Interview: SLIPKNOT - Corey Taylor

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Ich bin kein Misanthrop, nein. Ich bin zornig, ja. Ich bin wertend und ein Arschloch und sehr, sehr voreingenommen, aber das bin ich aus Liebe.

SLIPKNOTs Corey Taylor lädt angesichts der bevorstehenden Europa-Tour zum Interview und gibt sich gut gelaunt und redselig. Lest hier Corey's Gedanken zu den Grammys, JUSTIN BIEBER, der Musikindustrie, dem "Knotfest" und der Menschheit im Allgemeinen.

Text: Suzy
Veröffentlicht am 07.01.2016

SLIPKNOT. Dieser Name ist nicht mehr nur aus der Metal-Szene nicht mehr wegzudenken, nein, die neun Amis sind schon längst im Mainstream angekommen - diverse Grammy-Nominierungen und ein Grammy-Gewinn inklusive. Corey Taylor, seines Zeichens Sänger bei den maskierten Monstern und der Alternative-Band STONE SOUR, sowie erfolgreicher Buchautor, stand gut gelaunt Rede und Antwort.

 

Hallo Corey, erstmal herzlichen Glückwunsch zu einer weiteren Grammy-Nominierung! Hast du jemals gedacht, als du mit SLIPKNOT begonnen hast, dass ihr jemals für Grammys nominiert werdet?
Ich hab nicht mal daran gedacht, dass es uns so lange geben wird! Weißt du, es ist seltsam. Die Grammys und die Rock’n’Roll-Hall-Of-Fame haben für mich ihren Reiz verloren. Die Leute fragen immer „freust du dich darüber?“, und ich antworte „nein, nicht wirklich.“ Wenn ich nicht gewinne, ist meine Karriere dennoch nicht vorüber. Ich bin jetzt seit 17 Jahren im Geschäft und werde nicht durch irgendwelche brennenden Reifen springen, nur wegen diesem komischen Beliebtheitswettbewerb, der da jedes Jahr in Los Angeles stattfindet. Es ist schon cool, aber ich werde sicher keine Schwänze deswegen lutschen, nur damit wir gewinnen. 

Keine Schwänze lutschen, hm? Du hast mal gesagt, dass du das gerne als Untertitel für dein letztes Buch „You’re Making Me Hate You“ gehabt hättest, aber das dann nicht genommen wurde.  (Anmerkung: der genaue Untertitel laut Corey’s Vorschlag hätte gelautet: „You’re Making Me Hate You - Or How Justin Bieber Sucked A Million Dicks To Make His Money“ - der Untertitel wurde dann umgeändert zu "A Cantankerous Look At The Common Misconception That Humans Have Any Common Sense Left", zu Deutsch: "Eine störrische Draufsicht auf den allgemeinen Irrglauben, dass die Menschheit noch gesunden Menschenverstand in sich trägt".)
(lacht sich erstmal schlapp) Ja, das war eigentlich als Scherz gemeint, aber Mann!! Die Leute, alle, egal ob aus der Musikindustrie oder nicht, waren gleich sowas von beleidigt. Die meinten tatsächlich, dass ich den Verstand verloren habe und ich sowas doch nicht machen könnte. Ich habe von den "Beliebers" (JUSTIN BIEBERs Fanclub - Anm.) Todesdrohungen erhalten! Todesdrohungen, das musst du dir mal vorstellen! Oh mein Gott, diese Leute! Die sind zum fürchten! Ehrlich, die Leute glauben immer, dass unsere Fans zum fürchten sind, aber nein… nein, die "Beliebers", da muss man sich fürchten. Das sind die wahren Irren. Ich meine, es ist doch unglaublich, wie weit die in ihrer angeblichen Fanliebe gehen. Hast du die schon mal erlebt?

Leider. Ich war mal mit meiner Nichte auf einem Justin Bieber Konzert.
Wirklich? Du Arme! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie du da lebendig wieder rausgekommen bist. (lacht weiter) Die Dinge, die man für die Familie tut, nicht wahr?

Oh ja. Hast du diesen Hashtag vor ein paar Jahren mitbekommen, #cutforbieber?
Was? Cutforbieber? Was schneiden? 

Na, sich selbst.
Ernsthaft? 

Ja, das begann eigentlich als Scherz. Damals schien BIEBER einen Joint konsumiert zu haben und User von 4chan hatten die Idee, die "Beliebers" auf die Schippe zu nehmen. Sie starteten #cutforbieber mit gefakten Fotos von selbstverletzendem Verhalten. Der Scherz ging nach hinten los, weil sich die Mädels tatsächlich begonnen haben zu ritzen.
Ooookay. Wie irre kann man sein? Erstmal die Leute, die diese ernsthafte Erkrankung in den Dreck ziehen und dann die Mädchen, die auf den Zug aufgesprungen sind und das wirklich gemacht haben. Unglaublich. Es ist wirklich unglaublich, welche Idioten das Internet hervorlockt. Und wie ich vorher schon sagte: diese "Beliebers", das sind die, die wirklich Hilfe brauchen. Nicht unsere Fans. Unsere Fans mögen zwar ein bisschen verrückt sein, haben aber mit Sicherheit das Herz am rechten Fleck. Weißt du, wenn ich bei einem Auftritt in die Menge blicke und sehe, wie sie in einem Pit zusammenhalten uns sich gegenseitig helfen - dann weiß ich, dass die Fans von SLIPKNOT gute Menschen sind.

Ihr habt bei den Grammys dieses Jahr eine weitere maskierte Konkurrenz, die Schweden GHOST. Werdet ihr backstage Tipps zur Maskeninstandhaltung austauschen?
Du wirst es nicht glauben, das haben wir sogar schon mal. Wir haben uns einen Van geteilt, als wir auf einem europäischen Festival gemeinsam gespielt haben. Ich hatte keine Ahnung, dass ich mit GHOST in einem Bus sitze und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auch nicht gewusst haben, dass ich eben ich bin. Wir haben also nett rumgeplaudert und langsam hat’s dann gedämmert… „ach, ihr seid… ?“ - „ja, und du bist…?“ Was zur Hölle?! Wir haben uns dann tatsächlich darüber unterhalten, wie es ist, so völlig maskiert Auftritte zu absolvieren und wie die Masken in Schuss bleiben. Besonders bei diesen Latexmasken, die den gesamten Kopf bedecken, ist es zumindest für unsere Crew immer eine Herausforderung, dass die geschmeidig bleiben. Es war irgendwie lustig, die schauen überhaupt nicht so aus, wie du denken würdest, dass sie aussehen… aber das denken sich wohl viele bei mir auch.

Naja, dein Gesicht ist mittlerweile schon bekannt.
Ja klar, aber die sehen aus wie Roadies! Ich wünsche ihnen, dass die Sache mit der Anonymität noch lange gut geht. Du glaubst es nicht, wieviele Leute nicht kapieren, dass der Sänger von SLIPKNOT und der Sänger von STONE SOUR ein und dieselbe Person sind. Manchmal frage ich mich, ob die Menschen was von dieser Sache namens Internet gehört haben. Das Internet ist eine tolle Sache, du kannst Dinge googeln und kommst relativ schnell an deine gewünschten Infos. Ich zum Beispiel, ich hab’s jahrelang als Teenager nicht geschnallt, dass OZZY OSBOURNE der Sänger von BLACK SABBATH war. Das hat mich aus den Socken gehauen, als ich das erfahren habe. Als ich ein Teenager war, gab's noch kein Internet, deswegen war das für mich eine Offenbarung. Heutzutage kommt man viel schneller und einfacher an Informationen. Ob die dann richtig oder falsch sind, sei dahingestellt. Viele Leute überrascht es aber noch immer, wenn sie erfahren, dass ich bei SLIPKNOT und bei STONE SOUR singe.

STONE SOUR ist halt auch mehr Mainstream, da bekommt ihr hier in Österreich schon mal Radio-Airplay. Mit SLIPKNOT… keine Chance.
Echt? Das ist schade. Wir bekommen in den USA, England, Australien oder Frankreich echt viel Radio-Airplay. In den USA werden wir sogar schon als „Radio Band“ betrachtet, das macht mich immer wieder richtig sprachlos. Wenn du mir vor zehn Jahren gesagt hättest, dass ich mit meiner Band im Radio gespielt werde, hätte ich dir ins Gesicht gelacht. Aber irgendwie macht es auch Sinn, selbst unsere aggressivsten und schnellsten Songs haben einen Hook, eine Catchiness. Und nach fünf Alben haben die Leute wohl verstanden, dass selbst unsere aggressivsten und brutalsten Songs eine Eingängigkeit und eine Melodie in sich haben. Das ist wohl der Grund, warum wir besonders im englischsprachigen Raum im Radio gespielt werden. 

Es ist ja auch erstaunlich, dass eure Fans absolut keine homogene Masse mehr darstellen. Auf meinem ersten SLIPKNOT-Konzert waren nur die absoluten Hardcore-Fans, selbst in Masken und Overalls da, und jetzt stehen eben jene neben Rockern, Hipster oder Eltern, die mit ihren Kids auf ein SLIPKNOT-Konzert gehen.
Wir sind wohl mittlerweile einer dieser Bands, die eine zweite Generation an Fans hervorgebracht hat. So Mainstream wir auch mittlerweile sind, wir sind noch immer im Underground verwurzelt, schon alleine weil Mainstream-Musik was ganz anderes ist. Wir wollten nie so eine große Mainstream-Band werden, weil ich gesehen habe, was mit diesen Bands passiert; die Kunstückchen, die sie wie Hündchen aufführen müssen, diese Art zu sprechen, um niemanden auf den Schlips zu treten oder eine bestimmte Art von Musik zu machen… scheiß drauf! Ich könnte mit dieser Art von Zwängen nicht umgehen und ich kenne mich und mein vorlautes Mundwerk; das würde mir schneller Probleme bereiten als mir lieb ist… ich mag es, wo wir gerade stehen; mit einem Fuß im Mainstream und mit dem anderen im Underground. Unsere Fans haben uns dorthin gebracht, wo wir sind, und um das geht es schlussendlich.

Ihr seid mittlerweile einer dieser Bands, die man seinen Eltern vorschlagen kann, wenn man in die Szene hineinkommt und auf ein Konzert gehen will. Die Eltern kriegen nicht gleich die Krise, als wenn das Kind vorschlägt, CANNIBAL CORPSE oder die ANAL GRINDFUCKERS sehen zu wollen.
Hahahahaha, du sagst es!

Reden wir mal über die anstehende Europa-Tour, die bald in Finnland startet. Euer Main-Support sind die SUICIDAL TENDENCIES. Wie kam denn das zustande?
Reines Glück, ernsthaft. Sie haben uns letztes Jahr auf der „Road To Knotfest“ begleitet und dann auch am „Knotfest“ gespielt. Die sind einfach legendär. Ich bin mit deren Musik aufgewachsen und dann konnte ich eine gesamte Tour mit meinen Jugendhelden verbringen. Wir hatten so viel Spaß mit denen und haben sie uns jeden Tag von der Seite aus angesehen. Am letzten Abend der Tour habe ich mir Mike (Muir, Sänger der TENDENCIES - Anm.) geschnappt und fragte „was machst du im Jänner und Februar?“, und er meinte „naja, mit euch touren!“ Das war richtig kurios! Ich dachte nicht, dass er sich darauf einlässt, aber anscheinend hat's den TENDENCIES auch mit uns gefallen.

Ich find’s super, ihr bietet somit einer legendären Band wie den SUICIDAL TENDENCIES eine Plattform, damit sie auch eure jüngeren Fans hören können.
Um genau das geht’s. Wir versuchen immer, unseren Einflüssen und Inspirationen Respekt zu zollen. Wir haben’s ja schon mit SLAYER, ANTHRAX oder CLUTCH gemacht und jetzt auch noch die TENDENCIES… 

Also das "Knotfest": Für mich, als europäisches Mädchen, schaut und klingt das sehr nach der SLIPKNOT-Version von Bartertown. (Anm.: die Stadt in "Beyond The Thunderdome" - wer diesen Film noch nicht gesehen hat und meint, dass "Fury Road" der einzig wahre "Mad Max" ist, fühle sich somit gesteinigt und bemühe sofort sein Netflix)
Bartertown? Awesome - genau so soll es sein, hahahaha!

Könnt ihr das bitte nach Europa bringen? Bitte bitte!
Weißt du… wir arbeiten daran. "Knotfest" ist sehr nach den europäischen Festivals modelliert und wir möchten eigentlich nicht, dass wir ein eigenes Festival dort machen, wo bereits Veranstalter ein sehr erfolgreiches Festival auf die Beine gestellt und uns unterstützt haben. Das hat was mit Respekt zu tun, und ich möchte diesen hart arbeitenden Menschen absolut nicht ans Bein pissen. Das und der wirtschaftliche Faktor... warum ein weiteres Festival installieren, wenn es bereits sehr gute und erfolgreiche Festivals gibt und somit dem Veranstalter, der uns schon mal unterstützt und geholfen hat, einen Verlust machen zu lassen? Dadurch, dass es sehr europäischen Festivals nachempfunden ist, wollten wir den amerikanischen, japanischen oder mexikanischen Fans die Gelegenheit geben, diese Stimmung einzufangen und diese Erfahrung zu machen. 

Das "Knotfest" klingt sehr nach Donington, Wacken oder dem Hellfest.
Ja, absolut. Solche Festivals gibt es in den USA nicht. Wir haben nur das Coachella. Wir würden das "Knotfest" nur dann in Europa machen, wenn wir jemanden finden, mit dem wir bereits erfolgreich zusammengearbeitet haben und der uns mit demselben Respekt begegnet wie wir ihm. Wie gesagt, wir arbeiten daran.

Dein Buch „You’re Making Me Hate You“ ist letztes Jahr erschienen. Wenn man es liest, könnte man fast glauben, dass du ein Misanthrop bist. Auf einer Skala von eins bis zehn, wie sehr bist du einer?
Puh… es gibt sicher Tage, da bin ich auf einer acht, aber eigentlich bin ich keiner. 

Ist es nicht eigentlich so, dass man sich nur dann über die Blödheit der Menschen aufregt, weil man sie liebt?
(ist mal für einen kurzen Moment still, man hört fast die Zahnräder mahlen) Ja, Genau! Wenn mir die Menschen egal wären, würde ich mich nicht so über ihre Blödheit aufregen! Es ärgert mich deswegen so, weil ich weiß, dass die Menschen zu so viel mehr fähig wären. Ein Misanthrop sitzt ja nur da und hasst alles, ist gegen alles, liebt nichts, findet nichts gut -  das braucht sehr wenig Energie. Ich bin kein Misanthrop, nein. Ich bin zornig, ja. Ich bin wertend und ein Arschloch und sehr, sehr voreingenommen, aber das bin ich aus Liebe.
Ich rege mich deswegen so darüber auf, weil ich das verlorene Potential sehe - jeden verdammten Tag. Die News-Meldungen jeden Tag - du siehst immer das Schlimme und wie sich die Menschheit selbst vernichtet, aber die Meldungen, dass irgendwo Gutes passiert wäre, dass sich Menschen gegenseitig unterstützt haben… die gehen unter. Ich lese die aber schon alle und genau das macht mich zornig: Viele Menschen sind so emphatisch und unterstützen einander, aber viele benutzen ihre Energie nur dazu, um sich gegenseitig zu bekämpfen. Um sich wegen so dummen Sachen zu bekämpfen! So kindischen Sachen! Nein, keine kindischen Sachen, Kinder würden sowas nicht tun. Die führen sich eher auf wie pubertierende Halbstarke. Wenn wir mal alle nur für zwei Sekunden innehalten würden, würden wir sehen, dass wir alle so viel mehr gemeinsam haben, als viele glauben. Ich rede jetzt von allen: Den Republikanern in meinem Land, den Heimatvertriebenen, ISIS… wir haben viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Und solange wir das nicht verstanden haben, werden wir uns gegenseitig bekämpfen. Und solange werde ich auch Bücher schreiben. 

 

SLIPKNOT spielen im Rahmen ihrer Europatour gemeinsam mit den SUICIDAL TENDENCIES am 26. Jänner 2016 in der Wiener Stadthalle. Tickets erhaltet ihr noch bei unserem Partner oeticket.com.


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