Interview: Nonexistence - Philip Santoll

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Wenn ich eine gute CD höre, ist mir vollkommen egal, ob diese von einer Band oder einem einzelnen Musiker aufgenommen wurde...

Solokünstler Philip Santoll erklärt uns die wichtigsten Dinge des Seins !

Text: PMH
Veröffentlicht am 11.12.2007

Hallo Philip! Was hat dich dazu bewogen, NONEXISTENCE als Solo-Existenz ins Rampenlicht zu führen bzw. in welchen Bands warst du vorher involviert?

Hell-o ! Bevor ich mich musikalisch „selbständig“ gemacht habe, war ich zehn Jahre lang in verschiedenen Bands tätig, meist als Gitarrist und Sänger, einmal auch als Schlagzeuger. Die letzte Band, an der ich beteiligt war, heißt ASMODEUS und ist Freunden des Hochgeschwindigkeits-Black Metal sicherlich ein Begriff.
Letztlich war es schon eine schwierige Entscheidung für mich, es ohne das gewohnte Bandgefüge zu versuchen, doch sah ich damals keine andere Möglichkeit mehr, um an mein Ziel zu kommen. Ich wollte immer schon düstere, doomige Musik machen, doch nach dem Ende einiger zunächst vielversprechender Projekte und der für mich zu dieser Zeit künstlerisch unbefriedigenden Situation bei ASMODEUS war die Zeit einfach reif, es alleine zu versuchen. In den meisten meiner Bands bin ich ohnehin für nahezu die gesamte Musik sowie alle Texte verantwortlich gewesen, somit war der einzige Unterschied nur mehr der, dass ich meine Ideen niemandem mehr erklären musste und auf Proben verzichten konnte.

Solokünstler werden – besonders in der Metalszene – immer noch als Exoten angesehen und oft auch nicht allzu ernst genommen. Hast du schon schlechte Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht oder kümmert dich dieser Umstand weniger?

Wenn ich eine gute CD höre, ist mir vollkommen egal, ob diese von einer Band oder einem einzelnen Musiker aufgenommen wurde. In den meisten Bands sind ohnehin nur einzelne Musiker für das Songwriting verantwortlich und die restlichen Mitglieder bloße Statisten. Relevant wird dieser Unterschied einzig bei Live Auftritten, da Karaoke im Metal ja doch nicht so gut ankommt ;-)
Mit NONEXISTENCE habe ich diesbezüglich eigentlich noch keine negativen Erfahrungen gemacht, eher im Gegenteil. Meist sind die Hörer ziemlich beeindruckt, dass nur ein einzelner Mensch hinter der Band steckt. Ich schätze mal, dass mir dieser „Exoten-Status“ bisher eher zugute kommt.

Wer hat eigentlich den Begriff „Cosmic Doom Black Metal“ in den Raum geworfen? Du selbst? Kannst du mit dieser Stilbezeichnung leben oder ist das nur als kleine Hilfe für die Reviews oder deine MySpace-Seite gedacht?

Diese ganzen Stilbezeichnungen dienen doch nur einer ersten groben Einordnung, um potentielle Hörer aufmerksam zu machen. Die Musik von NONEXISTENCE spielt sich im Grenzgebiet mehrerer Musikstile ab, insbesondere Black, Doom, Death und Gothic Metal, und entzieht sich einer exakten Zuordnung zu einem bestimmten Stil. Somit war es für mich nicht ganz einfach, eine Umschreibung zu finden, die all das ausdrückt, was hinter dem Konzept von NONEXISTENCE steckt.
Mit dem Begriff COSMIC DOOM BLACK METAL – der meines Wissens zuvor noch nie verwendet wurde – gelang es jedoch, sowohl eine Umschreibung der Musik zu liefern als auch das Interesse der Hörer zu wecken. Ich kann mit dieser Bezeichnung also nicht nur gut leben, ich bin geradezu stolz darauf, sie zu verwenden!

Da es ja in absehbarer Zeit sicherlich keine Liveauftritte von NONEXISTENCE geben wird – gibt es da schon neues Material in der Hinterhand? Wenn ja, geht das musikalisch in eine prinzipiell ähnliche Richtung oder gibt es Veränderungen im Klangbild?

NONEXISTENCE ist ein ständiger Kampf an allen Fronten – Komposition, Arrangieren, Einspielen, Produzieren – wodurch ich ständig an irgendwelchen Ideen, Riffs, Songfragmenten oder auch ganzen Liedern arbeite. „NIHIL“ war für mich erst der Einstieg in die Arbeitsweise als Solokünstler. Der grundsätzliche Stil ist mittlerweile festgelegt, jetzt geht um die Verfeinerung des Sounds. Aus den momentan vorliegenden Demosongs, die in etwa die Hälfte des nächsten Albums ausmachen werden, kann ich eine Tendenz hin zu einem Mehr von allen bisherigen Stilmitteln ausmachen.
Verglichen mit „NIHIL“ erscheinen mir die neuen Songs um einiges härter, düsterer, orchestraler, grooviger und abwechslungsreicher. Ich versuche, sowohl die Gitarren mehr in den Vordergrund zu bringen, als auch die Keyboards opulenter einzusetzen. Die bisherigen Songs sind etwas schneller ausgefallen, sogar Blast Beats kommen ab und zu zum Einsatz. Dies bedeutet jedoch keineswegs eine Abkehr von den doomigen Parts, gerade diese sind besonders heavy geworden!

In welchem Zeitraum entstanden die Kompositionen für „Nihil“ – gab es darüber hinaus auch Fragmente oder ganze Songs, die es nicht auf das Album geschafft haben oder evtl. auf einer kommenden Veröffentlichung verwendet werden?

Die auf „NIHIL“ vertretenen Songs stammen im Wesentlichen aus der Zeit zwischen 2001 und 2004, die Ursprünge mancher Fragmente reichen sogar noch in die Neunziger zurück. Ich habe allerdings bis zum zweiten Endmix, also wirklich bis zur allerletzten Minute, ständig an den Songs gearbeitet und irgendetwas adaptiert. Der Stil hat sich in dieser Zeit ziemlich gewandelt, insbesondere hin zu den orchestralen Sounds mit mehreren Keyboardspuren. Nicht verwendete Songfragmente gibt es natürlich zuhauf, schließlich schreibe ich schon seit etwa 15 Jahren Lieder.
Nur die wenigsten davon halten jedoch meiner kritischen Beurteilung über einen längeren Zeitraum stand, sodass „NIHIL“ definitiv die Essenz meines bisherigen Schaffens ist. Dass mir ein tolles Riff einfällt, bedeutet noch lange nicht, dass es auch Verwendung in einem Lied finden wird, und nicht jeder meiner Songs bzw Songentwürfe ist für NONEXISTENCE geeignet. Ich versuche zwar immer wieder an alte Ideen anzuknüpfen, doch erscheint es mir einfacher und erfüllender, einen Song gleich neu und ganz von vorne aufzubauen.

In welcher Stimmung musst du sein um musikalisch kreativ werden zu können – spielen da die Umgebung bzw die Jahres- oder Tageszeit eine Rolle?

Ich habe leider noch kein Muster entdecken können, wann die Ideen besonders gut fließen. Grundsätzlich geht es aber umso schlechter, je mehr ich mich unter Druck setze, und umso besser, je schlechter das Wetter draußen ist. Meist warte ich, bis mich die Lust aufs Songwriting packt und lege los. Das kann dann nach nur einem Riff wieder enden oder gleich eine ganze Serie von brauchbaren Ideen ergeben.
Die besten Songs entstehen eher am Stück bzw an einem einzigen Wochenende, während monatelanges Arbeiten am selben Song oft immer noch kein zufrieden stellendes Ergebnis liefert. Erst wenn Aufbau und Arrangement im Wesentlichen stehen, fange ich mit den Texten an, wobei das eine weit mühevollere und langwierigere Arbeit ist, für die ich nächtliche Stunden bevorzuge.

Stichwort Texte – die Songs beschäftigen sich mit kosmischen, aber durchaus endlichen Elementen. Und zentral mit dem "Nichts" bzw. einer antarktischen Vergangenheit...

Auf „NIHIL“ geht es um grundlegende existentielle Fragen: Was bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Das Universum spielt ebenso wie das individuelle Selbst eine zentrale Rolle, und oft werden diese beiden Ebenen miteinander verknüpft, da sich meine metaphorischen Texte auf verschiedene Arten auslegen lassen. Neben Kälte und Dunkelheit drehen sich die Texte um Leere, Einsamkeit und Vergänglichkeit sowie allgemein um Kontraste und Gegensätze.
Ich möchte keine eindeutige „Botschaft“ vermitteln, sondern dem Hörer Gelegenheit geben, seine eigenen Assoziationen zu entwickeln.
Das von mir dargestellte Universum mag zwar leer und trostlos sein, die dem Einzelnen zur Verfügung stehende Lebensspanne sollte dennoch dem Streben nach (Selbst)Erkenntnis gewidmet sein, anstatt in Verzweiflung zu verharren. Die von Dir angesprochene Antarktis spielt in meinen Texten bislang noch keine Rolle, stellt jedoch das irdische Pendant zur Abgeschiedenheit, Kälte und Leere des Weltalls dar, weshalb ich diesen Ort gerne als Ursprung und symbolische Heimat von NONEXISTENCE bezeichne.

Kennst du den Film oder das Buch „Contact“? Hier wird mithilfe eines abgefangenen Codes eine Maschine gebaut, die das Reisen zu einer extraterrestrischen Rasse im beschränkten irdischen Zeitraum ermöglicht – wäre das für dich persönlich eine reizvolle Vorstellung oder doch nur „Science Fiction“?

Der Film „Contact“ greift Ideen wie Kontakt zu extraterrestrischen Zivilisationen, Wurmlöcher, Paralleluniversen und Zeitreisen auf, welche zwar eine gewisse theoretische wissenschaftliche Grundlage haben, in der dargestellten Form meiner Einschätzung nach jedoch reine Science Fiction sind. Dennoch nett gemacht und unterhaltsam! Ich bevorzuge allerdings „echte“ Wissenschaft, die ist schon abgedreht genug!

Was genau zeigt eigentlich das Coverbild – für mich sieht das wie ein ungeborenes Kind inmitten eines stellaren Nebels aus?

Das Cover von „NIHIL“ ist aus zwei übereinander gelegten Fraktalbildern von Sven Geier (http://www.sgeier.net) geschaffen und stellt nichts Konkretes dar. Ich mochte das Ergebnis auf Anhieb und fand es weit aussagekräftiger und stimmiger als die von mir bis dahin favorisierten Weltraumbilder.

Verfolgst du die österreichische Musikszene nur am Rande oder gibt es da bestimmte / vereinzelte Gruppierungen, die deine Aufmerksamkeit erregen?

Um ehrlich zu sein, seit ich nicht mehr live spiele - und das sind doch bald sechs Jahre - fehlt mir der regelmäßige Kontakt zu österreichischen Underground-Bands. Ich habe daher recht wenig Ahnung, was sich da so tut. Die meisten Bands kenne ich leider nur dem Namen nach, mit einigen wenigen bin ich allerdings auch freundschaftlich verbunden, wie etwa meinen Labelkollegen BEFORE THE FALL.

Besuchst du ab and an (Metal)Konzerte oder bevorzugst du die intime Atmosphäre deiner heimischen Stereoanlage?

Wenn ich zwischen einem Live- und einem Studio-Album wählen muss, ziehe ich immer das Studio-Album vor. Aber davon abgesehen gehe schon sehr gerne auf Konzerte und Festivals und habe so ziemlich alle meine Lieblingsbands schon live gesehen, die meisten gleich mehrfach. PINK FLOYD fehlen mir noch, aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf…

Zurück zum aktuellen Machwerk: wurde „NIHIL“ zur Gänze auf dem PC konzipiert und aufgenommen, oder hast du neben deinem Gesang auch herkömmliche Instrumente zur Produktion miteinbezogen?

„NIHIL“ wurde zwar auf dem PC produziert bzw aufgenommen, doch wurden einige Lieder auch bereits davor in einer „klassischen“ Metal Besetzung geprobt, allerdings komplett andere Versionen, als auf der CD zu hören sind. Für die Aufnahmen habe ich – abgesehen von meinem Gesang – alle Gitarren eingespielt, schließlich ist das mein Hauptinstrument.

Kannst du hier einige deiner Songs musikalisch näher erläutern?

Hmmm, sind dafür nicht eher die Rezensenten zuständig? ;-) Ich picke mir mal ein paar Songs heraus, die sich für mich in irgendeiner Weise abheben:
“Twilight Inferno” ist der Versuch, eine Art Trip-Hop Song auf Metal zu trimmen. Den Text habe ich entgegen meiner sonstigen Vorgehensweise erst unmittelbar vor dem Aufnehmen fertig gestellt, da dies der letzte noch einzusingende Track war. Beim Gesang habe ich stark experimentiert und mit zusätzlicher Verzerrung gearbeitet.
„Metastability” ist der letzte für „NIHIL“ geschriebene Song. Ursprünglich nur halb so lang, hat sich das Lied immer weiter entwickelt, bis schließlich jenes acht Minuten Epos daraus wurde, mit welchem die CD ausklingt. Dies war der erste Song, im dem ich jemals Keyboards verwendet habe, woraus sich schließlich ein vollkommen neuer Stil für alle Lieder entwickeln sollte.
„A Myriad Of Dead Stars” besteht eigentlich aus zwei Parts. Nach einem atmosphärischen Zwischenteil, dessen gesprochene Textpassage mehrere hundert Takes benötigte, bis ich endlich zufrieden war, bäumt sich der Song nochmals zu einem mächtigen orchestralen Doom-Monster auf.
„De Nihilo Nihil” verwendet Auszüge aus “De Rerum Natura” des römischen Dichters Lukrez. Ich finde dass Latein eine für Metal bestens geeignete Sprache ist. Dennoch waren die Aufnahmen recht mühevoll, da ich meine gesamte stimmliche Bandbreite eingesetzt habe, um die verschiedenen Stimmungen zu unterstreichen.

Frei von musikalischen Vorlagen oder Einflüssen ist heutzutage wohl kein Werk mehr – welche internationalen Bands haben es dir in diesen Tagen am meisten angetan?

Ich versuche schon lange nicht mehr, wie die Bands zu klingen, die mir gut gefallen. Nicht nur weil das kein nennenswerter Ansporn für mich wäre, sondern auch weil mein Musikgeschmack einfach zu breit gefächert ist, um als Kopie in einer einzigen Band Ausdruck zu finden. Dennoch ist unbestreitbar, dass meine Lieblingsbands einen Einfluss auf mein Schaffen haben. Ich denke, man kann leicht heraushören, dass ich ein großer Fan bin von PARADISE LOST, OPETH und DIMMU BORGIR, Ausnahmebands, die an der Spitze ihrer jeweiligen Genres stehen und ihren Stil permanent weiterentwickeln.

Die früheren Werke solcher Combos wie PARADISE LOST, ANATHEMA, KATATONIA oder MY DYING BRIDE hatten alle eine Gemeinsamkeit: ein ausgezeichnetes Songwritung und die musikalische Seele, die beim Hören wahrlich "greifbar" war. Warum schaffen es deiner Meinung nach Bands der Neuzeit immer weniger, diese essentiellen Dinge auf ihren Outputs festzuhalten?

Die von Dir angesprochenen Bands haben in ihrer Frühphase Meisterwerke geschaffen, die durch ihre Neuartigkeit und Intensität stilprägend waren. Abgesehen von MY DYING BRIDE (deren heutige Alben meines Erachtens dem Vergleich mit ihren Frühwerken leider keinesfalls mehr standhalten) haben diese Bands ihren Stil konsequent weiterentwickelt und die Grenzen des Genres ausgelotet. Somit wird es für neue Bands schwierig: Bewegen sie sich auf demselben Terrain, heißt es sofort „Kopie!“, versuchen sie einen anderen Ansatz, fehlt angeblich die Tiefe.

Ein paar letzte Worte für unsere Leser ?

Gerade jetzt in der kalten Jahreszeit ist die beste Zeit, um sich mit „NIHIL“ vertraut zu machen!
Geht auf http://www.nonexistence666.com und hört euch die Songs an! Vielen Dank für das Interview! Cheerz!


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