Interview: PENTAGRAM CHILE - Anton Reisenegger

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Der durchschnittliche 80er-Jahre-Metaller ist für mich der schlimmste Spießer überhaupt.

Stormbringer rückte zu Monatsbeginn ins Wiener Escape aus, um Kult-Musiker Anton Reisenegger zu 30 Jahren PENTAGRAM CHILE zu gratulieren und über so manch interessante Anekdote aus alten Tagen zu reden...

Veröffentlicht am 24.12.2015

Wenn man von Extreme-Metal-Legenden im Underground spricht, dann fällt die Sprache früher oder später unweigerlich auf Anton Reisenegger. Nicht nur, dass der gechillte Chilene (höhöhö) mit den Thrashern CRIMINAL und dem Rumpel-Kollektiv LOCK UP zwei absolute Bandperlen am Start hat, nein, mit den kultigen PENTAGRAM CHILE war er vor fast exakt 30 Jahren an der allervordersten Front der südamerikanischen Brachial-Szene. Warum der heuer gefeierte Geburtstag trotz etwa zwei Jahrzehnten Abwesenheit keine Mogelpackung ist, ist nur eines der vielen interessanten Themen, die es im knautschigen Backstage-Bereich des Wiener Escape Metalcorner zu besprechen gab. Dort feierten PENTAGRAM CHILE Anfang Dezember nämlich ihre Österreich-Livepremiere, was jetzt zwar nicht Kosmopolit Reisenegger, aber seine feurigen Mitstreiter aus dem fernen Südamerika ordentlich Freude und Spannung bereitete. Im gemütlichen und langen Talk ging es aber nicht nur um Wohl und Wehe der chilenischen Underground-Legende, sondern auch um Freundschaften in der Metalszene, Anton's häufige Wohnortwechsel, die Probleme mit der falschen Trveness und CD-Sammlungen in Mamas Keller. Lehnt euch zurück, macht euch ein Bier auf und genießt die Worte eines Helden - der gerade deshalb einer ist, weil er partout keiner sein will...

Anton, auf eurer Facebook-Bandseite hat unlängst jemand geschrieben, dass er sich auf PENTAGRAM mit Bobby Liebling gefreut hätte, dann euch sah und diese Verwechslung schlussendlich als Glücksfall bezeichnet hat. Wie oft ist euch so etwas schon passiert?

Das passiert tatsächlich öfter. Obwohl wir sehr unterschiedliche Musik machen, sprechen wir in gewisser Weise das gleiche Publikum an. In unseren Verträgen und Korrespondenzen legen wir viel Wert darauf, als PENTAGRAM CHILE promotet zu werden, aber die Veranstalter pennen oft und dann stehen eben Leute vor der Tür, die den Liebling sehen wollen. Es gibt auch keine großartige Alternative. Einen ganz anderen Namen zu nehmen, macht für mich keinen Sinn, denn die Leute wollen ja diese PENTAGRAM sehen, die 1987 die Demos machten. Der Kompromiss war eben der Zusatz „Chile“. Ich finde ja, wir haben von unserer Seite her schon genug gemacht, aber möglicherweise müssen wir noch strenger werden, damit das umgesetzt wird.

Warum habt ihr euch denn eigentlich erst im Mai 2012 endgültig PENTAGRAM CHILE genannt?

Wir waren bis 2009 quasi inaktiv und wir haben erst damals unsere erste Europa-Tour passiert. Sogar das Wacken hat damals unsere Bio, aber das Foto von den anderen PENTAGRAM abgedruckt. Da merkten wir wirklich, dass wir was tun müssten. Lustigerweise waren wir auf dieser Tour auf dem „Hells Pleasure“, wo wir quasi zusammen mit den anderen PENTAGRAM spielten. (lacht) Wir haben mit ihnen gelabert und die schienen kein Problem damit zu haben, aber wir wollten dann einfach mal sichergehen, dass es für beide besser funktioniert – daher die Änderung.

Auf dieser Tour fand im Escape Metalcorner nicht nur die allererste Österreich-Show von PENTAGRAM CHILE statt, ihr bereist ganz viele Länder zum ersten Mal. Für dich als „Weltbürger“ ist das nichts Neues, aber wie reagieren deine Bandkollegen auf die neuen Eindrücke?

Für die ist das mit Sicherheit aufregend. Wir sind ohnehin nie viel unterwegs gewesen. In den 80er-Jahren haben wir vielleicht zehn Gigs gespielt. 2001 war dann die einmalige Reunion-Show und erst 2009 ging es dann wirklich los. Dies hier ist eigentlich unsere erste richtige Tour, die wir als Support mit INCANTATION spielen sollten, aber die hatten sich davor mit der Agentur verkracht und es hat nicht funktioniert. Wir hatten das schon so lange geplant, dass wir das dann trotzdem durchgezogen haben. Acht bis zehn Stunden im Van zu sitzen kann anstrengend sein, aber das Schöne ist ja, dass überall Leute auftauchen, die sich schon lange mit der Band befassen und vielleicht sogar die alte 7‘‘-Inch zuhause stehen haben. In größeren Städten kommen auch viele Chilenen und all das ist ziemlich speziell.

Durch eure Gründung 1985 gehört ihr wirklich zur ersten Welle der Extreme-Metal-Bands und die kultische Verehrung, die euch zuteil wird, ist sicher berechtigt. Aber ist das Tour-Motto „30 Demented Years“ nicht ein bisschen eine Mogelpackung, wenn man die fast 20 Jahre Auszeit dazwischen betrachtet?

(lacht) Okay, am 28. Dezember sind es halt genau 30 Jahre, seit wir unsere erste Show gespielt haben. Ich finde schon, dass man das feiern kann – auch wenn wir lange inaktiv waren.

Gibt es genau an diesem Datum auch eine spezielle Geburtstagsshow?

Nein, denn zu diesem Datum sind wir schon wieder alle in verschiedenen Ländern, aber es wird einen Facebook-Post geben. (lacht)

Was war denn der Grund, dass die Band 1992 endgültig auseinanderbrach, sie aber jetzt doch wieder sehr gut zu funktionieren scheint?

Es gab 2001 nur eine einzige Reunion-Show, die wir damals für eine DVD aufgenommen haben und wir spielten die Show nur, weil ich in diesem Jahr beschloss, nach Europa zu ziehen. Wir sahen das damals als letzte Chance, denn ich wusste damals nicht, was aus meinem Leben wird und ob ich überhaupt weiter Musikmachen würde. Kurz davor hatten wir die alten Demos auf CD veröffentlicht und es gab wieder gesteigertes Interesse. Wir haben die Show gespielt, um uns auch selbst zu befriedigen und damals wusste ich eben nicht, dass ich weiter so semprofessionell Musikmachen würde. Ich stieg später bei LOCK UP ein und CRIMINAL gingen auch weiter. Durch den Re-Release der Compilation „Under The Spell Of The Pentagram“ von Cyclone Empire 2008 kam erneut mediales Interesse auf uns zu und dann kam das Wacken-Angebot. Wir haben dann noch ein paar Gigs zusammengesucht und alles durchgezogen und in dem Moment war die Chemie in der Band auch geil und wir spielten besser als in den 80er-Jahren. Wir haben uns dann entschieden, endlich ein Album zu machen. Dass das wieder länger gedauert hat, lag dann an internen Problemen. Unser Drummer Eduardo war komisch drauf und wir mussten in auswechseln, das hat noch einmal ein Jahr gekostet und somit waren wir erst 2013, 28 Jahre nach der Bandgründung, damit fertig.

Euer Drummer hat sich dann dafür entschieden, eine politische Laufbahn einzuschlagen. Hast du das weiterverfolgt bzw. noch Kontakt zu ihm?

Momentan habe ich keinen Kontakt zu ihm, er ist ein ganz eigener Charakter. Ich hatte immer den Eindruck, dass er lieber an der Front stehen als hinter dem Drumkit sitzen würde. Er hat auch versucht in verschiedenen Bands zu singen, hat aber überhaupt keine Stimme dafür. Die Politik war dann wohl auch geeignet dafür, seine Persönlichkeit in den Vordergrund zu stellen. Er ist zwar nur Lokalpolitiker in einem kleinen Bezirk in Santiago, aber immerhin hat er das bislang gut durchgezogen. Wenn er das so wollte, freue ich mich für ihn. In Chile kann man auch als Politiker lange Haare haben.

Aus welchem Grund bist du 2001 nach Europa gezogen?

Das hatte mehrere Gründe. Einer war, dass CRIMINAL nach einer ziemlich steilen Aufwärtskurve plötzlich stagnierten, was auch mit der Krise im Musikbiz zu tun hatte. Wir waren bei BMG, einem Majorlabel, unter Vertrag und nach einer ersten US-Tour wurde uns gekündigt bzw. wurde uns ein lächerliches Angebot unterbreitet, dass wir so nicht annehmen konnten. Ich hatte zudem eine ganze Weile den Eindruck, dass mit CRIMINAL dort nicht mehr viel zu erreichen war. Wir haben damals mit SLAYER und auch SEPULTURA bei der „Chaos A.D.“-Tour gespielt – viel mehr ging da nicht mehr. Zudem wollte ich auch persönlich raus, weil mir die Mentalität in Chile einfach ein bisschen zu respektlos war. Nach einer Weile hatte mich das einfach angekotzt. Ich war das schon lange gewohnt, aber ich wollte auch mal was anderes sehen und damals war es noch nicht gang und gäbe, dass chilenische Bands in Europa touren. Das entstand größtenteils nur dadurch, weil der chilenische Staat dich jetzt unterstützt und du Kohle bekommst, um im Ausland zu touren.

Du bist dann erst einmal nach London gezogen?

Zuerst nach London, da war ich etwa zwei Jahre. 2003 bin ich dann für fünf Jahre nach Deutschland gezogen und dort ging es mit dem Geschäft langsam abwärts und aus familiären und auch persönlichen Gründen haben wir uns für Spanien entschieden. Etwa zeitgleich habe ich bei LOCK UP angefangen und mit einer Radioshow für einen chilenischen Sender. Das hat alles gut zusammengepasst.

In Deutschland warst du die fünf Jahre bei Metal Blade Records tätig, eben zu einer Zeit, als es gerade die großen Umwälzungen im Musikgeschäft gab. Wie hast du das damals erlebt, von der anderen, für Musiker eher unbekannten Seite?

Zu einem gewissen Zeitpunkt arbeiteten 15 Leute bei uns im Büro, ein paar Jahre später waren es plötzlich nur noch vier. Das ganze Geschäft wurde von den Amerikanern direkt übernommen, dort werden die dicken Entscheidungen getroffen. Das hatte natürlich auch damit zu tun, dass der mittlerweile leider verstorbene Michael Trengert ausstieg. Er war der Kopf von Metal Blade Europa und nach seinem Ausstieg haben die Amis alles wieder outgesourced. Den Vertrieb zur Sony etwa, nur die Promo blieb noch. Sie wollten eben einfach alles reduzieren und einsparen.

Ist dir durch diese Erfahrungen nie die Lust auf das Musikgeschäft vergangen?

Nein, das zog ich nie in Erwägung. Für mich ging ja die Tür bei LOCK UP auf, was bislang super geklappt hat. Ich würde einfach immer weiter Musikmachen, egal ob ich davon leben kann oder nicht. Irgendwann will ich vielleicht nicht mehr touren, aber ganz aufhören werde ich wohl nie.

Wo fühlst du dich eigentlich zuhause oder gibt es für dich eigentlich ein richtiges Zuhause?

Eine gute Frage. Mein Daheim ist im Moment San Sebastian in Spanien. Eine schöne Stadt, in der es sich gut leben lässt. Meine Familie und mein ganzer Freundeskreis ist natürlich in Chile, dort wuchs ich auch auf. Ich war auch schon 32, als ich von dort wegzog und in diesem Alter hat mein sein Leben schon festgelegt, was die sozialen Kontakte betrifft. Es ist natürlich cool, dass ich in den verschiedensten Ecken der Welt Freunde habe, aber die guten alten, richtigen Beziehungen, die sind natürlich noch in Chile verortet. Das sind ja auch die wichtigsten im Leben.

Du kannst dir also vorstellen, irgendwann wieder nach Chile zurückzugehen?

Absolut, aber erst wenn ich etwas älter bin – ich habe hier noch viel zu tun.

PENTAGRAM CHILE mit Anton Reisenegger und Bassist Dan Biggin erstmals in Wien-Action - (c) Robert Fröwein

Wie alle Musiker, die Mitte der 80er im Metal ihre Bands gründeten, warst auch du in erster Linie ein Fan. Es gibt herrliche Jugendbilder von dir und Max Cavalera beispielswiese – wie wichtig war für euch als Band aus Chile schon damals der Kontakt zu diesen bekannten brasilianischen Bands?

Für uns war das schon wichtig. Im Jänner 1987 bin ich erstmals nach Brasilien gefahren und die Szene war natürlich viel weiter als in Chile. Es gab Labels, Magazine und auch gute Venues, wo die Bands spielen konnten. In Sao Paulo, Rio und Belo Horizonte war extrem viel los und es hat mich schon neidisch gemacht, dass SEPULTURA so schnell weitergekommen sind und wir im letzten Loch gewohnt haben. Wir hatten irgendwie keine Hoffnung, dass uns etwas Wichtiges passieren würde. Das war einer von vielen Gründen, warum wir uns dann aufgelöst haben.

Tape-Trading war auch bei dir ein großes Thema und eure Demos sind wirklich kultig und waren schon damals extrem begehrt. Blickst du da etwas wehmütig auf diese Tage zurück, wenn du jetzt zusehen musst, wie jeder Ottonormalverbraucher eure Songs kostenlos auf Spotify streamen kann?

Es war einfach eine andere Zeit, das ist nun einmal so. Nostalgie habe ich da keine. Aus diesem Blickwinkel war es eine schöne und interessante Zeit, aber ich idealisiere die 80er nicht. Sie waren für uns auch sehr schwierig. Du konntest kein anständiges Equipment bekommen, es gab kaum Konzertstätten und wir hatten ständig Ärger mit der Polizei und der Presse. In dieser Hinsicht waren die 90er besser, wo alles professioneller war und man in Chile auch mal einen Marshall-Verstärker kaufen konnte. Gegen den Umgang der Musik kann man nichts machen, aber ich finde auch diesen Vinylhype derzeit etwas übertrieben und nicht ganz durchdacht. Es hat ja auch andere Aspekte, als sich nur etwas in den Schrank zu stellen. Da Vinyl hin- und herzuschiffen kostet viel Geld, die Presswerke kommen nicht an und es ist extreme Rohstoffvergeudung, wofür viel Öl vergeudet wird. Dafür kann man sich natürlich auch viele Sachen runterladen, solche Sachen muss man sich auch zweimal überlegen. Ich glaube aber nicht, dass dieser Vinyl-Trend langlebig sein wird – das ist ja auch umständlich. Als ich umziehen musste, musste ich die ganzen Platten und CDs wieder stapeln und umsiedeln. (lacht) Teile meiner Sammlung sind noch bei meiner Mutter im Keller in Chile, aber über die Jahre häuft sich natürlich eine Menge an, das ich dann durch die Weltgeschichte schleppen muss. (lacht)

PENTAGRAM CHILE waren in den Anfangsjahren extrem stilprägend für viele andere Bands, die dann teilweise große Nummern wurden. Hättet ihr auch viel größer werden können, wärt ihr am Ball geblieben?

Man kommt nicht umhin, an so etwas zu denken, aber ich habe heute nichts davon. Erstens hätten wir uns ja eh nicht weiter PENTAGRAM nennen können, denn irgendwann kamen wir ja drauf, dass es noch so eine Band gab. Ich ging damals in den lokalen Plattenladen, sah die Alben und dachte mir nur: „Ich weiß eigentlich nichts davon, dass wir schon etwas veröffentlicht hätten.“ (lacht) Andererseits waren wir auch viel zu weit ab vom Schuss. Heute spürt man diese geografischen Entfernungen nicht mehr so wie damals. Durch die ganze Globalisierung ist alles viel näher zusammengerückt. Ich hatte schon mal den Gedanken, in die USA oder nach Europa zu ziehen, aber damals war mir das zu viel. Ich hatte auch den Eindruck, dass meine Bandkollegen das nicht gemacht hätten. Sie wollten ihre Sicherheiten und bei ihren Familien und Freunden bleiben.

Aber es ist sicher cool, wenn man den prägenden Einfluss direkt mitbekommt – etwa wenn NAPALM DEATH auf ihrer „Leaders Not Followers“ euren Song „Demonic Possession“ covern oder sich AT THE GATES als große Fans outeten. Hatte Tompa Lindberg eigentlich einen Fanboy-Moment, als du bei LOCK UP eingestiegen bist?

(lacht) Nicht wirklich, aber es war schon cool, weil man diesen Respekt einfach spürt. Das Schönste bei LOCK UP mitzuspielen war, dass wir alle die genau gleichen Bands gut finden. Von POSSESSED weg eben und wenn wir unterwegs sind, dann drehen sich immer MERCYFUL FATE, POSSESSED oder VOIVOD, weil wir alle total drauf stehen. In unseren jeweiligen Ländern haben wir zudem alle eine Art von Pionierarbeit geleistet.

All die großen Helden, die schon dich inspiriert haben, gibt es heute noch immer oder schon wieder. Warum ist das deiner Meinung nach so? Weshalb ist da noch niemand in musikalische Pension gegangen?

Viele von diesen Bands waren aber sehr lange inaktiv und dazu gehört auch das Finanzielle. Irgendwie müssen die Leute ihre Existenz sichern, haben sie das dann geschafft und stehen gut da, können sie sich wohl auch wieder ein paar Touren leisten. Ich glaube nicht, dass viele Bands davon hauptberuflich unterwegs sind, aber derzeit gibt es eine große Nachfrage – nach uns alten Säcken, wie auch nach den jüngeren, hungrigen Kids. Es gibt auch viele neue Bands, die das Metal-Feeling vermitteln, aber das ist halt nicht mehr so innovativ. Ich kann gerne TOXIC HOLOCAUST oder MIDNIGHT hören, die ich sehr geil finde, aber SODOM, VENOM und KREATOR haben das auch schon vor 30 Jahren gemacht. (lacht)

Da kommt natürlich auch das Problem dazu, dass heute schon fast alles mal gemacht wurde.

Dessen bin ich mir nicht so sicher. Teilweise vermisse ich schon, dass die Bands nicht nur das gute Alte aufwärmen, sondern dass sie oft nicht in die Zukunft blicken. Der durchschnittliche 80er-Jahre-Metaller ist für mich heute der schlimmste Spießer überhaupt, weil er keine überhaupt keine Veränderung in seiner Welt will. Dass es geht, Neues zu machen und das mit dem Alten zu verbinden, ohne den Spirit zu verlieren, das hat eine Band wie VEKTOR gezeigt.

Suchst du als alter Metal-Fan immer noch aktiv nach jungen Bands, die dir etwas Neues aufzeigen?

Schon, ich bekomme durch meine Radioshow so ziemlich alle neuen Releases von den wichtigeren Labels. Oftmals habe ich aber den Eindruck, dass sich das Interessante heute nicht mehr auf den großen Labels abspielt, sondern eher im Underground. Dort alles zu hören und zu kennen ist mittlerweile unmöglich. Wenn ein Kumpel jetzt etwas Neues auf Facebook postet und einen enthusiastischen Kommentar dazustellt, dann kommt man in etwas Neues rein – das ist toll und so lerne ich viele interessante Truppen kennen.

Eigentlich bist du die chilenisch-spanische Variante von Fenriz, der mit seiner „Band Of The Week“ und seinen Podcasts auch die großen Underground-Perlen herausfischt.

Schon, aber ich mache das nicht so systematisch. Ich will mich auch nicht so zum Szenepapst aufspielen wie viele andere. Alan von PRIMORDIAL ist ja auch so einer, der sich gerne selbst reden hört. Ich mag das nicht so gerne, die Leute sollen selbst entscheiden, was sie gut finden. Wo ist die Grenze zwischen true und nicht true? Am Ende ist das doch alles Blödsinn, hör doch einfach, was dich glücklich macht und lass die anderen das auch machen. Wenn ein anderer PANTERA oder MACHINE HEAD gut findet, ist das das doch cool – ich muss es ja nicht mögen. (lacht) Das sind die gleichen Gedanken, die die Grenzen zur Modernität ziehen. Wenn jemand vielleicht gerne etwas Neueres erschaffen möchte, sich aber nicht traut, weil er dann eben nicht mehr true oder Kult ist.

Wobei aber gerade Alan Averill schon jemand ist, der immer bemüht ist, sich mit seinen neuen Alben neu zu erfinden.

Ich kann das nicht beurteilen. Ich kenne PRIMORDIAL, aber ich bin kein Spezialist bei dieser Band. Klar, er hat ein anderes Verständnis von dem was gut oder nicht gut ist als ich, aber das heißt nicht, dass einer von uns mehr recht hätte als der andere.

Kann man eigentlich Freundschaften wie deine mit Max Cavalera in der Metalszene über so viele Jahre hinweg aufrechterhalten?

Max ist in dieser Hinsicht ein ziemlich heikles Thema. Ich habe ihn vor zwei Jahren nach ewig langer Zeit wieder einmal getroffen und er hat kaum ein paar Worte mit mir gesprochen und war dann gleich wieder weg. Das fand ich ehrlich gesagt schon ziemlich enttäuschend. Aber es gibt dann andere Helden wie etwa Schmier von DESTRUCTION, der sofort gut drauf war, Drinks spendierte und sich auch als Gast für unsere Platte zur Verfügung stellte. Auch der Marc, der bei MORGOTH war, ist ein guter Kumpel. Man findet im Prinzip beides, aber im Fall Cavalera war es ein bisschen enttäuschend.

Mit PENTAGRAM CHILE, CRIMINAL und LOCK UP hast du drei große Bandbaustellen – sortierst du da in gewisser Weise nach Wichtigkeit? Hat eine Band besondere Priorität?

Bislang konnte ich das Sortieren gut vermeiden, es kam kaum vor, dass ich zwischen zwei von diesen Bands entscheiden musste – das kann man gut vorplanen. Die Bands haben natürlich in den verschiedenen Erdteilen einen unterschiedlichen Stellenwert. Mit LOCK UP waren wir auch schon in Japan, das wäre mit den anderen beiden wohl unmöglich. Den Konflikt konnte ich bislang aber gut vermeiden.

Von dieser Art Extrem-Metal kann man im Prinzip kaum überleben – wie bezahlst du also deine Rechnungen?

Man schlägt sich halt durch. Ich habe das Glück, eine Lebenspartnerin zu haben, die eine super Frau ist und auch arbeiten geht. Wenn man ein gesichertes Einkommen im Haushalt hat, kann man schon besser planen. Man verdient schon mit der Musik, aber eben unregelmäßig und kann sich nicht darauf verlassen, wann man etwas bekommt. Hätte ich keine Frau und kein Kind, könnte ich mich wahrscheinlich auch wieder einfacher durchschlagen. (lacht)

Hat dir die Veröffentlichung des Albums „The Malefice“ mit PENTAGRAM CHILE jetzt noch einmal einen richtigen Auftrieb gegeben?

Auf jeden Fall, wir waren schon stark in der Presse vertreten und das Album wurde auch ganz gut aufgenommen. Wir wussten von Anfang an, dass es ein riskantes Manöver war, überhaupt ein Album zu machen. Zudem wussten wir, dass unsere eigenen Fans von damals die größten Kritiker sein würden. Als diese Leute – außer einem Wichser in der Schweiz – mir fast ausnahmslos attestierten, dass wir wirklich den Vibe und den Stil dieser Band in die Gegenwart transportierten, war das natürlich das Beste, was man mir sagen konnte. Was diese Band dadurch an Stellenwert gewonnen oder verloren hat, kann ich nicht beurteilen, aber viele Leute kennen die Songs und wollen auch welche hören, die wir gar nicht einstudiert haben. (lacht) Ich kann damit leben, dass diese Band nicht mehr so berühmt werden wird wie SLAYER, aber wenn man jedes Mal ein bisschen damit wächst, finde ich das gut und schon allein die Tatsache, dass wir erstmals in so vielen Ländern spielen und auch noch so viel Merch verkaufen, hat jeden Schritt gerechtfertigt. PENTAGRAM CHILE ist übrigens die beste Band von meinen dreien im Verhältnis Besuch/Merch-Verkauf. (lacht) Ich weiß nicht, ob das einfach toller Support ist, oder die Leute verrückte Sammler sind, aber es ist natürlich sehr cool.

Dafür habt ihr wahrscheinlich noch mehr Feuer auf der Bühne als SLAYER, die ja schon sehr oft ziemlich routiniert und abgeklärt auf der Bühne zocken.

(lacht) Das weiß ich nicht und will ich auch keinesfalls beurteilen. Diese Tour findet ja ohne meinen langjährigen Partner und Gitarrist Juan-Pablo Uribe statt. Er musste zuhause bleiben, weil seine Mutter vor Kurzem gestorben ist und er einen geisteskranken Bruder hat, auf den er schauen muss. Es war einfach zu kurzfristig, als das wir noch einen Ersatz finden konnten – so machen wir es eben zu dritt. Die Reaktionen waren okay, es funktioniert ganz gut. Klar, wenn ich Soli oder Harmonien spiele, fehlt die andere Gitarre, aber das kriegen wir schon hin. In einem kleinen Club macht es mir am meisten Spaß, auf großen Bühnen fühle ich mich oft verloren.

Könnte die Band PENTAGRAM CHILE eigentlich ohne dich oder Juan-Pablo existieren? Wenn also einer der beiden Urväter wegfallen würde.

Das ist eine gute Frage, aber ich denke, das würde nicht funktionieren. Für mich war es schon schwierig den Drummer zu feuern, aber das ging nicht anders. Wir hatten schon so viel Arbeit in die Band gesteckt, dass der Schritt unweigerlich so zu machen war. Wir wollten unbedingt das Original-Line-Up bleiben, aber wenn es nicht geht, geht es eben nicht. Wenn Juan-Pablo jetzt nicht mehr touren könnte, müsste man trotzdem ein Arrangement finden, dass er ein Teil der Band bleibt.

Er könnte dann – so wie einst Demonaz bei IMMORTAL – zum Beispiel noch Songs schreiben.

Den hatte ich auch gerade im Kopf, richtig. (lacht)

Habt ihr jetzt auch Lust bekommen, weitere Alben aufzunehmen? Bislang hast du dich in die Richtung noch nicht so klar positioniert.

Ich denke schon. Als erstes werden wir eine Art EP machen, die von der Länge her fast ein Album sein wird. Es kommen auch ein paar Cover drauf und ein ganz altes Stück, das wir ausgebuddelt haben, ein ganz neuer Song und eine Radiosession, die wir letztes Jahr in Chile gemacht haben. Wir müssen noch schauen, was wir auswählen, aber das Ganze sollte dann im ersten Semester 2016 erscheinen. Wir haben schon vor, noch ein Album zu machen, aber ich lege mich da nicht fest. Ich weiß nicht, wann es passieren wird. Derzeit bin ich gerade dabei, mit LOCK UP ein Album aufzunehmen und das kommende von CRIMINAL wurde soeben fertig abgemischt. Da passiert theoretisch 2016 schon genug und es bleibt auch viel Zeit, neue Musik zu schreiben.

Abschließend – wie viele Sprachen sprichst du eigentlich?

Drei – Spanisch, Englisch und Deutsch. Mit Spanisch und Deutsch bin ich aufgewachsen, zweisprachig erzogen worden – ich ging sogar auf eine deutsche Schule. Auf Englisch habe ich mir fast alles selbst angeeignet – man lernt ja von Filmen, Büchern, Heften etc. Ein bisschen Portugiesisch kann ich auch, ein paar Häppchen Baskisch lerne ich gerade, weil meine Tochter das jetzt auch lernen muss – da bin ich mitgefangen. (lacht) Ein paar Brocken Französisch werden sich auch noch ausgehen, aber mehr sicher nicht.


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