demo vor – es klang ihm aber zu sehr nach GODFLESH und zu wenig nach einer eigenen Note. Das hat mich ziemlich fertig gemacht und wir haben einfach weitergearbeitet und ein Album namens „Concrete“ aufgenommen. Wir hatten also einen Haufen Tracks und plötzlich kam Max Cavalera von SEPULTURA zu mir, hörte sich das Teil an und war hin und weg. Er meinte, wir müssen unbedingt damit zu Monte gehen und nahm mir die Kassette weg. Es war meine einzige Kopie, also musste ich mit ihm darum wrestlen, sie zurückzubekommen. (lacht) Er hat dann Monte angerufen und wollte anfangs nicht, wegen der ersten Sache eben, aber er ließ sich überreden, hörte sich das Demo an und hat uns gesignt. All das passierte innerhalb eines Jahres.

Beim Produktionsprozess hattest du doch mehrere Beefs mit Star-Producer Colin Richardson.

Absolut, wir hatten einige Probleme miteinander. Angefangen hat es schon damit, dass er mir verbieten wollte, meinen eigenen Verstärker zu verwenden. Er wollte, dass ich den benutze, den er für CARCASS und MACHINE HEAD verwendet hat, aber was hat das für einen Sinn? Dass ich wie diese Bands klinge? Eben nicht, dafür habe ich ja meinen eigenen Verstärker. Natürlich habe ich mich dann durchgesetzt und das zweite Problem war, dass er keine Ahnung von den elektronischen Elementen hatte. Er wollte sie total zurückschrauben, weil er keine Erfahrung mit dieser Art von Musik hatte. Für mich war aber wichtig, dass sie im Vordergrund standen. Am Ende haben wir ihn gefeuert. Wir haben dann Greg Reely und Rhys Fulber integriert, was die beste Entscheidung unseres ganzen Lebens war. Sie stellten Keyboards und Elektronik an die Front, verstanden unsere Vision.

Damit einhergehend wurde die ganze Sache natürlich auch ungemein teurer.

Das kannst du annehmen, Mann. Damals war das unendlich viel Geld. Das Album hat uns am Ende etwa 200.000 Dollar gekostet. Zum Vergleich: „Soul Of A New Machine“ kostete etwa 25.000 Dollar. (lacht) Aber Monte Connor hörte die Songs und war komplett von den Socken. Er vertraute uns und den Songs und hat uns immer unterstützt.

Wie war damals die Arbeitsatmosphäre innerhalb der Band, nachdem ihr alle ziemlich starke Charaktere seid?

Zu dieser Zeit war alles okay, das änderte sich später bekanntlich. (lacht) Aber wir zogen damals alle an einem Strang, waren extrem fokussiert und uns im Prinzip immer einig, wenn wir Christian ausklammern. Rhys Fulber hat uns stark geholfen, all die Atmosphäre, die Klänge und die „Terminator“-Samples zusammenzubasteln. Es war ein großartiges Team, eine großartige Kombination und am Ende ein hervorragendes Ergebnis.

Wichtig war ja nicht nur die musikalische Geschlossen- und Nachvollziehbarkeit, sondern auch das lyrische Konzept. Wie seid ihr dazu gekommen?

„Terminator“ war ein Teil unserer Inspirationsquellen, aber auch Filme wie „Falling Down“, „Dune – Der Wüstenplanet“ oder „Blade Runner“. Aber zu dieser Zeit, zwischen 1992 und 1995, ging es in Los Angeles in vielen Bereichen richtig zur Sache. Wir hatten große Brände, dann folgten die Flut und viel Schlamm, welcher die Häuser zerstörte. Danach kamen die Rodney-King-Aufstände in der Stadt und die nationale Garde marschierte mit Waffen durch die Straßen und 1994 gab es dann auch noch das Riesen-Erdbeben, das die gesamte Stadt erschütterte und viele Todesopfer forderte. All diese Ereignisse erschütterten die Stadt in ihren Grundfesten und wir sahen die Zerstörung von Los Angeles. Von Gang-Gewalt bis hin zu den Aufständen, die Army patrouillierte damals sogar, es war irre. L.A. veränderte sich vehement und für uns war es wie ein Untergang. Das Gegenteil von Erschaffen ist Zerstören und deshalb auch „Demanufacture“. Die Metapher dafür war quasi, dass etwas Neues kommt, nachdem all die Scheiße passiert ist. All diese Erlebnisse und Einflüsse zogen in unsere Lyrics ein. Die erste Zeile auf dem Album hieß „desensitized by the values of life“ – so sahen wir die Stadt damals. Jeder hat den anderen abgeknallt, allen war alles egal. Es war nichts anderes als urbaner Terrorismus. Direkt gegenüber von meinem Zuhause schützten Leute mit Gewehren auf den Dächern ihre Habseligkeiten. Das Album war einfach eine Reflektion auf unsere Erlebnisse.

Mit Sicherheit eines der wichtigsten Alben der Metalgeschichte - Happy Birthday, "Demanufacture"!

Es gibt sehr viele Leute, die der Meinung sind, das Albumkonzept wäre rein fiktional gewesen.

Nein, das war es definitiv nie. Es gibt einen Charakter, der sich durch das ganze Album zieht. Er ist ein Krimineller, weil er gegen die Regierung, die Technologie und die Maschinen kämpft, mit seiner eigenen kleinen Armee, die im Untergrund verankert ist. Der Charakter wurde aus einer Vergewaltigung seiner Mutter gegenüber geboren, er wuchs also mit viel Wut und Frustration auf, war aber auch sehr klug und wollte etwas verändern. Er musste aber gegen die Technologie und die Zukunft kämpfen und da haben wir eben die „Terminator“-Parallele. Das Album geht durch verschiedene Phasen seines Lebens. Zum Beispiel der Song „Pisschrist“, wo die Religion angezweifelt wird. Wo ist der Gott, wenn man ihn braucht, wenn die Welt vor die Hunde geht? Am Ende des Albums haben wir den Song „A Therapy For Pain“, wo er bereit ist zu sterben, ihn der Engel des Todes aber am Leben lässt.

Nicht nur die Musik, auch die textlichen Inhalte von „Demanufacture“ sind im Prinzip immer noch zeitgemäß und aktuell. Hier hat in 20 Jahren nichts etwas von seiner Wirkung verloren...

Das Konzept geht ja weiter bis zu unserem neuen Album „Genexus“, wo Mensch und Maschine sich zu einem singulären Hybrid vereinen. Das ist alles echt und aktuell. Internationale Wissenschaftler wie Stephen Hawking warnen schon lange davor und versuchen diese Entwicklung mit allen Kräften aufzuhalten. Er sieht die Zerstörung, die passiert. Das ist verrückt und verdammt bizarr und ich bin froh, dass ich das wohl nicht mehr erleben muss. Das wird laut Experten in etwa 50 Jahren beginnen und da wäre ich dann schon knapp 100, also bleibt mir das wohl erspart – auch wenn ich es gerne sehen würde.

Stimmt eigentlich das Gerücht, dass ihr beim Aufnahmeprozess von „Demanufacture“ damals BON JOVI aus dem Studio geblastet habt, die zur gleichen Zeit aufnahmen?

Ja, das ist richtig. BON JOVI waren im großen Studio, wir im mittelgroßen und im kleineren waren ebenfalls gleichzeitig FAITH NO MORE. Mit den Jungs hingen wir die ganze Zeit zusammen, aber BON JOVI kamen, spielten und waren wieder weg, während wir anderen auch außerhalb der Studiozeiten Spaß hatten. An einem Tag kam der Produzent von BON JOVI rüber und meinte, wir müssten den Sound runterdrehen, weil er durch die Wände hämmerte und sich in den Drum-Mikrofonen festsetzte. Wenn BON JOVI also Drums aufnahmen, rollte „Demanufacture“ drüber. (lacht)

Das BON JOVI-Album „These Days“ beinhaltet also unfreiwillige Outtakes von der „Demanufacture“.

Wenn du ganz genau hinhörst, könntest du vielleicht etwas davon vernehmen. (lacht) Ein Typ kam zu uns rüber und meinte, wir sollten ein paar Sandwiches holen und den Krach etwas leiser machen. Es war Jon Bon Jovi selbst, der keine Ahnung hatte, wer wir waren. (lacht) Ich ging dann in die Lounge, dort gab es einen netten Fernseher, einen Kühlschrank voller Getränke, Billardtisch – alles was das Herz so begehrt. Ich saß dort also mit unserem Drummer Raymond Herrera und plötzlich kam Heather Locklear mit einer Flasche Wein des Weges, die ja damals mit BON JOVI-Gitarrist Richie Sambora zusammen war. Raymond trank überhaupt keinen Alkohol und ich für gewöhnlich keinen Wein, aber wie könnte ich da nein sagen? Sie fragte ganz freundlich, ob sie das Fernsehprogramm ändern dürfte und da lief „T.J. Hooker“, wo sie mitspielte. Dann hat sie wirklich schnell weitergeschaltet, mir Wein angeboten und ich sagte zu. Hättest du als Nicht-Weintrinker "nein" gesagt, wenn dir fucking Heather Locklear ein Glas anbietet? Raymond lehnte ab und sie hat sich nur darüber gewundert und ihn gefragt, ob er verrückt wäre. Er war dann so beschämt, dass er rot anlief und den Raum verließ. Also saß ich plötzlich ganz alleine mit der verdammten Heather Locklear auf einem gemütlichen Sofa, sah mit ihr fern und trank ein Glas Wein. Sie war verdammt heiß, berühmt und eine gute Schauspielerin – diesen Moment werde ich mein Leben lang nicht vergessen. (lacht)

Burton hat unlängst in einem Interview gesagt, dass die amerikanischen Promoter nicht an FEAR FACTORY-„Demanufacture“-Shows interessiert wären. Warum ist dem so?

Ich habe keine Ahnung, warum er das gesagt hat, denn als er das Interview gab, hatten wir noch nicht einmal darüber gesprochen. Wir haben noch nicht einmal den Plan ausgesprochen, das überhaupt zu machen. Ich weiß nicht, wie er darauf gekommen ist, aber von meiner Warte aus ist das alles noch überhaupt nicht diskutiert. Es wird aber mit Sicherheit passieren, davon gehe ich auf jeden Fall aus. (lacht)

Welchen Stellenwert hat „Demanufacture“ für dich persönlich in der gesamten FEAR FACTORY-Diskografie?

Es ist wohl das wichtigste Album unserer gesamten Karriere. Das Album hat uns alle Türen geöffnet und machte es auch möglich, dass wir daraufhin mit „Obsolete“ das nächste starke Album schreiben konnten. Mit „Demanufacture“ sind wir drei Jahre durchgehend getourt. Europa, USA, Europa, USA, Japan – ohne Pause. Drei Jahre meines Lebens waren quasi vorüber. Ich habe meine Freunde nicht gesehen, hatte kaum Zeit für die Familie und sah die Kids nicht aufwachsen. Wenn wir daheim waren, dann gerade mal zum Umpacken und Wäschewaschen, nie länger als vier oder fünf Tage und weiter ging es. Es war unglaublich, aber auch verdammt wichtig für die gesamte Karriere. Mit diesem Album haben wir ein Zeichen im gesamten Metal-Business gesetzt. Es haben nicht nur Sound, Produktion, Töne und Vocals gepasst, auch das Albumcover war perfekt. Es passte zum Text, zu der Mischung aus Mensch und Maschine – der Barcode mit dem maschinellen, als auch menschlichen Gerippe.

Glaubst du, dass FEAR FACTORY jemals wieder einen ähnlichen Erfolg mit einem Album haben könnten wie damals?

Möglich wäre es wohl schon, aber für mich ist es schon ein Erfolg, wenn die Leute meine Alben mögen – das muss jetzt noch gar nicht viel mit dem Finanziellen zu tun haben. Ich werde morgen wohl nicht plötzlich reich werden, aber Musik zu machen, um die Welt zu reisen und Leute mit unserer Musik glücklich zu machen, das definiere ich als Erfolg.

„Genexus“ ist ein wirklich starkes Album geworden – werdet ihr in absehbarer Zeit auch Touren machen, wo ihr doch das neue Studioalbum in den Vordergrund stellt?

Mit Sicherheit, wir sind diesen Sommer auch schon vor der „Demanufacture“-Tour in Europa unterwegs gewesen.

Das war aber auch vor dem Release von „Genexus“, die Fans kannten euer Material also noch nicht.

Das stimmt, aber wir haben schon einige Nummern davon gespielt. Das war natürlich eine Vor-Promotion, in den USA haben wir sogar zweimal dafür getourt. Wir werden nächsten Sommer aber fix wieder zurückkommen, ein paar Festivals und eine Menge Konzerte dazwischen spielen. Haltet also die Augen offen!

Für mich ist „Genexus“ eigentlich eine schöne Mischung aus den „alten“ und „neueren“ FEAR FACTORY. Würdest du sagen, dass dieses Werk die Karriere deiner Band gut zusammenfasst?

Jeder hat ja seine Meinung dazu und wenn das deine ist, dann finde ich das natürlich auch cool, doch wenn ich an einem Album schreibe, versuche ich immer das beste meines Lebens zu erschaffen. Wir haben uns ein gutes Jahr Zeit genommen, um es zu schreiben, aufzunehmen und zu veröffentlichen. „The Industrialist“ war bereits nach sechs Monaten fertig und wenn man sich zu stark beeilt, kann das ein Album beschädigen. Das wollten wir dieses Mal ausschließen und deshalb haben wir die Songs reifen lassen. Wir haben sie zigmal angehört und konnten dadurch Teile so oft verändern, bis wir wirklich glücklich damit waren. Ich finde, mit „Genexus“ hat die Band das nächste Level erreicht. Ich wollte auch wieder etwas grooviger werden, denn „The Industrialist“ war sehr kalt und tight – davon wollte ich unbedingt wieder weg. Hier haben wir den Groove wieder gefunden, nimm nur mal „Soul Hacker“ als Beispiel, der Song erinnert stark an „Edgecrusher“.

Du hast dich auch dazu entschlossen, wieder einen Drummer aus Fleisch und Blut zu verwenden. Auch das war bei „The Industrialist“ noch anders.

Das stimmt, mit dem Drum-Programming waren die Leute offensichtlich weniger happy. (lacht) Ich wollte es aber versuchen und stehe immer noch hinter dieser Entscheidung, aber die Mehrheit eben nicht. Es gibt aber so viele Bands, die das genauso machen und niemals zugeben würden, dass sie auf einen Drumcomputer setzen – wir sind wenigstens ehrlich, andere leider nicht. Unsere Fans haben wir damit ein bisschen verärgert, aber was soll’s, es kann nicht immer alles funktionieren und man kann auch nicht alle glücklich machen. Mike Heller ist jetzt mittlerweile seit knapp vier Jahren bei uns und er hat eine wirklich tolle Leistung abgeliefert – alles im grünen Bereich also.

Wenn du auf 25 Jahre FEAR FACTORY zurückblickst – bereust du etwas oder würdest du gerne etwas ändern?

Ich kann nicht sagen, dass ich etwas bereue. Alles hat seinen Grund, auch die vielen Line-Up-Wechsel und die verschiedenen Popularitätsphasen der Band. Seit ich wieder in die Band zurückgekehrt bin, ist der Kern der Band, also Burton und ich, absolut in Ordnung. Wir haben seither drei Alben veröffentlicht, alles ist auf Schiene. Die Technologie übernimmt die Macht und alles andere wird eben obsolet. Egal ob Magazine, CDs oder gewisse Jobs, die Menschen früher bekleidet haben. Alle Firmen werden immer industrialisierter und maschineller. Wir haben diesen Wechsel also gesehen und ich würde mir wünschen, wir hätten unrecht gehabt, aber das war’s auch schon mit den Klagen von meiner Seite. (lacht)

Gene Simmons hat mal gesagt, er könne sich vorstellen, dass KISS mit anderen Musikern unter dem traditionellen Facepaint auf ewig überleben würden. Könnten FEAR FACTORY zum 50. Geburtstag aus Robotern und Maschinen bestehen?

Das wäre der Wahnsinn. Es gibt ja schon eine Roboterband, die nach einem Sänger sucht. Eigentlich passiert dieses Szenario ja sogar schon. (lacht) In Japan arbeiten sie schon mit Hologrammen. Hier in Europa und den USA überlegt man, wie man Freddie Mercury, Ronnie James Dio oder Elvis Presley als Hologramme in ein Konzert einbauen kann, aber in Japan ist das längst Realität. Es gibt im Hintergrund die besten Songschreiber, die für eine Fake-Band die Nummern schreiben und als Sängerin wird ein Hologramm von WHITNEY HOUSTON verwendet. Das alles wird als richtige, neue Band verkauft. Du kannst dir das Zeug schon auf YouTube ansehen – eine Band spielt im Hintergrund, ein Hologramm blendet den Star ein und ein falsches Mädchen tut so, als ob es singen würde. Die Band ist echt, das Hologramm falsch. Sie füllen in Japan Stadien mit 50.000 Menschen, das ist irre. Andererseits – hätte ich auch so ein Hologramm von mir, könnte ich es mir Zuhause gemütlich machen und mein Alter Ego programmieren. (lacht) Eigentlich eine gute Idee für das Rentenalter...

HIER geht es noch zum Livebericht und den Fotos von den Kollegen Kalti und Rosenberger.


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